Michaela Huber: Wege der Traumabehandlung
Rezensiert von Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Beushausen, 15.05.2023

Michaela Huber: Wege der Traumabehandlung. Trauma und Traumabehandlung, Teil 2. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2023. 6., überarbeitete Auflage. 456 Seiten. ISBN 978-3-7495-0171-7. D: 45,00 EUR, A: 46,30 EUR.
Thema
Die Autorin berichtet über ihre über 40-jährigen beruflichen Erfahrungen und verknüpft diese mit aktuellen Forschungsergebnissen der Psychotraumatologie. Sie stellt in der überarbeiteten und aktualisierten Auflage ihr Trauma Verständnis und die Behandlungsmethoden vor, die auch komplex traumatisierten Menschen helfen.
Autorin
Prof. Michaela Huber ist Diplom-Psychologin, approbierte Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin in Traumabehandlung, Ihre klinischen Ausbildungen absolvierte sie u.a. in Verhaltenstherapie, Hypnotherapie und EMDR. Sie gründete das Zentrum für Psychotraumatologie Kassel e.V. und ist 1. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Trauma und Dissoziation DGTD und 1. Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft für bedarfsgerechte Nothilfe (BAGbN).
Prof. Manuela Huber arbeitet als niedergelassene Psychotherapeutin in Kassel und in der Fortbildung. Sie veröffentlichte eine Reihe von Büchern zur Traumaproblematik.
Entstehungshintergrund
Das Buch erschien erstmalig 2003 und bereits 2012 in einer 5. Aufl. mit damaligen 395 Seiten. Für die aktualisierte Neuauflage wurde es um ca. 60 Seiten erweitert.
Aufbau
Die Autorin wendet sich mit ihrem Buch an Menschen die Schreckliches erlebt haben, an Psychotherapeut*innen und an Fachkräfte, die im weiten Feld der Psychotraumatologie beruflich tätig sind.
Das Buch schließt an den ersten Band der Autorin (erweiterte Neuauflage 2020) an, in der Prof. Manuela Huber die Entstehung von Traumata und die Problematik der Dissoziation beschreibt, um darzustellen, welche Traumatisierungen besonders schwer zu verarbeiten sind. In den weiteren Kapiteln des ersten Bandes wird die Bedeutung früher Traumatisierungen im Kontext der Bindungsforschung, die Diagnosenerstellung, die Problematik einer möglichen Suizidalität, den Zwang sich selbst zu verletzen und die rituelle Gewalt thematisiert.
Im zweiten Band nimmt die Autorin einige dieser Themen wieder auf. Beginnend mit einer Einführung thematisiert sie mit dem beginnenden neunten Kapitel, wann mit einer Traumatherapie begonnen werden sollte. Das Kapitel zehn thematisiert die Grundhaltungen der Traumaarbeit und das elfte Kapitel eine Geschlechterperspektive. Im zwölften Kapitel werden Unterschiede zwischen der ambulanten und oder einer stationären Traumabehandlung fokussiert, im 13. Kapitel wird erläutert, wieso eine Traumatherapie mit der Stabilisierung und einer Ressourcenaktivierung beginnen sollte. Im 14. Kapitel erörtert die Autorin Täter- Opfer- Spaltungen und im 15. die Traumatherapie mit rituell misshandelten Menschen. Im 16. Kapitel wird diskutiert, wie sich das Trauma-Schema verändern lässt, im 17. wie man lernt mit Flashbacks, Täterintrojekten und heftigen Gefühlszuständen umzugehen. Abschließend erfolgen im 19. Kapitel Anmerkungen zur Psychohygiene, ein Nachwort, ein umfangreiches Literaturverzeichnis, drei Anhänge und ein Indexverzeichnis.
Prof. Manuela Huber folgt in dieser erweiterten Auflage dem früheren Inhaltsverzeichnis, lediglich einige damalige Anhänge wurden gestrichen.
Inhalt
Der zweite Band beginnt mit einer Einleitung zur überarbeiteten Neuauflage und typischen Fragen und Antworten zum zur Thematik der Traumabehandlung. In der Einführung benennt sie einige wichtige Thematiken, wie z.B. das viele traumatisierte Menschen mit der Diagnose Borderline oder einer anderen Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden. Zudem diskutiert sie die Problematik der typischen Spaltungen. Betont wird, dass jede Therapie sich individuell im Kontakt zwischen Klient*in und Therapeut*in neu entwickeln muss.
Im neunten Kapitel erörtert Sie, wann es Zeit für Traumatherapie ist und betont, dass ein hoher Prozentsatz der Traumaarbeit nicht unmittelbare Auseinandersetzung mit den Inhalten des Traumas ist.
Im zehnten Kapitel werden Grundhaltungen der Traumaarbeit erörtert, die sich jeweils mit den folgenden Unterüberschriften kennzeichnen lassen: Mögen wir uns? Wie lange können wir miteinander arbeiten? (Begrenzungen durch Kostenzusagen) Pragmatisches und respektvolles Arbeitsbündnis, die KlientIn ist die ExpertIn ihres Lebens, Subjektivität und Intersubjektivität, Induktion statt Deduktion, die TherapeutIn übt „empathische Abstinenz“, Nicht nur die KlientIn – auch die TherapeutIn verändert sich im Prozess der Traumatherapie, die TherapeutIn als Beziehungsvorbild, die TherapeutIn reflektiert ihr Anderssein, die Asymmetrie der Beziehung, die TherapeutIn denkt ganzheitlich und systemisch, den Zeitpunkt für die Traumaexposition gemeinsam bestimmen, ein HelferInnennetz bilden, ein unterstützendes soziales Netz der KlientIn fördern, die TherapeutIn macht sich nicht zur Komplizin der schlechten Verhältnisse, Selbst- und Fremdgefährdung zum vorrangigen Thema machen und Traumaexposition nur bei ausreichender Stabilität und guter Arbeitsbeziehung.
Sehr wertschätzend wird im Kapitel über das Helfer*innennetz, die Bedeutung einer guten Zusammenarbeit mit den verschiedensten Professionen betont.
Im elften Kapitel wird erörtert, wieso Frauen und Männer verschiedene Therapien benötigen. Ausgeführt wird dies u.a.in einer Erörterung der Geschlechtsunterschiede der jeweiligen Gewalttaten der sexualisierten Gewalt in Familien bei Mädchen und Jungen und Ausführungen über geschlechtsspezifische Ansätze in der Therapie.
Erörtert werden im zwölften Kapitel Indikationen für eine ambulante und/oder stationäre Traumabehandlung. Thematisiert wird unter anderem, ob mit einer ambulanten oder stationären Behandlung begonnen werden soll. Mithilfe einer prognostischen Checkliste für die Schwere einer PTBS kann eine Einschätzung erfolgen. Erneut thematisiert die Autorin im Anschluss die Problematik einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, hier u.a. mit dem Vollbild einer Dissoziativen Identitätsspaltung.
Im 13. Kapitel begründet die Autorin, weshalb Traumatherapie mit einer Stabilisierung und der Ressourcenaktivierung beginnt. Vorgestellt werden auf über 30 Seiten hilfreiche Übungen.
Im 14. Kapitel beschäftigt Prof. Manuela Huber sich mit der Bedeutung von Täter-Opfer-Spaltungen. Betont wird die Bedeutung gesellschaftlicher Strukturen, die Missbrauch begünstigen, um dann die Bedeutung der Dissoziation für das Selbstbild eines Kindes zu erörtern. Hier beschäftigt sich die Autorin erneut mit ihrem besonderen Anliegen, dem Verständnis von vollständigen dissoziativen Identitätsspaltungen (DIS). Dissoziationen werden genutzt, um überwältigend qualvollen Situation zu entgehen und trotzdem eine überlebenswichtige Bindung zu der Bezugsperson herzustellen und aufrechterhalten zu können. Dies sei auch dann zu beobachten, wenn die Kinder die umfangreichen und schädigenden Bedürfnisse der Eltern erfüllen mussten. Dargestellt werden des Weiteren verschiedene Formen der dissoziativen Spaltung mit ihren Opfer-, Beobachter- und täterininfizierten Anteilen und defensive Techniken, um das Trauma nicht zu „merken“ und die Bedeutung täterloyaler Anteile auf dem Hintergrund einer oftmals gezwungenen Komplizenschaft mit dem Täter und typischen Täter-Opfer-Reinszenierungen in der Traumabehandlung.
Das 15. Kapitel trägt den Titel: „Was ist bei der Traumatherapie mit rituell misshandelten Menschen zu beachten?“ und beginnt mit einer Warnung an die Therapeut*in im Hinblick auf die besonderen Belastungen, die die Arbeit mit diesem Personenkreis beinhaltet. Manuela Huber berichtet im Weiteren davon, dass viele Therapeut*innen kein offenes Ohr für das Thema der rituellen Gewalt haben würden. Diesen Anmerkungen schließt sie Hinweise für die Traumatherapeut*in an. Hierzu gehört zum Beispiel auf noch bestehende Täterkontakte, Schweigegebote und eventuell systematischen Terror in Form von „Programmierungen“ zu achten und, dass der Weg eines Aufstieges aus Täterzusammenhängen oftmals sehr komplex ist und sehr lange dauert.
In 16. Kapitel beschäftigen sie sich mit dem Thema einer Veränderung des Trauma-Schemas. Prof. Manuela Huber führt aus, dass insbesondere bei sogenannten frühgestörten Klient*innen der Aufbau einer ausreichend vertrauensvollen Beziehung der Klient*in zur Therapeut*in in der sogenannten Stabilisierungsphase oftmals sehr komplex ist. Stabilisierungsübungen können oftmals nicht durchgeführt werden, da die Klient*in von Krise zu Krise taumeln würde.
Hieran schließen sich im 17. Kapitel Empfehlungen an die Therapeut*innen an, wie mit Flashbacks, Täterintrojekten und anderen heftigen Gefühlszuständen umzugehen ist. Vorgestellt werden Möglichkeiten der Flashback-Kontrolle oder einer Desensibilisierung von problematischen Orten. Möglich sind auch so genannte Amnesieverschreibungen für bestimmte Persönlichkeitsanteile. Ausführlich wird im Anschluss die Bildschirmtechnik vorgestellt und wie mit verschiedenen Persönlichkeitsanteilen, die zum Täter werden können, gearbeitet werden kann. Des Weiteren verweist Prof. Manuela Huber auf die Bedeutung der Bedürfnispyramide von Maslow hin, nach der zunächst die grundlegenden Bedürfnisse erfüllt sein müssen.
Das 18. Kapitel trägt den Titel: „Und nun die Traumadurcharbeitung“, in dem die Autorin die Bedeutung der Bindung in der Therapie betont und Anmerkungen anfügt, welche klassischen Therapiemethoden für die Traumabehandlung geeignet sind und welche nicht. Ausführlich stellt sie im Anschluss die EMDR-Methode und die Traumasynthese mithilfe der Bildschirmtechnik vor.
Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Psychohygiene der Therapeut*innen um eine Mitempfindensmüdigkeit zu verhindern. Es werden schwierige Herausforderungen an die Persönlichkeit der Helfenden, an ihre Integrität, ihre Feinfühligkeit und ihre Abgrenzungsfähigkeit thematisiert. Ein Trauma attackiert für Prof. Huber die Identität der Patient*innen, der Angehörigen und auch der Therapeut*innen. Besonders bedrohlich sind akute Gefährdungen der Klient*innen, Drohungen durch Täter, mangelnde Unterstützung und Entwertung durch Kolleg*innen und Vorgesetzte, eine emotionale Erschöpfung der Helfenden mit einer möglichen sekundären und stellvertretenden Traumatisierung. Zudem können möglicherweise das Ausmaß des Leids und die Schilderung der Qualen der Opfer nicht mehr ertragen werden. Zur Unterstützung stellt Prof. Huber eine Checkliste zur Psychohygiene vor und benennt abschließend eine tiefe Freude beim Erleben eines posttraumatischen Wachstums.
Das Buch schließt mit einem Nachwort, einem umfangreichen Literaturverzeichnis, verschiedenen Anhängen (Checkliste – Stadien der Traumaarbeit, Selbstverletzung: Dem Teufelskreis entkommen, Lauter kreative Ideen – Tipps und Tricks, wenn „nichts mehr geht“ und einem Index.
Diskussion
Traumatherapeut*innen bietet dieses Buch eine herausragende Darstellung der Grundlagen der Behandlung bei komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen und hier insbesondere im Bereich der rituellen Gewalt. Prof. Manuela Huber gibt in diesem Buch als langjährige Praktikerin sehr viele hilfreiche Hinweise, wie eine Behandlung mit schwersttraumatisierten Patient*innen erfolgen kann.
Kritisch ist anzumerken, dass die Autorin die neuen Diagnostikkriterien ICD 11 und des DSM 5 nicht aufgenommen hat.
Interessenten an diesem Buch sollten wissen, dass Prof. Manuela Huber sich im Wesentlichen mit komplex traumatisierten Menschen befasst. Hinweise für die Therapie mit weiteren traumatisierten Personengruppen, wie Kinder Jugendliche, älteren Patient*innen, straffälligen Personen, Menschen mit Behinderungen, traumatisierten geflüchteten Menschen, Mensch mit Suchtproblemen werden nicht erörtert. Bei der Beschreibung der Therapieformen beschränkt die Autorin sich auf die Bildschirmtechnik und das EMDR. Der Einbezug von Angehörigen in die Therapie wird nur am Rande thematisiert. Manchmal habe ich mir mehr Quellenangaben gewünscht.
Fazit
Beeindruckend ist neben der Fachlichkeit das Verständnis und die empathische Zuwendung von Prof. Manuela Huber für die traumatisierten Menschen. Das fundierte und praxisnahe Werk kann Personen, die an Traumabehandlungen interessiert sind, sehr empfohlen werden.
Rezension von
Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Beushausen
studierte Soziale Arbeit und Erziehungswissenschaft und absolvierte Ausbildungen als Familientherapeut und Traumatherapeut und arbeitet ab 2021 als Studiendekan im Masterstudiengang „Psychosoziale Beratung in Sozialer Arbeit“ an der DIPLOMA Hochschule
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Zitiervorschlag
Jürgen Beushausen. Rezension vom 15.05.2023 zu:
Michaela Huber: Wege der Traumabehandlung. Trauma und Traumabehandlung, Teil 2. Junfermann Verlag GmbH
(Paderborn) 2023. 6., überarbeitete Auflage.
ISBN 978-3-7495-0171-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30407.php, Datum des Zugriffs 11.06.2023.
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