Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Matthias Weber, Ulrich Alberstötter: Psychologische und sozialpädagogische Grundlagen beim Sorge- und Umgangsrecht

Rezensiert von Dr. Franziska Baumbach, 28.06.2023

Cover Matthias Weber, Ulrich Alberstötter: Psychologische und sozialpädagogische Grundlagen beim Sorge- und Umgangsrecht ISBN 978-3-8462-1251-6

Matthias Weber, Ulrich Alberstötter: Psychologische und sozialpädagogische Grundlagen beim Sorge- und Umgangsrecht. Handlungsempfehlungen, Praxisbeispiele, Arbeitshilfen. Reguvis Fachmedien GmbH (Köln) 2022. 250 Seiten. ISBN 978-3-8462-1251-6. D: 44,00 EUR, A: 45,30 EUR.
Reihe: Familiengerichtsverfahren um Sorge und Umgang.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Das Buch gibt einen umfassenden Überblick über die sozialpädagogischen und psychologischen Dimensionen des Familiengerichtlichen Verfahrens um Sorge und Umgang. Es enthält systematische Erläuterungen mit Praxishinweisen, Best-Practise-Beispielen, Standards, Checklisten und Tipps und bietet praktisches Handlungswissen für alle im familiengerichtlichen Verfahren Tätigen.

Autoren

Matthias Weber ist Psychologe, Psychotherapeut, Familienberater und Supervisor, leitete eine Beratungsstelle und war Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung. Uli Alberstötter ist Pädagoge, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Supervisor, Mediator und Sachverständiger.

Entstehungshintergrund

Seit dem Inkrafttreten des Achten Sozialgesetzbuches sind nicht länger allein die Familiengerichte für die Begleitung der Umgangs- und Sorgeregelungen nach Scheidung zuständig. Die Jugendhilfe hat nun die Aufgabe, Eltern und Kindern beratend zur Seite zu stehen und auf Beteiligung des Kindes und auf die Entwicklung eines einvernehmlichen Konzeptes hinzuwirken. Das Buch untersucht in diesem Kontext das Verhältnis von juristischen Berufen zu sozialpädagogischen und behandelt sozialpädagogische und psychologische Inhalte und Kompetenzen, die in Sorge- und Umgangsverfahren von Bedeutung sind (7).

Aufbau und Inhalt

Das Buch gliedert sich in elf Kapitel. Das erste Kapitel stellt zunächst die gesellschaftliche und gesetzliche Entwicklung von Ehe und Scheidung in Bezug auf Sorgeregelung und Rolle des Kindes dar. Seit den 1980er Jahren gab es viele grundlegende Veränderungen, das Ende einer Ehe ist zum gesellschaftlichen Normalfall geworden. Das Zerrüttungsprinzip trat an die Stelle des Schuldprinzips; ohne Antrag der Eltern kommt es zum gemeinsamen Sorgerecht und die Gerichte bekamen die Aufgabe auf das Einvernehmen der Eheleute hinzuarbeiten. Der Schutz des Kindes ist in den Mittelpunkt des familiengerichtlichen Verfahrens getreten, beide Eltern sollen in der Verantwortung gehalten werden. Das zweite Kapitel widmet sich der Situation des Scheidungskindes und skizziert zunächst die Phasen der Trennung (Ambivalenzphase, Trennungsphase, Nachtrennungsphase) mit Fokus auf das Kind.

Es folgen konkrete Vorschlägen, wie mit dem Kind darüber gesprochen werden kann und wohin die Eltern sich für professionelle Trennungsberatung wenden können. Im dritten Kapitel wird der eskalierende Elternkonflikt zum Gegenstand, es wird das 3-stufige Eskalationsmodell (70) als Schema für Konflikt-Niveaus vorgestellt. Auf der ersten Stufe (dauerhaft niedriges Konfliktniveau) sind die Eltern noch in der Lage wenigstens zeitweise Empathie für einander aufzubringen und zwischen Paar- und Elternebene zu unterscheiden. Sie haben das Kindeswohl im Blick und wissen, dass ein Kind beide Elternteile braucht. Auf der zweiten Stufe der Eskalation nehmen die Gefühle mehr und mehr Überhand, ein Ringen um den Opferstatus beginnt, die Stimme des schlechten Gewissens wird zum Verstummen gebracht (75).

Der Konflikt wird öffentlich, das Konflikt-System wächst: „Der hochstrittige Konflikt wirkt wie ein Super-Spreader, der Personen aus dem privaten und professionellen Umfeld ,infiziert'“ (80). Im chronischen Beziehungskrieg (Eskalationsstufe 3) eskaliert es weiter: Es kommt zu einer „quasi-psychotischen Verfassung“ (83), die „Schädigung des Gegners wird zunehmend wichtiger als der eigene Nutzen“ (87). Das vierte Kapitel betrachtet die Seite des Kindeswohls im eskalierenden Konflikt und beschreibt, wie die Hochkonflikthaftigkeit zu spezifischen Belastungen des Kindes führt. Das Kapital zeigt, wie ein differenziertes Erfassen belastender und schützender Faktoren ermöglicht, die Gefährdung des Kindes einzuschätzen und passgenau zu intervenieren. Hochkonflikthafte Eltern verlieren ihr Kind aus dem Blick und ihre Erziehungsfähigkeit wird eingeschränkt: Sie können das Kind bei der Entwicklung von Impulskontrolle, Selbstregulation und Konfliktlösestrategien nicht unterstützen und leben ein dysfunktionales Modell von Beziehungen vor (93).

Kapitel V geht darauf ein, dass die juristische Struktur und Sprache familiengerichtlicher Verfahren zur Eskalation beitragen kann, hier ist die Zusammenarbeit mit nicht-juristischen Professionen essenziell. Im sechsten Kapitel wird Bindung im Trennungskontext thematisiert: Bindungsfürsorgliche Eltern fördern den Kontakt beider Elternteile zum Kind aktiv, wohlwissend, dass das Kind ein Recht darauf hat und davon profitiert. Dem gegenüber stehen bindungstolerante und bindungsblockierende Eltern. Im siebten Kapitel wird darauf aufbauend der Begriff der Verfügungsgewalt erläutert: „Gemeint ist damit der durchgesetzte Anspruch eines Elternteils, in allen das Kind betreffende Belangen im Alleingang ,schalten und und walten' zu können. Die Mitsprache und Beteiligung des anderen Elternteils sowie seine Teilhabe des Kindes am Leben des Kindes wird ausgehebelt“ (140).

Autor Uli Alberstötter ist hier die Abgrenzung zum Parental Alienation Syndrom (PAS) als Beschreibung von Eltern-Kind-Entfremdung (EKE) wichtig: Das Konzept des PAS verfolgt eine psychiatrische Pathologisierung und wurde politisch als ,Frauenleiden' von Väterverbänden genutzt. EKE wird aus der Perspektive der Verfügungsgewalt als eine Frage „des moralischen Niedergangs begriffen“ (141). Im Fokus des achten Kapitels stehen Fragen des Kindeswohls und des Kindeswillens in ihrer Bedeutung für Kinder hochstrittiger Eltern: „Deren Fähigkeit zur Einfühlung in das Kind ist verloren gegangen, sie nehmen unbeabsichtigt oder aktiv-intentional Einfluss auf das Kind. Seine Äußerungen sind oft weit davon entfernt, einen eigenständigen Willen zum Ausdruck zu bringen“ (175).

Zugespitzte Elternkonflikte setzen Kinder unter einen so großen Loyalitätsdruck, dass Kontakte zu extremen Belastungen führen können. Kinder können innerhalb von kürzester Zeit widersprüchliche Aussagen machen (182). Das Kind entwickelt das Bedürfnis, dem Konflikt nicht weiter ausgeliefert zu sein und schlägt sich auf eine Seite (185). Das neunte Kapitel widmet sich dem Handeln für Kinder hochkonflikthafter Eltern und der notwendigen sozialprofessionellen Haltung. Die Reduktion der Elterkonflikte ist die wirksamste Form der Hilfe für das Kind, natürlich muss auch das Kind selbst unterstützt werden (195). Hilfe für das Kind (Beratung, Therapie) kann kontraproduktiv sein, wenn die Eltern die Auffassung haben, das Kind sei ja jetzt versorgt – beliebte Diagnose: ADHS. So müssen die Eltern sich die Symptome des Kindes nicht selbst ankreiden (203). Das zehnte Kapitel bietet die Begründung des pragmatischen Handlungsansatzes, der von der „psycho-pathologischen Hypothese“ abgegrenzt wird: „Entgegen der therapeutischen Nachsichtigkeit und Empathie-Betonung wird in dieser pragmatischen Haltung der konfrontierende Anforderungscharakter in Form klarer Verhaltens-Erwartungen an die Eltern deutlich“ (207). Es folgt eine ganz konkrete Anleitung für die Beratung mit hochkonlikthaften Eltern. Im elften Kapitel wird noch einmal dezidiert die absolut notwendige Kooperation zwischen den sozialprofessionell Beteiligten herausgearbeitet. Die Autoren gehen ganz konkret auf die Gefahren ein, die auf dem Weg zwischen Gericht und Beratungsstelle lauern und machen viele konkrete Vorschläge, wie dieser Weg möglichst kurz gehalten werden kann.

Diskussion

Das Buch ist ein Wegweiser für beraterische Praxis mit getrennten Eltern. Es bietet kritische, theoretische Fundierung und viele praxisnahe Beispiele. Die Autoren bringen enorme Kompetenz aus der praktischen Arbeit mit, die umfassend reflektiert und in gesellschaftliche Zusammenhänge eingeordnet wird. Es wird eine Fülle von Literatur einbezogen und mitunter kritisch dargestellt. Dem gesellschaftlichen Trend zur Pathologisierung des Verhaltens Einzelner wird kritisch begegnet und eine eigene Haltung entgegengestellt. Der Aufbau des Buches besticht durch ein bestens ausdifferenziertes Inhaltsverzeichnis und zusammenfassende Übersichtstabellen – auf diese Weise kann es in der alltäglichen Arbeit schnell als Handlungsinspiration dienen. Es finden sich Skripte für Beratungsgespräche und Checklisten für die Einordnung der eigenen Praxis.

Fazit

Das Buch widmet sich umfassend der beraterischen Tätgkeit hochkonflikthafter Eltern – meine einzige Kritik gilt daher dem Titel, der dem Inhalt nicht gerecht wird. Die Autoren begründen eine Theorie von Hochstrittigkeit und liefern darüber hinaus übersichtlich, verständlich und gut begründet eine konkrete Arbeitshilfe und wertvolle Anleitung. Daher ist das Buch äußerst empfehlenswert für alle, die in der Elternberatung tätig sind.

Rezension von
Dr. Franziska Baumbach
Lehrbeauftragte an der KHSB Berlin und Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe in Berlin
Mailformular

Es gibt 10 Rezensionen von Franziska Baumbach.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Franziska Baumbach. Rezension vom 28.06.2023 zu: Matthias Weber, Ulrich Alberstötter: Psychologische und sozialpädagogische Grundlagen beim Sorge- und Umgangsrecht. Handlungsempfehlungen, Praxisbeispiele, Arbeitshilfen. Reguvis Fachmedien GmbH (Köln) 2022. ISBN 978-3-8462-1251-6. Reihe: Familiengerichtsverfahren um Sorge und Umgang. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30537.php, Datum des Zugriffs 04.12.2023.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht