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Maria Burschel, Kathrin Klein-Zimmer et al.: Gute Heime

Rezensiert von Christian Busch, 23.01.2024

Cover Maria Burschel, Kathrin Klein-Zimmer et al.: Gute Heime ISBN 978-3-7799-6879-5

Maria Burschel, Kathrin Klein-Zimmer, Mike Seckinger: Gute Heime - Möglichkeiten der Sichtbarmachung der Qualitäten stationärer Hilfen zur Erziehung. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2022. 312 Seiten. ISBN 978-3-7799-6879-5. D: 24,95 EUR, A: 25,60 EUR.
Reihe: Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfeforschung.

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Entstehungshintergrund und Thema

Bei der hiesigen Publikation handelt es sich um eine umfangreiche und durchgehend qualitative Studie des Deutschen Jugendinstituts, die unter der Leitung von Dr. Maria Burschel, Dr. Kathrin Klein-Zimmer und Dr. Mike Seckinger entstand. Ziel der Untersuchung war es, einen differenzierten Qualitätsbegriff in der stationären Hilfen zur Erziehung entgegen gängiger, evaluierbarer Maßstäbe zu entwickeln. Die Autoren_innen sind der Auffassung, dass eine Verwendung des Begriffs nur unter Berücksichtigung vielfältiger Faktoren möglich sei und verschiedene Dimensionen herangezogen werden müssen (vgl. S. 20). Der Grund dafür ist ein unübersichtliches Praxisfeld, das durch eine große Diversität an Trägern, Hilfe-/​Unterbringungsformen und Rahmenbedingungen geprägt ist (vgl. S. 16). Ausgehend von den Bedarfen jener Klienten_innen, die von der stationären Unterbringung profitieren sollen, wurde die Forschungsfrage umfangreich untersucht.

Institut und Autoren_innen

Die Forschungsstudie wurde im Kooperationsverbund zwischen dem Deutschen Verein, dem Deutschen Jugendinstitut und der Bertelsmannstiftung ins Leben gerufen. Die groß angelegte Forschung entstand aus dem Projekt „Kein Kind zurücklassen“, das im Jahre 2012 im Land Nordrhein-Westfahlen startete und sich für ein gelingendes Aufwachsen, mehr Chancengerechtigkeit und eine bessere Teilhabe von Kindern und Jugendlichen einsetzte. Die Autoren_innen stellen sich zugleich als Leitung des Forschungsprojektes vor und verfügen über langjährige Erfahrungen auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfeforschung. So sind die Themen Familie, stationäre Hilfen zur Erziehung und Jugendhilfe Schwerpunkte in der Forschung der Professorin an der „Internationalen Hochschule“ Dr. Maria Burschel, der wissenschaftlichen Referentin bei der „IJAB- Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V.“ Dr. Kathrin Klein-Zimmer und dem Leiter der Fachgruppe „Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe“ im Deutschen Jugendinstitut Dr. Mike Seckinger.

Aufbau und Inhalt

Der Aufbau des Buches folgt der inhärenten Logik des ausgewählten, qualitativen Forschungsdesigns. Zu Beginn werden sowohl die Prämisse der Unschärfe von Qualität als auch die strittige Notwendigkeit von Definitionen (vgl. S. 19) als relevante Begriffe erläutert. Es folgt eine umfangreiche Darstellung des Forschungsdesigns. Im darauffolgenden Teil werden die Perspektiven der Akteuren_innen umfangreich dargestellt. Abschließend wurden diese in Bezug zueinander gesetzt.

Kapitel 1: Von der stetigen Herausforderung, Qualität stationärer Hilfen zu bestimmen- eine Einleitung

Das erste Kapitel behandelt die Frage nach der Notwendigkeit, sich mit der Qualität von stationären Hilfen zu befassen. Zur Beantwortung wird zum einen die These aufgestellt, dass die „Heimerziehung“ international eine zum Teil problembehaftete und kritische Vergangenheit erzähle. Zum anderen gebe es eine aktuell immer größer werdende Kritik gegenüber der Sinnhaftigkeit und Wirkung von stationären Unterbringungsformen. Daraus entsteht die Forderung nach einer Verpflichtung dazu, Arbeitsweisen in der Praxis transparent zu gestalten (vgl. S. 11 f.). Zudem gebe es eine große Diversität und Heterogenität an Einrichtungen, Bedarfen und Zielen, wodurch Spannungsfelder entstehen, die mit unterschiedlichen Perspektiven und Mandaten einhergehen (vgl. S. 18). Dementsprechend wurde in dieser Studie, im Gegensatz zu standardisierten und objektivierbaren Instrumenten (vgl. S. 21), ein anderer Ansatz zur Entwicklung von Qualität gewählt.

Kapitel 2: Forschungsdesign

In diesem Kapitel wurde erläutert, dass das Vorwissen der Forscher_innen und der aktuelle Forschungsstand systematisch mithilfe des „sensitizing concepts“ geordnet wurden, woraus der sogenannte „Qualitätswürfel“ entstand (vgl. S. 26). Untersucht wurden die Perspektiven von Kinder, Jugendlichen und Eltern als Adressaten_innen der Hilfe, die Fachkräfte der Einrichtungen als Innenperspektive und die Fachkräfte der Jugend- und Landesjugendämter als Außenperspektive (vgl. S. 33 ff.). Das Sample wurde mithilfe verschiedener Kriterien wie Region oder pädagogischer Ausrichtung ausgewählt. Dabei fungierten Einzel- und Gruppeninterviews als Methode zur Datengewinnung (vgl. S. 36 ff.). Die Auswertung der Ergebnisse fand infolgedessen durch offenes, axiales und selektives Codieren zur Entwicklung von Kategorien statt (vgl. S. 52 ff.). Die daraus entstandenen Qualitätsprofile werden in den folgenden Kapiteln vorgestellt.

Kapitel 3: Qualität aus Sicht der Kinder und Jugendlichen (Adressatinnen- und Adressatenperspektive)

Im hiesigen Kapitel wurden die Erfahrungshorizonte der Kinder und Jugendlichen aufgegriffen, indem sie ihre jeweilige Wohnsituation beschrieben. Deutlich wurde, dass die Kinder und Jugendlichen die Qualität ihres Wohnalltags in verschiedenen Spannungsfeldern wahrnehmen. Exemplarisch genannt seien Partizipation vs. Standards und Regeln oder Selbstbestimmung vs. Rolle in der Einrichtung (vgl. S. 60). Als Kriterien für „gute Heime“ wurden kategorisiert (vgl. S. 61 ff.):

  1. Digitale Teilhabe wie der Zugang zu W-LAN, Handys und weiteren Medien
  2. Architektonische Qualität und räumliche Ausgestaltung
  3. Anerkennung und Wahrnehmung der eigenen Person
  4. Ich-Sein-Dürfen mit Räumen zur freien Entfaltung
  5. Gerechtigkeit in der Einrichtung

Kapitel 4: Qualität aus Perspektive der Fachkräfte (Innenperspektive)

Die Autoren_innen beschreiben, dass es den Fachkräften insgesamt schwer gefallen sei, die Qualität ihrer Arbeit zu bestimmen. Oftmals standen sie vor dem Problem, die Ergebnisse ihrer Arbeit zu benennen bzw. die genauen Wirkungszusammenhänge selbstständig nachzuzeichnen (vgl. S. 135). Benannt wurde jedoch, dass auf eine selbstständige Bewältigung des Alltags abgezielt wird (vgl. S. 137). Zudem wurden drei Grundphilosophien rekonstruiert (vgl. S. 135 f.):

  1. Die Art und Weise der Ausgestaltung des Settings in der Einrichtung entscheidet über die Qualität der pädagogischen Arbeit. Dabei ist Herstellung von förderlichen Strukturen, innerhalb derer sich die Kinder und Jugendlichen entwickeln können, von hoher Relevanz.
  2. Individuumszentrierte Interventionen sind maßgeblich für die Qualität in den Einrichtungen, die in der Interaktion mit dem Kind und Jugendlichen eine Veränderung des Verhaltens oder Wirkung erzielen sollen.
  3. Formalisierte Verfahren des Qualitätsmanagements werden als externe Anforderungen angesehen, die eine verlässliche pädagogische Arbeit sicherstellen sollen. Vor diesem Deutungshorizont werden die Hilfen als Dienstleistung für den öffentlichen Jugendhilfeträger angesehen.

Kapitel 5: Qualität aus Sicht der Jugendämter und Landesjugendämter (Außenperspektive)

Die hier vorgestellte Perspektive unterscheidet sich von den Vorausgegangenen darin, dass die Mitarbeiter_innen der Jugend- und Landesjugendämter weniger die Bedarfe der Adressaten_innen als die Erfüllung von Vorgaben, Aufträgen und die Verbindlichkeiten von Kooperationen als qualitätsrelevant definieren. Die Erwartungen sind vorrangig, dass ein angemessener Umgang mit dem Einzelfall stattfindet und Vereinbarungen tatsächlich und praktisch umgesetzt werden (vgl. S. 297). Konkret können folgende Kriterien für eine „gute“ Arbeit resümiert werden (vgl. S. 283 ff.):

  1. Es wird die Forderung aufgestellt, dass das Kompetenzprofil der Einrichtung weit über das pädagogische Konzept hinaus beschrieben sichtbar gemacht werden müsse. Dazu gehören unter anderem Kompetenzen, Eigenheiten, Möglichkeiten, aber auch Grenzen, die regelmäßig kommuniziert werden.
  2. Es müsse eine Kongruenz zwischen dem Kompetenzprofil und dem Alltag hergestellt werden, was bedeutet, dass Konzepte tatsächlich umgesetzt und kontinuierlich angepasst werden.
  3. Qualitätsmaßstäbe werden durch Kooperationsverhandlungen vereinbart, die realistisch umgesetzt werden können.
  4. Es müsse eine gemeinsame Reflexion im Qualitätsprozess stattfinden, die durch beispielsweise Qualitätsentwicklungsvereinbarungen gewährleistet wird.

Kapitel 6: Qualität – ein Konzept, um das gerungen werden muss

Im letzten Kapitel werden ausgewählte Kriterien der Perspektiven in Bezug zueinander gesetzt und hinreichend diskutiert. Exemplarisch sei hier auf das Gerechtigkeitsempfinden verwiesen, das für die Kinder und Jugendlichen eine hohe Relevanz besitzt, von den pädagogischen Fachkräften jedoch kaum aufgegriffen wurde (vgl. S. 291 f.). Daraus wird deutlich, dass die Anforderungen an Qualität aus unterschiedlichen Perspektiven mitunter divers und vielfältig sind. Eine Operationalisierung der Kriterien sei nur schwer umsetzbar. Die Ambivalenz kann dann zu Spannungsfeldern zwischen den Akteuren_innen führen. Eine Annäherung der Perspektiven und Auflösung von Widersprüchen könne dadurch nur prozedural stattfinden. Deutlich werde, dass der Qualitätsbegriff „schillert“ und nicht objektiv bemessen werden kann (vgl. S. 286). Abschließend entwerfen die Autoren_innen ein Modell der Qualitätsdimensionen, aus dem hervorgeht, dass sich die Einrichtung mit ihren Fachkräften dem doppelten Mandat verpflichtet fühlen müsse (vgl. S. 299).

Diskussion

In dieser Studie wurden Ergebnisse publiziert, die mit hohen Standards und einer konsequent transparenten, wissenschaftlichen Vorgehensweise gewonnen wurden. Zurecht wird an mehreren Stellen nicht von Qualität im Singular, sondern von Qualität(en) gesprochen (z.B. vgl. S. 12), die auf eine notwendige Differenzierung und Unschärfe des Begriffs hinweisen. Das Forschungsprojekt wendete sich sichtbar gegen ein technokratisiertes Verständnis und gegen objektivierbare Maßstäbe, um die tatsächlichen Perspektiven der Akteuren_innen zu beschreiben. Mit einem interpretativen Paradigma wurden Deutungshorizonte rekonstruiert und zusammen beleuchtet, um Widersprüche und Spannungsfelder sichtbar zu machen. Mithilfe dessen wurde ein reales Bild der alltäglichen Einrichtungspraxis gezeichnet, obgleich die hiesigen Forschungsergebnisse vorwiegend deskriptiver Natur sind. Möglichkeiten des tatsächlichen Transfers zu realen Handlungsansätzen bleiben jedoch offen und bewusst verhandelbar.

Fazit

Das vorliegende Buch entwirft ein differenziertes Qualitätskonzept für die stationäre Kinder- und Jugendhilfe, die auf den Perspektiven verschiedener Akteuren_innen beruht. Empfehlenswert ist es für all jene Leser_innen, die sich tiefergehend mit dem Qualitätsverständnis in der Praxis auseinandersetzen möchten.

Rezension von
Christian Busch
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Es gibt 2 Rezensionen von Christian Busch.

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Zitiervorschlag
Christian Busch. Rezension vom 23.01.2024 zu: Maria Burschel, Kathrin Klein-Zimmer, Mike Seckinger: Gute Heime - Möglichkeiten der Sichtbarmachung der Qualitäten stationärer Hilfen zur Erziehung. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2022. ISBN 978-3-7799-6879-5. Reihe: Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfeforschung. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30502.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.


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