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Rainer Bohn, Hartmut Hirsch-Kreinsen u.a. (Hrsg.): Lexikon der Arbeits- und Industriesoziologie

Rezensiert von Christopher Grobys, 19.05.2023

Cover Rainer Bohn, Hartmut Hirsch-Kreinsen u.a. (Hrsg.): Lexikon der Arbeits- und Industriesoziologie ISBN 978-3-8487-8679-4

Rainer Bohn, Hartmut Hirsch-Kreinsen, Sabine Pfeiffer, Mascha Will-Zocholl (Hrsg.): Lexikon der Arbeits- und Industriesoziologie. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2023. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. 525 Seiten. ISBN 978-3-8487-8679-4. 79,00 EUR.

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Thema

Das Lexikon der Arbeits- und Industriesoziologie bietet seit nunmehr zehn Jahren ein vielseitiges Nachschlagewerk für dieses prominente Fachgebiet der Soziologie. Die mittlerweile 3. Auflage dieses Grundlagenwerks stellt sich dabei weiterhin einer doppelten Herausforderung: Einerseits zielt das Lexikon darauf ab, den Leser:innen einen fundierten Ein- und Überblick über wichtige Begriffe, Theorien und Befunde der Arbeits- und Industriesoziologie zu geben. Andererseits stellt es den Versuch dar, dem sozialen Wandel und seinen Prozessen sowie Resultaten begrifflich und theoretisch gerecht zu werden. Denn mit der fortlaufenden gesellschaftlichen Entwicklung ist notwendigerweise auch die Anpassung des begrifflichen Instrumentariums der Arbeits- und Industriesoziologie verbunden.

Die Herausgeber:innen

Rainer Bohn ist ein sozialwissenschaftlicher Buchverleger und freier Wissenschaftslektor mit den Arbeitsschwerpunkten der politisch-ökonomischen Grundlagen der Gesellschaftsanalyse und der Kultursoziologie.

Dr. Hartmut Hirsch-Kreinsen ist Professor i. R. für Wirtschafts- und Industriesoziologie an der TU Dortmund. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen die Entwicklung von Arbeit, Innovationsprozesse und Technologieentwicklung als auch die Digitalisierung der industriellen Produktion.

Dr. Sabine Pfeiffer ist Professorin für Soziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Ihre Arbeitsschwerpunkte bilden die Beziehungen zwischen Arbeit und Technik sowie Informatisierung und Subjekt.

Dr. Mascha Will-Zocholl ist Professorin für Soziologie an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit mit den Arbeitsschwerpunkten Arbeit, Technik und Organisation sowie Sinn und Bedeutung von Arbeit.

Aufbau & Inhalt

Das Lexikon umfasst insgesamt 97 Stichwortartikel, die alphabethisch geordnet sind. Die einzelnen Stichworte wiederum sind jeweils wie folgt aufgebaut: Begriffsklärung, Genese/​theoretischer Kontext, zentrale Forschungsergebnisse und wenn möglich, Einordnung in die internationale Debatte. Den Abschluss von jedem Einzelbeitrag bilden darüber hinaus Literaturvorschläge zur weiteren Vertiefung in den jeweiligen Gegenstandsbereich.

Die Stichworte umfassen in ihrer Gesamtheit verschiedene analytische Dimensionen der Arbeits- und Industriesoziologie. Erstens lassen sich klassische Grundbegriffe wie „Arbeit“ (S. 24–28), „Beruf“ (S. 103–107) oder „Gewerkschaften“ (S. 174–178) im Lexikon finden. Zweitens reichen die Stichworte von der makro- bis zur mikrosoziologischen Ebene. So lassen sich im Lexikon einerseits Begriffe finden, welche die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungstendenzen betreffen. Deutlich wird dies zum Beispiel an der Implementierung der Stichworte „Finanzmarktkapitalismus“ (S. 164–168), „Dienstleistungsgesellschaft“ (S. 130–133) oder „Wissensgesellschaft“ (S. 388–391). Andererseits enthält das Lexikon auch Begriffe, die vorrangig eher auf einer mikrosoziologischen Ebene angesiedelt sind, wie zum Beispiel „Arbeit“ und „Interaktion“ (S. 41–44) und „Partizipation“ (S. 296–299). Zu guter Letzt umfasst das Lexikon drittens auch noch spezifische Unterkategorien der Arbeits- und Industriesoziologie, wie beispielsweise die Angestellten- (S. 20–23), Organisations- (S. 292–295) und Techniksoziologie (S. 357–359).

Im Anschluss an die alphabetisch geordneten Stichwortartikel finden die Leser:innen noch eine kumulierte Bibliografie (vgl. S. 397–512), in der nochmals alle Autor:innen aufgeführt werden und einen Abschnitt mit Informationen zu den Herausgeber:innen (vgl. S. 513–520). Den Abschluss des Lexikons bildet ein feingliedriges Begriffsregister, welches den Leser:innen eine explizite Schlagwortsuche von Theorien und Zusammenhängen über die Stichworte hinaus ermöglicht (vgl. S. 521–525).

Diskussion

Der Aufbau des Lexikons folgt insgesamt einer übersichtlichen Grundstruktur, deren Stringenz durch die Vierteilung der einzelnen Stichworte – Begriffsklärung, Genese/​theoretischer Kontext, zentrale Forschungsergebnisse und Einordnung in die internationale Debatte – untermauert wird. Betrachtet man die inhaltliche Auswahl der Stichworte genauer, so wird deutlich, dass an der aktuellen Auflage nicht der Zahn der Zeit nagt, sondern auch brandaktuelle Themen wie Digitalisierung, ökologische Fragen und Care-Work berücksichtigt werden (vgl. Hirsch-Kreinsen & Minssen 2017: 11 ff.). Deutlich wird dies einerseits durch den Einzug der Stichworte „Arbeit und Alter(n)“ (vgl. S. 33–36), „Digitale Transformation der Arbeit“ (vgl. 134–137) oder „Sorgearbeit“ (vgl. S. 330–332). Andererseits versuchten die Herausgeber:innen darüber hinaus, die genannten Akzentverschiebungen in vormals schon bestehende Beiträge einzuarbeiten. Eine solche Modifikation ist nicht nur begrüßenswert, sondern für dieses Fachgebiet auch notwendig, um mit dem permanenten Wandel der Gesellschaft soziologisch Schritt zu halten.

Eine weitere Stärke des Lexikons liegt darin, dass sich in den einzelnen Beiträgen auch normative Positionen der Autor:innen wiederfinden lassen. Die Neuauflage erfüllt damit den kritischen Anspruch dieser Bindestrichsoziologie, Gesellschaftsdiagnosen und Entwicklungstendenzen nicht nur vermeintlich wertfrei zu beschreiben, sondern auch normativ zu bewerten und bestenfalls politische Veränderungsvorschläge zu unterbreiten (vgl. Böhle et al. 2010: 14). Positiv hervorgehoben werden muss an dieser Stelle des Weiteren der inhaltliche Einzug methodologischer Aspekte in das Lexikon. Auch wenn dies explizit nur den Beitrag zum Stichwort „Fallstudie“ (vgl. S. 161 ff.) betrifft, so wird daran deutlich, dass auch dieser Bereich für die Arbeits- und Industriesoziologie relevant ist.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie werden teilweise in den einzelnen Beiträgen zum Beispiel beim Stichwort „Home Office/Tele(heim)arbeit“ (vgl. S. 193 ff.) thematisiert und kontextualisiert. Dies ist bedeutend, um den gesellschaftlichen Wandel insgesamt, die „Metamorphosen der Arbeit“ (vgl. Martens 2007: 64 ff.) und ihre Folgen und Wechselwirkungen mit anderen Gesellschaftssphären zu verstehen. Hierbei muss zugleich kritisch angemerkt werden, dass weder der Begriff „Corona“ noch der Begriff „Pandemie“ im hinten angefügten Register zu finden ist. Diese Kritik ist sicherlich penibel, dennoch wäre ein umfassenderes, überarbeitetes Register in Zukunft eine nützliche und leser:innenfreundliche Modifikation.

Vergleicht man abschließend das Lexikon mit anderen Lehrbüchern und Einführungswerken der Arbeits- und Industriesoziologie (vgl. Mikl-Horke 2007, vgl. Minssen 2011), so stellt es keinen Ersatz für diese dar. Stattdessen bietet es eine reichhaltige Ergänzung, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen und richtungsweisende Impulse für die weitere Vertiefung zu erheischen.

Die einst besorgt formulierte These einer enttheoretisierenden Krise der Arbeits- und Industriesoziologie (vgl. Kühl 2004: 147 f.) spiegelt sich auch teilweise im Lexikon wieder. Zwar lassen sich sowohl Rückbezüge zu den gesellschaftstheoretischen Klassikern dieses Fachgebiets sowie jüngeren Theorien – vorrangig mittlerer Reichweite – finden, rar bleiben jedoch aktuelle, neuere Gesellschaftstheorien. Diese Leerstelle kann jedoch nicht den Herausgeber:innen und Autor:innen zum Vorwurf gemacht werden, sondern bleibt, trotz aktueller Hoffnungsschimmer (vgl. Honneth 2023), eine generelle Leerstelle in der Soziologie.

Fazit

Mit der 3. Auflage des Lexikons der Arbeits- und Industriesoziologie stellen die Herausgeber:innen der Wissenschaftswelt ein solides und aktualisiertes Nachschlagewerk zur Verfügung. Für Soziolog:innen, andere Wissenschaftler:innen und Studierende ist das Lexikon ein nützlicher Begleiter, um sich in den Weiten der Arbeits- und Industriesoziologie begrifflich zurechtzufinden, sich fundiertes Grundlagenwissen anzueignen und Literaturhinweise für die weiterführende Vertiefung zu sichten.

Literatur

Böhle, F., G.G. Voß & G. Wachtler, 2010: Einführung. S. 11–19 in: F. Böhle, G.G. Voß & G. Wachtler (Hrsg.), Handbuch Arbeitssoziologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Hirsch-Kreinsen, H. & H. Minssen (Hrsg.), 2017: Lexikon der Arbeits- und Industriesoziologie. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG.

Honneth, A., 2023: Der arbeitende Souverän. Eine normative Theorie der Arbeit. Berlin: Suhrkamp.

Kühl, S., 2004: Arbeits- und Industriesoziologie. Bielefeld: Transcript.

Martens, H., 2007: Industriesoziologie im Aufbruch? Herausforderungen empirischer Arbeitsforschung im Epochenbruch. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Mikl-Horke, G., 2007: Industrie- und Arbeitssoziologie. München: De Gruyter.

Minssen, H., 2011: Arbeits- und Industriesoziologie. Eine Einführung. Frankfurt: Campus-Verl.

Rezension von
Christopher Grobys
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Zitiervorschlag
Christopher Grobys. Rezension vom 19.05.2023 zu: Rainer Bohn, Hartmut Hirsch-Kreinsen, Sabine Pfeiffer, Mascha Will-Zocholl (Hrsg.): Lexikon der Arbeits- und Industriesoziologie. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2023. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. ISBN 978-3-8487-8679-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30455.php, Datum des Zugriffs 11.06.2023.


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