Wiebke Lückert, Franziska Brauner: Systemisch visualisieren
Rezensiert von Farina Eggert, 05.02.2024
Wiebke Lückert, Franziska Brauner: Systemisch visualisieren. Einfach machen! : das Grundlagenbuch. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2022. 223 Seiten. ISBN 978-3-525-40805-6. D: 30,00 EUR, A: 31,00 EUR.
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Thema
Die Autorinnen Wiebke Lückert und Franziska Brauner zeigen in ihrem Werkstattbuch, wie systemisches Arbeiten mit Visualisieren zusammenkommen kann. Mit Humor und Leichtigkeit erklären sie, wie Grafiken und künstlerische Visualisierungen die konkrete systemische Arbeit erleichtern können. Neben dem methodischen Hintergrundwissen erhalten die Lesenden auch eine Einführung in die Visualisierung und werden Schritt für Schritt bei der Entwicklung erster Grafiken begleitet.
Autor:innen
Wiebke Lückert ist Soziologin, Systemische Therapeutin (DGSF) und Sprachwissenschaftlerin. Sie arbeitet als Studienberaterin in der Zentralen Studienberatung der Universität Jena sowie zusammen mit ihrer Kollegin Franziska Brauner als Coach und Trainerin in der eigenen Firma LeBe GbR in Leipzig.
Franziska Brauner ist Systemische Therapeutin (DGSF), Psychologin und Trainerin für Stressmanagement. Zusammen mit ihrer Kollegin begleitet sie sowohl Einzelpersonen als auch Paare und Teams durch Veränderungsprozesse.
Aufbau und Inhalt
Das Buch „Systemisches Visualisieren – Das Grundlagenbuch“ gliedert sich in acht Kapitel. In jedem Kapitel können Verweise auf digitale Zusatzmaterialien vorgefunden werden, die die Inhalte entsprechend ergänzen und Übungen zu einzelnen Schwerpunkten anbieten.
Zu Beginn wagen die Autor:innen den Einstieg in ihr Buch, indem sie darstellen, warum ein weiteres Buch für systemisches Arbeiten sinnvoll sei.
Die Autorinnen sehen eine große Relevanz im Zusammenspiel und den Wechselbeziehungen von systemischen Arbeiten und Visualisieren. Systemisch arbeitende Menschen sollten im Idealfall über eine gewisse Systemkompetenz verfügen, die sie unter anderem durch die Selbsterfahrung und Selbsterkundung während ihrer Ausbildung zur systemischen Beraterin erlernen. Diese Systemkompetenz beinhaltet auch, einen offenen, interessierten und forschenden Blick auf die Welt, Systeme und ihre Strukturen zu haben.
Darauf aufbauend werden die Lesenden im Kapitel 3 in die Grundlagen systemischen Denkens und Handelns eingeführt und anschließend im Kapitel 4 auf die Kernelemente des Wahrnehmens und Beobachtens vorbereitet. Bei Letzterem orientieren sich die Autorinnen an folgenden Schwerpunkten, denen sie jeweils mehrere Unterkapitel widmen:
- Körper (Wahrnehmung, Körperhaltung und Gefühle),
- Sprache und
- Wahrnehmung, Beobachten und Austausch.
In der Beratung werden Zeit und Raum geschaffen, um sich mit der erlebten Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Bei diesem Prozess können Visualisierungen hilfreich werden. Um jedoch hilfreiche Grafiken entwickeln zu können, müssen Berater:innen in der Lage sein, eine Reduktion auf die notwendigen Strukturen des Systems vorzunehmen. Im Kapitel 5 erklären die Autor:innen dementsprechend, wie Berater:innen in der Praxis mit Bildern „auf den Punkt kommen“ und komplexe Geschichten auf das Notwendigste reduzieren. Ihrer Ansicht nach müssen Berater:innen den sogenannten „Beobachtungsmuskel“ regelmäßig trainieren – zum Beispiel, indem sie für Ungesagtes oder für Gefühle, die keinen Zugang zur Sprache finden, durch das Nachvollziehen von Mimik sensibler werden. Mit der Zeit und ausreichend Übung würden sich hier immer schneller Bilder in den Köpfen der Berater:innen einstellen, die auch der zu beratenden Person beim Reflexionsprozess helfen.
Als weiteres wichtiges Kernelement von Systemiker:innen beschreiben die Autor:innen die Sprache. Sie dient sowohl der Konstruktion von Wirklichkeiten als auch Möglichkeitsräumen (vgl. Kapitel 2). Ähnlich zur Lautsprache sei auch die Visualisierung als Sprache anzusehen, wenngleich einzelne Grafiken weniger fest mit spezifischen Bedeutungen versehen sind, als es in der stark konventionalisierten Schriftsprache der Fall sei. Hier sei es notwendig, Bedeutungen der Visualisierungssprache auszuhandeln, um Missverständnisse in der Beratung zu vermeiden.
Der Schwerpunkt des Arbeitsbuches bildet das sechste Kapitel „Ran an den Stift“. Hier werden die Lesenden in das konkrete Visualisieren eingeführt und lernen, wie bei einem Arbeitsbuch üblich, zunächst die Vokabeln der Visualisierung kennen. Darunter verstehen die Autor:innen zum Einen die Grundlagen (wie beispielsweise Punkte, Linie, Kreise und Vierecke), aber auch Figuren wie z.B. Gesichter, Gefühle, Mimik und Körperhaltungen. In einer tabellarischen Übersicht können hier erste Bestandteile nachgezeichnet werden. Ergänzt werden die Hinweise durch nützliche Tipps zu Fluchtpunkten und Dimensionen.
Daran anschließend, geben die Autorinnen einen Einblick in ihre systemische Visualisierungspraxis. Dabei wird deutlich, dass die Autorinnen die Möglichkeit zur Visualisierung vor allem in folgenden Situationen als hilfreich empfinden bzw. empfunden haben:
- Bei der Vorbereitung und Konzeption einer Stationsarbeit bei Teamworkshops;
- Bei der Falldokumentation in der Beratung;
- Im Rahmen von öffentlichem Visualisieren bei Vorträgen;
- Bei der Selbstklärung verstrickter Fälle und
- Bei der Einführung in neue Themen (z.B. bei Vorträgen, Lehr- und Infoveranstaltungen).
Die fünf Situationen werden anhand konkreter Praxisbeispiele Schritt für Schritt vorgestellt und reflektiert. Abgeschlossen wird das Kapitel mit dem Apell, Unterstützung und Inspiration durch andere anzunehmen. Ebenfalls raten die Autor:innen zum regelmäßigen Üben, um routinierter Visualisierungen anzufertigen.
Abgeschlossen wird das Buch mit einem Kapitel zum systemischen Visualisieren. Hier verbinden die Autor:innen alle vorgetragenen Inhalte und fassen nochmals die Relevanz des systemischen Visualisierens zusammen.
Diskussion
Wiebke Lückert und Franziska Brauner zeigen in ihrem illustrierten Werkstattbuch, wie systemisches Arbeiten und Visualisieren zusammenpassen kann – und ja, es passt! Die beiden selbsternannten systemischen Visualistinnen erklären auf unterhaltsame und keinesfalls langweilige Weise, wie jeder mit Stift und Papier reflektieren, analysieren, strukturieren oder schlichtweg auch dokumentieren kann. Damit öffnen sie ein breites Feld von möglichen Einsatzgebieten für das systemische Visualisieren.
Das Buch ist gespickt mit zahlreichen Grafiken und visuellen Reizen, die durchdacht und stets passend die Schriftsprache sinnvoll ergänzen. Abgerundet werden die Inhalte durch weiterführende digitale Zusatzmaterialien. Das Buch eignet sich damit sowohl für Leser:innen mit systemischer Vorerfahrung als auch für Visualist:innen ohne systemische Vorerfahrung. Ebenfalls bietet das Buch einen leichten Einstieg für alle Interessierten beider Bereiche, die weder über den einen noch den anderen viele Kenntnisse haben.
Wenngleich das Visualisieren hier für einen systemischen Rahmen betrachtet wurde, lassen sich die Inhalte auch abseits für das Dokumentieren von Veranstaltungen, das Strukturieren von Workshops oder die Gestaltung privater Übersichten und für viele weitere Anlässe nutzen. Systemisches Visualisieren kann den gesamten Alltag bereichern.
Fazit
Das Grundlagenbuch zum systemischen Visualisieren schafft erfolgreich den Spagat zwischen systemischen Arbeiten und Skizzieren. Es bietet als Hand- und Arbeitsbuch mit vielen Beispielen, Anregungen und Tipps eine hilfreiche Grundlage für die systemische Arbeit sowie für die grafische Begleitung unterschiedlicher Prozesse.
Rezension von
Farina Eggert
Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (B.A; M.A), Systemische Beraterin (DGSF), Promovendin an der FSU Jena
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Es gibt 8 Rezensionen von Farina Eggert.
Zitiervorschlag
Farina Eggert. Rezension vom 05.02.2024 zu:
Wiebke Lückert, Franziska Brauner: Systemisch visualisieren. Einfach machen! : das Grundlagenbuch. Vandenhoeck & Ruprecht
(Göttingen) 2022.
ISBN 978-3-525-40805-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30335.php, Datum des Zugriffs 03.11.2024.
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