Nadja Habibi: Prostitution versus Sexarbeit
Rezensiert von Kerstin Neuhaus, 28.08.2023

Nadja Habibi: Prostitution versus Sexarbeit. Feministische Debatten und Implikationen für die Soziale Arbeit.
MARTA PRESS
(Hamburg) 2022.
129 Seiten.
ISBN 978-3-948731-08-3.
D: 12,00 EUR,
A: 14,00 EUR,
CH: 16,00 sFr.
Reihe: Aspekte.
Thema
Das Thema Prostitution spaltet den Feminismus. Zwei Haltungen stehen sich hier diametral gegenüber: Die liberale Haltung, die Prostitution befürwortet und als „Beruf wie jeder andere“ behandelt sehen möchte und die abolitionistische Haltung, die Prostitution als Gewalt gegen Frauen definiert. Nadja Habibi beschreibt in ihrem Buch beide Haltungen und leitet aus ihnen Implikationen für die Soziale Arbeit ab.
Autorin
Nadja Habibi ist Masterstudentin der Sozialen Arbeit und in marxistischen Kontexten politisch engagiert. Außerdem ist sie Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Entstehungshintergrund
Das Buch basiert auf der Bachelorarbeit der Autorin, welche von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert wurde.
Aufbau und Inhalt
Nach der Formulierung der Forschungsfrage, welche Standpunkte sich in den feministischen Debatten um Prostitution finden und welche Implikationen sich daraus für die Soziale Arbeit ergeben, erfolgt zunächst eine Klärung des Begriffs Prostitution. Hierfür wird sowohl die gesetzliche Definition des Begriffes herangezogen als auch die Entstehung und Verwendung des Begriffes Sexarbeit erläutert.
Das folgende Kapitel enthält einen historischen Abriss über die Geschichte der Prostitution. Prostitution ist, obwohl dies immer wieder behauptet wird, nicht das älteste Gewerbe der Welt. Habibi beginnt ihren historischen Abriss mit der Prostitution im antiken Griechenland. Es folgen zwei Abschnitte über Prostitution im Römischen Reich und im Mittelalter. Das Kapitel endet mit einem Abschnitt über Prostitution in der Neuzeit.
Im vierten Kapitel des Buches wird die heutige Lage der Prostitution in Deutschland erläutert. Zunächst wird auf die rechtlichen Grundlagen in Form des Prostitutionsgesetzes und des Prostituiertenschutzgesetzes eingegangen. Außerdem erläutert die Autorin, wie Deutschland sich unter seiner legalen Gesetzgebung zum „Bordell Europas“ und zu einem Hauptzielland für Menschenhandel entwickelt hat. Zuletzt behandelt das Kapitel den Einfluss der Prostitution auf das Bruttoinlandsprodukt sowie steuerliche Einnahmen aus der Prostitution.
Kapitel fünf beschäftigt sich mit Prostitution als feministischem Diskussionsgegenstand. Es werden sowohl die liberale Haltung als auch die abolitionistische Haltung, deren Entstehung und ihre jeweilige AkteurInnen vorgestellt und analysiert. Hierbei wird auf die Ansichten der jeweiligen politischen Lager sowie auf deren Forderungen und Ziele eingegangen. Anschließend werden die traditionellen Positionen von marxistischen VertreterInnen der ArbeiterInnenbewegung zur Prostitution dargelegt und erläutert. Die Autorin geht hier auf Marx und Engels, Lenin, Bebel und Kollontai näher ein.
Das anschließende Kapitel überträgt die zuvor dargelegten politischen Haltungen in den Kontext der Sozialen Arbeit. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der individuellen Fallhilfe und auf den sozialarbeiterischen Grundsätzen und deren Umsetzung in der Praxis der Arbeit mit Frauen in der Prostitution. Habibi legt dar, dass sich die gleiche politische Spaltung zum Thema Prostitution, die im Feminismus vorherrscht, deckungsgleich innerhalb der Sozialen Arbeit wiederfindet. Während Parteilichkeit gegenüber ihren KlientInnen ein Grundsatz der Sozialen Arbeit ist, muss die Soziale Arbeit sich aber auch politisch positionieren. Es wird aufgezeigt, dass beide politischen Haltungen zur Prostitution eine Positionierung und den konkreten Einsatz für die jeweilige Haltung von AkteurInnen der Sozialen Arbeit fordern, diese Positionierung von Seiten der Sozialen Arbeit als Ganzes bisher aber fehlt. Das Buch schließt mit dem persönlichen Fazit der Autorin, dass in der Beratungsstellenlandschaft die liberale Haltung dominiert und empfiehlt wissenschaftlich zu untersuchen, wie die Beratungsstellen zu dieser Haltung kommen. Sie selbst positioniert sich aufseiten derer, die Prostitution als Unterdrückung von Frauen und als Hindernis für die Gleichstellung der Geschlechter sehen. Eine politische Positionierung der Sozialen Arbeit gegen Prostitution sieht sie nur als einen Teil der Lösung des Problems. Sie plädiert dafür die politischen Forderungen mit sozialen und ökonomischen Forderungen zu verbinden um die Emanzipation von Frauen und anderen unterdrückten Menschen zu garantieren.
Diskussion
Das Buch von Habibi gibt einen guten Überblick über die politische Diskussion des Themas Prostitution innerhalb des Feminismus und besonders über deren AkteurInnen. Auch die Auswirkungen und die Fortsetzung dieser Diskussion in die und innerhalb der Sozialen Arbeit wird anschaulich beschrieben. Nicht ausreichend deutlich gemacht wird allerdings, warum die Ansichten der marxistischen ArbeiterInnenbewegung besonders relevant für die Haltung der Sozialen Arbeit im Bereich der Prostitution sein sollen. Zwar werden von den zitierten AutorInnen Problematiken angesprochen, die auch der heutigen Prostitution inhärent sind, wie bspw. die Tatsache, dass Frauen in der Prostitution zum größten Teil aus „unteren Klassen“, also marginalisierten Personengruppen stammen (vgl. Sibi, 2022, S. 19). Doch ließe sich die Notwendigkeit einer politischen Positionierung der Sozialen Arbeit in diesem Thema auch aus der Profession der Sozialen Arbeit selbst ableiten. So fordert z.B. Staub-Bernasconi die Soziale Arbeit dazu auf, sich, im Sinne ihrer KlientInnen, auch gegen vorherrschende Gerechtigkeitsvorstellungen in Bevölkerung und Politik zu stellen (Staub-Bernasconi, 2013, S. 38). Marxistisch geprägt ist auch das Fazit, welches hierdurch für die Soziale Arbeit als Handlungsempfehlung nur bedingt umsetzbar sein dürfte.
Fazit
Das Buch beinhaltet wertvolle Informationen zum feministischen Diskurs um das Thema Prostitution und stellt die beiden politischen Lager ausführlich dar. Es ist als Lektüre, um sich einen Überblick über die Problematik zu verschaffen, empfehlenswert. Dem bzw. der LeserIn muss dabei bewusst sein, dass das Buch einen Schwerpunkt auf dem Marxismus hat.
Literaturangaben
Sibi, Héma (2022). Last girl first – Prostitution at the intersection of sex, race & class-based oppressions. Paris: CAP International. Staub-Bernasconi, S. (2013). Der Professionalisierungsdiskurs zur Sozialen Arbeit (SA/SP) im deutschsprachigen Kontext im Spiegel internationaler Ausbildungsstandards – Soziale Arbeit – eine verspätete Profession. In Becker-Lenz, R., Busse, S., Ehlert, G. & Müller-Hermann, S. (Hrsg.), Professionalität in der Sozialen Arbeit – Standpunkte, Kontroversen, Perspektiven (3. Auflage) (S. 23–48). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien.
Rezension von
Kerstin Neuhaus
Sozialarbeiterin B.A.
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