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Andrea Schwiebert: Kluge Köpfe lieben anders

Rezensiert von Prof. Dr. habil. Gisela Thiele, 26.12.2023

Cover Andrea Schwiebert: Kluge Köpfe lieben anders ISBN 978-3-7495-0400-8

Andrea Schwiebert: Kluge Köpfe lieben anders. Wie Hochbegabten die Liebe gelingt. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2023. 336 Seiten. ISBN 978-3-7495-0400-8. D: 30,00 EUR, A: 30,90 EUR.

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Thema

Wie gelingt Hochbegabten die Liebe, und zwar die Liebe zu sich selbst, zu (einem) anderen Menschen und zum Leben allgemein? Aufgrund ihrer vielen Gedanken, intensiven Gefühle und hohen Ansprüche wird die Liebe für Hochbegabte oft zu einer großen Herausforderung. Selbstzweifel, Perfektionismus und die Erfahrung, in den Augen anderer „falsch“ zu sein, erschweren ihnen häufig der „Erfolg einer gesunden Selbstliebe“. Einen geliebten Menschen auf Augenhöhe zu begegnen fällt ihnen oft schwer, sodass ihnen eine stimmige Balance aus Nähe und Autonomie nicht so leicht gelingt. Auch die „Lebensliebe“ wird bei vielen Hochbegabten immer wieder durch Sinnkrisen und Depressionen erschüttert. Dabei sind sie zugleich oft zu tiefer Liebe und intensivem Glücksempfinden fähig.

Andrea Schwiebert ermutigt hochbegabte Menschen dazu, auch in der Liebe im Einklang mit sich selbst zu leben und individuelle Wege zu gelingender Kommunikation und zu mehr Verbundenheit mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit dem Leben zu entdecken, die häufig außerhalb der Norm zu finden sind.

Autorin

Herausgeberin ist Andrea Schwiebert, ist Systemische Beraterin und Sozialtherapeutin und berät und coacht Menschen auf der Suche nach ihrer Berufung, darunter viele hochbegabte Erwachsene.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist neben einer Einleitung in drei Teile mit unterschiedlichen Kapiteln untergliedert. In der „Einleitung“ wird herausgearbeitet, dass Hochbegabte andere Erfahrungen mit sich und der Welt machen, sodass sie auch in der Liebe vor besonderen Herausforderungen stünden und deshalb anders lieben. Oft kennen sie die Erfahrung, sich inmitten von Menschen einsam zu fühlen. Um das Thema Hochbegabte etwas zu strukturieren, schlägt die Autorin eine Dreiteilung vor: „Selbstliebe“, „liebevolle Beziehungen“ und „Lebensliebe“.

Kapitel eins ist mit dem Titel überschrieben „Verständnis von Hochbegabung und Liebe in diesem Buch“. Hochbegabte hätten von allem mehr: mehr denken, mehr fühlen, mehr wahrnehmen. Es seien Menschen, die in verschiedenen Bereichen eine stark überdurchschnittliche Lernfähigkeit, Verknüpfungsfähigkeit, kreative Lösungsfindung, Eigenständigkeit, Tiefe und Intensität im Denken und in der Wahrnehmung aufwiesen. Unter Selbstliebe würde man ein freundliches Zu-sich-selbst-Stehen und Mit-sich-selbst-auf-dem-Weg-Sein verstehen. Liebe in zwischenmenschlichen Beziehungen drehten sich um den Wunsch, gesehen zu werden, angenommen zu sein, Gefühle miteinander teilen zu können, nicht allein zu sein. Lebensliebe sei dagegen, mit dem Leben zufrieden zu sein, neugierig zu bleiben, sich an Begegnungen zu erfreuen, glückliche Momente erleben zu können, Krisen mutig zu bewältigen, Lust auf die Gestaltung des eigenen Lebens zu haben.

Teil I „Selbstliebe“ enthält ein zweites Kapitel „Ohne Selbstliebe ist alles nichts“. Hochbegabte würden regelmäßig zu Selbstzweifeln und zu harter Kritik tendieren.

Das Bedürfnis nach Bestätigung, nach Spiegelung sei normal, geht es doch darum gesehen zu werden und trotzdem an mir zweifele. Auch diese bedürftigen Seien könne man annehmen. Wenn ich diese nicht verurteile und wegschiebe, könne ich daneben auch meine starken, autonomen Seiten wahrnehmen. Leichte, inspirierende Beziehungen und Kontakte zu anderen Menschen und die dadurch erfahrene Spiegelung seien ein menschliches Grundbedürfnis, sodass es gut sei, diese im eigenen Leben erfüllt zu wissen. Wer andere wohlwollend betrachtet, habe größere Chancen von diesen ebenfalls wohlwollender gesehen zu werden.

Im dritten Kapitel wird der Schwerpunkt beleuchtet „Leistungsorientierung und unrealistische Erwartungen an sich selbst“. Hochbegabte seien in irgendeine Weise wohl immer mit der Frage konfrontiert, wie sehr sie sich über Leistung definieren und welche Rolle die Anerkennung für gute Leistungen für ihre Selbstliebe spiele. Leider würden herausragende Leistungen oft mit Neid und Konkurrenz betrachtet. Hochbegabte spürten die Erwartung und verinnerlichen diese. Doch die Umwelt reagiert irritiert oder deutlich ablehnend und versteht nicht, weshalb die betreffende Person so viele Aspekte in ihre Arbeit einbeziehe, Dinge so kritisch prüft, alternative Lösungswege vorschlägt, statt einen bequemeren Weg zu gehen. Hochbegabte bezögen ihr Leistungsdenken nicht nur auf bestimmte Fähigkeiten und messbare Erfolge, sondern auch auf ihre gesamte Persönlichkeit: Sie gönnen sich kaum Schwächen und Unzulänglichkeiten. Sie würden kaum lernen, dass auch Nichtstun und Muße ihren Raum haben dürfen, sodass sie oft ihre Grenzen überschreiten würden.

„Ersatzerklärungen und Scham bei (unerkannter) Hochbegabung“ ist dem vierten Kapitel vorbehalten. Hochbegabte Mädchen und Frauen fänden für sich oft Ersatzerklärungen, um zu verstehen, weshalb sie Zurückweisung erleben. Denn sie sollen erstens hübsch, zweitens sozialverträglich und drittens am besten nicht intelligenter sein als ein männliches Gegenüber. Sie sollen aber auch stark und souverän sein, aber auch verletzlich und sensibel. Hochbegabung wird bei Jungen häufiger diagnostiziert als bei Mädchen, aber erstere werden eher auffällig, stören z.B. den Schulunterricht, während sich Mädchen eher anpassen. Frauen laufen Gefahr, explizit und subtil in ihre Grenzen verwiesen zu werden, wenn sie zu klug, selbstbewusst und unabhängig auftreten. Letztere würden auch oft als Streberinnen ausgelacht, wenn ihre Intelligenz und ihr Wissensvorsprung in der Schule deutlich werden.

Teil II befasst sich mit der Thematik „Liebevolle Beziehungen“ und beginnt mit Kapitel fünf „Verbundenheit finden und Liebe leben: platonische Beziehungen“. In diesem Buchteil geht es um liebevolle Beziehungen in all ihren Formen. Hochbegabte seien meist herzensgut genug, um zu wissen, was eine gewachsene liebevolle Beziehung auszeichnet, einander auch mit Fehlern und Unterschieden wohlwollend zu betrachten. Sie empfänden angenehme Gefühle wie Liebe und Begeisterung, aber auch belastende wie unerfüllte Sehnsucht, Angst, Traurigkeit oder Wut außergewöhnlich intensiv und seien leichter überwältigt von ihren Emotionen. Viele von ihnen meinen, sie seien die Tankstelle, die Zapfsäule für andere, aber sie selbst könnten ihren Tank nie füllen. Irgendwann käme der Punkt, an dem sie es vermissen, selbst herausgefordert und beflügelt zu werden durch das Input anderer. Wenn wir uns für Menschen, die uns sympathisch sind, wirklich interessieren, wenn wir andere wirklich sehen und wir auch den Mut haben, uns selbst mehr und mehr zu zeigen, kann überhaupt erst eine echte Beziehung stattfinden und wird es möglich sein, miteinander Resonanz zu geben und dieses freudig wahrzunehmen. Hochbegabte haben einerseits ein wunderbares Repertoire an Fähigkeiten, um anderen Menschen nah zu sein und eine gelungene Kommunikation zu erleben. Zugleich ist es ein ständiger Balanceakt, sich als hochbegabter Mensch nicht selbst zu verleugnen.

Kapitel sechs ist dem Thema „Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Partner:innensuche für Hochbegabte“. In ihren Freundschaften und erst recht in Liebesbeziehungen wünschen Hochbegabte, sich nicht bremsen und anpassen zu müssen, sondern so schnell und wach, unkonventionell, komplex und sensibel sein zu dürfen, wie sie tatsächlich sind. Sie wünschen sich, diesen inneren Reichtum mit einem geliebten Menschen teilen zu können, also hier Resonanz, Verbindlichkeit und Sinnlichkeit zu erleben. Hochbegabte Frauen hätten gut Gründe, ihnen intellektuell ebenbürtige oder sogar überlegene Männer zu suchen.

Die „Gefühlsintensität und Komplexität im Beziehungsalltag Hochbegabter“ ist Kapitel sieben gewidmet. Viele Hochbegabte hätten eine große Sehnsucht nach möglichen intensiven Gefühlen: sie tun sich schwer mit allzu viel Routine und Wiederholung, das beträfe auch ihr Beziehungsleben. Sensationsseeking sei nichts Schlechtes, wenn beide Partner das Potenzial haben, sich einzeln und miteinander weiterzuentwickeln und einander auch immer wieder zu überraschen und zu inspirieren.

„Vielschichtigkeit und Gegensätzlichkeit: Leben und Lieben in Spannungsfeldern“ ist das Thema von Kapitel acht. Viele Hochbegabte scheinen in ihren Partnerschaften aktive, treibende, sich kümmernde Rollen zu übernehmen. Durch ihre Fähigkeit zur Lösungsfindung, ihre Schnelligkeit und ihr Organisationstalent, nehmen sie gern Einfluss auf das Geschehen und werden oft in einer aktiven Rolle angefragt. Sie aber wünschen sich, dass in ihrer Partnerschaft gleichberechtigte Beziehungen mit flexiblen Rollen möglich sind. Es könnte eine lohnenswerte Aufgabe für Hochbegabte sein, etwas Verantwortung abzugeben, zu akzeptieren, dass andere Menschen die Aufgaben anders meistern und dass es nicht ihre Aufgabe ist, alles immer unter Kontrolle zu haben. Sie wollen, trotz Liebe zum Partner, eigenwillig bleiben. Viele gehen selbst in mehr Distanz, geben es auf eine innige Beziehung einzugehen, leben ihre Sehnsüchte außerhalb aus und verlieren dabei ihre Verbindung zum Gegenüber. Sowohl Nähe als auch Distanz gehören zur Liebe, es gehe eher um eine gute Balance oder Koexistenz beider Extreme. Beide Partner brauchen das Gefühl, ein eigenes Leben zu führen und sich einander auch immer wieder Unterschiede und Entwicklungen zuzumuten und dadurch ihre Partnerschaft lebendig zu gestalten. Bei einer grundsätzlich guten Passung haben Hochbegabte gute Chancen, eine langfristig lebendige und auch leidenschaftliche Beziehung zu erleben, sofern sie es schaffen, in einem guten Kontakt mit sich selbst zu bleiben und sich ständig weiterzuentwickeln.

Es folgt Teil III „Lebensliebe“ und dieser wird mit Kapitel zehn „Lebensliebe und Risikofaktoren für Depressionen bei Hochbegabten“ eingeleitet. Hochbegabte lassen sich schnell, besonders leicht und tiefgehend. Man spricht hier von oder Englisch „excitability“. Ihre emotionale Intensität und Hochsensibilität machen es schwer, sich innerlich zu schützen, und führen oft zu psychosomatischen Reaktionen und es zeige sich auch ein erhöhtes Energielevel, das oft auch mit erhöhten Depressionen einhergehe, die teilweise mit stoffgebunden und stoffungebunden Süchten verbunden seien.

Es folgen Ausführungen in Kapitel elf zum Thema „Overexcitabiliti, Stress, und gesundheitliche Einschränkungen“. Es wird hier von Übererregbarkeit gesprochen, weil der Geist Hochbegabter ständig aktiv sei, ihr Vorstellungsvermögen kennt kaum Grenzen, sodass mit psychosomatischen Reaktionen zu rechnen sei. Wichtig ist es, die eigene Resilienz zu stärken. Menschen mit hohen intellektuellen Kapazitäten wiesen eine Übererregbarkeit in verschiedenen Bereichen auf, die ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen als auch körperlicher Beschwerden sowie erhöhte sensorische und veränderte immunologische Reaktionen einschließen. Erkrankte leiden unter Beschwerden, noch dazu kreiden sie sich diese oft bewusst oder unbewusst als eigenes Versagen an. Sie müssen begreifen, dass sie sich nicht hilflos den Gedankenkreisen ausliefern dürfen, sondern sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass die Gefühle kommen dürfen und ich diese auch wieder ziehen lassen kann.

Mit der „Sinnsuche“ setzt sich Kapitel zwölf auseinander. Hochbegabte seien besonders tief fühlende Menschen, die voller Sorge auf die Welt blicken, deshalb oft überlegten, ob sie Kinder in die Welt setzen möchten und ihre Verzweiflung ginge manchmal so weit, dass die Lebensliebe schwinde. Es gehe darum, nichts zu ignorieren, nicht wegzuschauen, den Blick aber auch dorthin zu wenden, wo Glück, Sinn und Liebe seien.

„Nicht ausgelebte Energie raubt Lebensliebe“ heißt es in Kapitel dreizehn. Für größere Projekte sei es wichtig, sie dürfen bisher nicht alles darüber wissen und dürfen nicht ganz abgeklärt sein, denn sonst würde die Arbeit zu langweilig werden.

Das letzte Kapitel fünfzehn schließt mit Bemerkungen zum Thema „Mit Begleitung oder aus eigener Kraft: Psychotherapie und Selbsttherapie für Hochbegabte“ ab.

Gar nicht selten werde die Hochbegabung von Therapeuten als Überheblichkeit oder als Wichtigtuerei bzw. Selbstverliebtheit fehlgeleitet, wodurch sich diese nicht nur unverstanden, sondern sogar noch zusätzlich verletzt fühlten. Die von Hochbegabten sonst oft belastende Tendenz zur Selbstkritik könne für die Selbsttherapie eine Ressource ein, wenn sie dazu befähigt, aus Fehlern zu lernen und sich weiterzuentwickeln.

Diskussion

Mit dieser Publikation wird ein bisher in der psychologischen Literatur selten aufgegriffenes Thema näher beleuchtet, das der Hochbegabung. Zu weilen hatte ich den Eindruck, dass vieles überhöht und immer wiederholt wurde, was die Besonderheit Hochbegabter sein sollte, sie hätten zu viele Gefühle, eine erhöhte Sensibilität, zu viele Gedanken, sie letztendlich bei Nichterfüllung auch noch zermürbten. Mir scheint da vieles doppelt dargestellt worden zu sein, was schließlich zum Leseverdruss führen könnte.

Fazit

Dennoch ist diese Lektüre zu empfehlen und vielleicht erkennt der eine oder andere selbst eine Hochbegabung bei sich und kann sich entsprechend zu verhalten. Sehr interessant sind die ständigen Zwischenbekenntnisse der Interviewpartner zu den Bemerkungen, die viele praktische Anregungen vermitteln und helfen können, eine eigene Hochbegabung zu diagnostizieren.

Rezension von
Prof. Dr. habil. Gisela Thiele
Hochschule Zittau/Görlitz (FH)
Berufungsgebiete Soziologie, Empirische Sozialforschung und Gerontologie
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Es gibt 205 Rezensionen von Gisela Thiele.

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ISSN 2190-9245