M. Moustapha Diallo: Visionäre Afrikas
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 24.03.2023

M. Moustapha Diallo: Visionäre Afrikas. Der Kontinent in ungewöhnlichen Porträts. Kaddu-Verlag (Wadersloh) 2022. 358 Seiten. ISBN 978-3-9824971-1-2. D: 26,00 EUR, A: 26,80 EUR, CH: 26,80 sFr.
Autor
Das 2014 im Peter-Hammer-Verlag herausgegebene o.a. Buch (www.socialnet.de/rezensionen/16225.php) wird in dem vom Autor 2022 gegründeten Kaddu-Verlag in Wadersloh (www.kaddu-verlag.de) neu herausgebracht. Das ist mutig – und begrüßenswert! „Kaddu“ bedeutet in der senegalesischen Wolof-Sprache „Versprechen“ – „Aufrichtigkeit“ – „Ehrlichkeit“ – „Wahrheit“. Der im Senegal geborene M. Moustapha Diallo hat in Dakar, Österreich, Deutschland und Frankreich Germanistik studiert und über Ingeborg Bachmann promoviert. Er lehrte in Paderborn und Münster und ist seit 2011 als freier Publizist und Übersetzer tätig. Interkulturalität, afrikanisch-deutsche Beziehungen und afrikanische Literatur sind seine Themen. Im deutsch- (europäisch-) afrikanischen Dialog fällt ihm auf: „Noch heute, im 21. Jahrhundert, kommen Afrikanerinnen und Afrikaner in Europa allzu selten zu Wort“. Mit der Gründung des Verlags will Diallo dazu beitragen, daran etwas zu ändern.
Inhalt
In seinem Buch „Visionäre Afrikas“ lässt er 40 SchriftstellerInnen, KünstlerInnen, PolitikerInnen, JournalistInnen, LehrerInnen, WissenschaftlerInnen, UnternehmerInnen, Feministinnen und Kulturschaffende aus afrikanischen Ländern zu Wort kommen. Er forderte sie auf, eine Person aus der Geschichte oder Gegenwart Afrikas, die für ihr persönliches und gesellschaftliches Leben wichtig ist oder war, zu porträtieren. Dadurch sind 42 Portraits zusammen gekommen, die als individuelle und mentalitätsgeschichtliche Schilderungen eine bemerkenswerte Initiative von Identitäts- und Erinnerungsarbeit darstellen. Das Buch „Visionäre Afrikas“ hat im internationalen, transkulturellen Diskurs vielfache Aufmerksamkeit gefunden.
Ein zweites Buch hat der Verlag soeben vorgelegt: Moustapha Diallo schreibt, illustriert von Katharina Deeg, das Kinderbuch „Sira, die Freundin der Tiere“. Sira lebt in einem Dorf im Westen Senegals. Sie kümmert sich um verletzte Tiere, einen Vogel, den sie Fajar nennt und hochpäppelt, bis er wieder in seine Freiheit fliegen kann; um ein junges Hündchen, Kutti, das seine Mutter verloren hat; einen Hamster, ein Kanichen, Rafett. Die Nachbarn hatten kein Verständnis für Siras Tierliebe und das Hundegebell. Sie musste Kutti an einen Händler abgeben… Aber eines Tages bringt der den Hund zu ihr zurück – und dazu noch eine Schaf- und Ziegenherde, die dem ganzen Dorf Wohlstand brachte: „Da wir das alles Kutti verdanken, brauche ich nicht zu erklären, wie wir alle in Zukunft mit Tieren umgehen sollten“.
Diskussion
„Die afrikanischen und die europäischen (deutschen) Seelen sind Schwestern“. Das ist kein neuer, innovativer, befreiender Aufruf, endlich die „Globale Ethik“ zu verwirklichen, wie sie sich in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1949) verdeutlicht, dass „die Anerkennung der allem Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet“; vielmehr ist es die Essenz, die der deutsche Ethnologe Leo Frobenius (1873 – 1938) in seinem großen Werk „Kulturgeschichte Afrikas“ zum Ausdruck bringt (Leo Frobenius, Kulturgeschichte Afrikas. Prolegomena zu einer historischen Gestaltlehre, Phaidon-Verlag, Zürich <1933>, 652 S.). Und es ist der senegalesische Dichter und Politiker Léopold Sédar Senghor (1906 – 2001), der bei seinem Kampf gegen die europäische Kolonialherrschaft die „Négritude“ entwickelte (siehe z.B. auch: Jos Schnurer „Weiß ist eine Gelegenheitsfarbe, Schwarz die Farbe aller Tage“, in: Africa Positive, 75/2019, S. 30ff), und immer wieder auch Goethe als Zeugen seines Denkens und Handelns hervorhob; etwa, wenn er in einem Aufsatz in der Ehrenschrift der UNESCO anlässlich des 200. Geburtstags Goethes (1949) über die „Botschaft Goethes an die ‚Neuen Neger‘“ schrieb.
Senghor erzählt darin, dass er als französischer Kolonialsoldat 1941 in einem deutschen Kriegsgefangenenlager die deutsche Sprache lernte und Goethes Gedichte las: „Mit Götz von Berlichingen und Egmont liefen wir Sturm gegen den kapitalistischen Imperialismus und forderten für die schwarzen Völker die politische Unabhängigkeit“, und „Er lehrte uns zunächst die Gefahren der kulturellen Vereinsamung, der Selbstbezogenheit, die Gefahr, nur auf das eigene Volk, die eigene Nation, auf die eigenen Tugenden bauen zu wollen“ (Léopold Sédar Senghor, Négritude und Humanismus <Die Botschaft Goethes an die „Neuen Neger> Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf/Köln 1967, S. 80ff).
Fazit
Ein interkultureller Dialog „auf Augenhöhe“ ist der einzige, humane, friedensschaffende gegenwärtige und zukünftige Weg, damit allen Menschen ein menschenwürdiges, gutes, gelingendes Leben möglich wird. Im Bildungs-, Erziehungs- und Aufklärungsprozess ist die transkulturelle Literatur – vom Kinder- bis zum Sachbuch – ein wichtiger Anker.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 24.03.2023 zu:
M. Moustapha Diallo: Visionäre Afrikas. Der Kontinent in ungewöhnlichen Porträts. Kaddu-Verlag
(Wadersloh) 2022.
ISBN 978-3-9824971-1-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30607.php, Datum des Zugriffs 10.06.2023.
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