Tsitsi Dangarembga: Schwarz und Frau
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 18.04.2023

Tsitsi Dangarembga: Schwarz und Frau. Gedanken zur postkolonialen Gesellschaft. Quadriga Verlag Bastei Lübbe AG (Köln) 2023. 160 Seiten. ISBN 978-3-86995-127-0. D: 22,00 EUR, A: 22,70 EUR, CH: 29,90 sFr.
Thema
Weiß ist eine Gelegenheitsfarbe – Schwarz die Farbe aller Tage!
In den Zeiten der sich immer entgrenzender, interdependenter entwickelnden Welt kommt die Hoffnung auf, dass Kennenlernen und Begegnung mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen selbstverständliche und natürliche Ereignisse sind. Vergangen, wenn auch nicht vergessen sollte sein, dass im Kolonialismus und Imperialismus die hellhäutigen, „weißen“ Menschen sich gegenüber den dunkelhäutigen, „schwarzen“ Menschen, den „Einheimischen“, „Eingeborenen“, höherwertig, übergeordnet und mächtig empfanden. Als in den afrikanischen Kolonien die autochthone, indigene Bevölkerung gegen die europäischen Kolonialmächte aufstand und für die Unabhängigkeit kämpfte, da entwickelten sich Formen von afrikanischer Identität. Der senegalesische Freiheitskämpfer und spätere Präsident, Léopold Sédar Senghor (1906 – 2001) entwickelte z.B. die „Philosophie der Négritude“, aus der die oben gewählte Überschrift entnommen ist (Négritude und Humanismus, Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf/Köln 1964, 324 S.). Im postkolonialen, anthropologischen Bewusstsein sollte die Hautfarbe, als körperliches, ethnisches Merkmal niemals mehr wertende, rassistische Einstellungen bewirken.
Entstehungshintergrund und Autorin
Menschen sehen in ihrer äußeren Erscheinung unterschiedlich und vielfältig aus. Sie sind dadurch unterscheidbar und in ihrer Art individuell und einmalig. Sie besitzen das, was als „globale Ethik“ in der von den Vereinten Nationen 1948 proklamierten „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ zum Ausdruck kommt: „Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt“. Die 1959 in der damaligen britischen Kolonie Rhodesien, heute: Simbabwe, geborene Schriftstellerin, Dramatikerin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga gilt als bedeutsame Stimme Afrikas, wenn es darum geht, die humanen Werte Freiheit – Gleichheit – Gerechtigkeit – Frieden in die Welt zu bringen. Für ihre literarischen und humanen Arbeiten wurde sie 2021 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Der Quadriga-Verlag legt 2023 ihren 2022 in London mit dem Titel „Black and Female“ erschienenem Essayband als „Schwarz und Frau“ in deutscher Sprache vor (übersetzt von Anette Grube).
Aufbau und Inhalt
Ihre individuellen, reflektierten Gedanken zur postkolonialen Gesellschaft bewegen sich zwischen der autobiographischen Nachschau und den historischen und aktuellen Lebenserfahrungen ihres Volkes. Der erste Satz In ihrem einleitenden Text lautet: „Ich bin in existentieller Hinsicht auf der Flucht“. Wovor aber wollte, konnte, musste sie fliehen? Es waren die kolonialen Gesetze der Rassentrennung, die für ihre Eltern und die „Eingeborenen“ Lebensgrundlage waren; die Segregationen beim Bildungssystem, die von den Kolonialherren mitgebrachten und eingeführten religiösen Zugehörigkeiten, und nicht zuletzt die traditionalistischen, hierarchischen, patriarchalen und diskriminierenden Alltagspraktiken. Ihre autobiographische Erzählung gliedert sie weiterhin in die Kapitel „Schreiben als Schwarze und Frau“ – „Schwarz, Frau und die schwarze feministische Superfrau“ – „Dekolonisierung als revolutionäre Vorstellung“.
Es ist das „Imperium“, das früher die Kolonialmacht war und heute nicht selten die (korrupte) einheimische Hierarchie, die schon ganz früh die afrikanischen Intellektuellen zu Wort brachte; als Erinnerung der Protest, den 1967 der ugandische Kulturschaffende Okot p’Bitek (1931 – 1982) formulierte:
Oh Gott, bewahre Afrika
Vor unseren neuen Herrschern;
Lass sie demütig werden
Öffne Ihre Augen,
Damit sie sehen,
Dass der materielle Fortschritt
Nicht auf einer Stufe steht mit geistigem Fortschritt.
Oh Herr, öffne die Ohren der afrikanischen Herrscher
Damit sie Freude empfinden
Beim Klang ihrer Trommeln
Und der Gedichte ihrer Mütter.
Es war der Sklavenhandel, dessen Folgen eingebrannt sind in die Erinnerungen. Es waren die Begegnungen, die das dunkelhäutige Kind mit den „bleichen“ Menschen hatte, zu Hause und in der Metropole in Übersee. Wie kann sich autochthone, humane Identität entwickeln bei Gesetzen der Rassentrennung und -mentalität? Es sind die alltäglichen, im Herkunftsland kolonial aufgezwungenen, in der Fremde die eingewohnten, scheinbar wohlgemeinten Beachtungen des Andersseins: „Hallo, hübsches kleines Negerlein“, die Fragen – „Wer bin ich?“ – so schwierig und beinahe unbeantwortbar machen. Tsitis Eltern gehörten der von den Kolonialherren ins Land gebrachten, mächtigen „United Methodist Church“ an.
Sie brachte auch deren beruflichen, existentiellen Wechsel vom Heimatland nach England zustande, und den Aufenthalt von Tsitsi und ihrem Bruder bei einer Pflegefamilie in Dover, und die Erfahrungen auf der Straße, in der Schule und überall dort, wo Weiss die „normale“ Hautfarbe, und Schwarz als ein Zustand empfunden wird, „der mir aufgezwungen wurde, und keine erlebte Identität. Bis heute identifiziere ich das Wort >schwarz< nicht mit Hautfarbe, sondern mit Erfahrungen, die ich … ertragen musste“.
Die Rückkehr „nach Hause“ war wie eine „in die Fremde“. Nach der Unabhängigkeit ihres Heimatlandes konnte sie an der University of Zimbabwe Geschichte und Literatur studieren. Hier erlebte sie die befreienden Wirkungen, dass das Wort, die literarischen, gestischen und filmischen Darstellungen Mittel zur Ichfindung sind. Und sie entwickelte Widerstandsformen gegen geschlechter-diskriminierende Alltäglichkeiten: Feminismus wurde für sie zum Kampf- und Lebensbegriff! Sie drückte diese Entdeckung aus in ihrer Schreibe, auch erfahrend, dass es schwierig war, ihre Texte zu veröffentlichen: „Wir haben schon eine Schwarze“, so die ablehnenden Kommentare der Verlage. Sie gründete das „International Images Film Festival for Women“, und sie setzte zur Wehr gegen die ungerechten, politischen, ökonomischen und patriarchalen Entwicklungen in Simbabwe nach der Unabhängigkeit: „In den konservativen simbabwischen und anderen afrikanischen Gesellschaften werden erfolgreiche Frauen, die in ihrem privaten und öffentlichen Leben nicht von frauenfeindlichen Normen eingeschränkt sind, von patriarchalen Medien zum Schweigen gebracht“. Doch es gibt Hoffnung: Wenn in der afrikanischen Philosophie „ubuntu“ die Lebenslehre propagiert wird – „Es geht mir gut, wenn es dir gut geht!“ – kommen wir zu Parallelen, wie sie im europäischen, westlichen Denken mit dem Kant’schen Kategorischen Imperativ zum Ausdruck kommen und sich im Sprichwort artikulieren: „Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinen andern zu!“.
Diskussion
Gegen Ego-, Ethnozentrismus, Rassismus, Faschismus und Populismus vorzugehen, erfordert Selbst- und Welterkenntnis. Das Individuum und die Gemeinschaft, die für alle Menschen ein gutes, gelingendes Leben erstreben, sollen sich aufmachen auf den Weg zu einem humanen Ziel, das noch nicht verwirklicht ist. Es braucht Mitdenker und Mitstreiter, wie zum Beispiel die US-amerikanische Nobelpreisträgerin und Literaturwissenschaftlerin Toni Morrison, deren Arbeiten auch von Tsitsi Dangarembga herangezogen werden. Es sind die „Critical Whitness Studies“, die ein Bewusstsein zustande bringen können, dass nur wer sich auf den Weg begibt, den Anderen, den Fremden zu kontaktieren, sein Sosein zu entdecken und zu fühlen, in der Lage ist, nicht rassistisch zu sein (Toni Morrison, Die Herkunft der Anderen. Über Rasse, Rassismus und Literatur, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/24660.php).
Fazit
Tsitsi Dangarembga reflektiert: „Als Jugendliche war meine Existenz von einem doppelten Negativ geprägt: nicht männlich, nicht weiß“. Ihre Auseinandersetzungen mit diesen scheinbaren Defiziten bestimmt ihr Leben und Schaffen. Es ist die Konfrontation mit individueller und kollektiver, nicht legitimer Macht und Gewalt, mit undemokratischen Herrschaftsformen, hegemonialen und patriarchalen Mentalitäten, die es wert und notwendig machen, ihr Werk zur Kenntnis zu nehmen und als Werkzeug zu benutzen, Frieden, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Solidarität in die Welt zu bringen.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 18.04.2023 zu:
Tsitsi Dangarembga: Schwarz und Frau. Gedanken zur postkolonialen Gesellschaft. Quadriga Verlag Bastei Lübbe AG
(Köln) 2023.
ISBN 978-3-86995-127-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30500.php, Datum des Zugriffs 23.09.2023.
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