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Michael Boecker, Romina Maillaro (Hrsg.): Warum ist die Leitung sozialer Organisationen männlich?

Rezensiert von Thomas Reinhardt, 14.08.2023

Cover Michael Boecker, Romina Maillaro (Hrsg.): Warum ist die Leitung sozialer Organisationen männlich? ISBN 978-3-7841-3558-8

Michael Boecker, Romina Maillaro (Hrsg.): Warum ist die Leitung sozialer Organisationen männlich? Eine Untersuchung von Michael Boecker und Romina Maillaro. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. - DV (Berlin) 2022. 61 Seiten. ISBN 978-3-7841-3558-8. D: 9,00 EUR, A: 9,30 EUR.

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Autor, Thema und Entstehungshintergrund

Die Studie erscheint in der Reihe „Soziale Arbeit kontrovers“ des „Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V.“ in Zusammenarbeit mit dem Lambertus-Verlag. Der Autor Prof. Dr. Michael Boecker und die Autorin Romina Maillaro der Fachhochschule Dortmund möchten „auf der Grundlage einer qualitativen Befragung von Leitungskräften sozialer Träger“ untersuchen wie „’Gender’ als Strukturkategorie den beruflichen Aufstieg in der Sozialen Arbeit beeinflusst.“ (Klappentext)

Aufbau

Nach einer Einführung in die Problemstellung geht das 64 Seiten umfassende Büchlein zunächst der Frage nach, welche Rolle „Gender“ in der Sozialen Arbeit spielt, skizziert die Professionsgeschichte und stellt die qualitativ-empirische Studie vor. Mit einem Fazit samt Ausblick wird das Heft abgeschlossen. Im Literaturverzeichnis sind die benutzten Quellen aufgeführt.

Inhalt

Ausgehend von der Feststellung, dass sich die Soziale Arbeit als „Gerechtigkeitsprofession“ (Seite 7) versteht, ist es bemerkenswert, dass in diesem mehrheitlich von Frauen gewählten Beruf die Männer in Führungspositionen überwiegen. Dabei versteht der Autor und die Autorin Geschlecht als eine „gesellschaftliche Konstruktion“, die die Heterogenität von Menschen nur unzureichend beschreibt. Es gibt nur wenig Studien zum Geschlechterverhältnis in der Sozialen Arbeit. Trotz diverser Projekte zur Gleichstellung bei Caritas und Arbeiterwohlfahrt (AWO) „steigt die Anzahl an Frauen in obersten Leitungspositionen nur langsam“ (Zitat auf Seite 9 aus einer Studie von Müller (2016) und Stetter-Karp (2019).

Dieses Missverhältnis wird in den folgenden Kapiteln mit Zahlen drastisch vor Augen geführt. Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit waren 2018 in der deutschen Sozialen Arbeit 375000 Erwerbstätige beschäftigt. Der Frauenanteil betrug 74 %. Ähnliche Zahlen finden sich bei der Gewerkschaft Erziehung und Bildung (GEW). Die Caritas führt in ihrem „7. Genderbericht“ einen Frauenanteil von 82.1 % an. Lediglich 23 % Frauen sind in den hauptamtlichen Geschäftsführungen und Vorständen zu finden. Auf Seite 12 und 13 werden eindrucksvolle statistische Grafiken zum Thema eingefügt. Als Erklärungsversuche aus der Forschung werden die Themen „Gläserne Decke“, „Stereotypen in den Kompetenzzuschreibungen“, „Institutionelle“ und „Individuelle Faktoren“ angeführt und kurz beschrieben.

Der Autor und die Autorin verfolgen den Ansatz des „Doing Gender“: Das Geschlecht wird „interaktiv durch Handlungen, Normen und soziale Prozesse konstruiert und hergestellt.“ (Seite 19). Im dritten Kapitel zur Professionsgeschichte wird einem Widerspruch nachgegangen, der auch durch die Frauenbewegung mit hervorgerufen wurde. Ich zitiere: „Die Soziale Arbeit bringt folglich viel emanzipatorisches Potenzial mit sich, gleichzeitig reproduzieren sich jedoch dominante Diskurse zu Geschlechterverhältnissen und Konstruktionen von Mütterlichkeit und Fürsorglichkeit.“ (Seite 23)

Ausgehend von der Definition von Leitung in der Sozialen Arbeit wird im vierten Kapitel die qualitative Studie beschrieben, die auf einer Querschnittserhebung mit reaktivem Verfahren beruht. Dazu wurden qualitative Einzelfalluntersuchungen (Problemzentriertes Experteninterview) mit obersten Leitungsverantwortlichen durchgeführt und nach der von Mayring vorgeschlagenen Methode der qualitativen Sozialforschung ausgewertet. Drei Männer und drei Frauen sind befragt worden. Dabei handelt es sich um: Drei Geschäftsleitungen von Wohlfahrtsverbänden, eine Geschäftsleitung eines freien Trägerverbands, eine Leitung eines öffentlichen Trägers und schliesslich eine mit einer Fachbereichsleitung.

Im Folgenden werden die Ergebnisse aus der qualitativen Inhaltsanalyse beschrieben und in folgende vier Hauptkategorien geordnet:

  • Beruflicher Werdegang
  • Einflussfaktoren für den beruflichen Aufstieg
  • Status quo in der Leitungsposition
  • Zukunftsperspektiven für die Leitung

Es folgen Zusammenfassungen von ausgewählten Narrativen. Auf vier abschliessenden Seiten wird ein Fazit gezogen und ein Ausblick zur Diskussion vorgestellt.

Es wird betont, was mich als Leser erstaunt, dass gemäss „empirischen und theoretischen Erkenntnisse weisen deutlich darauf hin, dass Frauen sehr wohl leiten können“. (Seite 52). Jedoch gibt es deutliche Hürden, die eine Rolle beim geschlechtsspezifischen Aufstieg spielen. Auch innerhalb der Profession ist es notwendig diese strukturellen Barrieren zu betrachten, um den „Ungleichheitsdynamiken und Machtasymmetrien entgegenzuwirken.“ (Seite 52). Zehn Lösungsansätze werden vorgestellt, wie z.B. die Implementierung eines Diversity Managements in den Institutionen oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht als „Frauenthema“ abzutun.

Diskussion

Die Studie liefert eine gute und prägnante Zusammenfassung zu den Gründen, warum ein Frauenberuf von Männern geführt wird. Sie verdeutlicht die gesellschaftlichen und historischen Zusammenhänge und schält auch die Überlegung heraus, dass emanzipatorische Bestrebungen konventionelle Strukturen befestigen können, wenn es ihnen nicht gelingt, die zugrunde liegenden Konstrukte zu verändern. Insbesondere sind die Narrative der Expertinnen und Experten, die durch die qualitativen problemzentrierten Interviews zusammengetragen werden, lesenswert.

Fazit

Boecker und Maillaro liefern mit dieser Studie einen Beitrag zu einer sozialpolitisch wichtigen Diskussion. Die Tatsache, dass es wenig Untersuchungen zum Thema gibt, könnte damit zusammenhängen, dass gerade die Soziale Arbeit, die sich als „Gerechtigkeitsprofession“ versteht, auf diesem Auge blind ist, da Ungleichheit in den eigenen Reihen gerne geleugnet werden könnte.

Überraschend an den Ergebnissen und vor allem auch durch die in den Narrativen geschilderten subjektiven Erlebnisse ist, dass es tatsächlich noch so viele Vorurteile und konstruierte Zuschreibungen gibt, die die Machtverhältnisse verschleiern.

Rezension von
Thomas Reinhardt
Diplomierter Berater für Organisationsentwicklung. Arbeitet als interner Coach im Universitätsspital Basel und freiberuflich in den Bereichen Organisationsentwicklung, Gesundheitsmanagement, Konfliktmoderation, Coaching für Führungsverantwortliche, Teamentwicklung und Supervision. Schwerpunkte: Gesundheit und Führung, Change Management, Leadership, Kommunikation, Psychohygiene und Glück.
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Es gibt 33 Rezensionen von Thomas Reinhardt.

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ISSN 2190-9245