Petra Kolip, Bettina Schmidt: Schreiben in Sozialarbeits- und Gesundheitswissenschaften
Rezensiert von Prof. Dr. Johannes Emmerich, 17.07.2023

Petra Kolip, Bettina Schmidt: Schreiben in Sozialarbeits- und Gesundheitswissenschaften. Erfolgreich in interdisziplinären Studiengängen.
Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2023.
108 Seiten.
ISBN 978-3-8252-6050-7.
D: 12,90 EUR,
A: 13,30 EUR,
CH: 16,90 sFr.
Reihe: Schreiben im Studium - 13.
Thema
Ziel dieses Schreibratgebers ist es, Studierende „beim Erwerb einer wissenschaftlichen Haltung in einem multidisziplinären Feld [zu] unterstützen“ (S. 8). Damit sind zwei Fragen angesprochen, die sich Studierende der Sozialarbeits- und Gesundheitswissenschaften im Studienverlauf oft stellen: Warum soll ich mich mit wissenschaftlichem Arbeiten auseinandersetzen, wenn ich später in der Praxis und nicht in der Forschung tätig sein werde? Welche Regeln für wissenschaftliches Arbeiten gelten in einem Studiengang, der auf Theorien und Methoden verschiedener Monodisziplinen (z.B. Psychologie, Soziologie, Rechtswissenschaften) Bezug nimmt, die jeweils eigene Traditionen des wissenschaftlichen Arbeitens pflegen?
Petra Kolip und Bettina Schmidt legen einen Schreibratgeber vor, der Studierenden bei der Beantwortung dieser Fragen helfen soll, der aber auch Anregungen für Lehrende beinhaltet. Ihre Empfehlungen und Beispiele stützen sich auf langjährige Lehrerfahrung in Bachelorstudiengängen der Gesundheitswissenschaften und Sozialen Arbeit an Universität und Fachhochschule. Im Fokus stehen dabei die schriftlichen Prüfungsformate Hausarbeit und Bachelorarbeit.
Autorinnen
Prof. Dr. Petra Kolip ist Diplom-Psychologin und Professorin an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld.
Prof. Dr. Bettina Schmidt ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin und Diplom-Gesundheitswissenschaftlerin und Professorin für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen am Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Diakonie der Evangelischen Hochschule RWL.
Aufbau & Inhalt
Der Schreibratgeber startet nach einer kurzen Einleitung mit generellen Hinweisen zum wissenschaftlichen Arbeiten in Studium und Praxis der Sozialarbeits- und Gesundheitswissenschaften (Kapitel 2). Darin listen die Autorinnen zunächst knapp die grundlegenden Merkmale wissenschaftlichen Arbeitens auf und unterstreichen die Relevanz wissenschaftlichen Wissens für die berufliche Praxis. Anschließend wird die Multidisziplinarität als besonderes Merkmal der Sozialarbeits- und Gesundheitswissenschaften dargestellt und auf die damit verbundenen Herausforderungen verwiesen. Diese liegen insbesondere in der Schwierigkeit, aus den verschiedenen Fachtraditionen und -methoden der Einzelwissenschaften eine eigene disziplinäre Verortung zu wählen.
Der Aufbau der drei Folgekapitel orientiert sich an den üblichen Prozessschritten wissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten. Kapitel 3 widmet sich der Themensuche, der Formulierung einer Forschungsfrage und gibt Hinweise zur Gliederung von wissenschaftlichen Schreibarbeiten. Die Autorinnen stellen zunächst gängige Verfahren der Themenfindung und -eingrenzung vor (z.B. Cluster, Freewriting, Mindmapping). Detailliert wird die formale Logik der Gliederung beschrieben und schließlich die Textform „Exposé“ als strukturgebende Möglichkeit der Vorbereitung umfangreicherer Schreibprojekte exemplarisch eingeführt.
Die Themen „Literatur recherchieren und lesen“ werden im umfangreichsten Kapitel 4 behandelt. Ausführlich und mit Hilfe einer Checkliste wird darin die Unterscheidung zwischen wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Literatur erläutert. Es folgen Hinweise und Ratschläge zur Recherche und Dokumentation wissenschaftlicher Literatur und statistischer Daten sowie ein knapper Hinweis zu Lesetechniken.
Das Schreiben steht im Zentrum des fünften Kapitels. Darin heben die Autorinnen zunächst hervor, dass auch die zusammenfassende und systematisch Wiedergabe fremden Gedankengutes eine nicht zu unterschätzende wissenschaftliche Eigenleistung darstellt. Es wird zudem ausführlich darauf eingegangen, wie dieses fremde Gedankengut adäquat im eigenen Text wiedergegeben und dokumentiert wird. Das Kapitel schließt mit einer Checkliste zur Textüberarbeitung.
Im sechsten Kapitel stellen die Autorinnen bewährte Techniken der Arbeits- und Zeitplanung vor. Weil die Gestaltung dieser Planungen immer auch typabhängig sind, werde die Leser:innen zur Auseinandersetzung mit der Frage „Welcher Schreibtyp bin ich?“ eingeladen.
Im abschließenden siebten Kapitel erlauben Kolip und Schmidt einen Blick über ihre Schultern und berichten den Leser:innen über persönliche Schreibschwierigkeiten und erfolgreiche Gegenstrategien.
Diskussion
Der Schreibratgeber bietet Studierenden der Sozialarbeits- und (insbesondere) der Gesundheitswissenschaften eine sehr gut lesbare und anschauliche Unterstützung bei der Bewältigung der Herausforderungen wissenschaftlicher Schreibprojekte. Zahlreiche Infoboxen und Checklisten erleichtern es den Leser:innen, die Empfehlungen für eigene Schreibprojekte einzusetzen. Viele Passagen sind darüber hinaus auch für Lehrende bei der Gestaltung einschlägiger Einführungsseminare oder bei der Beratung von Studierenden sehr gut brauchbar.
Zurecht thematisieren die Autorinnen gleich zum Einstieg die Multidisziplinarität der Sozialarbeits- und Gesundheitswissenschaften, denn die damit verbundene Vielfalt der Fachtraditionen ist für Studierende in Schreibprozessen eine Herausforderung, die oft unterschätzt wird. Bei der Antwort auf die Frage nach den Pfaden, „die durch das Gebirge der multidisziplinären Vielgestaltigkeit führen“ (S. 19) bleiben Kolip und Schmidt etwas vage. Sie nennen zwar als Beispiel für einen derartigen Pfad die Unterscheidung zwischen wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Literatur, deren Kriterien disziplinübergreifend gelten. Konkrete Tipps zur Entscheidung, welcher disziplinären Schreibtradition Studierende in Ermangelung einer spezifischen sozialarbeits- und gesundheitswissenschaftlichen Tradition folgen, werden aber nicht gegeben.
Die Autorinnen thematisieren ausführlich den Arbeitsschritt „Recherchieren“. Sehr gut nachvollziehbar wird dabei die für Studieneinsteiger:innen oft schwierige Unterscheidung von wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Literatur dargestellt. Gelungen ist an diesem Abschnitt zudem, dass nicht nur die Literatur-, sondern auch die Datenrecherche (in der gegebenen Kürze und mit Fokus auf statistische Daten) angesprochen wird.
Lesenswert ist zudem der Abschnitt zur Wiedergabe fremden Gedankengutes als eigenständige wissenschaftliche Leistung. Den Autorinnen gelingt es, das scheinbar „lästige“ Paraphrasieren als gedankliche Vorarbeit zur Beantwortung der Fragestellung einzuführen.
Das Buch wurde offensichtlich in einem Zeitraum geschrieben, in dem die Entwicklungen im Bereich des Natural Language Processing (namentlich: ChatGPT) noch nicht die aktuelle Aufmerksamkeit und Verbreitung hatten. Es ist daher nachvollziehbar, dass KI-Schreibtools nicht thematisiert werden, obwohl diese Anwendungen akademische Schriftlichkeitspraktiken grundlegend infrage stellen. Gleichwohl setzt auch die sinnvolle und verantwortungsbewusste Anwendung von KI-Tools eine wissenschaftliche Haltung im Sinne einer kritischen Rezeption von Forschungsliteratur und die Teilnahme am Fachdiskurs voraus. So gewendet schaffen Kolip und Schmidt mit ihrem Fokus auf „wissenschaftliche Haltung“ (S. 7, Herv. i. Orig.) die Grundlage für einen verantwortungsbewussten und zielführenden Einsatz von KI-Tools, sodass deren Erläuterung entbehrlich scheint.
Der Schreibratgeber richtet sich zwar ausdrücklich an Studierende der Sozialarbeits- und Gesundheitswissenschaften, zumindest tendenziell ist er aber eher für (angehende) Gesundheitswissenschaftler:innen nützlich, und zwar vor allem aus drei Gründen: Erstens entstammen die Beispiele überwiegend der gesundheitswissenschaftlichen Forschung (Ausnahme u.a.: das instruktive Beispiel eines gelungenen Exposés auf S. 35 f.). Zweitens gehen viele der Beispiele – insbesondere die fiktive Literaturrecherche (S. 60) – von einer evidenzbasierten Forschungsanlage aus. Evidenzbasierte Forschung ist in den Sozialarbeitswissenschaften jedoch nicht nur wenig verbreitet, sondern auch sehr umstritten. Drittens birgt das Studium der Sozialen Arbeit aufgrund des vergleichsweise hohen Praxisanteils eine besondere Schreibherausforderung, die Kolip und Schmidt nicht thematisieren. Durch die frühzeitige Einbindung in berufliche Praxis lernen Studierende schon im Studium unterschiedliche Formen des beruflichen Schreibens kennen. Zudem wird Schreiben in Begleitseminaren zur Praxisreflexion eingesetzt. Studierende der Sozialen Arbeit stehen also vor der Herausforderung, berufliches, reflektierendes und wissenschaftliches Schreiben unterscheiden zu können und müssen in der Lage sein, diese Schreibformen situationsgerecht anzuwenden (z.B. in Praktikumsberichten, Lernportfolios, Dokumentationen).
Fazit
Kolip und Schmidt möchten mit Ihrem Schreibratgeber Studierende bei der Entwicklung wissenschaftlicher Schreibkompetenzen in den Sozialarbeits- und Gesundheitswissenschaften unterstützen. Schrittweise gehen Sie auf die Herausforderungen der einzelnen Schreibphasen ein, hinterlegt mit zahlreichen Beispielen und Info-Boxen. Eingerahmt wird der Blick auf den Schreibprozess mit Ausführungen zur Multidisziplinarität und zum Arbeits- und Zeitmanagement. Ein Blick in diesen Schreibratgeber ist für Studierende und Lehrende der Sozialarbeits- und (insbesondere) der Gesundheitswissenschaften auf jeden Fall lohnenswert.
Rezension von
Prof. Dr. Johannes Emmerich
Professor für Grundlagen der Sozialen Arbeit und ihrer Handlungskonzepte
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