Michael Batz: Logotherapie und Soziale Arbeit
Rezensiert von Dr. theol. habil. János Vik, 04.08.2023

Michael Batz: Logotherapie und Soziale Arbeit. Einführung in Theorie und Praxis. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2022. 160 Seiten. ISBN 978-3-7799-6919-8. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR.
Thema
Ausgehend von der Feststellung, dass die von Viktor E. Frankl (1905–1997) begründete Logotherapie und Existenzanalyse als anthropologischer und psychotherapeutischer Ansatz bei Vertreter:innen sozialer Berufe bzw. in ihrer alltäglichen Praxis auf positives Echo stößt, verfolgt der Verfasser mit seinem Buch das Ziel, eine fundierte Einführung sowohl in das sinn- und werteorientierte Menschenbild als auch in die psychotherapeutische Theorie des Ansatzes von Frankl zu bieten. Im Kontext der Sozialen Arbeit geht Michael Batz – als Verfasser dieses Werkes – weiter von der Erfahrung aus, dass dem Ansatz von Frankl im fachwissenschaftlichen Diskurs immer noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Deshalb möchte er dieser Situation mit seinem Werk entgegensteuern, indem er die Relevanz und die Anwendungsmöglichkeiten der Logotherapie und Existenzanalyse in der Praxis der Sozialen Arbeit aufgrund von konkreten Beispielen in den letzten zwei Kapiteln des Buches aufzuzeigen versucht.
Autor
Michael Batz ist Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heidenheim. Er ist Studiengangsleiter im Studiengang Soziale Arbeit – Sozialmanagement. Zugleich ist er Wissenschaftlicher Leiter des Masterstudiengangs „Digitalisierung in der Sozialen Arbeit“. Zu seinen Kompetenzbereichen gehören unter anderem: Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Innovationsmanagement, Unternehmensführung, Personalmanagement, Logotherapie und Existenzanalyse, Theorie und Profession der Sozialen Arbeit.
Entstehungshintergrund
Es ist anzunehmen, dass der Verfasser mit seinem Buch den fachwissenschaftlichen Diskurs der Sozialen Arbeit dahingehend anregen will, dass das folgende, von ihm wahrgenommene widersprüchliche Bild eventuell näher untersucht wird: Einerseits greifen praktizierende Vertreter:innen der Sozialen Arbeit immer mehr auf die anthropologischen Prinzipien und Methoden der Logotherapie und Existenzanalyse Viktor E. Frankls in ihrem beruflichen Alltag zurück, andererseits findet jedoch dieser Ansatz, bzw. die Sinnthematik allgemein, in der Theorie und in den Lehrbüchern der Sozialen Arbeit kaum Erwähnung.
Aufbau
Hinsichtlich der Struktur des Buches kann Folgendes festgestellt werden: Genau zwei Drittel des Textes – insgesamt 8 Kapitel, d.h. 102 Seiten im Buch – werden der Einführung in die Logotherapie gewidmet; der Rest, also die letzten zwei Kapitel gelten der Sozialen Arbeit. In dieser Hinsicht wird in einem ersten Schritt die Beziehung zwischen Psychotherapie und Soziale Arbeit (im Kapitel 10) unter die Lupe genommen; in einem zweiten Schritt wird schließlich (im Kapitel 11) auch die Frage untersucht, welche Einsatzmöglichkeiten der Logotherapie in der Sozialen Arbeit herausgestellt werden können.
Inhalt
Am Anfang seines Werkes bringt der Verfasser eine Kurzbiographie von Viktor E. Frankl (1905–1997), dem Wiener Neurologen und Psychiater, und im Anschluss daran, widmet er sich der Frage nach der Einordnung der von Frankl begründeten Logotherapie und Existenzanalyse. Der Autor hebt hier unter anderem hervor, dass die Logotherapie als eine Therapierichtung wahrzunehmen ist, die „auf bewusst entwickelten anthropologischen Prämissen beruht“ und damit „über ein ausgearbeitetes philosophisches Fundament verfügt“ (S. 16). Die Tatsache des Vorhandenseins eines reflektierten Menschenbildes ist in der Theorie und Praxis der gängigen Psychotherapierichtungen weiterhin eher eine Seltenheit.
Der Motivationstheorie des Ansatzes von Viktor E. Frankl widmet der Verfasser das ganze 3. Kapitel. Demnach ist jeder Mensch am meisten daran interessiert, dass er seinem Leben in jedem Moment einen Sinn abringen kann. In diesem Zusammenhang postuliert Frankl den „Willen zum Sinn“ als Hauptmotivation, aufgrund dessen der Mensch primär darauf aus ist, Sinn zu erfüllen und Werte zu verwirklichen. In dieser Hinsicht steht ein sinnvolles Leben – nach Frankl – mit einer wertorientierten Lebensgestaltung in Verbindung. In der Logotherapie kennt man drei Wertkategorien: Schöpferische Werte werden verwirklicht, wenn der Mensch eine Aufgabe erfüllt oder ein Werk vollendet; die Erlebniswerte hängen mit dem Erleben der Schönheit der Welt zusammen, wobei hier Frankl nicht nur an die Schönheit der Natur, oder in der Kunst denkt, sondern die Erfahrung der Liebe als die höchste Form des Sinnerlebens in den Blick nimmt. Nach Frankl sind die sog. Einstellungswerte allerdings den ersten beiden Wertmöglichkeiten in sittlicher Hinsicht überlegen: sie werden nämlich im Kontext von schicksalhaften Situationen verwirklicht, in denen sich der Mensch – angesichts der Unausweichlichkeit von Leid, Schuld und Tod – seinem Schicksal nicht unterwirft, sondern ihm mit aufrechter Haltung zu begegnen versucht.
Im 4. Kapitel des Buches werden die wichtigsten anthropologischen Grundannahmen Viktor E. Frankls dargestellt. Es wird zuallererst hervorgehoben, dass der Mensch im Kontext der Logotherapie und Existenzanalyse über die leibliche und psychische Dimension hinaus auch eine dritte, die geistige Dimension aufweisen kann. Bei diesen Dimensionen geht es um verschiedenen Seinsschichten des Menschen, wobei sich das Geistige im Menschen gerade durch seine Fähigkeit ausgewiesen wird, sich mit dem Somatischen und dem Psychischen auseinanderzusetzen, will heißen: dank seiner geistigen Dimension kann sich der Mensch grundsätzlich von den psychophysischen Gegebenheiten einigermaßen distanzieren. Die Frage nach der Herkunft des Geistigen wird in der Logotherapie verständlicherweise nicht beantwortet. Was jedoch nach Frankl mit Sicherheit sagen lässt, ist die Einzigartigkeit und die Unwiederholbarkeit einer jeden geistigen Person, die immer nur in Koexistenz mit dem Psychophysikum wahrnehmbar ist. Neben der Geistigkeit des Menschen werden auch Freiheit und Verantwortlichkeit als grundlegende Wesensmerkmale der menschlichen Existenz durch Frankl in den Blick genommen. Wenn man unter Existenzanalyse die anthropologische Forschungsrichtung des Ansatzes von Frankl versteht, und mit Logotherapie eigentlich die Theorie der sinnorientierten psychotherapeutischen Praxis meint, dann kann wohl gesagt werden, dass man in der Existenzanalyse der Selbstbesinnung des Menschen auf seine Freiheit verfolgt, und dass die Logotherapie die Selbstbestimmung des Menschen aufgrund seiner ganz persönlichen Verantwortlichkeit anpeilt.
In den weiteren Kapiteln seines Buches bietet Michael Batz nicht nur eine Einführung in die Neurosenlehre Frankls, sondern auch in die originären Methoden der Logotherapie. Der Autor schenkt seine Aufmerksamkeit auch der Darlegung neuerer methodischen Weiterentwicklungen der Logotherapie: der sinnzentrierten Familientherapie und der logotherapeutischen Gruppenselbsterfahrung nach Elisabeth Lukas. Im 8. Kapitel seines Werkes klärt der Verfasser die Beziehung zwischen der Logotherapie und dem Konzept der Resilienz. Gemeinsamkeiten sind auf der Ebene eines positiven Menschenbildes wahrzunehmen, bzw. in Verbindung mit der Frage, weshalb es manchen Menschen gelingt, ihr Leben trotz anhaltenden Widrigkeiten auf einer gelingenden Art und Weise zu gestalten, andere Menschen dagegen an ähnlich belastenden Lebensumständen zerbrechen. Michael Batz stellt fest, dass es aufgrund der unterschiedlichen Antworten auf diese Frage „verfehlt wäre, die Logotherapie als Resilienzansatz aufzufassen“. Leid, Schuld und Tod werden in der Logotherapie nicht als „Sonderfälle des Lebens“ aufgefasst, sondern im Sinne der grundlegenden anthropologischen Einsicht, dass „jeder Mensch im Verlauf seines Lebens unausweichlich mit leidvollen Situationen konfrontiert wird und Leben daher immer auch Leiden bedeutet“. Allerdings besteht „der Trost der Logotherapie“ gerade darin, dass „das Leben seinen Sinn unter keinen Umständen verliert und jeder Mensch sein Leben in jeder noch so leidvollen Situation sinnvoll gestalten kann“ (S. 98).
Der logotherapeutische Zwei-Drittel-Teil des Buches wird mit der Kritik an der Logotherapie im Kapitel 9 abgeschlossen, wobei hier nicht die Kritik des Verfassers gemeint ist, sondern die Darlegung der Kritik im Spiegel der vom Autor herangezogenen einschlägigen Fachliteratur. Die Kritikpunkte werden bezüglich der empirischen Belege in der Logotherapie, des persönlichen Stils von Frankl und mancher inhaltlichen Fragen herausgestellt.
Im Zusammenhang der Frage der Relevanz der Logotherapie für die Soziale Arbeit klärt der Verfasser im Kapitel 10 zuerst das Verhältnis zwischen Psychotherapie und Soziale Arbeit, wobei er nicht nur auf die Unterschiede, sondern auch auf die verschiedenen Gemeinsamkeiten und Berührungen hinweist. Als ausgewählte Beispiele hinsichtlich der Anwendung der Logotherapie in der Praxis der Sozialen Arbeit werden im letzten Kapitel des Buches drei mögliche Einsatzgebiete präsentiert: Perspektiven für die Erziehung, in der Suchthilfe und in der Wohnungslosenhilfe.
Diskussion
In den Vorbemerkungen erhebt der Verfasser den Anspruch, eine fundierte Einführung in die Logotherapie Viktor E. Frankls mit seinem Buch bieten zu wollen. Unseres Erachtens hat er diese Zielsetzung voll und ganz erreicht. In seinen systematisch überzeugend geordneten Darlegungen zieht er nicht nur wichtige Titel der einschlägigen logotherapeutischen Fachliteratur heran, sondern er schafft es, den neutralen akademischen Schreibstil mit leserfreundlichem Satzbau im Text durchgehend zu verbinden.
Der Verfasser plädiert für eine größere Beachtung der Logotherapie und Existenzanalyse in der Theorie der Sozialen Arbeit. In diesem Sinne wäre es sinnvoll gewesen, dass er in dem Kapitel zur Kritik an der Logotherapie auch auf die „Kritik der Kritik“ ausführlicher eingeht. In dieser Hinsicht widmen, zum Beispiel, Alexander Batthyány und Elisabeth Lukas in ihrem 2020 erschienen Buch „Logotherapie und Existenzanalyse heute. Eine Standortbestimmung“, ein eigenes Kapitel der Antwort auf die Kritik von Tatjana Schnell, der Innsbrucker Sinnforscherin, an der Logotherapie. (Vgl. Batthyány & Lukas 2020, S. 154–161).
Die Erfüllung der zweiten Zielsetzung des Verfassers, mit seinem Werk den fachwissenschaftlichen Diskurs über die Relevanz der Logotherapie und Existenzanalyse für die Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit zu animieren, muss sich noch bewahrheiten. In dieser Hinsicht wäre unseres Erachtens vielleicht empfehlenswert gewesen, in einem weiteren, eventuell 12. Kapitel der konkreten Frage nachzugehen, inwiefern die anthropologischen Grundannahmen Viktor E. Frankls das Menschenverständnis innerhalb der Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit tatsächlich befruchten könnten.
Fazit
Das Werk von Michael Batz bietet eine fundierte Einführung in den anthropologischen und psychotherapeutischen Ansatz der Logotherapie und Existenzanalyse von dem Wiener Neurologen und Psychiater Viktor E. Frankl. Mit seinem Werk lotet der Verfasser ansatzweise die theoretische Relevanz und einige konkrete Möglichkeiten der Anwendung der sinn- und werteorientierten Prinzipien und Methoden der Logotherapie in der Praxis der Sozialen Arbeit aus. Zugleich verleiht der Autor seiner Hoffnung Ausdruck, dass sein Werk zum fachwissenschaftlichen Diskurs im Kontext der „Sinnthematik“ in der Sozialen Arbeit einen Beitrag leisten wird.
Literaturhinweise
Batthyány, A. & Guttmann, D. (2005): Empirical Research in Logotherapy and Meaning-Oriented Psychotherapy. Phoenix., AZ: Zeig, Tucker & Theisen.
Batthyány, A. & Lukas, E. (2020): Logotherapie und Existenzanalyse heute. Eine Standortbestimmung. Innsbruck-Wien, Tyrolia Verlag.
Batz, M. (2021): Nachhaltigkeit in der Sozialwirtschaft. Eine Einführung. Wiesbaden, Springer Natur.
Riedel, Ch. & Deckart R. & Noyon A. (2002): Existenzanalyse und Logotherapie. Ein Handbuch für Studium und Praxis. Darmstadt, Primus Verlag.
Thir, M. & Batthyány, A. (2016): The state of empirical research on logotherapy and existential analysis. In: Logotherapy and Existential Analysis. Cham: Springer, 53–74.
Rezension von
Dr. theol. habil. János Vik
Assozierter Universitätsprofessor an der Babeș-Bolyai Universität in Cluj (Rumnänien), Fachliche Leitung des Süddeutschen Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse
Mailformular
Es gibt 1 Rezension von János Vik.
Zitiervorschlag
János Vik. Rezension vom 04.08.2023 zu:
Michael Batz: Logotherapie und Soziale Arbeit. Einführung in Theorie und Praxis. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2022.
ISBN 978-3-7799-6919-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30219.php, Datum des Zugriffs 03.12.2023.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.