Angelika Gaßmann (Hrsg.): Offboarding
Rezensiert von Prof. Dr. Armin Schneider, 30.05.2023

Angelika Gaßmann (Hrsg.): Offboarding. Fach- und Führungskräfte verlassen die Organisation.
Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb
(Freiburg) 2022.
269 Seiten.
ISBN 978-3-7841-3350-8.
D: 29,00 EUR,
A: 29,90 EUR.
Reihe: Sozialmanagement.
Thema
Während dem Onboarding, als der Einstiegsphase neuer Personen in ein Unternehmen, viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, führt ein geregelter Übergang aus einem Unternehmen heraus eher ein Schattendasein. Speziell auf den Übergang in den Ruhestand bezogen sind in diesem Herausgeberband grundlegende Texte, Forschungsergebnisse, Praxisbeispiele, Interviews, Methoden, Seminarkonzepte und Impulstexte vereint. Dabei wird Wert darauf gelegt, Übergänge in den Ruhestand sowohl aus der Perspektive der „Gehenden“ als auch aus der Perspektive der Organisation zu betrachten. Vielfach wird Bezug auf religiöse, spirituelle und biblische Beispiele und Inhalte genommen.
Herausgeberin
Angelika Gaßmann ist Germanistin, Sportwissenschaftlerin sowie Personal- und Organisationsentwicklerin, sie arbeitet freiberuflich als Trainerin, Coachin und Prozessbegleiterin vor allem in Unternehmen der Sozialbranche
Entstehungshintergrund
Das Buch entstand aus der Erfahrung der Herausgeberin heraus, dass in Fortbildungsveranstaltungen das Thema des Übergangs in den Ruhestand und u.a. die Nachfolgeplanung immer wieder am Rande angesprochen wurde und der Einschätzung, dass der Ausstieg aus dem Erwerbsleben bisher kaum Thema der Personalentwicklung ist. Dies, obwohl, wie Robert Bachert im Vorwort schreibt, es gerade in wertorientierten Unternehmen von Caritas und Diakonie gelte, einen gelungenen und wertschätzenden Übergang zu gestalten (vgl. S. 11).
Aufbau
Das Buch gliedert sich in elf inhaltliche Kapitel, wovon die Herausgeberin Ko-Autorin von sechs Kapiteln ist. Während die ersten sieben Kapitel theoretische Hintergründe und einzelne Aspekte des Übergangs beleuchten, werden im zweiten Teil Praxisbeispiele aus der Personal- und Organisationsentwicklung vorgestellt.
Inhalt
Nach einem Geleitwort von Andreas Kruse und einem Vorwort von Robert Bachert gibt die Herausgeberin Angelika Gaßmann eine Einführung zur Motivation zu diesem Buch und einen Überblick über die einzelnen Kapitel.
Anna Wanka und Barbara Stauber zeigen die Perspektive der Übergangsforschung auf als soziale Statuswechsel „[…] die sowohl alltagsweltlich eingebettet als auch institutionell reguliert und diskursiv gerahmt sind“ (S. 17). Sie gehen davon aus, dass Übergänge gestaltbar sind und ein Lebenslauf mit all seinen Übergängen eine soziale Konstruktion darstellt. Die Geburtsstunde der Lebensphase Alter sei mit der Einführung des staatlichen Rentensystems verbunden. Empirische Befunde zeigen starke Unterschiede, auch in Bezug auf das Einkommen im Alter, auf vorhandene Altersdiskriminierung und die Erwerbsarbeit über das Rentenantrittsalter hinaus. Menschen im Übergang zum Rentenalter werden adressiert, identifizieren sich entsprechend und repräsentieren sich unterschiedlich. Auch sind die Übergangspraktiken im Sinne eines „Doing Retiring“ mit Entscheidungen, Distanzierungen, Nachfolgeregelungen, Wissensweitergabe und Abschiedsfeiern verbunden. Auch ist zu beobachten, dass es verzögerte, verwehrte und gescheiterte Übergänge gibt.
Als Gestaltungsaufgabe für Unternehmen beschreiben Angelika Gaßmann und Sina Kesselhut den Übergang in den Ruhestand, der mit Chancen und Risiken für das Unternehmen verbunden ist. „Vorteile einer Nachfolgeplanung [sind, A. S.] sowohl für die Organisation als auch für die Mitarbeitenden spürbar“ (S. 65). Als Möglichkeiten für Unternehmen werden Offboarding als umfassender Prozess, Demografiemanagement und Ausstiegsmanagement benannt und ausgeführt. Bei letzterem geht es um die Vorbereitung auf den Ruhestand u.a. auch um den Umgang mit dem Wissen, um die konkrete Gestaltung des Abschieds und um die Zeit nach dem Austritt (Netzwerke, Alumni-Programme).
Aus der Arbeits- und Organisationspsychologie stellt Andreas Zimber dar, wie ein gesunder Übergang seitens der Organisation gefördert werden kann. Dabei sind die unterschiedlichen Entwicklungsprozesse zu beachten, je nachdem, wie der Übergang von der Dimension Zeit, Planung und Freiwilligkeit zu bewerten ist. In Bezug auf die Leistungsfähigkeit, die Flexibilität und die Lernfähigkeit sind viele Stereotype zu beobachten. Im „Haus der Arbeitsfähigkeit“ ist auf Unternehmenskultur, Personalentwicklung, Gesundheitsförderung und Arbeitsbedingungen wie Arbeitsorganisation zu achten. Ein gelungener Übergang und eine Vorbereitung auf die nachberufliche Phase sind nach Zimber förderlicher als die neue Lebenssituation dem Zufall zu überlassen.
Georg Lämmlin weist darauf hin, dass Wertschätzung und Anerkennung meist nur dort von Bedeutung sind, wo es um die Motivation von Mitarbeitenden geht. Doch das Thema Wissens- und Erfahrungsmanagement gewinne an Bedeutung. Aus theologischer Sicht nennt er Beispiele von Ritualen und ordnet den Übergang in den Ruhestand entsprechend ein: „Zwischen dem kleinen Abschied des Weggangs innerhalb des Unternehmens und dem großen Abschied des Sterbens liegt der mittlere Abschied des Ruhestandeintritts“ (S. 106). Aus dem Beispiel kirchlicher Verabschiedungsordnungen lassen sich modellhaft Ableitungen ziehen: „Die ‚entlastende‘ Funktion des Rituals könnte deshalb gerade auch in solchen konflikthaften Situationen und Prozessen eine versöhnende und die Organisation stabilisierende Kraft entfalten“ (S. 113).
In einem Interview mit Stephan Marks geführt von Angelika Gaßmann unterstreichen beide die Bedeutung und die Rolle der Scham als „Hüterin der Würde“ gerade im Kontext des Übergangs in den Ruhestand. Scham kann demnach vier Grundtypen haben, entweder als Folge einer Missachtung, als Intimitäts-Scham, als Folge von Ausgrenzungen oder als moralische Scham (vgl. S. 123). Wichtig ist oft das Gesehenwerden, welches von Geburt an eine hohe Bedeutung für Menschen hat (vgl. S. 125). An vier Fallbeispielen wird die Bedeutung der Scham aufgearbeitet, so kann eine solche z.B. durch Nichtbeteiligung älterer Personen bei Entscheidungsprozessen entstehen oder aber kann unbewusst eine Krankheit als weniger schambesetzte Lösung dienen als die Einschränkung der Leistungsfähigkeit.
Etwas weiter und existenzieller gibt Petra Hinderer Impulse zum Abschied aus dem Erwerbsleben aus der Hospizarbeit. Aus dieser Perspektive geht es nicht darum, dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben zu geben. Ebenso bedeutsam ist es, zu sehen, dass Sterbende Lebende und gleichzeitig Lebende immer auch Sterbende sind. Die Trauerarbeit, so unterschiedlich Menschen auch trauern, ist eine normale Verlustreaktion, bei der es um Begreifen, Durchleben von Gefühlen, Veränderungen der Umwelt und um einen neuen Platz geht (vgl. S. 145). Daraus ist zu schließen, dass in unterschiedlichen Phasen des Abschieds Bedürfnisse körperlicher, sozialer, psychischer und spiritueller Art sowohl für Mitarbeitende als auch für das Umfeld zu berücksichtigen sind, ebenso wie die Art und Weise des Abschieds.
Cornelia Coenen-Marx gibt Einblicke in ihr persönliches Erleben und zeigt auf, dass ein nahtloser Übergang in die Rente eher die Ausnahme als die Regel ist. Krankheiten und Arbeitslosigkeit sind oft Begleiterscheinungen. Es gehe darum, sich mit der eigenen Verletzlichkeit und Endlichkeit auseinanderzusetzen und Träume zu leben, dazu gebe es viele Möglichkeiten.
Der zweite Teil des Buches beginnt mit der Beschreibung der Entstehung und Durchführung eines Seminars „Los!Lassen“ für Führungskräfte von Dirk Sichelschmidt und Angelika Gaßmann. Betroffene und Führungskräfte wurden in diesem dreitägigen Seminar mit der Aufgabe der Gestaltung von Übergängen und Neuausrichtungen konfrontiert. In den Schritten
- eigene biographische Erfahrungen,
- Hören und Wahrnehmen des Gegenübers und
- Zusammenführen der Erkenntnisse
wurden beim Seminar Unterschiede, eine hohe Emotionalität, Klärungsbedarf, eine fehlende Kultur und ein geringes Bewusstsein der Auswirkungen eines Weggangs deutlich. Ressourcen für den Übergang sind die Biografie, positive Bilder der eigenen Zukunft sowie das Lernfeld und die Lerngruppe.
Am Beispiel der Organisationsentwicklung der Nachfolge einer Jugendhilfeeinrichtung zeigt Angelika Gaßmann aus Berater:innensicht die Entwicklungen des St. Annenhofes in Kempen auf: „Die Übergabe an der Führungsspitze bringt besonders viel Bewegung in das System und birgt damit existenzielle Risiken – aber auch Chancen“ (S. 193). Themen sind hier die gut bestellte Übergabe, eine sorgfältige Analyse, wichtige Aufgaben von Träger und Aufsichtsgremien. Im nachfolgenden Interview, welches Angelika Gaßmann mit dem langjährigen Einrichtungsleiter Herbert Knops führt, tritt dessen Perspektive in den Vordergrund. Das eigene Loslassen wollen sei dabei ebenso wichtig wie der je eigene Weg.
Einen ganz anderen Zugang zum Thema, den über Sprache in Form von Lyrik und Prosa zeigen Angelika Gaßmann und Verena Rolli im Schlusskapitel „Sich einen Reim darauf machen“ auf. Sowohl das Hören und Lesen von Texten als auch das eigene Schreiben wirke sowohl in Workshops als auch in Coaching- und Beratungsprozessen. Als ein Beispiel wird der Meeresroman von Petri Tamminen in einzelnen Passagen auf die Arbeit mit der eigenen Biografie angewendet. Weiterhin werden zahlreiche Beispiele von Gedichten und Zitaten zum Übergang aufgeführt, die sich in unterschiedlichen Kontexten einsetzen lassen.
Diskussion
Das Buch verengt zunächst das weite Thema des Offboarding auf den Übergang zum Ruhestand und analysiert diesen sehr detailliert, immer auch unter Zuhilfenahme von zunächst nicht offensichtlichen Bezügen der Personalentwicklung zum Beispiel zu kirchlichen Abschiedsritualen, dem Thema Scham oder der Arbeit in einem Hospiz. Trotz dieser Engführung und gerade durch die Vielfalt der Textarten und Einblicke in die Praxis lädt das Buch zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Übergang in den Ruhestand, mit der Gestaltung des Ruhestandes durch die Organisation, aber auch mit anderen Offboarding-Prozessen ein, sei es durch Abschied in eine andere Organisationseinheit oder durch eigene oder durch das Unternehmen erfolgte Kündigung.
Fazit
„Offboarding“ ist ein Buch, das mit viel Engagement aus ganz unterschiedlichen Perspektiven den Abschied aus einer Organisation nicht nur beschreibt, sondern zahlreiche Beispiele und Anregungen sowohl für die Organisation als auch für dort handelnde Personen, die ausscheidende Person, die verantwortliche Führungskraft und die Personalverantwortlichen gibt. Gerade die verschiedenen Perspektiven, der Wechsel zwischen Grundlagentexten, Interviews und Praxistexten zeigen eine Spannung auf, die auf den ersten Blick eher bunt zusammengewürfelt erscheint, in der Auseinandersetzung mit den Texten aber wertvoll ist, um die Bedeutung der Thematik herauszustellen und damit gerade zum Handeln einlädt, wenn nicht sogar auffordert.
Rezension von
Prof. Dr. Armin Schneider
Hochschule Koblenz
Dekan des Fachbereichs Sozialwissenschaften
Direktor des Institutes für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit|Rheinland-Pfalz (IBEB)
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Zitiervorschlag
Armin Schneider. Rezension vom 30.05.2023 zu:
Angelika Gaßmann (Hrsg.): Offboarding. Fach- und Führungskräfte verlassen die Organisation. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb
(Freiburg) 2022.
ISBN 978-3-7841-3350-8.
Reihe: Sozialmanagement.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30390.php, Datum des Zugriffs 05.10.2023.
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