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Johann-Friedrich Huffmann, Ludger Pesch et al. (Hrsg.): Gelingende Partizipation

Rezensiert von Prof. Dr. Manfred Liebel, 27.10.2023

Cover Johann-Friedrich Huffmann, Ludger Pesch et al. (Hrsg.): Gelingende Partizipation ISBN 978-3-95414-187-6

Johann-Friedrich Huffmann, Ludger Pesch, Armin Scheffler (Hrsg.): Gelingende Partizipation. Ein Praxisbuch zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Debus Pädagogik Verlag (Schwalbach/Ts.) 2022. 298 Seiten. ISBN 978-3-95414-187-6. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR.

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Thema

Die Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist spätestens seit der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention vor nunmehr 34 Jahren ein vieldiskutiertes Thema. In Deutschland wie in anderen Ländern entstanden zahlreiche Initiativen, die sich für eine stärkere Präsenz und Mitwirkung junger Menschen im gesellschaftlichen und politischen Leben einsetzten. Ein Beispiel sind Kinder- und Jugendparlamente, ein anderes Medienprojekte, in denen Kinder und Jugendliche eine Stimme bekamen. Auch in pädagogischen Einrichtungen, namentlich in Kindertagesstätten, wurde die Beteiligung der Kinder vorangebracht. In verschiedenen Gesetzen wurden Paragrafen eingefügt, die Kindern und Jugendlichen erleichtern sollten, sich gegen die Verletzung ihrer Rechte zu wehren. Viele junge Menschen selbst haben in den letzten Jahrzehnten darauf gedrängt, dass ihre Interessen und diejenigen künftiger Generationen in der Politik stärker beachtet werden.

In der Debatte um Kinder- und Jugendpartizipation gibt es Kontroversen darüber, wie die Mitwirkung junger Menschen am besten vorangebracht werden kann. Es wird kritisiert, dass viele Partizipationsprojekte nach den Maßgaben der Erwachsenen konzipiert werden und auf einer symbolischen Ebene bleiben. Partizipation soll nicht als eine Art Entgegenkommen der Erwachsenen, sondern als ein Recht der Kinder und Jugendlichen verstanden werden. Sie soll sich nicht auf sogenannten Kinderangelegenheiten beschränken, sondern alle Bereiche umfassen, in denen junge Menschen von Entscheidungen direkt oder indirekt betroffen sind. Die Diskussion um die Formen und die Reichweite der Partizipation von Kindern und Jugendlichen hat sich seitdem auch in zahlreichen Publikationen niedergeschlagen, manche eher theorieorientiert, andere eher auf die Praxis ausgerichtet. Das hier zu rezensierende Praxishandbuch hat den Anspruch, Theorie und Praxis zu verbinden.

Entstehungshintergrund und Herausgeber

Das Buch ist aus einem Fachtag hervorgegangen, der im Frühjahr 2020 im Berliner Pestalozzi-Fröbel-Haus stattfand. An dieser Veranstaltung hatten sowohl Fachkräfte und ehrenamtlich tätige Erwachsene als auch Kinder und Jugendliche teilgenommen.

Die Herausgeber haben die Beiträge des Fachtages zusammengetragen und durch weitere Berichte aus der Praxis ergänzt. Die Herausgeber verstehen sich als Vertreter der sog. Demokratiepädagogik.

Johann-Friedrich Huffmann ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe), war als Jurist und Geschäftsführer in mehreren Verlagen tätig und hat als „Coach“ an Seminaren für Führungskräfte mitgewirkt.

 Ludger Pesch war Professor für Kindheitspädagogik sowie Leiter einer Kindertagesstätte und ist aktuell Direktor des Pestalozzi-Fröbel-Hauses. Armin Scheffler arbeitet freiberuflich als Trainer und Moderator in verschiedenen Bereichen der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und gehört aktuell dem Vorstand der DeGeDe in Berlin und Brandenburg an.

Inhalt und Aufbau

Der Band ist in vier Teile gegliedert.

In Teil 1 werden wissenschaftliche Hintergründe und Herausforderungen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen dargestellt. Das Spektrum der Beiträge reicht von der Frage, was unter Beteiligung von Kindern zu verstehen ist, wie demokratische Fähigkeiten und Überzeugungen gefördert werden können, wie die ungleiche Macht in pädagogischen Beziehungen zu reflektieren ist, wie mit den Diskriminierungserfahrungen junger Menschen umgegangen werden kann, wie die Beteiligung von Eltern zu gestalten ist, welche Bedeutung der autobiografischen Reflexion in der Ausbildung für soziale Berufe zukommt bis hin zu einer Bestandsaufnahme von Literatur zu den Rahmenbedingungen und Wirkungen von Partizipation.

In Teil 2 werden Partizipationserfahrungen aus der Praxis zusammengeführt. Die zahlreichen Beispiele stammen aus verschiedenen pädagogischen Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Grundschulen, der Oberstufe weiterführender Schulen sowie aus der Jugendarbeit, Lernwerkstätten und Jugendparlamenten. Die Beiträge haben teilweise die Form von Interviews mit Fachleuten, die die Praxis reflektieren, und werden durch Angebote zur „Vertiefung“ ergänzt.

Teil 3 ist Einführungs- und Entwicklungsprozessen gewidmet. In den Beiträgen geht es um „Führungsfragen“, das pädagogische Selbstverständnis der Fachkräfte in verschiedenen Bereichen sowie ihre Aus- und Fortbildung und dabei angewandte Methoden.

In Teil 4 werden Arbeitsmittel und weiterführende Literatur vorgestellt. Dazu gehören Zusammenfassungen und Links zu den „Reckahner Reflexionen“ über die Ethik pädagogischer Beziehungen, das „ABC der Demokratiepädagogik“ der DeGeDe, eine Vorstellung des Berliner Bildungsprogramms für die offene Ganztagsschule, eine Schrift über „Positive Pädagogik“ und die darin präsentierten „sieben Wege zu Lernfreude und Schulglück“ (!), eine Schrift zur „demokratischen Schulkultur“, ein Online-Kurs zum „Mithandeln und Mitentscheiden in der Kita“, ein „Grundwerte-Curriculum für Demokratie“ und ein weiteres Curriculum mit dem Titel „Was MACHT was?!“.

Diskussion

Das Praxishandbuch konzentriert sich auf Fragen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in pädagogischen Einrichtungen. Wer anschauliche Beispiele aus solchen Einrichtungen sucht, ist bei dem Handbuch gut aufgehoben. Sie sind ebenso wie die darauf bezogenen theoretischen Reflexionen von viel Optimismus geprägt, dass sich diese Einrichtungen durch gute Praxis so (um-)gestalten lassen, dass sie zu befriedigenden (und sogar „Glück“ verheißenden) Lebensorten der jungen Menschen werden. Obwohl die Schule in dem Band großen Raum einnimmt, wird erstaunlich wenig über strukturbedingte Ungleichheit der Macht in dieser Einrichtung und die daraus resultierenden Schwierigkeiten wirkungsvoller Partizipation reflektiert. Dies geschieht lediglich in einem Beitrag von Mechthild Wolf, der vor allem auf Erfahrungen in der Heimerziehung beruht, ein Handlungsfeld, das in dem Handbuch ansonsten nicht vorkommt. Die Partizipation der Kinder und Jugendlichen scheint allein vom guten Willen und der ethischen Grundhaltung der Fachkräfte abzuhängen. Zwar wird mehrmals darauf verwiesen, dass Partizipation nicht auf dem Wohlwollen Erwachsener basiert, sondern ein Recht der Kinder und Jugendlichen ist. Aber dieses Recht erscheint in dem Band als eine Art magische Kraft, an die nur geglaubt werden muss. Dazu gehört auch, dass erstaunlich wenig auf die ansonsten viel diskutierte Frage eingegangen wird, worin sich eher symbolische Formen der (Schein-)Partizipation von ernstzunehmender und wirkungsvoller Partizipation unterscheiden. Dieses Versäumnis drückt sich auch darin aus, dass in mehreren Beiträgen davon die Rede ist, die Kinder müssten „beteiligt werden“; eine passivierende Redewendung, die zwar in manchen Gesetzen gebraucht wird, aber auf Erwachsene so nicht angewendet würde. Es ist auch zu fragen, warum sich in dem Praxishandbuch unter den insgesamt 47 Beiträgen nur vier Beiträge von Jugendlichen finden, obwohl nach Bekunden der Herausgeber an dem Fachtag, aus dem die meisten Beiträge hervorgegangen sind, auch Kinder und Jugendliche teilgenommen hatten. Der Anspruch der Herausgeber, die Erfahrungen in der Praxis mit theoretischen Reflexionen zu verbinden und so zur „Herausforderung“ für die weitere Praxis werden zu lassen, ist meines Erachtens nicht geglückt, da die Beiträge zu den „wissenschaftlichen Hintergründen“ selbst nur annähernd den Stand der Diskussion zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen wiedergeben.

Fazit

Das Praxishandbuch gibt einen anschaulichen Überblick über die vielfältigen Erfahrungen mit der Partizipation von Kindern und Jugendlichen in pädagogischen Einrichtungen, trägt aber wenig zur Reflexion ihrer Schwierigkeiten und weiteren Perspektiven bei.

Rezension von
Prof. Dr. Manfred Liebel
Master of Arts Childhood Studies and Children’s Rights (MACR) an der Fachhochschule Potsdam, Fachbereich Sozial- und Bildungswissenschaften
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Es gibt 104 Rezensionen von Manfred Liebel.

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Zitiervorschlag
Manfred Liebel. Rezension vom 27.10.2023 zu: Johann-Friedrich Huffmann, Ludger Pesch, Armin Scheffler (Hrsg.): Gelingende Partizipation. Ein Praxisbuch zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Debus Pädagogik Verlag (Schwalbach/Ts.) 2022. ISBN 978-3-95414-187-6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30422.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.


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