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Gee Vero: (M)ein autistisches Kind kommt in die Kita

Rezensiert von Sabine Karliczek, 24.07.2023

Cover Gee Vero: (M)ein autistisches Kind kommt in die Kita ISBN 978-3-7841-3514-4

Gee Vero: (M)ein autistisches Kind kommt in die Kita. Ratgeber für Eltern und pädagogische Fachkräfte. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2023. 180 Seiten. ISBN 978-3-7841-3514-4. D: 25,00 EUR, A: 25,70 EUR.

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Thema

Ausgehend von autobiographischem Material befasst sich die Autorin mit dem Thema Autismus und Kita. Sie schildert eigene Erfahrungen als selbst Betroffene und Mutter eines autistischen Sohnes. Das Buch bietet neben theoretischen Ausführungen vor allem eine Fülle von praktischen Tipps und praktikablen Strategien, um die Kindergartenzeit für Kinder aus dem Autismusspektrum erfolgreich zu gestalten.

Das Buch richtet sich an pädagogisches Personal und therapeutische Fachkräfte sowie an Eltern betroffener Kinder.

Autorin

Die Autorin stammt aus Leipzig und hat Anglistik und Amerikanistik studiert. Sie lebte rund 10 Jahre in London und wohnt heute wieder in Sachsen. Gee Vero ist spät diagnostizierte Asperger-Autistin, hat drei Kinder, darunter einen Sohn mit frühkindlichem Autismus. Sie hat bereits einige Bücher zum Thema Autismus veröffentlicht, leitet Fortbildungsveranstaltungen und ist als Künstlerin tätig.

Entstehungshintergrund

Gee Vero hat ihre eigene Kindergartenzeit und die ihres Sohnes als sehr belastend empfunden und sich Vieles anders gewünscht. Sie will durch ihre persönlichen Erfahrungen und Ideen mithelfen, Kindern aus dem Autismusspektrum eine gute Basis für ihren Platz in der Gesellschaft zu schaffen und alle pädagogischen Fachkräfte durch fundierte Beispiele und lebensnahe Ideen bei ihrer verantwortungsvollen Arbeit unterstützen.

Aufbau

Das Buch ist eine Erstauflage, umfasst 188 Seiten und ist in 17 Kapitel unterteilt. In jedem Abschnitt gibt es zahlreiche farbig hervorgehobene Textboxen, die den wesentlichen Inhalt zusammenfassen oder Tipps veranschaulichen. Im Buch verteilte selbstgestaltete farbige Zeichnungen begleiten die Ausführungen. Zum Schluss folgen noch ein kurzes ABC der Wünsche autistischer Kinder und Hinweise auf Bücher und Filme für Interessierte zur Vertiefung des Themas. Dem Buch vorangestellt werden ein Vorwort von Georg Theunissen sowie eines von Gee Vero selbst. Im Klappentext wird darauf hingewiesen, dass und wie das Buch auch auf Smartphone, Tablet oder PC geladen werden kann.

Die Kapitel gliedern sich wie folgt:

  1. A wie Autismus
  2. Sein oder Nichtsein – die Diagnose
  3. Was kleine Autist:innen anders machen
  4. Ein Blick ins Gehirn
  5. Besonderheiten der Wahrnehmung
  6. Sinneswahrnehmungen und Co.
  7. Ausgesprochen gut oder die Kommunikation
  8. Hilfsmittelund Strategien oder der unsichtbare Rollstuhl
  9. Akzeptanz des autistischen Seins
  10. Ja zur Kita und welche Chancen dort warten
  11. Welche Kita bei Autismus?
  12. Wie eine autismusfreundliche inklusive Kita aussehen muss
  13. Erzieher:innenund andere Verbündete
  14. Die Kita-Gruppe
  15. Mit Autismus im Sandkasten
  16. Herausforderungen
  17. Der Übergang in die Grundschule

Inhalt

In den ersten beiden Kapiteln führt die Autorin den Autismusbegriff ein und skizziert gängige Diagnoseverfahren. Es folgt eine Erläuterung des Unterschieds zwischen Asperger- und frühkindlichem Autismus. Dazu gibt es eine Übersicht über Verhaltensweisen und Merkmale, die autistische Kinder bereits im Kindergartenalter zeigen können.

Das dritte Kapitel zeigt einen ersten Einblick in die Spezifik der autistischen Verhaltensbesonderheiten, bezogen auf die Kleinkindzeit. Gee Vero arbeitet die Unterschiede zu ähnlichem Verhalten mit anderen Ursachen heraus. Die Betroffenen können sich oft nicht anders verhalten und es kommt häufig zu Fehlinterpretationen. In diesem Zusammenhang werden die Begriffe Overload, Meltdown und Shutdown erklärt. Ein Überblick zur Interaktionsförderung rundet dieses Kapitel ab.

Der neurophysiologischen Sicht, dem Blick ins Gehirn autistischer Menschen, widmet sich das nächste Kapitel. Die Autorin erklärt die andersartige Wahrnehmung im Vergleich zu nichtautistischen Menschen und gibt erste allgemeine Verhaltenshinweise für das Umfeld.

Auf die Besonderheiten der Wahrnehmung wird in Kapitel fünf ausführlicher eingegangen. Das Verhalten unterscheidet autistische Menschen von der Umwelt, ihre häufige Unfähigkeit zu angepasster Interaktion. Gee Vero zeigt ihre persönlichen Strategien zur Erhöhung der Selbstwahrnehmung, verallgemeinert sie. Auch die Andere-Wahrnehmung, die Selbst- und Fremdregulierung sowie die soziale Wahrnehmung stellt sie aus ihrem eigenen Erleben dar. Es folgt ein Absatz zur Theory of mind.

Nach diesen allgemeinen Gedanken geht die Autorin Kapitel sechs detailliert auf die speziellen Sinneswahrnehmungen ein. Autistische Kinder sind in ihrer sensorischen Integration auf sehr unterschiedliche Weise beeinträchtigt. Ganz konkrete Erfahrungen der Autorin zu auditiver, visueller, olfaktorischer, gustatorischer sowie taktiler und haptischer Wahrnehmung werden erläutert. Die allgemeine Körperwahrnehmung, das Schmerzempfinden, die Temperatur- und Zeitwahrnehmung stehen im ebenfalls im Focus.

Das siebente Kapitel gehört dem Schwerpunkt Kommunikation. Dabei werden alle Möglichkeiten, von der verbalen Sprache bis zu Gebärden, angesprochen. Gee Veros eigene Erfahrungen werden durch die ihres Sohnes, der nicht verbal kommuniziert, ergänzt. Die vielfältigen Methoden gilt es zu erkennen und zur erfolgreichen Interaktion zu nutzen. Sehr typische verbale Besonderheiten wie das Zitieren, Nachahmen und die Echolalie stehen neben nonverbalen Möglichkeiten wie der Augenkontakt, das Sensing und die unterstützte Kommunikation. Die Arbeit mit Bild- oder Symbolkarten, Sprachcomputern, das Nutzen der Gebärdensprache und das eventuelle Nutzen der gestützten Kommunikation zeigen die Vielfältigkeit auf, mit der man Zugang zu autistischen Menschen finden kann. Kontaktpersonen können durch ihre Mimik und Gestik sowie das Sprechen in leichter und einfacher Sprache zum Gelingen beitragen.

Kapitel acht wendet sich Hilfsmitteln und Strategien zu, die autistische Menschen brauchen, um den Alltag zu bewältigen. Diese sind mannigfaltig und auch nicht immer sofort als solche erkennbar. Gee Vero geht auf einige ihrer persönlichen Strategien ein, die ihr geholfen haben, die aber auch verallgemeinerbar sind.

Danach wird der Bezug zu den in Kapitel vier gemachten Überlegungen zu neurophysiologischen Besonderheiten vertieft. Selbstregulierende Maßnahmen wie Stimming, Mono-Channeling, Rückzug sowie Auszeiten helfen. Rituale, Strukturen oder häufige Wiederholungen können Sicherheit geben. Dazu gehören auch feste Bezugsgrößen wie reale Personen, Objekte, Bilder, Musik und Bewegung, manchmal auch Körperkontakt.

Nach den bisher gemachten Äußerungen stellt die Autorin in Kapitel neun dar, dass die Betreuung und Förderung autistischer Menschen eine Herausforderung ist. Sie sieht eine noch fehlende gesellschaftliche Akzeptanz des Autismus und ermutigt das Umfeld, vor allem hier die Fachkräfte in der Kita, autistische Kinder anzunehmen, wie sie sind, und auch neue Wege zu gehen.

Kapitel zehn beleuchtet die Entscheidung, sein autistisches Kind in die Kita zu geben, und die Chancen, die daraus erwachsen. Gee Vero betont aus der eigenen Sicht die Fülle von Möglichkeiten, die sich dem Kind bieten können, die Welt zu begreifen und ein Teil von ihr zu werden. Dazu gehört aber eine intensive Vorbereitung. Vor allem den Eltern der betroffenen Kinder möchte sie Mut machen den Schritt zu wagen.

Dem schließt sich in Kapitel elf die Frage an, welche Kita die richtige ist. Gee Vero betont, dass es keiner Kita speziell für autistische Kinder bedarf. Dabei ist Inklusion statt Integration anzustreben.

Wie nun eine autismusfreundliche Kita aussehen sollte, beschäftigt die Autorin in den Kapiteln zwölf bis fünfzehn. Nach den räumlichen Aspekten widmet sich das Kapitel dreizehn den Erzieher:innen. Sie, als wichtigstes Bindeglied zu Kind und Familie, müssen sorgfältig vorbereitet werden. Tipps zum Führen von Elterngesprächen und Strategien zum Verhalten in der Kita werden ein großer Platz eingeräumt. Wichtig ist besonders das Umfeld, die Kita-Gruppe, für das autistische Kind. Wie werden die anderen Kinder und ihre Eltern vorbereitet? Wie gelingt ein guter Start in die Gruppe, welche Literatur kann man verwenden, um kindgerecht über Autismus aufzuklären?

Im fünfzehnten Kapitel wird noch einmal intensiv auf die wichtigsten Grundregeln eingegangen, die dem Kind eine Teilhabe in der Gruppe ermöglichen. Gute Strukturierung und Visualisierung (z.B. TEACCH), Regeln, angepasste Aufgaben und Aktivitäten, Besonderheiten beim Spielen sollten Teil der Gruppenarbeit sein.

Natürlich wird es immer Herausforderungen geben, die die Betreuer:innen meistern müssen. In Kapitel sechzehn werden einige benannt und gleichzeitig Ideen für das Meistern schwieriger Situationen im Tagesablauf benannt.

Als Ausblick weist die Autorin in Kapitel siebzehn auf wichtige Aspekte hin, die den nächsten Schritt ins Leben erleichtern sollen, den Übergang in die Grundschule.

Am Ende gibt es noch ein kurzes ABC der Wünsche autistischer Kinder und Hinweise auf Literatur und Filme zum Thema.

Diskussion

Der erste Schritt in die Gesellschaft ist für Kinder aus dem Autismusspektrum der Besuch einer Kita. Für Kinder wie Eltern ein erster, oft schwer zu gehender Weg, die Diagnose neu oder auch noch gar nicht klar erwiesen. Aber auch in den Kitas herrscht oft Irritation. Gee Vero hat das selbst erlebt und auch als Mutter eines, wie sie selbst sagt, stark betroffenen Sohnes. Ihr Anliegen ist es, das andere Wahrnehmungsverhalten autistischer Menschen verständlich zu machen. Die durch Textblöcke zusammengefassten und hervorgehobenen Beispiele und Anregungen sind eine wahre Fundgrube für hilfreiche Ideen und umsetzbare Praxistipps. Bewährte Kommunikationsstrategien zum Abbau von Stress beleuchtet Gee Vero genau so, wie sie uns einen beeindruckenden Einblick gibt, wie sich Reizüberflutung und Überforderung anfühlen. Sie möchte alle Menschen ermutigen, eine vertrauensvolle Grundhaltung einzunehmen, sich auf die andere Wahrnehmung einzulassen und sich auch von Misserfolgen nicht entmutigen zu lassen. Wir sollen den anderen Menschen so annehmen, wie er ist. Dazu braucht es Verständnis, Toleranz, Akzeptanz und ein bisschen Mut. Das Besondere an dem Buch ist, dass die Autorin nicht nur die Kinder im Blick hat, sondern auch zu würdigen weiß, wie anstrengend und herausfordernd der Umgang mit ihnen oft ist. Es gibt Tipps zur Psychohygiene der Teams und Ratschläge, um eine entspannte Kindergartenzeit für Kinder, Eltern und Personal zu erreichen. Die eingefügten bunten Zeichnungen runden das anschauliche Gesamtbild ab.

Fazit

Das Buch versteht sich als praktischer Helfer für pädagogisches und therapeutisches Personal, aber auch für Eltern, um den Kita-Aufenthalt von Kindern aus dem Autismusspektrum erfolgreich zu gestalten. Gee Vero verbindet theoretische Gedanken mit der praktischen Umsetzung ihrer Ideen aus der direkten Sicht der Betroffenen. Es liest sich gut verständlich und kann durch konkrete Tipps und eine Fülle von Ideen in der Arbeit des Kita-Personals Anwendung finden. Das Buch ist rundum empfehlenswert

Rezension von
Sabine Karliczek
Sprachmittlerin und Heilerziehungspflegerin
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Es gibt 3 Rezensionen von Sabine Karliczek.

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ISSN 2190-9245