Eva Maria Löffler: Haltung und professionelles Handeln in sozialen Berufen
Rezensiert von Dr. rer. soc. Gudrun Silberzahn-Jandt, 21.03.2023

Eva Maria Löffler: Haltung und professionelles Handeln in sozialen Berufen. Eine qualitative Untersuchung am Beispiel von Pflegefachkräften in ambulanten Pflegediensten. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2022. 310 Seiten. ISBN 978-3-7799-6857-3. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR.
Thema
Während der Titel eine breit angelegte Studie zum Thema der Haltung professionell Pflegender erwarten lässt, verfolgt diese empirische Arbeit eine Spezifizierung. Es geht um die Forschungsfrage „wie in der ambulanten Pflege tätige Fachkräfte aus unterschiedlichen Herkunftsländern ihr berufliches Handeln begründen“ (S. 285).
Autor:in
Eva Maria Löffler ist Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin und als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel tätig. Ihre Forschungsfelder liegen im Bereich der Pflegewissenschaft/-management, der Sozialen Arbeit und der Sozialwissenschaften.
Entstehungshintergrund
Die Studie entstand als Dissertation an der Universität Kassel im Fachbereich Humanwissenschaften. Doktoreltern waren Prof. Dr. Kirsten Aner, zuständig für das Fachgebiet ‚Lebenslagen und Altern‘ an der Universität Kassel und Prof. Dr. Peter Hammerschmidt von der Hochschule München.
Inhalt
In neun Kapiteln entfaltet die Autorin das Thema und präsentiert ihre empirischen Ergebnisse, um sie zu kontextualisieren. In der Einleitung im ersten Kapitel stellt sie zunächst ihren theoretisch begründeten Zugang zum Thema vor.
Eva Maria Löffler geht empirisch der Frage nach dem beruflichen Handeln von Fachkräften in ambulanten Pflegediensten aus unterschiedlichen Herkunftsländern nach und nutzt dabei bewusst Konzepte einer beruflichen Sozialisation und nicht wie ansonsten häufig die meist „kulturalisierenden“ (S. 14) Zugänge.
Nach einer kurzen Erläuterung des Aufbaus wählt die Autorin in Kapitel 2 einen historischen Zugang und stellt die geschichtliche Entwicklung der ambulanten Pflege unter anderem mit dem Hinweis auf das Fürsorgerecht für alte Menschen durch das Inkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes 1962 und die Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung 1995 dar. Damit einhergehend weist sie drauf hin, dass sich die Altenpflege als Arbeitsmarkt weiterentwickelte und inzwischen aufgrund des Fachkräftemangels Personal im Ausland sucht.
Die Autorin stellt empirisches Wissen zu Fachkräften aus unterschiedlichen Herkunftsländern im Kapitel 3 vor und hält fest, dass in den analysierten Studien als Herausforderung vor allem die Arbeit in multikulturellen Teams genannt werden. Weiter arbeitet sie als Probleme der bisherigen Forschung über Pflegepersonal in der Altenhilfe das der „Kulturalisierung“ und „Ethnisierung“, den Kulturbegriff die Konkurrenz zwischen Defizit- und Ressourcenorientierung sowie vermeintliche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten heraus. Auf dieser Basis formuliert Eva Maria Löffler ihr Untersuchungsziel und legt „den Fokus der Untersuchung auf der Analyse erzählter Situationen aus dem beruflichen Alltag der Altenpfleger/-innen“ (S. 61).
Im 4. Kapitel werden die methodologischen Vorüberlegungen, wie das Konzept beruflicher Sozialisation nach Walter R. Heinz und die lebenslauforientierte Sozialforschung dargelegt. Zudem benennt die Autorin das methodologisch begründete Vorgehen der empirischen Studie, wie Samplebildung und Auswertung der Interviews. Den Fragen der Datenerhebung -aufarbeitung und -analyse, wie auch den Grundsätzen des problemzentrierten Interviews widmet sie sich ausführlich in Kapitel 5.
Mit den empirischen Ergebnissen beschäftigt sich das nächste, umfangreichste Kapitel 6. Die Einzelfalldarstellungen stehen unter einem, die jeweiligen Haltung der Interviewten als wörtliches Zitat widergebenden Leitsatz als Überschrift. So lautet der Satz der Interviewpartnerin Frau Haimčic: „Menschlichkeit, das kann man in der Schule nicht lernen“ oder der von Frau Wilkowski: „Man hat mehr Spaß an der Arbeit, wenn man weiß, was man tut“ (S. 6). Dann folgt die Kurzbiographie der jeweiligen Interviewpartnerin und ein Herausschälen der von ihr genannten „Situationslogiken“. Dem schließt sich die Darstellung des für Fachkraft zentralen „biografischen Themas“ und eine Zusammenfassung an.
Danach arbeitet Eva Maria Löffler vergleichend zu Fragen der Sozialisation, den Handlungslogiken, dem Fach- und Praxiswissen und der jeweiligen Haltung. Zentrale Ergebnisse finden sich in der Zusammenfassung und werden empiriebasiert formuliert: So heißt es „Deutlich wurde also, dass für berufliches Handeln weniger die direkt berufsbezogenen, als vielmehr allgemeine lebensübergreifende Sozialisationserfahrungen relevant sind. Das in der schulischen Ausbildung erworbene Fachwissen muss dann mit diesen Erfahrungen verhandelt und in Beziehung gesetzt werden“ (S. 214).
Mit Kapitel 7 wird die Methode des problemzentrierten Interviews nochmals knapp betrachtet. Der Forschungsprozess, die Auswahl der Interviewpartnerinnen, die Begrenzung auf das Sample mit nur 5 Fachkräften und die Auswertung wird selbstkritisch hinterfragt und methodologisch begründet.
Ausführlich diskutiert Eva Maria Löffler in Kapitel 8 die Ergebnisse der Interviews und stellt sie in den Kontext von „Lebenslauf, Sozialisation sowie (Berufs-) Biografie und beruflichem Handeln“ (S. 233). Weiter schaut sie, der Theorie der „Reflexiven Sozialarbeit“ von Bernd Dewe und Hans-Uwe Otto folgend, nach den, der Strukturlogik zugrunde liegenden und in den Interviews zentral formulierten Elementen professionellen Handelns in der ambulanten Altenhilfe. Mit den wiederholt geäußerten Forderungen nach „Anerkennung und Wertschätzung“ (S. 279) der Pflegearbeit schließt sie diesen Teil und fasst im letzten Kapitel 9 nochmals zusammen, indem sie auch auf die Diskrepanz von professioneller Haltung und großem Engagement sowie schwierigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hinweist.
Diskussion
Das Buch ist eine wissenschaftlich solide und sehr gut lesbare, nachvollziehbar strukturierte Arbeit. Die jeweiligen methodischen Schritte sowie der Bezug zur Theorie und die Auswahl derselben sind stets nachvollziehbar dargelegt und begründet. Ob die Kritik an dem nicht genutzten transkulturellen Interpretationszugang etwas ausführlicher hätte ausfallen können, oder der Begriff der Haltung noch hätte ausgeführt werden können, sind lediglich, Ideen, die beim Lesen entstanden. Die Erkenntnisse, dass normative Vorstellungen, die in der Familie eingeübt wurden, auch für die Profession und in deren Sozialisation handlungsleitend sind, sollten für die Arbeit und Organisationskultur in multikulturellen Teams mehr Beachtung finden.
Fazit
Die Dissertation ist ein hervorragendes Beispiel, wie mit qualitativen Methoden und Theorien aus anderen Professionen wichtiges Wissen gewonnen werden und dies obendrein sprachlich gewandt präsentiert werden kann. Eine sonst meist eher unterbelichtete Berufsgruppe, wie die der ambulant pflegenden Fachkräfte, wird ins Licht gerückt und Migrantinnen und ihre Erfahrungen finden Gehör.
Rezension von
Dr. rer. soc. Gudrun Silberzahn-Jandt
Kulturwissenschaftlerin, Referentin beim Caritasverband der Diözese Rottenburg – Stuttgart e.V.
Website
Mailformular
Es gibt 22 Rezensionen von Gudrun Silberzahn-Jandt.