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Michaela Köttig, Nikolaus Meyer et al. (Hrsg.): Soziale Arbeit und Rechtsextremismus

Rezensiert von Prof. Stefan Müller-Teusler, 04.04.2023

Cover Michaela Köttig, Nikolaus Meyer et al. (Hrsg.): Soziale Arbeit und Rechtsextremismus ISBN 978-3-8252-5952-5

Michaela Köttig, Nikolaus Meyer, Johanna Bach, Connie Castein, Mona Schäfer (Hrsg.): Soziale Arbeit und Rechtsextremismus. Ein Studienbuch für Lernende und Lehrende. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2022. 280 Seiten. ISBN 978-3-8252-5952-5. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 37,50 sFr.

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Hinführung:

Zu Sozialer Arbeit und Rechtsextremismus gibt es eine Reihe von Literatur. Wenn man in der Deutschen Nationalbibliothek online recherchiert, so fällt auf, dass gerade 2020–2022 eine Reihe neue Literatur (Fachbücher) zu diesem Thema erschienen ist, die Vielzahl an Working-papers, Abschlussarbeiten (sofern sie veröffentlicht sind) sowie Studien etc. noch gar nicht berücksichtigt. Das ist sicherlich auch mit dem Erstarken von rechtsgerichteten politischen Kräften verbunden, was auch ein Bestandteil in der Einleitung dieses Buches hier ist.

Autor:innen:

Dr. Michaela Köttig ist Professorin an der Fachhochschule Frankfurt/M. im Fachbereich Soziale Arbeit und Pflege

Dr. Nikolaus Meyer ist Professor an der Hochschule Filda im Fachbereich Sozialwesen

Connie Castein ist Sozialarbeiterin und bei VIAI gGmbH beruflich tätig.

Johanna Bach ist Doktorandin im Fachbereich Soziologie der Universität Passau

Mona Schäfer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS e.V.) in Frankfurt/M.

Anlass des Buches:

Diesem Buch beruht auf einer zweitägigen Veranstaltung der Fachhochschule Frankfurt/M., organisiert von den Herausgeber*innen, die im Juli 2019 stattfand (auf der Webseite vom Budrich-Verlag gibt es auch ein Interview zu diesem Buch mit Johanna Bach und Mona Schäfer):„Ein zentrales Ergebnis des Studientags war die Feststellung, dass eine kritische Beschäftigung mit dem Thema Rechtsextremismus im Studium der Sozialen Arbeit oftmals auch einem Fehlen eines fachspezifischen, selbsterklärenden sowie mit praktischen Übungen versehenen Lehrbuchs scheitere. Das vorliegende Studienbuch ist als Reaktion auf dieses formulierte Desiderat zu verstehen und soll dazu dienen, Lehrenden und Studierenden ein Lehr und Lernbuch an die Hand zu geben, um sich grundlegend mit der extremen Rechten zu beschäftigen“ (S. 8 f.).

Aufbau des Buches:

Das Buch ist insgesamt in 3 Abschnitte unterteilt. Alle Beiträge sind nach der gleichen Systematik aufgebaut. Es gibt immer erst einmal um die Einführung in das spezifische Themenfeld, woran sich dann ein Praxisabschnitt mit Übungsaufgaben und Reflexionsfragen anschließt. Hinzu kommt jeweils noch der Verweis auf diverse Materialien.

Der 1. Abschnitt dieses Buches ist betitelt mit ‚Einstieg und Annäherungen‘. Der erste Beitrag von Saskia Müller, Jonas Riepenhausen und Z. Ece Kaya greift historische Bezüge auf. Sie zeigen auf, wie sich bestimmte ideologische Momente der NS-Zeit bis heute in der Gesellschaft gehalten haben beziehungsweise wiederfinden lassen und deshalb ein grundsätzliches Problem auch für die Soziale Arbeit sind.

Esther Lenert und Heike Radwan beschreiben, wie Soziale Arbeit in den 1920er Jahren entpolitisiert wurde, indem das Konzept der ‚professionellen Mütterlichkeit‘ die Grundlage dafür bildete, dass bürgerliche Frauen einen qualifizierten Zugang zum Erwerbsleben fanden. Aus dieser unpolitischen Tätigkeit erfolgte ein vergleichsweise unproblematischer Übergang in den Nationalsozialismus.

Die Sortierung und Kategorisierung der sehr unterschiedlich benutzten Begrifflichkeiten wie Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus und Neue Rechte nehmen Ursula Birsel und Fabian Virchow in ihrem Beitrag vor. Gleichzeitig zeigt das auch den fließenden Übergang von demokratisch gerade noch legitimen Positionen hin zu demokratisch nicht mehr legitimen Auffassungen.

Die unterschiedlichen Ebenen der Genese rechtsextremer Orientierungen greift Michaela Glaser in ihrem Beitrag auf. Dabei zeigt sie sowohl gesellschaftliche Momente wie auch individuelle Sozialisationsaspekte auf.

Der Sozialdarwinismus als ideologisches Moment der Leistungsgesellschaft spielt nach wie vor eine große Rolle. Alia Wielens, Lukas Dintenfelder und Lena Inowlocki spüren den Folgen dieser Ideologie bis in die Gegenwart nach.

Rümeysa Şenel und Constantin Wagner zeigen auf, dass institutioneller Rassismus nicht nur eine Frage der USA ist, sondern sich diese Form von Rassismus leider auch in unseren gesellschaftlichen Institutionen finden lässt.

Teil II: die extreme Rechte-Handlungs- und Erscheinungsformen, Auswirkungen auf die Soziale Arbeit ist in der Gegenwart angesiedelt. Die Sozialen Medien sind aus diesem Zusammenhang nicht mehr wegzudenken und spielen eine enorm große Rolle, weshalb Christoph Wenz und Hanna Hecker dieser Frage in ihrem Beitrag nachgehen. Neben einer eigenen eindeutigen Haltung heißt das aber auch, mit dem Sozialen Medien so vertraut zu sein, dass die entsprechenden Foren auch auffindbar sind.

Dass wir (unbewusst oder nachlässig) in unserer Sprache auch Versatzstücke ausgrenzender oder herabsetzender Terminologie haben, ist an sich bekannt. Connie Castein, Thomas Kunz und Jan Lannert gehen implizit auf die Lehrenden an Hochschulen ein, die eine besondere Sprachsensibilität aufweisen sollten.

So wie sich die ‚Neue Rechte‘ als gesellschaftliches Phänomen zeigt, so gibt es auch Einflüsse auf die Soziale Arbeit. Das bleibt nicht ohne Folgen, wie Stefanie Lindner und Kevin Stützel aufzeigen. Gerade im Hinblick auf eine vermeintlich unpolitische Soziale Arbeit kommt nun doch eine ideologisierte Haltung ins Spiel.

Zwischen den Migrantengruppen, aber auch den immigrierten und neu zuwandernden Menschen gibt es Ab- und Ausgrenzungen. Auch hier finden sich rechtsextreme Einstellungen, wie Kemal Bozay darstellt. Das hat möglicherweise mit politischen Bedingungen in den Herkunftsländern zu tun, zeigt sich aber teilweise als Ultranationalismus in dem Immigrationsland.

Soziale Arbeit ist nicht nur externen Einflüssen rechter Tendenzen ausgesetzt, auch Mitarbeitende in der Sozialen Arbeit können rechtsextreme Positionen vertreten. Stefan Borrmann greift diese Problematik auf und geht besonders noch einmal auf grundlegende Werte und Normen Sozialer Arbeit ein, wie sie beispielsweise in der Berufsethik des DBSH festgelegt sind.

In Teil III: Konzepte, Umgangsweisen und Reflexionsansätze in der Sozialen Arbeit werden einige konkrete Arbeitsfelder angesprochen, die einen direkten Bezug zu dieser Thematik haben. In ihrem zweiten Beitrag in diesem Buch geht Michaela Glaser auf die Weiterentwicklung des Ansatzes der akzeptierenden Jugendarbeit ein.

Dass Soziale Arbeit einer spezifischen Haltung bedarf, wird in dem Buch in diversen Beiträgen deutlich. Barbara Schäuble und Stephan Voß haben dieses anhand eines kleinen Forschungsprojektes, in dem sie Mitarbeitende in der Mobilen Beratung befragten, noch einmal herausgearbeitet und zeigen, dass Haltung nicht gleich Haltung ist.

Daran anknüpfend greifen Johanna Sigl und Lisa Janotta die Frage offener Forschung und der Forschungszugänge allgemein auf. Dabei gehen sie auf bestehende Studien ein, aber weisen auch darauf hin, wo weitere Forschungen erfolgen müssen.

Die ‚Erziehung nach Auschwitz‘ mag vielleicht ein wenig in Vergessenheit geraten sein (abgesehen von Gedenkstätten oder spezifischen Projekten), im Kontext dieses Buches wird sie auf jeden Fall sehr relevant. E.Y. Yetkin, T. Voßberg, St. Bundschuh, A. Wielens und J. Hilgers verknüpfen die Gedenkstättenpädagogik mit antisemitismuskritischer Bildung, wobei in dem ersten Fall die Aufgabe an sich im Vordergrund steht, während es im zweiten Kontext um Zugänge geht.

Antje Heigl und Günter Kugler machen in ihrem Beitrag deutlich, wie nah das Thema Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft ist und wie weit die Auswirkungen von ideologischem Terrorismus reichen können. Am konkreten Beispiel des Jugendzentrums in Hanau (JUZ k.town) zeigen die Verfasser*innen auf, wie diese schreckliche Tat vom 19.09.2020 bis heute traumatisiert, was das für die Soziale Arbeit und die Arbeit im Jugendzentrum bedeutet und welche Kompetenzen die Mitarbeitenden der Sozialen Arbeit haben müssen.

Kulturalisierung bezeichnet die Zuschreibung, bei der geflüchtete Personen einem bestimmten Kontext zugeordnet werden, unabhängig davon, ob dieser Kontext auch so war. Hinzu kommt auch ein struktureller Rassismus, indem zwischen Gruppen unterschieden wird (‚ihr‘ und ‚wir‘). Diren Yeşil zeigt die Notwendigkeit einer rassismuskritischen reflexiven Sozialen Arbeit auf, um genau diese Problematik zu umgehen.

Jugendliche erreichen, um z.B. präventiv gegenüber einer rechtsextremen Orientierung zu agieren, ist ein Grundanliegen Sozialer Arbeit. Marie Jäger zeigt dieses anhand des Jugendkulturansatzes auf. Allerdings ist die Szene der Jugendkulturen ständig in Bewegung, was auch eine stetige Weiterentwicklung des Jugendkulturansatzes erfordert.

Diskussion

Das Buch bietet ein breites Themenspektrum an, was insbesondere durch die an jedem Beitrag weiterführenden Materialien noch vertieft und ausgebaut werden kann. Was in dem Buch überhaupt nicht aufgegriffen wird, sind Möglichkeiten und Wege des Ausstiegs, was hier nicht als Kritik angeführt werden soll, sondern als Feststellung. Mit der Vorgabe zum Umfang der Beiträge geraten allerdings manche Ausführungen ziemlich kurz und müssen durch die weiterführenden Materialien vertieft werden. Dabei ist zu hoffen (das schreibe ich aus eigener leidvoller Erfahrung), dass die angegeben Internetquellen, insbesondere Filme, auch in 3 Jahren oder später noch verfügbar sind. Auch kommt der präventive Ansatz nur kurz vor, was damit zu tun haben mag, dass Sozialer Arbeit Prävention häufig nicht zugestanden wird, sondern eben zum Einsatz kommt, wenn das Problem schon große Wellen schlägt.

Manche Aspekte sind redundant wie z.B. die Charakterisierung der ‚Neuen Rechte‘. Überzeugend sind die Argumentationen zur Weiterexistenz von sozialdarwinistischem oder rechtsextremen Gedankengut schon aus der Historie her, die sich hartnäckig im Alltag halten – sowohl in der Sprache als auch im Denken.

Fazit

Für Mitarbeitende in der Sozialen Arbeit wie auch für Studierende ist es als reflexives Buch gut geeignet, sich mit dem eigenen Rassismus zu befassen und sich selbstreflexiv zu prüfen. Dabei deckt das Buch ein breites Spektrum von der dogmatischen Ideologie bis zum Alltagsrassismus und strukturellen Rassismus ab. Insofern ist es nicht nur für Mitarbeitende gedacht, die in einem spezifischen Arbeitsfeld mit rechtsextremen Themen tätig sind, sondern für alle Mitarbeitenden der Sozialen Arbeit, die mit unterschiedlichen Kulturen zu tun haben.

Rezension von
Prof. Stefan Müller-Teusler
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Zitiervorschlag
Stefan Müller-Teusler. Rezension vom 04.04.2023 zu: Michaela Köttig, Nikolaus Meyer, Johanna Bach, Connie Castein, Mona Schäfer (Hrsg.): Soziale Arbeit und Rechtsextremismus. Ein Studienbuch für Lernende und Lehrende. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2022. ISBN 978-3-8252-5952-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30285.php, Datum des Zugriffs 17.09.2024.


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