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Johann-Friedrich Weber, Eva Istas: Beratung in Bewegung

Rezensiert von Prof.in Dr.in Daniela Cornelia Stix, 25.05.2023

Cover Johann-Friedrich Weber, Eva Istas: Beratung in Bewegung ISBN 978-3-608-89282-6

Johann-Friedrich Weber, Eva Istas: Beratung in Bewegung. Praxisbuch für Coaching und Therapie in der Natur. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2022. 269 Seiten. ISBN 978-3-608-89282-6. D: 30,00 EUR, A: 30,90 EUR.
Reihe: Leben lernen - 337. Leben lernen. .

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Thema

Mit dem Buch liefern Autorin und Autor ein lange überfälliges Einstiegswerk zum Thema Coaching und Psychotherapie bei Bewegung in der Natur ab. Es besticht durch sowohl theoretische Fundierung als auch Praxisnähe.

Der Klappentext verspricht nicht zu viel: „Neben theoretischen Grundlagen bietet das Buch konkrete Handreichungen, um außerhalb des gewohnten Settings erfolgreich zu arbeiten. Im praktischen Teil erwartet die LeserInnen eine reiche Auswahl an gut erprobten Coaching-Exkursionen mit konkreten Vorschlägen für Gedanken am Wasser, im Wald und auf Wiesen. Zum Gelingen von Beratungs-Spaziergängen trägt auch das abschließende Kapitel bei, welches rechtliche und planerische Gesichtspunkte für die Exkursion mit Einzelnen, Paaren und Gruppen erläutert.“

Autor und Autorin

Johann-Friedrich Weber ist als Coach, Teamcoach und psychologischer Berater in eigener Praxis in Stuttgart tätig. Er arbeitet mit seinen Klientinnen fast ausschließlich im Freien.

Eva Istas arbeitet als Mentorin, Trauma- und Heilpädagogin in eigener Praxis in der Städteregion Aachen. Ihre Beratungen für Einzelne, Paare und Gruppen finden überwiegend in der Natur statt.

Aufbau & Inhalt

In einer knappen Einleitung legen Autorin und Autor dar, was sie dazu bewog, die Natur als „erweiterten Praxisraum“ und als „Werkstatt und Werkzeugkasten“ (S. 8) für Ihre Arbeit zu nutzen und welches Menschenbild ihrem beraterischen Handeln zugrunde liegt. Zugleich werden die Lesenden angeregt, sich selbst diese Frage nach dem Menschenbild zu beantworten.

Des Weiteren stellen Weber und Istas den Lesenden in Form eines assoziativen Wortspiels zum Begriff Bewegung in Aussicht, dass es in dem Buch „ums Anstoßen, Aufbrechen, Ausbrechen, In-die-Gänge-Kommen, Loslassen, Erkennen und Zupacken geht; in dem es aber auch ums Gehen und Suchen, Untersuchen und Finden geht, ums Entdecken, Angehen und Lösen von Problemen, ums Aufgehen in Aufgaben, ums Hinausgehen aus vermeintlichen oder tatsächlichen Gefängnissen, ums Zurückblicken, Umherblicken und Vorausblicken, ums Innehalten, Weitergehen und Vorankommen“ (S. 10) gehen wird.

Ebenfalls mit dem Begriff der Bewegung spielend wird der Aufbau des Buches als „vor uns liegender Weg“ (S. 11) bezeichnet.

Am Ende der Einleitung wird auf die Webseite www.bifn.de verwiesen, auf der die Lesenden ergänzende Materialien, Literatur und die Anmeldemöglichkeit zu einem Newsletter finden können.

 

1 Coaching, Therapie und ‚bewegende Gespräche‘ (ab S. 13)

 

Im ersten Kapitel wird in klassischer Manier zunächst der Beratungsbegriff definiert. Anschließend folgt im Wesentlichen ein sehr persönlicher Teil, in dem Autorin und Autor ihre biografischen und ihre beruflichen Erfahrungen mit Bewegung bzw. mit Natur darlegen. Die Lesenden erhalten dadurch einen narrativen Einblick in die Motivation von Istas und Weber sowie in die Potenziale, die Bewegung und Natur für Therapie und Coaching bergen.

Das Kapitel enthält an verschiedenen Stellen Fragen, die die Lesenden dabei unterstützen, sich dem Thema zu nähern und zu reflektieren, welche Erwartungen an das Buch bzw. an Beratung in Bewegung und Natur vorliegen.

Mit jeweils rund 100 Seiten stellen die beiden nächsten Kapitel ‚2 Bewegung und freie Natur, ein guter Rahmen für Therapie und Coaching‘ und ‚3 Methodenbuffet‘ den Kern des Buchs dar.

2 Bewegung und freie Natur, ein guter Rahmen für Therapie und Coaching (ab S. 43)

In diesem Kapitel stellen Autorin und Autor Theorien und empirische Studienergebnisse vor, die die positiven physischen und psychischen Auswirkungen von Bewegung untersucht haben. Daran anschließend werden wissenschaftlicher Erkenntnisse zu den psychischen und physischen Auswirkungen von Natur (-aufenthalten, -aufnahmen oder -geräuschen) zusammengefasst. Da die Studienlage zu den Themen Natur und Bewegung insgesamt noch recht dünn ist, ziehen Autorin und Autor immer wieder eigene Erfahrungen heran, um die Studienergebnisse narrativ zu untermauern und somit den Lesenden zu veranschaulichen.

Exemplarisch soll an dieser Stelle der Abschnitt 2.1.2 zusammengefasst werden, um einen Einblick zu geben: Die Frage, wie sich körperliche Bewegung aus das Denken auswirkt, steht im Zentrum des Abschnitts. Zunächst werden in einer narrativen Einleitung Situationen dargelegt, bei denen sich Gedanken festgefahren haben oder sich für einfache Probleme keine Lösungsansätze zeigen wollten, weil die Gedanken durcheinander tanzten (S. 55). Autorin und Autor nähern sich der eingangs formulierten Fragestellung im Weiteren, indem sie für die Aspekte „kreatives Denken“, „Erinnerungsarbeit“ und „Merkfähigkeit“ nun Studien vorstellen.

Hinsichtlich des kreativen Denkens führen sie drei Studien an, die einen positiven Zusammenhang von Kreativität und Gehen belegen. Wobei die Bewegung in den untersuchten Fällen nicht zwangsweise in der Natur stattfand, sondern unter sprichwörtlichen Laborbedingungen auf dem Laufband. Erklärt werden die positiven Zusammenhänge zwischen Kreativität und Gehen mit dem angeregten Blutkreislauf und biochemischen Prozessen, die dazu führen, dass das subjektive Stressempfinden reduziert wahrgenommen wird. Des Weiteren wird die Hypothese des so genannten Arbeits-Mindsets (Opezzo/​Schwartz 2014) vorgestellt, die zu erklären versucht, warum man im Gehen anders denkt als im Sitzen: „Mit anderen Worten und kurzgefasst: Im Gehen wird das übliche Gedanken-Navi, das uns auf direktem Kurs zum Ziel leitet, gestört. So gelangen wir auf neue Denkwege und lernen neue Gebiete kennen“ (S. 60). Erklärt wird dies zum einem mit einer Befreiung, da die Gedanken beim Gehen nicht mehr den Kontrollmechanismen des Arbeits-Mindsets unterlägen. Zum anderen gebe das Gehen einen Rhythmus und eine Struktur vor. Gehen sei somit eine günstige Voraussetzung dafür, dass auch die Gedanken nicht kreisten, sondern voranschritten.

Die Erinnerungsarbeit, basiere auf dem Vorherigen, denn auch hier gehe es um ein Denken, allerdings in Form eines (Wieder-)Entdeckens und einer emotionalen Neubewertung von Erinnerungen. Insbesondere das Wiederentdecken von schmerzlichen Erinnerungen, ließe sich aufgrund des regulierenden Einflusses von körperlicher Bewegung auf den Stresshormonhaushalt, besser verarbeiten und umwandeln. Zusätzlich werde ein schweigendes Erinnern im Sitzen schneller als belastend und lähmend empfunden, berichten Weber und Istas aus ihrer Praxis. Gehen dagegen würde einen natürlichen Rhythmus vorgeben und das Zeitgefühl ändern, sodass ruhige Denkzeiten im Gehen eher harmonisch wirkten.

Die Merkfähigkeit, so Autorin und Autorsei insofern bedeutsam, als dass die Klient:innen ihre:seine in der Beratung gewonnen Erkenntnisse und Impulse optimalerweise mit nach Hause nähmen, um weiter an ihnen arbeiten zu können. Wie gut dies gelinge werde jedoch von der Aufnahmekapazität, die wiederum von Wachheit und Aufnahmebereitschaft abhängig sei, beeinflusst. Da bereits langsames Gehen die Herzfrequenz ansteigen lässt, was das Gehirn besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, trage dies wesentlich zur Wachheit und Aufnahmekapazität bei. Um dies zu belegen werden Studien von Kahnemann 1973 und Sales et al. 2011 angeführt und vorgestellt. Autorin und Autor kommentieren diesen Abschnitt abschließend mit ihrer eigenen Erfahrung, derzufolge auch die Gesprächsnotizen, die die Beratenden im Anschluss anfertigen, detailreicher seien.

3 Methodenbuffet (ab S. 134)

Die Vorstellung von Methoden für Coaching und Beratung in der Natur sind das zweite Kernelement des vorliegenden Buches. Die Darstellung der Methoden folgt einem bestimmten Aufbau: Zunächst werden Zeit, Materialien, Warnhinweise und Bedingungen bzgl. der Natur und bzgl. der Personenkonstellation tabellarisch aufgelistet. Anschließend wird beschrieben, zu welchen Anlässen sich die Methode anbietet. Vor der sehr ausführlich in kleinen Schritten vorgestellten Anleitung, gibt es noch wichtige Vorbemerkungen. Nach der Anleitung folgt in den Abschnitten „Wie es wirkt und warum es hilft“ und „Natur und Bewegung“ eine Einordnung in die im 2. Kapitel vorgestellten theoretischen und empirischen Ausführungen. Dem folgt eine Schilderung von Varianten der Methode. Jede Methodenbeschreibung schließt mit einem Fallbeispiel.

Exemplarisch werden im Folgenden zwei Methoden aus dem Buch von Weber und Istas vorgestellt, wobei der Fokus nicht auf dem methodischen Vorgehen, sondern auf der Einordnung in Theorie und Empirie liegen wird.

In 3.12 Der Wut Raum geben werden die Klient:innen angeleitet ihren Emotionen (nicht unbedingt nur Wut) nachzuspüren, diese zu steigern, dann auszusprechen/​auszuagieren (im Fallbeispiel wirft die Klientin sehr schwere – später immer kleiner werdende – Äste einen Abhang hinunter) und abschließend zu reflektieren. Istas und Weber beschreiben die Wirkung als eine kontrollierte Explosion, die den Klient:innen deutlich mache, wie viel Energie das Unterdrücken von Emotionen bindet. Die Klient:innen erführen es als befreiend, den inneren Druck abbauen zu können. Eine weitere Erkenntnis der Klient:innen sei, dass diese im Weiteren einen Zugang gefunden hätten, ihre Emotionen konstruktiv ausagieren zu können. Die Natur böte für diese Methode einerseits vielfältige Materialien, andererseits eine Gelegenheit jenseits von zeitlichen und sozialen Kontexten, sodass man keine Angst vor der freigesetzten Energie und deren Folgen haben müsse. Nach dem Druckabbau stellten die Klient:innen außerdem nicht selten fest, so Istas und Weber, dass ihre Sorgen, angesichts der Größe der sie umgebenden Natur relativ klein seien. Woraufhin sie mit offenem Blick und Mindset neue Gedanken und Schritte wagten.

Bei der Methode 3.13. Innere Kraftquellen geht es darum beim Gehen zu reflektieren, welche schwierigen Lebensumstände bereits erfolgreich gemeistert wurden und sich zu vergegenwärtigen, welche Kraftquellen hierbei zur Verfügung standen. Durch das Sammeln eines Naturgegenstands pro Kraftquelle würde den Klient:innen deutlich werden, dass sie in der Vergangenheit bereits eine Vielzahl an Herausforderungen erfolgreich gemeistert haben (förderlich für Selbstbestätigung und Selbstbewusstsein) sowie, dass ihnen eine Vielzahl an Ressourcen zur Verfügung stünden, auf die sie bei weiteren schwierigen Lebenssituationen zurückgreifen oder sich daran erinnern könnten. Im Gegensatz zum ablenkungsreichen Alltag böte sich in der Natur der Freiraum, sich auf die eigenen Kraftquellen zu besinnen. Das Gehen rege die Erinnerungsarbeit an und führe dazu dass auch kleinsten Kraftquellen in der Natur besser nachgegangen werden könne, was wiederum dazu beitrage, dass sich das psychische Potenzial der Klient:innen nicht mehr so schnell erschöpfe.

 

Den Abschluss bildet das Kapitel 4 Häufig gestellte Fragen (ab S. 251). In diesem Kapitel wollen Weber und Istas die letzten Bedenken und Skepsis im Hinblick auf organisatorische Fragen aus dem Weg räumen. Sie schildern ihren Umgang mit schlechtem Wetter und Dunkelheit und was sie empfehlen zu einer Beratung in der Natur mitzunehmen. Ebenso erklären sie welche Naturräume geeignet sind und was im öffentlichen Raum zu beachten ist. Die letzten beiden Fragen geben einen Hinweis darauf, ob man als Berater:in überhaupt nach draußen gehen darf und ob eine Versicherung nötig ist. Denn aus Sicht der Psychotherapeutenkammern und Krankenkassen sollten psychotherapeutische Behandlungen in Praxisräumen stattfinden. Weber und Istas empfehlen hinsichtlich der obigen Fragen die jeweilige Kammer und die Berufshaftpflichtversicherung zu kontaktieren, da die Regelungen sehr unterschiedlich seien und Beratung außerhalb von Praxisräumen noch zu wenig bekannt sei (aber unbedingt bekannter werden müsse).

Diskussion

Meines Erachtens ist ein derartiges Buch längst überfällig gewesen. Es enthält eine gut ausgewogene Zusammenstellung von Empirie und Methoden. Die Aufbereitung der empirischen Ergebnisse ist aufgrund der narrativen Anteile sehr angenehm lesbar, wenngleich die Trennung von Empirie und eigenen Erfahrungen nicht immer ganz deutlich war und hier vielleicht bei einer Folgeauflage nachgeschärft werden könnte. Auch die Methoden werden gut nachvollziehbar beschrieben. Für die Einordnung der Wirkungsweise der Methoden in die Forschungserkenntnisse wäre es hilfreich, diese expliziter zu benennen und als Belege anzugeben.

Perspektivisch wäre es meines Erachtens durchaus denkbar, das Buch in zwei Bänden zu publizieren: Theoretische und empirische Grundlagen (sobald die Forschungslandkarte diesbezüglich weniger weiße Flecken aufweist) sowie einen zweiten Band zu Methoden der Beratung in der Natur (hier gibt es m.E. viele Methoden aus der Natur- und Erlebnispädagogik, die nur darauf warten für Beratungs- und Coachingkontexte adaptiert zu werden, z.B. der Turmbau).

Gewiss ließen sich auch im 4. Kapitel noch einige weitere Fragen, die für die Praxis relevant sind, aufgreifen und beantworten (z.B. 1.-Hilfe-Ausbildung, Reaktionsweise bei plötzlichem Gewitter etc.). Aber mit den sieben in diesem Buch formulierten Fragen, wurden sicherlich die häufigsten und dringendsten Fragen beantwortet.

Fazit

Selten konnte ich ein Buch mit solcher Innigkeit und Nachdruck empfehlen. Für Menschen, die sich über die Potenziale von Natur und Bewegung auf Beratungskontexte informieren möchten, ist das Buch der optimale Einstieg. Spezifisches Vorwissen zu Natur und Bewegung ist nicht erforderlich, jedoch sollte eine Auseinandersetzung mit Coaching, psychotherapeutischer Beratung oder sozialarbeiterischer-psychosozialer Beratung bereits stattgefunden haben, um die wertvollen Hinweise, die Weber und Istas in ihrem Werk geben, besser einordnen zu können.

Rezension von
Prof.in Dr.in Daniela Cornelia Stix
ist Dipl.-Sozialpädagogin/-arbeiterin (FH) und Medienwissenschaftlerin (M.A.) und als Professorin für Soziale Arbeit an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen die Themen Digitalität und Digitalisierung der Sozialen Arbeit, Natur- und Erlebnispädagogik sowie die Kinder- und Jugendarbeit.
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ORCID: https://orcid.org/0000-0001-9211-7748

Es gibt 21 Rezensionen von Daniela Cornelia Stix.

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ISSN 2190-9245