Anne Vohrmann, David Rott: Begabungen von Kindern erkennen und fördern
Rezensiert von Prof. Dr. René Börrnert, 26.09.2023

Anne Vohrmann, David Rott: Begabungen von Kindern erkennen und fördern.
Verlag W. Kohlhammer
(Stuttgart) 2023.
159 Seiten.
ISBN 978-3-17-037607-6.
29,00 EUR.
Reihe: Praxiswissen Erziehung.
Thema
Eines haben Eltern und Fachkräfte in der Sozialen Arbeit gemeinsam: Sie agieren immer im Kontext von Ungewissheiten, in welcher Weise ihre Bemühungen um den Nachwuchs bzw. ihr Agieren bei den Adressat:innen pädagogisch wirkt. Ebenso steht die Frage, welche Potenziale und Ressourcen im Gegenüber stecken und wie dies in der gemeinsamen Arbeit effektiv genutzt werden kann. Im Kontext der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zum Beispiel ist das Erkennen von solcherlei Begabungen von Relevanz. Damit sind Stärken gemeint, die mit bestimmten Vorlieben einhergehen, sei es musisch-künstlerischer aber auch verbaler und kognitiver Art. Wo und wie treffe ich den Nerv des Heranwachsenden und bringe das in Einklang mit meinen pädagogischen Absichten. Das vorliegende Buch widmet sich diesem Themenfeld umfangreich und geht der Frage nach, wie Pädagog:innen aber auch Eltern derartige Begabungen erkennen und fördern können.
Autor:innen
Dr. Anne Vormann ist Postdoktorandin am Internationalen Zentrum für Begabungsforschung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Dr. David Rott ist Studienrat im Hochschuldienst am Institut für Erziehungswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Das vorliegende Buch ist ein Band aus der Reihe „Praxiswissen Erziehung“.
Aufbau und Inhalt
Das Buch biete eine klare Struktur. Nach einer Einleitung folgt im Teil 1 eine Erörterung des Begabungsbegriffes mit dem Blick auf verschiedene Perspektiven von Begabung mit der Diskussion von individuellen und gesellschaftlichen Relevanzen. Im zweiten Teil werden sieben verschiedene Begabungen thematisiert:
- Kognitive Begabung,
- Sprachliche Begabung,
- Logisch-mathematische Begabung,
- Visuell-räumliche Begabung,
- Körperlich-kinästhetische Begabung,
- Musikalische Begabung,
- Inter- und intrapersonelle Begabung.
Die Ausführungen in den Unterteilen erfolgen nach dem immer gleichen Schema von Erkennen und Fördern der jeweiligen Begabung. Zwecks Förderung werden Räume zur Entfaltung der jeweiligen Begabung aufgezeigt. Zur Erörterung der jeweiligen Begabungsart werden Figuren aus der Kinder- und Jugendliteratur herangezogen.
Drei Begabungen sollen hier beispielhaft erwähnt werden.
_Sprachliche Begabung: Neben der Mündlichkeit oder Schriftlichkeit eines Kindes ist dessen Begabung möglich in der geschickten und zweckorientierten Verwendung von Sprache (Muttersprache ebenso wie Fremdsprachenlernen). In diesen Bereichen lässt sich beobachten, dass Begabte oft über einen auffällig großen Wortschatz verfügen und/oder sich gut ausdrücken können. Da sprachlich Begabte zudem auch meist über viel Fantasie verfügen, geraten sie in ihrer Altersgruppe nicht selten in die Rolle von Außenseitern. Die Autor:innen verdeutlichen das am Fallbeispiel „Enno Anders“. Gezeigt wird hier, welche Rolle Peers bei der Erkennung und Förderung von Begabungen haben können (86 f.). Zudem ist Humor ein Weg, um sprachlichen Begabungen Raum zu geben: „Über Sprache bildet sich Witz ab, durch einen ganz spezifischen, oft veränderten Gebrauch von Sprache können wir Menschen zum Lachen bringen und dies auch Kindern und Jugendlichen nahebringen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass Personen im pädagogischen Feld selbst Sprachvorbilder sind – natürlich über die Ebene des Humors hinaus und ganz generell gesprochen“ (87 f.).
_ Visuell-räumliche Begabung: Wie gehe ich mit abstraktem und bildhaftem Material um (z.B. beim Problemlösen) oder wie erschließe ich mir Räume, in denen ich zielsicher agieren will (z.B., um den Basketball treffsicher im Netz zu versenken)? Solcherlei Begabungen sind zumeist Kompetenz für besondere Berufszweige, wie Handwerker:innen oder Architekt:innen. Vohrmann und Rott nennen hier Perspektiven und Fragen, um entsprechende Begabungen zu erkennen: „Nutzt das Kind gerne Zeichnungen, um sich auszudrücken oder um Dinge festzuhalten und sich zu merken?“ (106). Neben der Schilderung eines Falles für die Begabung an sich („Die Karte meiner Träume“) gehen die Autor:innen auch auf den Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Nadolny ein. Die Figur John Franklin wird für seine Langsamkeit verspottet. Durch seine gründliche Arbeit erarbeitet er sich jedoch den Respekt in der Gruppe. Durch Schilderungen solcher Situationen kann Betroffenen selbst oder ihren Eltern aufklärende Hilfe geboten werden, sowohl Schwächen als auch Stärken zu analysieren (vgl. 110).
_ Musikalische Begabung: Das Buch „Solo für Clara“, ziehen Vohrmann und Rott heran, um musikalische Begabung zu verdeutlichen. Durch Clara und ihre Geschichte wird am literarischen Beispiel anschaulich illustriert, welche verschiedenen Aspekte Einfluss auf eine Begabungsentwicklung nehmen, z.B. der Klavierlehrer Eisenstein als „strenges Vorbild“ oder die vom Ehrgeiz der Tochter irritierten Eltern (vgl. 127ff). Als Erkennungsmerkmale für musikalische Begabung nennen die Autor:innen u.a. ein starkes Bedürfnis nach Musik und musikalischem Lernen, starkes Interesse an Musik und Klängen sowie eine innere Motivation, sich mit Musik zu beschäftigen (vgl. 129). Auch die Räume zur Entfaltung der musikalischen Begabung werden anhand des Kinderbuches dargestellt (130ff).
Neben einem Fazit und Ausblick bieten die Autor:innen schließlich eine umfangreiche Literatur- und Liste mit Leseempfehlungen.
Diskussion
Welche Ressourcen stecken in den uns anvertrauten Zöglingen und wie kann ich ggf. Einfluss ausüben, der zur Zufriedenheit auf beiden Seiten trägt? Die Literatur zum Thema „Begabungen erkennen und fördern“ reicht vom gelassenen Umgang über Übungs- und Trainingsansätze bis hin zur „Tigermutter“, die ihr Kind quasi zum Erfolg verpflichtend antreibt.
Das vorliegende Buch differenziert zum einen die Vielfalt an Begabungen und zeigt das Wechselspiel, aber auch die Unterschiede zu Intelligenz und Kreativität auf. Überzeugend ist die klare Struktur, wie Kinder erkannt und gefördert werden können. Deutlich herausgearbeitet ist aber auch das Zusammenwirken von Eltern und Fachkräften, wobei sich der Auftrag der Sozialen Arbeit als möglicher Kooperationspartner zwischen Kind und Elternhaus herauslesen lässt. Die Bezugnahme der Autor:innen auf Beispielpersonen aus der Kinder- und Jugendliteratur ergänzt den Praxisbezug des Buches in besonderer Weise.
Fazit
Das Buch ist unbedingt empfehlenswert für Eltern und Akteure in der Sozialen Arbeit, die sich mit dem Erkennen und der Förderung von Begabungen bei jungen Menschen auseinandersetzen wollen.
Rezension von
Prof. Dr. René Börrnert
Fachhochschule des Mittelstands (Rostock)
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Zitiervorschlag
René Börrnert. Rezension vom 26.09.2023 zu:
Anne Vohrmann, David Rott: Begabungen von Kindern erkennen und fördern. Verlag W. Kohlhammer
(Stuttgart) 2023.
ISBN 978-3-17-037607-6.
Reihe: Praxiswissen Erziehung.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30536.php, Datum des Zugriffs 28.11.2023.
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