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Johannes C. Ehrenthal, Inge Seiffge-Krenke: Psychodynamische Konzepte und Behandlungstechnik lehren und lernen

Rezensiert von Mag.a Barbara Neudecker, 02.08.2023

Cover Johannes C. Ehrenthal, Inge Seiffge-Krenke: Psychodynamische Konzepte und Behandlungstechnik lehren und lernen ISBN 978-3-525-45328-5

Johannes C. Ehrenthal, Inge Seiffge-Krenke: Psychodynamische Konzepte und Behandlungstechnik lehren und lernen. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2021. 83 Seiten. ISBN 978-3-525-45328-5. D: 12,00 EUR, A: 13,00 EUR.
Reihe: Psychodynamik kompakt.

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Thema

Praxisorientierte Formate und Modelle erfahrungsbasierten Lernens für eine moderne Lehre in der Aus- und Weiterbildung von psychodynamischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten stehen im Mittelpunkt dieses Bandes.

Autorin

Prof.Dr. Inge Seiffge-Krenke ist Psychoanalytikerin und war u.a. Professorin für Entwicklungspsychologie in Gießen, Berlin und Mainz. Jun.-Prof.Dr. Johannes C. Ehrenthal ist Psychologischer Psychotherapeut und Professor für Klinische Psychologie und empirisch-quantitative Tiefenpsychologie an der Universität Köln. Beide sind in der Weiterbildung von Psychotherapeut*innen aktiv.

Entstehungshintergrund

Das Buch erscheint in der Reihe „Psychodynamik kompakt“ des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht. Die Reform der Psychotherapeut*innenausbildung in Deutschland mit dem neuen Masterstudiengang Psychotherapie und daran anschließenden Weiterbildungen z.B. in psychodynamischer Psychotherapie stellen die Lehre von psychodynamischer Theorie und Behandlungstechnik vor neue Herausforderungen. Die Arbeitsgemeinschaft Psychodynamischer Professorinnen und Professoren (AGPPP) beschäftigte sich eingehend mit den daraus resultierenden Fragen und Möglichkeiten. Sie werden in diesem Band kompakt zusammengefasst.

Aufbau und Inhalt

Einführend erläutern die Autor*innen, dass sie in den neuen, seit 2020 geltenden Ausbildungsbedingungen für Psychotherapeut*innen in Deutschland eine Aufwertung und Professionalisierung psychodynamischer Verfahren sehen. „Wir glauben, dass die psychoanalytisch begründeten Verfahren in ihrer Geschichte immer davon profitiert haben, mit Offenheit in die Welt hinauszublicken (…)“ (S. 16). Praxisorientierte Lehrformate gewinnen in der Weiterbildung zunehmend an Bedeutung. In Hinblick auf die (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Bandes noch nicht beschlossene) „Musterweiterbildungsordnung“ der deutschen Bundespsychotherapeutenkammer werden vier Herausforderungen für psychodynamische Lehre formuliert:

  • die Definition psychodynamischer Kernkompetenzen,
  • die Entwicklung von Modellen zur Vermittlung dieser Kernkompetenzen,
  • die Integration von Theorie und psychotherapeutischer Praxis sowie
  • die Verknüpfung von Forschung, Praxis und Lehre.

Die Rahmenbedingungen der neuen Psychotherapeut*innenausbildung in Deutschland, des Psychotherapiestudiums und der abschließenden „psychotherapeutischen Prüfung“, werden ebenso erläutert wie grundlegende Begriffe wie „erfahrungsbasiertes Lernen“ und „kompetenzorientierte Lehre“. Als erfahrungsbasierte Lehrformate neben der klassischen Trias von Theorievermittlung, Lehrtherapie und supervidierter Praxis werden u.a. die Arbeit mit Rollenspielen, Videofeedback und Simulations- oder Schauspielpatient*innen genannt. Anschließend werden internationale Forschungsergebnisse referiert, die belegen, dass erfahrungsbasiertes Lernen zu einem Zuwachs an psychodynamischen Kompetenzen der angehenden Psychotherapeut*innen in der Aus- und Weiterbildung führt.

Das Herzstück das Bandes bildet der Überblick über unterschiedliche Kompetenzbereiche von psychodynamischen Psychotherapeut*innen und Ausbildungsteilnehmenden. In Hinblick auf die Ausbildung von Theoriekompetenz steht psychodynamische Aus- und Weiterbildung vor der Herausforderung, wie die große Bandbreite psychoanalytischer Konzepte systematisiert und trotz ihrer Komplexität angemessen vermittelt werden kann. Weitere Bereiche sind diagnostische und therapeutische Kompetenzen (letztere werden in Form eines Katalogs aufgelistet) sowie psychodynamische Forschungskompetenzen. Daraus werden Voraussetzungen für praxisorientierte Lehre abgeleitet, die auch Anforderungen an Lehrende und Schauspielpatient*innen beinhalten.

Der Band schließt mit einem Ausblick, in dem resümiert wird, dass neue, stärker praxisorientierte Lehrformate auch eine Bereicherung für die Lehrenden darstellen können.

Diskussion

Psychoanalytische Aus- und Weiterbildung ist nicht gerade für ihre innovative Didaktik bekannt. Das klassische Eitingon-Modell aus den 1920er-Jahren mit der Trias von Theorieausbildung, Lehrananalyse/​-therapie und Supervision/​Kontrollanalyse bildet seit den Frühzeiten der Psychoanalyse die Grundlage der Ausbildung. Implizit enthält es die Annahme, dass psychoanalytische Theorie und Modelle besser durch die eigene Analyseerfahrung der Auszubildenden vermittelt werden können als durch Theorieseminare. Viele Studierende assoziieren mit psychoanalytischer Theorieausbildung vorrangig die umfassende Lektüre von Freuds Werken und anderen klassischen psychoanalytischen Texten. Auf die Probleme psychoanalytischer Ausbildungsstrukturen wies Otto Kernberg bereits vor langer Zeit hin.

Umso wichtiger ist daher ein Buch, das angesichts der anstehenden Veränderungen der psychotherapeutischen Ausbildung nicht nur den Verlust von Bewährtem betrauert, sondern mit einer optimistischen Grundhaltung neue Chancen benennt und diese durch Anregungen, Verweis auf Studien und Beispiele guter Praxis untermauert. Der Band gibt keine Lösungen vor, wie praxisorientierte Lehre in die Aus- und Weiterbildung von psychodynamischen Psychotherapeut*innen zu integrieren ist, doch er erfüllt seinen Anspruch, „sowohl die Problemstellungen einzugrenzen als auch Lösungsmöglichkeiten zu zitieren“ (S. 15).

Psychoanalytische und psychodynamische Richtungen sehen sich damit konfrontiert, eine mittlerweile unüberschaubare Fülle von Theorien, Modellen und Konzepten zu integrieren – die „eine“ Psychoanalyse gibt es schon lange nicht mehr. Auch hier leisten die Autor*innen gute Dienste darin, beispielhaft aufzuzeigen, wie sich etwa das klassische Konzept des Szenischen Verstehens in der Ausbildung mit neuen und sehr andersartigen diagnostischen Zugängen wie der OPD (Operationalisierte psychodynamische Diagnostik) verbinden lässt. Die Autor*innen sprechen von der Notwendigkeit, „sich auf eine Art Kanon zu einigen, der einerseits den Pluralismus der psychodynamischen Methoden abbildet, sich andererseits auch auf so etwas wie Kernprinzipien verständigt“ (S. 20). Ein solcher Kanon ist nicht nur innerhalb der fachspezifischen psychoanalytischen Weiterbildung wichtig, sondern auch im allgemeinen Psychotherapiestudium, um Studierenden nahezubringen, worin das genuin Psychoanalytische bzw. Psychodynamische in Relation zu anderen psychotherapeutischen Verfahren besteht.

Das Herausarbeiten von Kompetenzen, die angehende psychodynamische Psychotherapeut*innen für ihre Tätigkeit brauchen, kann bei der Selektion der vermittelten Konzepte und Theorien und damit bei der Entwicklung eines „Kanons“ helfen. Wie es allerdings gelingen kann, die immer größer werdende Menge zu vermittelnder Inhalte (durch die Integration aktueller Konzepte, neue Fachliteratur, aber auch durch das zunehmende Wissen über die Komplexität psychischer Störungsbilder) in praxisorientierten Lehrformaten zu bewältigen, die in der Regel zeitaufwändiger sind als klassische didaktische Methoden wie Literaturstudium oder Frontalvortrag, wird auch hier offen gelassen. 

Anregend ist auch der bifokale Zugang bzw. der Austausch zwischen Erwachsenenpsychotherapie und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie in Aus- und Weiterbildung, der sich durch das gesamte Buch zieht.

Bei der Aufzählung der diagnostischen und therapeutischen Kompetenzbereiche fällt auf, dass diese sehr allgemein gehalten sind und vermutlich auch bei nicht-psychodynamischen Psychotherapeut*innen ein hohes Maß an Akzeptanz erfahren würden (wie etwa Kultursensibilität, therapeutische Haltung und Humor oder „Flexibilität im Rahmen und in der Behandlungstechnik“). Spezifischere psychodynamische Kompetenzen wie Deutung, der Umgang mit Widerstand und Abwehr oder die therapeutische Haltung der Abstinenz finden sich im Kompetenzkatalog als Schlusslicht unter „Weitere Kompetenzbereiche“ subsumiert. Möglicherweise liegt dies daran, dass mit dem Buch nicht nur psychoanalytische Verfahren im engeren Sinn, sondern auch psychodynamische Verfahren im weiteren Sinn angesprochen werden sollen.

Dies wirft allerdings die Frage auf, warum – trotz der ansonst umfangreichen Literaturverweise im Band – nicht auf andere Modelle Bezug genommen wird, die sich ebenfalls mit der Ausbildung psychoanalytischer Kompetenzen beschäftigten, wie dies zuvor bereits etwa Herbert Will (2010) oder die Australische Psychoanalytische Vereinigung mit dem „interactive category schema of candidate experience“ (Israelstam 2011) getan haben. Vor allem Will fokussiert deutlich klarer auf Kompetenzen, die sich aus der grundlegenden Annahme unbewusster Vorgänge und allen daraus für psychoanalytische/​-dynamische Arbeit erwachsende Implikationen ergeben.

Dennoch ist das Buch eine Bereicherung für alle, die an der Herkulesaufgabe beteiligt sind, psychoanalytische bzw. psychodynamische Ausbildung neu zu denken. Bewährte Strukturen aufgrund neuer – in diesem Fall: gesetzlicher – Rahmenbedingungen aufgeben zu müssen, löst immer auch Widerstand aus. Die Lektüre des Bandes kann dazu beitragen, den Widerstand zu verringern und die Chance zu sehen, die bewährten Traditionen psychoanalytischer und psychodynamischer Verfahren für die Zukunft zu adaptieren. Den Fokus zu verlagern von den zu vermittelnden Theorien auf zu vermittelnde Kompetenzen ist hilfreich bei der Neuorganisation der Lehrinhalte und erleichtert auch Auszubildenden, sich in ihre neue Rolle als psychoanalytische/​psychodynamische Psychotherapeut*innen einzufinden.

Fazit

Vermutlich kein Buch für die breite Masse, aber in kompakter Form eine Unterstützung für alle psychodynamischen Aus- und Weiterbildungseinrichtungen, die vor der Herausforderung stehen, neue Curricula zu entwickeln. Auch in Österreich sind mit dem geplanten neuen Psychotherapiegesetz ähnliche Entwicklungen zu erwarten, sodass es lohnt, von den Erfahrungen in Deutschland zu lernen.

Literatur

Israelstan, K. (2011): The interactive category schema of candidate competence: an Australian experience. In: International Journal of Psychoanalysis 92, 1289–1313.

Will, H. (2010): Psychoanalytische Kompetenzen. Standards und Ziele für die psychotherapeutische Ausbildung und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer.

Rezension von
Mag.a Barbara Neudecker
MA, Psychotherapeutin (IP) und psychoanalytisch-pädagogische Erziehungsberaterin, Leiterin der Fachstelle für Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche in Wien, Lehrbeauftragte an den Universitäten Wien und Innsbruck, eigene Praxis
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Es gibt 19 Rezensionen von Barbara Neudecker.

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Zitiervorschlag
Barbara Neudecker. Rezension vom 02.08.2023 zu: Johannes C. Ehrenthal, Inge Seiffge-Krenke: Psychodynamische Konzepte und Behandlungstechnik lehren und lernen. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2021. ISBN 978-3-525-45328-5. Reihe: Psychodynamik kompakt. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30333.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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