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Peer Abilgaard, Stefan Büchi et al. (Hrsg.): Gute Behandlung

Rezensiert von Dr. Lorenz Grolig, 27.09.2023

Cover Peer Abilgaard, Stefan Büchi et al. (Hrsg.): Gute Behandlung ISBN 978-3-456-86156-2

Peer Abilgaard, Stefan Büchi, Sabine Claus, Cosima Locher (Hrsg.): Gute Behandlung in Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Ein Wegweiser für den Berufseinstieg. Hogrefe AG (Bern) 2023. 340 Seiten. ISBN 978-3-456-86156-2. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 52,90 sFr.

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Thema

Angehende Psychotherapeut:innen und Psychiater:innen erleben in ihren Weiterbildungen regelmäßig herausfordernde Situationen im Kontakt mit Patient:innen, nicht selten auch mit Kolleg:innen und Vorgesetzten. Die Arbeit in Kliniken und Praxen stellt hohe fachliche und zwischenmenschliche Anforderungen an Berufsanfänger:innen, die neben Erfolgserlebnissen und Erfüllung auch Selbstzweifel, Frustration und Ängste mit sich bringen. Der vorliegende Band geht auf wichtige Erfahrungen und Entwicklungsprozesse ein, die Berufsanfänger:innen oft in der Praxis machen, welche jedoch nicht immer ausreichend in Ausbildungsseminaren sowie Super- und Intervision reflektiert werden.

Hierzu zählen der Umgang mit widersprüchlichen Haltungen und Vorgehensweisen verschiedener therapeutischer Modelle, das Sprechen über ausbleibende Therapieerfolge und Therapieabbrüche und die Entwicklung einer beruflichen Identität. Die Autor:innen möchten lebensnahe Hilfestellungen leisten, indem sie konkrete Empfehlungen und Tipps geben, zum Beispiel zur Organisationskultur im täglichen Miteinander, zur Eigenreflexion bei Leistungsdruck, Überforderung oder Selbstzweifeln, zum Lernen und Wachsen durch Konfliktsituationen oder Scheitern, zur Regulation von Nähe und Distanz zu Patient:innen, zur Selbststärkung und Selbstfürsorge sowie zum Umgang mit Psychopharmaka.

Herausgeber:innen

Prof. Dr. med. Peer Abilgaard ist Chefarzt der Klinik für Seelische Gesundheit am Evangelischen Klinikum Gelsenkirchen. Er ist Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Diplom-Gesangpädagoge und Diplom-Instrumentalpädagoge. Parallel ist er Professor für Musikermedizin an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln. Er ist Supervisor und Lehrtherapeut (APP Köln).

Sabine Claus ist Master of Advanced Studies in Coaching & Organisationsberatung sowie Betriebswirtschaftlerin. Seit dem Jahr 2000 unterstützt sie Organisationen, Teams und Einzelpersonen in Veränderungs- und Entwicklungsprozessen. Sie ist Trainerin und begleitet Berufsfachleute in den Bereichen Selbst- und Mitarbeiterführung, Kommunikation und Geschäftsentwicklung, Teamarbeit und Konfliktmanagement, Laufbahnplanung und Auftrittskompetenz. Neben ihrer Tätigkeit in der Beratung arbeitet sie in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Privatklinik Hohenegg in Meilen bei Zürich als Team- und Projektleiterin sowie als Buchautorin.

Prof. Dr. med. Stefan Büchi ist Psychiater und Psychotherapeut mit speziellem Interesse für Psychosomatik. Sein wissenschaftliches Hauptinteresse liegt im Verständnis des subjektiven Erlebens und der Bewältigung chronischer Krankheiten. Dazu hat er PRISM (Pictorial Representation of Illness and Self Measure) entwickelt, ein neuartiges visuelles Instrument zur Erfassung des subjektiven Leidensdruckes.

Dr. phil. Cosima Locher forscht an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik am Universitätsspital Zürich. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung mit der Wirkung, den Mechanismen, sowie den klinischen Anwendungsgebieten von Placebos. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Forschung konzentriert sich auf chronische Schmerzen verschiedener Altersklassen.

Aufbau

Das Buch umfasst folgende Teile (mit insgesamt 43 Beiträgen von 16 Autor:innen):

  • I Die Entwicklung zur Therapeutin oder zum Therapeuten
  • II Erste Erfahrungen mit Patient:innen
  • III Wesentliche Aspekte guter Behandlung in Psychiatrie und Psychotherapie
  • IV Die Bedeutung der Kontextfaktoren
  • V Gute Behandlung unter Berücksichtigung von organisatorischen und systemischen Faktoren
  • VI Scheitern in der Therapie
  • VII Gesund bleiben – als Therapeut:in

Inhalt

In kompakten Beiträgen von meist 1–10 Seiten vermitteln die Autor:innen grundlegendes Wissen für professionelles Handeln und das Finden eigener Haltungen, die im Arbeitsalltag als Leitplanken dienen und in neuen Situationen die Orientierung erleichtern können. Unter anderem geht es um diese Themen:

  • Therapeutischer Auftrag
  • Entwicklung von Fachkompetenz durch Wissen und Erfahrung
  • Umgang mit Leistungsdruck und Überforderung
  • Bedeutung von Supervision und Intervision
  • Was eine gute Therapie ausmacht
  • Einfluss von Kontextfaktoren
  • Einbettung von Therapieprozessen in institutionelle Rahmenbedingungen
  • Nutzung von Evaluation und Feedback im Therapieprozess
  • Scheitern von Therapien reflektieren
  • Selbstfürsorge von Therapeut:innen zur Vorbeugung von Erkrankung

Exemplarisch möchte ich auf die Beiträge zur Reflexion von Scheitern in der Psychotherapie näher eingehen, da dies aus meiner Sicht ein in der Praxis und Therapieforschung noch wenig beachtetes, jedoch für Patient:innen und Therapeut:innen bedeutsames Thema ist.

Scheitern werde aus wissenschaftlicher Perspektive definiert als Verschlechterung oder Ausbleiben einer Veränderung, womit auch unerwünschte Auswirkungen (z.B. das Auftreten neuer Symptome oder Konflikte in Partnerschaft und Familie) gemeint seien. Zudem schwinge aus klinischer Perspektive betrachtet beim Wort Scheitern ein persönliches Unvermögen mit, also Schuldhaftigkeit des eigenen Handelns.

In fünf „Geschichten über das Scheitern“ (Fallvignetten) mit Reflexionen des eigenen therapeutischen Handelns werden Facetten des Scheiterns in Ihrer Bedeutung für Therapieprozesse greifbarer. Beispielsweise stellt die Anerkennung des Leids von Patient:innen, die sich selbst als gescheitert sehen, eine wichtige Voraussetzung dar, um eine tragfähige therapeutische Beziehung herzustellen, die wiederum Grundlage für gemeinsam angestoßene Veränderungsprozesse ist (z.B. Aufbau von Ressourcen). Eine andere Fallvignette wirft ein Schlaglicht auf die Lücken, die zwischen Behandlungsmanualen und der praktischen Gestaltung von Psychotherapie mit schwer belasteten Patient:innen bestehen. Diese leiden häufig unter komplexen psychischen Störungen und sind deshalb auf eine individualisierte Therapie angewiesen, die sich in Manualen nicht vollständig beschreiben lässt. Neben kurzen Einblicken aus Behandlungsverläufen geben die Autor:innen auch Praxistipps zur Reduktion von Therapieabbrüche, zur Suizidprävention, zu Rückfällen bei Suchterkrankungen und zum Eintreten für ein „Recht auf Scheitern“ (für Patient:innen und Therapeut:innen).

Interessant ist auch der Beitrag „Entwurf einer palliativen Psychotherapie“, in dem der Autor dafür plädiert, neben der Behandlung mit Heilungsabsicht auch vermehrt Psychotherapie-Konzepte zu entwickeln, die primär auf Stabilisierung oder Verlangsamung von Krankheitsverläufen abzielen (z.B. bei schwerwiegenden, chronischen Verläufen von Psychosen oder Depressionen). Hierbei gehe es therapeutenseitig auch darum, im Umgang mit Menschen, die unter diesen Erkrankungen leiden, mit mehr Akzeptanz und therapeutischer Demut gegenüberzutreten.

Diskussion

Dieses Lehrbuch vermittelt lebendige Einblicke in die Welten psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung im deutschsprachigen Bereich, wobei die Mehrzahl der Autor:innen in der Schweiz praktiziert. Dies schmälert jedoch nicht den Nutzen für Leser:innen aus Deutschland oder Österreich, da viele der beschriebenen Konstellationen und Situationen vermutlich in den meisten westlich geprägten Ausbildungs- und Behandlungssettings in sehr ähnlicher Form auftreten.

Eine Stärke dieses Buchs ist das Aufzeigen von aktuellen Fragen und teilweise tabuisierten oder vernachlässigten Problemen, mit denen Berufsanfänger:innen früher oder später konfrontiert werden und die dann (sehr) negative Auswirkungen auf die berufliche und persönliche Entwicklung haben können. Angesichts einer hohen Belastung in medizinischen Fachkräften kann das Buch auch als ein Beitrag zur Burnout-Prophylaxe und Steigerung der Lebenszufriedenheit der Menschen verstanden werden, die ihr Berufsleben der Unterstützung von Menschen mit psychischen Störungen widmen.

Fazit

Dieser Band erfreut durch seine thematische Vielseitigkeit und viele lebendige Einblicke in die Behandlungspraxis, die zur Selbstreflexion und zum Weiterlesen anregen.

Rezension von
Dr. Lorenz Grolig
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Es gibt 14 Rezensionen von Lorenz Grolig.

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Zitiervorschlag
Lorenz Grolig. Rezension vom 27.09.2023 zu: Peer Abilgaard, Stefan Büchi, Sabine Claus, Cosima Locher (Hrsg.): Gute Behandlung in Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Ein Wegweiser für den Berufseinstieg. Hogrefe AG (Bern) 2023. ISBN 978-3-456-86156-2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30573.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.


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