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Eva Christina Stuckstätte, Heinz Müller et al.: Hilfen zur Erziehung und Schule

Rezensiert von Prof. Dr. Erich Hollenstein, 14.07.2023

Cover Eva Christina Stuckstätte, Heinz Müller et al.: Hilfen zur Erziehung und Schule ISBN 978-3-7799-7084-2

Eva Christina Stuckstätte, Heinz Müller, Stephan Maykus: Hilfen zur Erziehung und Schule. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2023. 330 Seiten. ISBN 978-3-7799-7084-2. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.
Reihe: Basistexte Erziehungshilfen. .

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Thema und Hintergrund

Der Band versteht sich als Basistext zum Thema Hilfen zur Erziehung und Schule. Besonders angesprochen wird damit das vielfältige Spektrum schulbezogener Kooperationen. Dazu soll ein breites sozialpädagogisches Fundament des Zusammenwirkens begründet werden. Ziel ist die Darstellung einer lebensweltorientierten transformativen Praxis, die u.a. gekennzeichnet ist durch Arbeitsbündnisse zwischen den beteiligten Professionen, und damit einhergehend entsteht ein Entwurf einer erzieherischen Förderung mit einem veränderten Bild des Zusammenwirkens.

Autorin und Autoren

Dr. Stephan Maykus ist Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Osnabrück sowie Privatdozent für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Dipl. päd. Heinz Müller ist Geschäftsführer des Instituts für sozialpädagogische Forschung in Mainz und Dr. Eva Christine Stuckstätte ist Professorin für Soziale Arbeit an der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Münster.

Inhalt

Gegliedert ist der Band nach sechs Kapiteln:

Vorwort: Ziele des Buches als Basistext zur Erziehungshilfe.

  1. Einführung und Überblick: Aktuelle Entwicklungen in der Kooperation von Schule und Kinder- und Jugendhilfe.
  2. Rahmen: Gesellschaftliche Funktionen, Aufgaben und Strukturen von Schule und Erziehungshilfe.
  3. Zugänge: Lebensweltliche Perspektiven junger Menschen als Anlässe für Kooperation.
  4. Erscheinungsformen: Felder der Kooperation von Schule und erzieherischen Hilfen.
  5. Schnittstellen: Erzieherische Hilfen im Netz (schulbezogener) Hilfen.
  6. Perspektiven: Entwicklungsbedarf und Möglichkeiten gelingender(er) Kooperation von erzieherischen Hilfen und (inklusiven) Schulen.

Im Folgendem werden vertiefende Einblicke in die genannten Kapitel gegeben.

1. Einführung und Überblick

Das Kapitel analysiert die aktuelle Kooperationslandschaft zwischen Schule und Kinder- und Jugendhilfe. Dabei wird festgestellt, dass Schulsozialarbeit nur ein Teil dieser Landschaft ist und Kooperationen sich ausgedehnt haben und alle im Kinder- Jugendhilfegesetz beschriebenen Hilfen umfasst. Hinzu kommt eine innovative Entwicklungsdynamik die u.a. Ganztagsschulen, Inklusion, Kindergärten und Familienzentren einschließt. Anlässe, Felder und Formen der Berührung von Schule und Erziehungshilfe sind also im Zustand einer Erweiterung und bedürfen einer strukturellen Sicherung. Auf diesem Hintergrund wird eine Systematisierung von Ebenen und Feldern der Kooperation vorgeschlagen. So gibt es ein Kooperationskontinuum der Kooperationsqualitäten wie z.B der Austausch von Wissensbeständen bis zur Teilnahme an der jeweiligen Organisations- und Angebotsentwicklung. Im Sinne einer Matrix kommt ein zweites Kontinuum bezüglich der Kooperationskultur hinzu. Diese Kultur ist gekennzeichnet durch ein Distanz-, Kooperations-, Integrations- und Inklusionsmodell. Lehr- und sozialpädagogische Kräfte befinden sich in kreativen Feldern der Begegnungs- und Beziehungsentwicklung (interprofessionelle Arbeitsbündnisse) und können zwecks Systematisierung in die genannte Matrix eingeordnet werden.

2. Rahmen: Gesellschaftliche Funktionen, Aufgaben und Strukturen.

Zunächst wird das System Schule dargestellt: Historische Entwicklungen, Funktionen, statistische Befunde. Zu den Funktionen gehören Enkulturation, Qualifikation, Allokation und Integration. Aufmerksam gemacht wird auf Reformhindernisse die Entwicklungen, z.B. zu einer inklusiven Einheitsschule, stark beeinträchtigen. Auf jeden Fall erscheinen Hilfen zur Erziehung als attraktiver Partner des Schulsystems und weiterer Entwicklungen.

Sodann erfolgt eine Analyse der Hilfen zur Erziehung. Die Angebotsformen, die dazu gehörenden rechtlichen Grundlagen (SGB VIII), historische Entwicklungen sowie statistische Befunde werden dargestellt. Aufgaben der Erziehungshilfe sind:

  • Die Sicherung bzw. Wiederherstellung elementarer Grundbedürfnisse als Voraussetzung der Subjektbildung.
  • Lebensbewältigung und Lebensbildung.
  • Erschließung von Ressourcen und Gestaltung sozialer Nah-, Lebens- und Bildungsräume.
  • Befähigung zur Teilhabe an schulischer Bildung und Ausbildung.

Es wird darauf verwiesen, dass die Kinder- und Jugendhilfe im großen Stil kommunale Schulentwicklung mitgestaltet, wenngleich eine bereichsübergreifende organisatorische und pädagogische Entwicklung in den Kommunen noch ein Fernziel ist.

Der letzte Abschnitt in diesem Kapitel widmet sich einer transformativen Praxis einschließlich einer interprofessionellen Sozialpädagogik auch vor dem Hintergrund der vorangegangenen Abschnitte. Im Mittelpunkt stehen lebensweltlich aufscheinende Kinder und Jugendliche deren Förderung in Arbeitsbündnissen geschieht. Förderziele werden in acht sogenannten Schlüsselthemen diskutiert, für deren Bearbeitung eben Interprofessionalität als Bedingung einer transformativen Praxis erforderlich ist. Die lebensweltorientierte Praxis realisiert sich in Arbeitsbündnissen und erfordert eine einschlägige pädagogische Haltung. Diese Zusammenarbeit folgt also den lebensweltlich ausgerichteten Schlüsselthemen und nicht etwa vorgegebenen strategischen Zielen und Handlungsplänen – eine pädagogische und situationsnahe Selbststeuerung steht daher im Vordergrund. Die Schlüsselthemen sind auch im weiteren Verlauf des Bandes von großer Bedeutung.

3. Zugänge: Lebensweltliche Perspektiven junger Menschen als Anlässe für Kooperation.

Anlässe für Kooperationen sind: Inklusion, Förderbedarf, ganztägig organisierter Schulalltag, prekäre soziale Lebenslagen, Kinderschutz, Flucht und Migration, Absentismus und care living. Diese Bandbreite zeigt auch die o.g. Entwicklungserweiterung sehr deutlich. Beispielhaft dargestellt wird nachfolgend der ganztägig organisierte Schulalltag.

Ganztagsschulen existieren in vielen unterschiedlichen Formaten. Für die Kooperationsträger bedeutet dies, Schule, Zielgruppen und soziales Umfeld gut zu kennen. Das ganztägige Angebot muss mindesten drei Tage pro Woche in der gewählten Form umfassen (vollgebunden, teilgebunden, offen). Erörtert werden sodann die Ziele der Ganztagsschule wie z.B. die Öffnung hin zu außerschulischen Kooperationspartnern und die notwendige Qualitätsentwicklung. Empirische Befunde zur Wirkung der Ganztagsschule zeigen u.a. eine Verbesserung der Schulnoten und eine Reduzierung abweichenden Verhaltens bei qualitativ hochwertigem Angebot und regelmäßiger Teilnahme der Schülerinnen und Schüler. Weitere empirische Befunde werden bezüglich der Sicht von Kindern, Jugendlichen und Eltern dargestellt. Dazu gehört auch elterliche Kritik wie auch die Feststellung, dass die Bedürfnissorientierung an Kindern und Jugendlichen im Ganztag Mängel aufweist. Zum „guten Ganztag“ sind also noch viele konstruktive Verbesserungen notwendig.

Abschließend werden die im 2. Kapitel entwickelten Schlüsselthemen auf dieses Handlungsfeld bezogen. Das erste Schlüsselthema „Teil sein, werden und bleiben in der Schulklasse“ wird nach Handlungsanforderungen differenziert (z.B. integrative Räume, positive Erfahrungen mit Mitschülerinnen und Mitschülern). Impulsfragen für eine transformative Praxis werden formuliert, wie z.B. zum Wohlergehen und Wohlfühlen im Ganztag. Nach dieser Vorgehensweise werden alle acht Schlüsselthemen verhandelt, sodass eine dichte transformative Praxis sichtbar wird.

4. Erscheinungsformen: Felder der Kooperation von Schule und erzieherischen Hilfen.

Genannt werden themenspezifische Gelingensbedingungen für eine gute Kooperation. Eingegangen wird z.B. auf fallspezifische, fallübergreifende und fallunabhängige Kooperationsebenen. Interprofessionelle Organisations- und Netzwerkebenen werden dargestellt. Untergliedert ist das Kapitel nach zehn Kooperationsfeldern: Von Schulerfahrungen in Erziehungshilfen über Kinderschutz bis hin zu sozialräumlich organisierten Kooperationsformen. Im Folgenden richtet sich der Blick beispielhaft auf eines der Kooperationsfelder. Ausgewählt wurde das Kooperationsfeld „Beratung und Fortbildung von Lehrkräften in Fragen einer lebensweltorientierten und kooperativen Förderung junger Menschen in der Schule“. Eingegangen wird auf notwendige Kompetenzen (z.B. das Erkennen von Diskriminierungen von Kindern durch Lehrkräfte) und Merkmale professionellen Handelns (Wissen, Können, Haltung). Unterlegt werden die Ausführungen durch einschlägige Befragungen von Lehr- und pädagogischen Fachkräften. Als Kooperationsformate werden kollegiale Fortbildungen, kollegiale Beratung, Tandem-Fortbildungen und multiperspektivische Fallarbeit genannt. Als Beispiel wird ein Projekt an einer inklusiven Grundschule beschrieben, analysiert und auf die koordinierte und abgestimmte Kooperationsstruktur verwiesen.

5. Schnittstellen: Erzieherische Hilfen im Netz (schulbezogener) Hilfen.

Die lebensweltorientierte Einbettung von Kindern und Jugendlichen erfordert von Erziehungshilfen wie ebenso von der Schule, ihre traditionellen Auftragsrahmen deutlich zu öffnen. Damit kann eben durch interprofessionelles Handeln etwas „Neues“, etwas „Transdisziplinäres“ entstehen. Schnittstellen begünstigen solche Entwicklungen besonders in Netzwerken. Dazu werden umfängliche Vorschläge dargestellt, im Rahmen von fallspezifischer Zusammenarbeit inner- und außerhalb der Schule wie auch von fallunabhängiger Zusammenarbeit. Zu der letztgenannten Arbeitsform gehört u.a. Kinder- und Jugendbeteiligung, präventive Angebote, Antidiskriminierung. Bei diesen fallunabhängigen Kooperationen sind Arbeitsbündnisse zwischen den genannten Professionen anzustreben wie auch weitere bedeutsame Netzwerkpartner (z.B. Vereine, sozialräumliche Initiativen, Gesundheitsbehörden, Polizei) einzubinden sind. Am Gedankenspiel „Schule als sozialpädagogischer Ort für Familie“ wird eine Schnittstellenpraxis veranschaulicht in der auch Bezüge zur Gemeinwesenarbeit hergestellt werden. Aber auch Krisen (Fluchtbewegung, Corona) können interprofessionelle Vernetzung fördern. Diese Ideen und Innovationen weitergedacht führt zu einer integrativen Jugendhilfeplanung, die dann „als systemübergreifender und organisationaler Bildungsprozess in sozialräumlichen Lebenswelten und kommunalen Bildungslandschaften“ (S. 303) zu verstehen ist.

6. Perspektiven: Entwicklungsbedarf und Möglichkeiten gelingender(er) Kooperation von erzieherischen Hilfen und (inklusiven) Schulen. 

Untersucht werden die systemischen Bedingungen einer gelingenden Kooperation. Dazu werden konzeptionelle Anregungen für interprofessionelle Arbeitsbündnisse gegeben. Hingewiesen wird u.a. auf Kooperationsqualitäten wie Austausch von Wissen, gemeinsame Planung, pädagogischer Diskurs und gemeinsam getragene Verantwortung. Bedeutsam ist weiterhin eine abgestimmte Hilfe- und Förderplanung für die Verstetigung von Arbeitsbündnissen.

Die Kooperation muss auch strukturell in der Kommune verankert werden. Das bedeutet z.B., gemeinsame Zielsetzungen in Schul- und Jugendhilfeausschüssen zu finden. Eine notwendige Ressortverzahnung erfolgt über Planungsteams und Steuergruppe. Durch die einhergehende Prozessorientierung der beteiligten Akteure entsteht eine wahrnehmbare kommunale Bildungslandschaft in die die Schulentwicklung integriert ist.

Das Kapitel schließt mit einem Appell an die Jugendhilfe- und Schulentwicklung. Eine Klammer für diese Sektoren ist, Bildung als Lebensbildung zu verstehen. Die gemeinsamen Anstrengungen zielen auf die Förderung gelingenden Aufwachsens junger Menschen: „Eine Schule der Zukunft ist vor allem an ihrem ausgeprägten Bezug zu den Lebenswelten junger Menschen erkennbar […]“ (S. 326). Dazu gehört als prominenter Gelingensfaktor der Einbezug der Kinder- und Jugendhilfe.

Diskussion

Die Thematik der Kooperation zwischen der Kinder- und Jugendhilfe und der Schule sowie der damit einhergehenden Entwicklungsdynamik, ist mittlerweile über fünfzig Jahre zu verfolgen. Waren es in den ersten Jahren vor allem Praxisprojekte, erfolgte in späteren Jahren ein immer stärkere theoretische Durchdringung. In der Startphase und auch bis heute wird vornehmlich das Handlungsfeld Schulsozialarbeit als Kooperationstitel genannt. Es gibt dazu vielfältige Expertisen, zahlreiche Forschungsbefunde und eine kaum mehr zu überschauende Fachliteratur. So gehen u.a. die Kinder- und Jugendberichte der Bundesregierung immer wieder auf diese Thematik ein, in den Bundesländern werden einschlägige Programme umgesetzt und der Hochschulbereich bietet entsprechende Lehrveranstaltungen und Projekte zum Thema Kooperation der genannten Sektoren. Der vorliegende Band ist auch in diese Entwicklung einzuordnen.

Seine Innovation besteht darin, Hilfen zur Erziehung umfänglich, detailliert und sehr intensiv in das Kooperationsgeschehen einzubeziehen. Das ist sicherlich ein begrüßenswerter Schritt, der die Komplexität der Thematik verdeutlicht. Hilfreich wäre gewesen wenn praxisnahe Fallbeispiele, die ja vorhanden sind, den einen oder anderen Sachverhalt veranschaulicht hätten.

Fazit

Der Band ist einzuordnen in eine über 50 Jahre andauernde Entwicklungsdynamik mit zunehmender Kooperation zwischen Schule und Kinder- und Jugendhilfe. Die zum Ausdruck kommende Innovation besteht darin, Hilfen zur Erziehung umfänglich, detailliert und intensiv in das Kooperationsgeschehen einzubinden. Die damit erzielte thematische und auf Praxis gerichtete Erweiterung sowie Vertiefung stellt einen konstruktiven Kooperationsfortschritt dar – letztlich zum Wohl von Kindern und Jugendlichen!

Rezension von
Prof. Dr. Erich Hollenstein
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Zitiervorschlag
Erich Hollenstein. Rezension vom 14.07.2023 zu: Eva Christina Stuckstätte, Heinz Müller, Stephan Maykus: Hilfen zur Erziehung und Schule. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2023. ISBN 978-3-7799-7084-2. Reihe: Basistexte Erziehungshilfen. . In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30355.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.


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