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Elisabeth Schramm, Sabine Herpertz (Hrsg.): Modulare Psychotherapie

Rezensiert von Dr. Wolfgang Rechtien, 05.04.2023

Cover Elisabeth Schramm, Sabine Herpertz (Hrsg.): Modulare Psychotherapie ISBN 978-3-608-40147-9

Elisabeth Schramm, Sabine Herpertz (Hrsg.): Modulare Psychotherapie. Ein Mechanismus-basiertes, personalisiertes Vorgehen. Schattauer (Stuttgart) 2023. 160 Seiten. ISBN 978-3-608-40147-9. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR.

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Thema

Das Buch soll auf insgesamt 153 Seiten ein Konzept für die Entwicklung und den Einsatz von – aus eigenständigen funktionellen Modulen bestehenden – psychotherapeutischen Programmen in der ambulanten und stationären Versorgung vorstellen und in Abgrenzung zu rein störungsspezifischen Psychotherapiemanualen zu einem individualisierten, d.h. auf die Bedürfnisse und Funktionseinschränkungen von Patientinnen und Patienten abgestimmten Vorgehen beitragen.

Herausgeberinnen

Prof. Dr. med. Sabine C. Herpertz ist Ärztliche Direktorin der Klinik für allgemeine Psychiatrie, Universitätsklinikum Heidelberg.

Prof. Dr. phil. Elisabeth Schramm ist klinische Psychologin und Psychotherapeutin und Sektionsleiterin am Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie.

Aufbau

Zu den insgesamt sieben Kapiteln haben neben den Herausgeberinnen neun weitere Autorinnen und Autoren beigetragen; ein Geleitwort stammt von Franz Caspar als einem herausragenden Vertreter des Individualisierungsansatzes der sog. Berner Schule.

  1. Was ist modulare Psychotherapie? (Sabine C. Herpertz)
  2. Veränderungsmechanismen und Möglichkeiten ihrer Erfassung (Marlon Westhoff, Stefan G. Hofmann)
  3. Personalisierung von Psychotherapie (Wolfgang Lutz, Anne-Katharina Deisenhofer, Julian A. Rubel)
  4. Modulare Behandlungsansätze in der ambulanten Psychotherapie (Moritz Elsäßer, Elisabeth Schramm)
  5. Anwendungsbeispiel modularer Psychotherapie in der teilstationären und stationären Versorgung (Sara Franz, Michael Franz)
  6. Kompetenzbasierte Psychotherapie-Ausbildung und Modulare Psychotherapie: Ein neues Aus und Weiterbildungskonzept (Winfried Rief)
  7. Ausblick und Perspektiven (Sabine C. Herpertz, Elisabeth Schramm)

Inhalt

Wenngleich – darauf weisen die Herausgeberinnen im Vorwort hin – die im Buch dargestellte Konzeption „noch in den Kinderschuhen steckt“ und den aktuellen Entwicklungsstand des modularen Ansatzes zeigt, soll sie die Grenzen störungsspezifischer, manualgeführter Psychotherapieprogramme aufzeigen und überwinden, indem sie eigenständige funktionelle Behandlungseinheiten (Module) entwickelt, die im Hinblick auf die speziellen Beeinträchtigungen von Patienten („mechanismus-basiert“) kombiniert werden können (“Individualisierung“). Solche Module können zum Beispiel allgemeine Wirkfaktoren (etwa therapeutische Beziehung, Ressourcenaktivierung u.a.), Interventionen zu Prädiktorvariablen (Motivation, soziale Kompetenz, Reaktanz usw.), zu Funktionsdomänen (wie Affekt- und Selbstwertregulation, Verhaltenskontrolle usw.) und schließlich störungsspezifische Interventionen beinhalten. In einem Anwendungsbeispiel werden die Gestaltung und der Einsatz von basis-, störungs- und kompetenzspezifischen Modulen in der (teil)stationären Versorgung thematisiert.

Hoffnungen richten sich auf die Entwicklung von Entscheidungsmatrizen für die individuelle Modulauswahl und deren Kombination sowie auf das Entstehen einer Bibliothek beherrschbarer Prozeduren, die den behandelnden Leistungserbringern zur Verfügung stehen. Die so mögliche Auswahl von Therapiemodulen wird dem manualorientierten Vorgehen entgegengestellt: während dieses – so die Autoren des 2. Kapitels – symptomorientiert arbeitet, sollen nun Therapiemodule auf der Basis individueller Funktionsstörungen ausgewählt werden. In gewisser Abgrenzung zum Buchtitel wird dies hier nicht als mechanismus-, sondern als prozessbasiert bezeichnet, um der Vorstellung eines eher einseitigen Input-Output- Modells entgegenzuwirken.

Ein weiterer Schritt zu einer Personalisierung der Psychotherapie (und der Medizin) wäre der Fokus auf komplexe kausale Netzwerke auf individueller Ebene, wobei die Netzwerkbestandteile aus den problemverursachenden individuellen Besonderheiten des Patienten bestehen. Ein eindeutiger evidenzgestützter Zusammenhang zwischen solchen Netzwerkbestandteilen und Behandlungsergebnissen konnte allerdings bislang nicht aufgezeigt werden.

Offen ist zunächst auch die Frage, wie und wann welche therapeutischen Interventionen eingesetzt werden sollen. Es wird ein computergestütztes Navigationssystem vorgestellt, das Behandlungsentscheidungen vor und während der Psychotherapie unterstützen und das eklektizistische Vorgehen von Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen ergänzen soll. Inwieweit modulare diagnostische Ansätze universellen überlegen sind, ist noch empirisch zu untermauern. Als erste Indikatoren für einen Paradigmenwechsel werden zwei Programme vorgestellt: das Unified Protocol und das Shaping Healthy Minds Programm, allerdings erfolgt die Zuordnung von Behandlungsmodulen zu den jeweiligen Patienten nicht systematisch oder standardisiert. Um dem abzuhelfen wird hier ein systematischer Behandlungsalgorithmus vorgestellt, der es auch möglich machen soll, in Zukunft Methoden wie Machine Learning oder KI einzusetzen.

Die Orientierung von Aus- und Weiterbildung – bislang überwiegend an einem der traditionellen psychotherapeutischen Verfahren orientiert – muss für eine modularisierte Psychotherapie, wie sie hier vertreten wird, neu gestaltet werden. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten benötigen verfahrensübergreifende fachliche und persönliche Kompetenzen, damit statt blindem Eklektizismus ein bewusster Einsatz unterschiedlicher Strategien möglich werden kann.

Die Wirksamkeit der Modularen Psychotherapie ist erst ansatzweise erforscht. Nötig sind (1) Untersuchungen zur prädiktiven Potenz von Patientenmerkmalen und zu einsatzbaren diagnostischen Tools für die Modulauswahl, (2) randomisiert-kontrollierte Studien zur Validierung modularer Psychotherapie, (3) Studien, in denen die Reihenfolge der Module systematisch variiert wird und in denen (4) die Kombinierbarkeit von Module untersucht wird.

Diskussion

Das in diesem Buch vorgestellte und eingestandenermaßen noch in den Anfängen durchdachte Konzept für die Entwicklung und den Einsatz von Interventionsmodulen in der psychiatrischen und psychologischen Behandlung soll eine (teilweise) Abkehr von leitlinien- oder manualgeführtem Vorgehen ermöglichen. Inwieweit es in Zukunft diesem Anspruch gerecht werden kann, bedarf noch der Klärung.

Durch die Entwicklung eigenständiger, auf die individuellen Beeinträchtigungen von Patientinnen und Patienten abgestimmter Behandlungseinheiten (Module) soll eine Individualisierung von psychotherapeutischen Interventionen und damit eine Abkehr von rein leitlinien- bzw. manualgeführter Behandlung gefördert werden. Die Konzeption systematischer Behandlungsalgorithmen für die Auswahl und Reihenfolge von basis-, störungs- und kompetenzspezifischen Modulen soll in Zukunft auch den Einsatz von Methoden wie Machine Learning oder KI ermöglichen.

Inwieweit auf diesem Wege, also durch Zuordnungsalgorithmen gesteuerte Modulauswahl, tatsächlich eine Verminderung psychotherapeutischer Leitlinien- bzw. Modulorientierung erreicht werden kann, ist noch weiter zu klären.

Fazit

Die Lektüre des Buches setzt eine gewisse Vertrautheit mit psychiatrischer/​psychologischer Theorie und Praxis und ihren Konzepten und Terminologien voraus und ist daher eher für Fachkräfte relevant, die in diesem Feld arbeiten und an seiner theoretischen und praktischen Weiterentwicklung interessiert sind.

Rezension von
Dr. Wolfgang Rechtien
Bis 2009 Vorstandsmitglied und Geschäftsführer des Kurt Lewin Institutes für Psychologie der FernUniversität sowie Ausbildungsleiter für Psychologische Psychotherapie.
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Es gibt 38 Rezensionen von Wolfgang Rechtien.

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Zitiervorschlag
Wolfgang Rechtien. Rezension vom 05.04.2023 zu: Elisabeth Schramm, Sabine Herpertz (Hrsg.): Modulare Psychotherapie. Ein Mechanismus-basiertes, personalisiertes Vorgehen. Schattauer (Stuttgart) 2023. ISBN 978-3-608-40147-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30274.php, Datum des Zugriffs 12.12.2024.


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