Judith Dick, Marion Hundt: Praxishandbuch Recht für soziale Beratung
Rezensiert von Prof. Dr. Eckart Riehle, 08.03.2024

Judith Dick, Marion Hundt: Praxishandbuch Recht für soziale Beratung. Was Sie in Beratung, Coaching und Mediation wissen müssen. Reguvis Fachmedien GmbH (Köln) 2023. 300 Seiten. ISBN 978-3-8462-1245-5. D: 39,90 EUR, A: 41,10 EUR.
Thema
Die Verrechtlichung der Sozialen Arbeit in den letzten Jahrzehnten führte dazu, dass in den vielfältigen Beratungsgebieten der Sozialen Arbeit Rechtsfragen zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. Die einen bezeichnen dies als Sozialpädagogisierung des Recht, die anderen als Verrechtlichung der Sozialen Arbeit. Ohne rechtliches Wissen ist soziale Beratung kaum möglich. Zudem, die vielfältigen Gesetze und Gesetzesänderungen, wie soll die Soziale Arbeit dem begegnen, wenn nicht durch vielfältige Formen der rechtsaffinen Vermittlung dieses Prozesses an die Professionellen in der Soziale Arbeit? Zu dieser Vermittlung leistet das Buch einen Beitrag.
Autor:innen
Die Herausgeberin, Prof. Dr. Judith Dick ist Vorsitzende des Berliner Arbeitskreises Rechtswirklichkeit und hat zuvor 10 Jahre als Schuldnerberaterin gearbeitet, Prof. Marion Hundt, war zuvor Veraltungsrichterin, Prof. Dr. Angelika Peschke war 20 Jahre Rechtsanwältin und arbeitet als Mediatorin (BAFM) und Mediationsausbildnerin, Prof. Dr. Anusheh Rafi ist Rechtsanwalt, Mediator und systemischer Coach.
Entstehungshintergrund
Die Autor:innen sind in unterschiedlichem Maße an der Bearbeitung der einzelnen Kapitel beteiligt. Sie lehren und arbeiten im Bereich der Sozialen Arbeit. Entstanden ist das Buch durch kollegialen Austausch sowie Gesprächen mit Praktiker:innen und zahlreichen Anregungen aus Studiengängen an der Evangelischen Hochschule Berlin.
Aufbau
Das Buch von 331 Seiten ist in 14 Kapitel gegliedert.
Das Vorwort vermerkt: „Das Praxishandbuch Recht für soziale Beratung spannt den Bogen breit. Es erläutert die rechtlichen Aspekte von Beratungen und ist auf professionelle soziale Beratung ausgerichtet. Es spricht professionelle Berater der verschiedensten Beratungsformen an. Auch Beratungsformate, in denen prozessbezogene Expertise im Vordergrund steht wie Coaching und Mediation werden einbezogen. Das Handbuch ist auf dem Gesetzesstand vom 1.1.2023.“
Im 1. Kapitel werden begriffliche und theoretische Grundlagen der Beratung angesprochen. Was wird aktuell im Verhältnis von Recht und Beratung diskutiert? Kapitel 2 und 3 geben eine praktische Orientierung für die Zusammenarbeit mit rechtsanwaltlicher Beratung und für Beratung als praktischer Menschenrechtsarbeit. Ab Kapitel 4 steigt das Buch in das Berufsrecht ein. Es werden in den folgenden Kapiteln einzelne Fragen der Beratungsarbeit abgehandelt, das schließt Fragen der Finanzierung in Kapitel 10 ein, dabei wird das Beispiel eines Beratungsvertrages angeführt, weitere Themen sind die Haftung, die Qualität und Beratung in besonderen Rechtslagen, (255—314). Es gibt ein Literaturverzeichnis (317 bis 330) und ein Stichwortverzeichnis ab S. 331.
Der Rezensent hat die näher zu besprechenden Kapitel ausgewählt, rückblickend auf eigene 40 jährige Beratungsarbeit und der Stolpersteine, die ihm dabei immer mal begegnet sind, sowie mit Blick auf aktuelle Entwicklungen, wie etwa das BTHG. Alle Kapitel zu besprechen war aus Platzgründen nicht möglich.
Inhalt
Den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind zumeist Fragen, deren Beantwortung in dem jeweiligen Kapitel erfolgen soll. Dass dies nicht immer erfolgt oder gelingt, sei eher am Rande erwähnt.
Das 5. Kapitel will folgende Fragen beantworten. Wann ist Beratung eine erlaubte Rechtsdienstleistung? Fällt die digitale Rechtsberatung unter das Rechtsdienstleistungsgesetz? Wie entspricht eine juristische Ausbildung diesen Anforderungen? Hingewiesen wird auf die außergerichtliche Beratung als Rechtsdienstleistung und an die Notwendigkeit einer Erlaubnis zu außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen nach § 3 RdlG., auf die digitale Rechtsdienstleistung, die Rechtsdienstleistungen an Gerichten.
Kapitel 6 behandelt, in der Systematik etwas sperrig, Psychotherapie, Unternehmensberatung, rechtsanwaltliche und ombudschaftliche Beratung.
Auch wenn Kapitel 7 für das Ehrenamt mit 5 Seiten extrem zurückhaltend ist, hebe ich es als Rezensent besonders hervor, da es in der Sozialen Arbeit ständig anzutreffen ist und rechtliches Wissen darüber oft fehlt. Hier kann man sich auf den Seiten 87 –92 über Kernfragen orientieren. Beantwortet werden die Fragen, „Was ist freiwilliges Engagement und Ehrenamt in der Beratung, welcher rechtliche Rahmen gilt für Einkünfte aus Ehrenamt? Wie werden Engagierte in Arbeitsschutz und Qualitätssicherung eingebunden?“
Kapitel 8 zu Daten- und Vertrauensschutz ist mit 40 Seiten recht umfangreich. Dargestellt werden zunächst die Strafrechtliche Schweigepflicht, die informationelle Selbstbestimmung in der Beratung, Betroffenenrechte im Datenschutz, zivilrechtlicher und Sozial Datenschutz, um den Kernbereich zu erwähnen. Eingegangen wird auch auf das Verhältnis des Datenschutzes zur EU- DSGVO und auf Besonderheiten in der Beratung von Kindern und Jugendlichen. Wie in allen Kapiteln wird auch hier der Bereich an Hand eines Beispiels (104 und 110, 115 und mit vielen Praxishinweisen erläutert, wobei die Praxishinweise ganz unterschiedliche praktische Bedeutung haben.
Auch die Behandlung der einzelnen Fragen ist oft selektiv, was anders auch kaum möglich ist. So beantwortet der Sozialdatenschutz etwa, für wen das Sozialgeheimnis gilt, wann Daten nur beim Betroffenen erhoben werden dürfen und welche Übermittlungspflichten bestehen.
Praktisch wichtig für die Beratung ist auch die Frage der Haftung in Kapitel 11. Erläutert werden Schadensersatzansprüche aus Vertrag, welche Beweisfragen hier von Belang sein können (194) und auch, wenn Fehler zumeist unentdeckt bleiben, verbunden mit dem Praxishinweis auf Fahrlässigkeit.
Nicht unwichtig dabei für Berater:innen ist der Hinweis auf eine Überlastungsanzeige gegenüber der Leitung, was das Haftungsrisiko begrenzen kann.
Eher wenig bekannt ist der sozialrechtliche Herstellungsanspruch (Kap. 11.4), über den Beratungsfehler ausgeglichen oder kompensiert werden können. Der/Die Geschädigte wird dabei so gestellt, als ob der Beratungsfehler nicht gewesen wäre. Man findet diesen Anspruch nicht im Gesetz, er ist das Produkt der Rechtsprechung.
Während Mediation als Kapitel 13 ca. 28 Seiten umfasst, gibt es zu Coaching lediglich eine Definition (22).
28 Seiten beschäftigen sich als Kapitel 13 mit der Mediation. Das beginnt mit einer Definition: „ Mediation ist eine Prozessberatung keine Fachberatung“ (224). Nicht unproblematisch der Praxishinweis:„ Für eine gelingende Mediation bedarf es einer Person, die unabhängig, neutral und allparteilich agiert und über keine Entscheidungsbefugnis verfügt“.
Als Kernstücke der Mediation, der Haltung des Mediators, werden keine Entscheidungsbefugnis (§ 1 Abs. 2 MedG), Unabhängigkeit und Neutralität bezeichnet.
Erwähnt wird auch, die von der Mediationsliteratur geschätzte „Allparteilichkeit durch das Partei ergreifen allen Seiten stehen“, aber genaugenommen handelt es sich hierbei um eine balancierende Parteilichkeit.
Eingegangen wird auf das Zeugnisverweigerungsrecht in Gerichtsprozessen, das in Zivilgerichtsverfahren generell gilt, nicht jedoch vor Strafgerichten, bereits erwähnt in Kap. 8
Zutreffend wird angeführt, dass es in der Mediation immer wieder nötig sein kann, dass Einzelgespräche geführt werden, dies ist nach § 2 Abs. 3 S. 3 MedG nur im allseitigen Einverständnis möglich.
Das gilt für das Einzelgespräch, nicht jedoch für den Inhalt des Gespräches. Bedingt zutreffend auch der Hinweis, es sollte vor jedem Einzelgespräch geklärt werden, wie mit dem Inhalt des Gespräches in der Mediation umgegangen wird. Aber nicht, wie das Buch angibt „nach jedem Einzelgespräch, sondern zuvor“(236).
Mediation bewegt sich auch immer im Bereich der Rechtsberatung. Die Konfliktthemen sind zumeist mit Rechtsfragen verknüpft (Wer bekommt das Haus? Bei welchem Elternteil verbringen die Kinder die Weihnachtstage?). Fragen wie diese, wollen die Autoren in Kap. 13 erörtern.
Dazu wird „3Abs. 3 Nr. 4 Med.G. angeführt, nach welchem Mediation keine Rechtsdienstleistung ist“, „sofern die Tätigkeit nicht durch Regelungsvorschläge in die Gespräche der Beteiligten eingreift.“.
Dabei darf man nicht übersehen, in welchem Maße dies indirekt geschehen kann, ohne ein Regelungsvorschlag zu sein, etwa wenn der Mediator aus seiner beruflichen Erfahrung berichtet oder indem er nicht sprachlich, sondern figürlich oder gestisch, auf Vorschläge der Medianten reagiert.
Was eine Rechtsdienstleistung ist und wer sie erbringen darf, wurde unter Kap. 11(63 f. ) angeführt. In der Definition des Buches: „jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert.“ Konkret ist eine fremde Angelegenheit, wenn sie sich auf einen konkreten Einzelfall bezieht. Allgemeine Fragen zum Recht, etwa zum Unterhaltsrecht, sind daher keine einzelfallbezogenen Rechtsdienstleistungen, erst wenn sie auf einen konkreten Einzelfall bezogen werden. Das kann natürlich in verschiedene Probleme führen. Fragt etwa der Mediat, ob man bei Bezug von Alg II oder jetzt Bürgergeld auch Unterhalt bezahlen muss und bezieht/​bezog er Alg II, was dann? Anmerken muss man noch, dass digitale Rechtsberatung (Legal Tech), nicht ohne eine Erlaubnis nach dem RDG zulässig ist.
Rechtsberatung in der Mediation liegt also erst vor, sobald ein konkreter Fall rechtlich untersucht und zum Gegenstand der Beratung wird. Das gilt etwa auch, geht es um Formulierungen in der abschließenden Mediationsvereinbarung.
Hier ist von Bedeutung dass der Mediator/die Mediatorin die Medianten auf § 2 Abs. 6 S. 2 MedG hinzuweisen hat mit der Aufforderung, externen Rechtsrat etwa bei einem Anwalt einzuholen. Nach Ansicht des Rezensenten empfiehlt es sich, schon in der Mediationsvereinbarung aufzunehmen, dass diese in eine externe Rechtsberatung einwilligen, wenn der Mediator es für notwendig hält. Ansonsten könnte es, erfolgt die externe Rechtsberatung nicht, zu einem Scheitern der Mediation führen.
In Kapitel 14 geht es um Beratung in besonderen Rechtslagen. Dafür stehen rund 59 Seiten zur Verfügung. Das gliedert sich in Recht für Migrationsfragen (mit 4 Seiten) Fremd und Selbstbestimmung im SGB II, Rechtliche Betreuung und Unterbringung psychisch kranker Menschen.
Kapitel 14.3. erörtert die rechtliche Betreuung und Unterbringung psychisch kranker Menschen, 2023, wurde das Betreuungsrecht doch reformiert, um die betreuten Menschen zu stärken.
Bei der rechtlichen Betreuung und Unterbringung psychisch kranker Menschen werden folgende Fragen erörtert: „Welcher Wille ist entscheidend, bei rechtlich betreuten Beratenen, in welchem Verhältnis steht das Betreuungsrecht zur Vorsorgevollmacht und welche Rolle spielt der Wille der Bertoffenen in der rechtlichen Betreuung und in der Gefahrenabwehr? Was bedeuten Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit in Betreuung und Unterbringung?“
Gut ist dabei, die Unterscheidung von Geschäftsfähigkeit und Einwilligungsfähigkeit in ihrer Bedeutung für die rechtliche Betreuung, der Unterschied von freiem und natürlichem bzw. mutmaßlichem Willen, der an einem Beispiel erläutert wird (300). Das wird auch verknüpft mit einem Beispiel zu interkulturellen Erwägungen (302).
Bei der Beratung für Menschen mit Behinderung (Kap. 4.4) wird darauf hingewiesen, dass die Eingliederungshilfe seit 1.1.2020 nicht mehr im SGBII sondern im SGBIX geregelt ist.
Seit 2023 wird der Bedarf individuell bestimmt, anhand der von den Ländern eingeführten ICF basierten Bedarfsermittlungsinstrumente. Dabei spielen nach§ 118 SGB IX neun Lebensbereiche eine Rolle, die auf Beeinträchtigungen hin zu beurteilen sind.
Die Leistung ist personenzentriert. Die Assistenzleistungen nach § 78 SGB IX werden von den Betroffenen bestimmt, Grundlage ist eine Gesamt oder Teilhabeplan, dem ein Teil- und Gesamtplanverfahren zugrunde liegt und dass das Wunsch und Wahlrecht des Betroffenen zu berücksichtigen ist.
Diskussion
Weniger ist mehr, denkt man ab und an, wenn man das Buch liest, das wie bei einem verwinkelten Stadtplan keine Nebenstraße, Verästelung und Baustelle auslässt, ohne dass dies immer die Übersichtlichkeit für die praktische Anwendung erhöht. Aber das heißt zugleich, man kann es als Nachschlagwerk, auch wegen der vielfältigen Beispiele und Praxishinweise immer wieder gebrauchen. Besonders hervorzuheben ist die didaktische Aufbereitung des Buches mit Beispielen und vielen Praxishinweisen.
Den Rezensenten verwundert, dass stets von Beratung die Rede ist, also auch von dem Raum in welchem das Gespräch geführt wird, der aber in keinem Kapitel als Resonanzraum erwähnt und in seiner Bedeutung verhandelt wird, trotz der vielfältigen Literatur von und zu Hartmut Rosa. Auch nicht erwähnt wird die Gesprächsforschung, denn Sprache und sprechen sind zweierlei.
Fazit
Ein Werk das für alle, die in Beratungsfeldern, ob professionell oder ehrenamtlich tätig sind, gerade mit den vielen Beispielen und praktischen Hinweisen unbedingt zu empfehlen ist und dem deshalb auch die eine oder andere Schwäche gerne nachgesehen werden kann.
Rezension von
Prof. Dr. Eckart Riehle
em. Professor für öffentliches Recht und Sozialrecht an der Fachhochschule Erfurt. Rechtsanwalt, Karlsruhe
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