Monica McGoldrick, Randy Gerson et al.: Genogramme in der Familienberatung
Rezensiert von Dr. Lorenz Grolig, 15.09.2023
Monica McGoldrick, Randy Gerson, Sueli Petry: Genogramme in der Familienberatung. Hogrefe AG (Bern) 2022. 5., überarbeitete Auflage. 396 Seiten. ISBN 978-3-456-86159-3. D: 52,95 EUR, A: 54,50 EUR, CH: 68,00 sFr.
Thema
Das Familien-Genogramm ist eine Art psychologischer Stammbaum und wird vor allem in der systemischen Beratung und Therapie sowie Familientherapie häufig eingesetzt. Es dient unter anderem der Visualisierung und diagnostischen Beschreibung von Beziehungen zwischen Familienmitgliedern, die mindestens drei Generationen (Großeltern, Eltern, Kinder) umfasst. Ein zentrales Anliegen von Genogrammen ist das Aufdecken von Beziehungsmustern und wiederkehrenden, generationenübergreifenden Themen und Aufträgen, die ohne Reflexion Leid verursachen können. Monica McGoldrick hat gemeinsam mit Kolleg*innen diesen maßgeblichen Band zur Nutzung von Genogrammen in Beratung und Psychotherapie erstmals 1985 vorgelegt. Die deutschsprachige Ausgabe liegt nunmehr in der 5., überarbeiteten Auflage vor, für die der Text und einige Genogramm-Symbole überarbeitet wurden und in der nun ausführlicher auf den Einsatz von Genogrammen bei klinische Interventionen eingegangen wird.
Autor:innen
Monica McGoldrick, M. A., LCSW, Ph. D. (h. c.), ist Direktorin des Multicultural Family Institute in Highland Park, New Jersey und lehrt an der Psychiatrischen Fakultät der University of Medicine and Dentistry in New Jersey.
Dr. Randy Gerson war Familientheoretiker und arbeitete als Kliniker und Software-Entwickler.
Dr. Sueli Petry ist Psychologin und Familientherapeutin. Sie arbeitet als Klinikerin und Supervisorin an der Rutgers University und dem Multicultural Family Institute in Highland Park in New Jersey.
Aufbau und Inhalt
Im ersten Kapitel stellen die Autor*innen die grundlegenden Ideen, Konzepte und Anwendungsmöglichkeiten von Genogrammen vor. Ausgangspunkt ist die Hypothese, dass wir als soziale Wesen nie ohne den Einfluss anderer handeln, sondern auch (scheinbar) allein auf uns gestellt viele sozial erworbene Vorstellungen und Werte auf uns wirken. Im zweiten Kapitel wird die Genogramm-Erstellung in den Kontext klinisch-psychiatrischer und familientherapeutischer Diagnostik eingebettet und auf die wichtigsten Symbole zur Darstellung von Familienmitgliedern und deren Beziehungen eingegangen. Im dritten Kapitel folgt eine praxisnahe Anleitung zur Erstellung von Genogrammen mit Klient*innen im Rahmen eines Genogramminterviews. Die Kapitel vier bis sieben gehen auf die allgemeine Auswertung von Genogrammen ein (familiäre Muster erkennen; familiäre Konstellationen erkennen; Geschwisterkonstellationen explorieren; Paarbeziehungen explorieren), während Kapitel acht bis elf spezielle Anwendungskontexte und -möglichkeiten vorstellen (u.a. klinische Einsatzmöglichkeiten und Einsatz im Familienspiel). Der Band enthält zudem eine Bibliografie, Biografische Quellen (zu den Genogrammen berühmter Familien, die als Beispiele aufgeführt werden) und ein Personen- und Sachwortverzeichnis.
Diskussion
Die jahrzehntelange Erfahrung der Autor*innen erweist sich immer wieder als Fundgrube für interessante Fallbeispiele, durch die die Arbeit mit Genogrammen lebendig und motivierend vermittelt wird. Positiv fällt hierbei auf, dass auch neuere gesellschaftliche Entwicklungen wie Patchwork-Familien, Regenbogen-Familien und Trans*Personen selbstverständlich in die Darstellung mit aufgenommen werden.
Auch wenn die Autor*innen sehr viel Potenzial in der Genogramm-Arbeit sehen, werden die Grenzen der Methode an einigen Stellen auch teilweise angesprochen: Beispielsweise die in der Praxis häufig anzutreffende Tendenz, nach der (ohnehin schon) aufwendigen Erarbeitung eines Genogramms mit einem thematischen Schwerpunkt (z.B. transgenerationale Botschaften in der Familie) das Genogramm nach einigen Sitzungen nicht weiter zu verfolgen, auch wenn es zahlreiche weitere Ansatzpunkte für die Beratung oder Therapie gäbe.
Etwas kritisch anzumerken ist, dass die Beispiel-Genogramme auf öffentlich zugänglichen Informationen prominenter Familien (z.B. Kennedy, Freud, Callas) basieren und entsprechend nur teilweise Gemeinsamkeiten mit authentischen Fällen aufweisen. Die Ausführungen zu den prominenten Familien wirken teilweise etwas spekulativ, da in den meisten Fällen eher oberflächliche Informationen zu den Familienverhältnissen gesichert vorliegen. Dieses Vorgehen ist einerseits aus Gründen des Datenschutzes sehr nachvollziehbar. Andererseits wäre es doch wünschenswert, zumindest ein paar Fallbeispiele aus der (klinischen) Praxis auszuführen. Es wäre möglich, hierbei Details aus verschiedenen, thematisch verwandten Fällen zu kombinieren und biografische Details auszulassen oder abzuwandeln, um keine Anhaltspunkte über die „Identität“ der Personen zu bieten.
Fazit
Dieses Buch bietet einen überzeugenden, praxisnahen Einstieg in die vielfältigen, kreativen Möglichkeiten, die Genogramme bieten – für Familienberatung und -therapie, aber auch für fast jedes andere (beraterische oder therapeutische) Setting.
Rezension von
Dr. Lorenz Grolig
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Zitiervorschlag
Lorenz Grolig. Rezension vom 15.09.2023 zu:
Monica McGoldrick, Randy Gerson, Sueli Petry: Genogramme in der Familienberatung. Hogrefe AG
(Bern) 2022. 5., überarbeitete Auflage.
ISBN 978-3-456-86159-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30572.php, Datum des Zugriffs 06.12.2024.
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