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Joana Krizanits: Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung

Rezensiert von Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf, 21.06.2023

Cover Joana Krizanits: Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung ISBN 978-3-89670-899-1

Joana Krizanits: Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung. Carl Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2022. 4., überarbeitete Auflage. 128 Seiten. ISBN 978-3-89670-899-1. D: 13,95 EUR, A: 14,40 EUR, CH: 20,50 sFr.
Reihe: Compact.

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Autorin

Mag. phil. Joana Krizanits studierte Psychologie und ist ausgebildet in Gesprächspsychotherapie, systemischer Beratung, Coaching, Controlling, Qualitätsmanagement und Personalmanagement. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in Fach- und Führungsrollen in unterschiedlichen Organisationen. Ihre Schwerpunkte sind Organisationsberatung, Unternehmensentwicklung, Management Development, Coaching und Supervision.

Thema

Organisationen sind komplexe Systeme, die nicht leicht zu durchschauen sind. Sie konstituieren sich durch formale und informelle Kommunikation auf unterschiedlichen Hierarchieebenen. Formalisierte Entscheidungswege und auf dem Papier existierende Prozessstandards sind indes längst nicht immer deckungsgleich mit dem, wie es in Organisationen wirklich läuft. Auch die Vorstellung, dass in Organisationen stets zweckrational auf Basis logischer Überlegungen entschieden wird, geht fehl. Längst nicht alle Entscheidungen sind gut überlegt – und etwaig unbeabsichtigte Nebenwirkungen zeigen sich bisweilen erst zeitverzögert. Das alles macht die Beratung von Organisationen herausfordernd. Eine Methode, sich dieser Komplexität anzunehmen, ist die systemische Organisationsberatung. Anders als klassische Unternehmensberatung zeichnet sich dies nicht durch das expertokratische Entwickeln von Modellen und Methoden für die Organisation aus, sondern durch das positive Verstören der Organisation, durch Beobachtung zweiter Ordnung und durch Verdeutlichung von Optionalität

Konstitutiv für systemische Organisationsberatung ist das Fragen statt das Ansagen, ist die Schaffung von Optionalität statt das Aufzeigen eines vermeintlich besten Weges. Es gilt, Entwicklungsimpulse zu befördern, die aus der Organisation selbst kommen. Dieser Thematik nimmt sich Joana Krizanits in ihrem Buch an. Sie macht deutlich, dass Störungen zur Stabilisierung des Systems beitragen können und schildert, dass auch gut gemeinte Interventionen unerwarteten Folgewirkungen haben können. Die Autorin reflektiert, warum vermeintliche Lösungen auch neue Probleme schaffen können und inwieweit gewisse Probleme auch Lösungen für andere Probleme sein können. Die Muster dieses Zusammenspiels und die Frage, wie Organisationen in Anerkenntnis dieser Komplexität adäquat beraten werden können, werden im Buch beschrieben.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist 2022 in der vierten Auflage in der Einführungsreihe des Carl-Auer-Verlags erschienen und hat 128 Seiten. Die Autorin beginnt damit, im ersten Kapitel kurz die Gründe dessen dazulegen, was sie mit ihrem Buch bezweckt, nämlich, „eine kompakte Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung [zu liefern]“ (S. 7). Ihr Anliegen sei es, „die gelebte gute Praxis methodisch zu explizieren und wichtige Fragen zu beantworten: Wie erstelle ich eine Systemdiagnose – vom ersten Auftragsklärungsgespräch über die Datenerhebung und -auswertung bis zur Rückspiegelung? Wie bilde ich gute Hypothesen? Wie mache ich ein »dichtes« Design und eine gute Beratungsarchitektur?“ Darüber will Krizanits informieren (ebd.).

Im zweiten Kapitel befasst sich die Autorin zunächst mit dem Action-Research-Ansatz (AR) Kurt Lewins. Sie definiert dessen Kern und legt dar, welche Grundzugänge von Organisationsberatung sich daraus entwickelt haben. AR verstehe Lewin als „vergleichende Forschung der Bedingungen und Auswirkungen verschiedener Arten von sozialen Handlungen und Forschung, die zu sozialer Handlung führt“ (S. 11). Da diese Erklärung wenig greifbar erscheint, ergänzt Krizanits, dass Action Research „die vergleichende Untersuchung der Bedingungen und Auswirkungen sozialer Handlungsmuster und die gezielte Suche nach (neuen/​erweiterten) Handlungsoptionen in sozialen Systemen“ umfasse (S. 12).

Konstitutiv dafür ist der Autorin zufolge ein spiralförmiges Vorgehen aus wiederholten Schleifen, „die jeweils einen Zyklus von Planung, Durchführung von Interventionen und anschließender empirischer Untersuchung der Auswirkungen umfassen“ (S. 13). Kurt Lewin komme letztlich das Verdienst zu, die Grundlagen der Organisationsberatung gelegt zu haben, wobei der Begriff der Organisationsberatung als Dachmarke für unterschiedliche Beratungszugänge erst in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre entstanden sei (S. 17). Seit Mitte der 1980er-Jahre werde vom systemischen Beratungsansatz gesprochen, in den Zugänge von Chaosforschung, Konstruktivismus und Erkenntnisbiologie integriert seien, schreibt Krizanits.

„Wenn die Systemtheorie die Genese von Kommunikationsmustern in Organisationen als Emergenzprozess versteht, kann ein gezielter Prozess der Verstörung von Kommunikationsmustern nur darin bestehen, vielfältige soziale Interaktionen zu schaffen, in denen gezielt auf breiter Basis mit Kommunikationsanschlüssen experimentiert wird“, erklärt die Autorin (S. 19). Dadurch entstünden neue Kommunikationsanschlüsse und -muster, welche die Autopoiese der Organisation stärken (ebd.). Organisationsberaterinnen würden gerufen, wenn die Kommunikation nicht mehr funktioniere. Herausfordernd sei Beratung schon deshalb, weil „keine lineare Kausalität zwischen einem Input und einem Output“ bestehe (S. 20). Organisationen seien komplexe Systeme, die nicht gesteuert, sondern nur irritiert (verstört) werden können. Dies gelte insofern, als ein und derselbe Input zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu verschiedenen Outputs führen könne, schildert Krizanits (ebd.).

Aus der Natur komplexer Systeme ergäben sich ihr zufolge drei Prämissen für Beratung, nämlich (1) Kontextbezug, (2) Pfadabhängigkeit und (3) der Bezug zum Gesamtsystem. Der systemtheoretische Blick mache den Begriff des Akteurs obsolet und verabschiede die Vorstellung, „dass Handeln in Organisationen immer planvoll ist“ (S. 22). Berater:innen würden angefragt, wenn ein System von Handlungsbezügen in seinen mentalen und instrumentellen Strukturen verändert werden soll, „damit neue Freiheitsgrade erzielt werden können. Mitunter löst ein Problem den Beratungsbedarf aus; die Formulierung des Beratungsanliegens enthält dann häufig schon einen Lösungsvorschlag aus der Sicht des Klienten“ (S. 25). Dabei gelte das ganze System als Kund:in (S. 26).

Wie eine systemische Organisationsberatung methodisch erfolgen kann, wird im dritten Kapitel beschrieben. Krizanits beleuchtet hier die Eckpfeiler des Forschungszugangs in der systemischen Organisationsberatung und macht deutlich, was es mit dem iterativ-reflexiven Vorgehen im Rahmen der systemischen Schleife auf sich hat. Die systemische Schleife sei ein „Modell für einzelne Schritte im Beratungsprozess wie auch für den gesamten Beratungsprozess“, schildert die Autorin. Darin werde versucht, „das, was in Sekundenbruchteilen in unserem Gehirn abläuft, wenn wir handeln müssen, künstlich in vier getrennte Schritte zu unterteilen, die jeweils bis zur »Sättigung« durchgeführt werden“, nämlich in das Beobachten, das Interpretieren, das Generieren von Handlungsoptionen sowie das Bewerten und Auswählen bestimmter Handlungsoptionen. Dies decke sich mit der der Action-Survey-Schleife, schreibt Krizanits (S. 30).

Darüber hinaus wird auf die Beschreibungen 1. und 2. Ordnung, auf die Wichtigkeit der Unterscheidung von Wahrnehmen und Interpretieren, auf das Dilemma mit der Nähe und der Distanz, auf die Rolle der Fachkenntnis sowie auf die Erfahrungsverarbeitung der Beratenden als eigentliche Datenbasis eingegangen. Was es mit den Aspekten „Haltung“, „Sehe-Punkte“ und „Prämissen systemischer Organisationsberatung“ auf sich hat, wird umfassend erläutert, wobei die Autorin insbesondere auf die große Bedeutung des systemischen Fragens eingeht, also auf das Wesen und den Nutzen von multiperspektivischen Fragen, Skalierungsfragen, explorierenden und zirkulären Fragen, Analogiefragen usw.

Auch nimmt Krizanits sich im dritten Kapitel der Bedeutung von Hypothesen an, wobei sie anmerkt, dass es eigentlich passender wäre, „von »Thesen« oder »Annahmen« in der Beratung zu sprechen“ (S. 57). Was sind Hypothesen? Wozu sind diese gut? Wie stellt man sie so auf, dass die Organisation von deren Bearbeitung profitiert? Das wird ebenfalls reflektiert. Im systemischen Sprachgebrauch seine Thesen „Beobachtungen 2. Ordnung, d.h. Interpretationen der Handlungsmuster in einem sozialen System, die charakteristische Funktions- und Sinnzusammenhänge in einem Kontext erfassen wollen“, schildert die Autorin (S. 58). Die Güte der Thesen hänge davon ab, inwieweit diese für die Erfahrungsverarbeitung in der Alltagspraxis des Systems nützlich seien und Optionen erweitern. „In guten Hypothesen lassen sich die methodischen Vorgehensweisen der Berater – Haltung, Sehe-Punkte des Systems und systemische Prämissen – erkennen“, meint Krizanits (S. 59).

„Von der Anfrage zur Diagnose – Die Action-Survey-Schleife“ lautet der Titel des vierten Kapitels. Bezugnehmend auf Publikationen des Organisationswissenschaftlers Edgar Schein beschreibt Krizanits den Kern der systemischen Beratung hier als helfende Beziehung, die es aufzubauen und aufrechtzuerhalten gelte. „Metaziel jeder sozialen Interaktion ist beiderseitiger Ansehenszuwachs durch angemessenen, reziproken Austausch von Geben und Nehmen“ (S. 64). Um zu erläutern, was in dieser helfenden Beziehung bedeutsam sei, geht Krizanits ebenfalls auf die Kommunikationsmodelle von Paul Watzlawick und Friedemann Schulz von Thun sowie auf das aktive Zuhören und die Personenzentrierung nach Carl R. Rogers ein. Wodurch sich Inhaltsparaphrasen von aktivem Zuhören unterscheiden, stellt sie dar.

Den Aspekten des Kontexts, des Auftrags und der Rollenklärung kommt Krizanits zufolge ebenfalls eine herausragende Bedeutung im Beratungsprozess zu. „Klären bringt nicht unbedingt »Klarheit«. Die Forderung nach Klarheit von Kontext, Auftrag und Rollen – oft verbunden mit dem kategorischen Appell, unklare Aufträge nicht anzunehmen – ist Unfug“, schildert sie (S. 72). In komplexen Systemen könne es „Klarheit ja gar nicht auf Dauer geben; wäre es so, brauchte es keine Beratung“ (S. 73). Vielmehr könne es nur um „Klärung als ständigen Metaprozess gehen, der im Auftragsgespräch seinen Ausgang nimmt und später im Beratungsprozess immer wieder in den vor- und nachbereitenden Gesprächen mit dem Klienten unternommen wird“ (ebd.). Die Datenerhebung, das qualitative Interview, die Diagnoseschrift und der Rückspiegelungsworkshop sind weitere Punkte, die thematisiert werden und aufzeigen, was systemische Organisationsberatung ausmacht.

Systemische Organisationsberatung umfasst mehr als die Beratung von Manager:innen in Face-to-Face-Gesprächen unter vier Augen. Es ist oftmals ein Prozess, der organisationsübergreifend mehrere Personen mit einschließen muss, zumal Organisationen systemtheoretisch gesprochen nicht aus Einzelpersonen bestehen, sondern aus der Kommunikation getroffener Entscheidungen. Die Menschen, die sie treffen, werden beraten bzw. durch Fragen angeregt, Optionen für ihre Organisation zu finden, die so bisher nicht bestanden. Ergo ist die Kommunikation und Interaktion in Gruppen von zentraler Bedeutung für die Organisationsentwicklung. Dieser Aspekte nimmt sich Krizanits im fünften Kapitel des Buches an. Die Autorin gibt Leser:innen darin „grundsätzliche Hinweise für die Gestaltung von Interaktionen in Gruppen“ an die Hand und nennt „Beispiele für konkrete Interventionen“ ebenso wie Beispiele, welche die Prinzipien für die Gestaltung interaktiver Gruppenprozesse veranschaulichen (S. 92).

„Damit Menschen in interaktiven Prozessen soziale Bedeutungsgebungen dekonstruieren und konstruieren können, gilt es, im Design vier Prozesse zu verknüpfen: die Themenerarbeitung, den Gruppenprozess, den individuellen und den kollektiven Lernprozess“, erklärt Krizanits (ebd.). Was das konkret meint und wie es praktisch vonstattengehen kann, wird beschrieben. Dabei gelte es, zwischen einem individuellen und einem kollektiven Lernprozess zu unterscheiden, denn, so legt die Autorin dar, die „Summe individuellen Lernens ergibt noch kein kollektives Lernen; eben weil die Person Umwelt der Kommunikationsmuster ist, kann sie diese nicht einfach kraft Person verändern“ (S. 95). Im Rahmen der Arbeit von Gruppen und hinsichtlich der Modi der Kommunikation ließen sich Dyaden und Triaden, Workshopgruppen, Großgruppen und Max-mix-Gruppen unterscheiden. Die Spezifika der jeweiligen Organisations- und Kommunikationsformen werden im Buch herausgearbeitet.

Essenziell für Organisationsberatung und organisationales Lernen sei es, den Themenprozess, den Gruppenprozess, den individuellen und den kollektiven Lernprozess „in ihren Entwicklungsdynamiken miteinander zu [zu] verweben und [zu] synchronisieren“ (S. 99). Als Hebelpunkte für die Gestaltung interaktiver Settings werden die Bedeutung der Moderationsdistanz (Meter sind das Limit für intensive Face-to-Face-Kommunikation), das Maximieren des Face-Faktors (Menschen müssen sich sehen und austauschen können) und die große Bedeutung genannt, die dem Angang der Interaktion zukomme. „Die ersten 30 Minuten des Workshops prägen Erwartungen und Verhaltensmuster“ (S. 102). Ebenfalls werden die große Bedeutung des Fragens, des Feedback-Gebens und der analogen Aufstellungen im Raum betont, die helfen, dass sich Personen in ihren Rollen und in der Systemdynamik erleben (S. 103).

Reichhaltige Zugänge zum jeweils fokussierten Thema zu erschließen sei ebenfalls von Vorteil, um möglichst viele Menschen zu erreichen, ist Krizanits überzeugt. „Schließlich sollten neben kognitiven auch affektive Zugänge zum Thema gebahnt werden: durch Bilder, Metaphern, Storytelling und -making, analoge Interventionen wie Sketche, Briefe aus der Zukunft usw.“ schreibt sie (S. 104). Bedeutend sei eine Mischung von Spaß und Ernst, von Konzentration und Entspannung sowie der Wechsel von Problem- und Lösungsfokus. Auch der Wechsel zwischen Arbeitsformen könne nützlich sein, wird ferner hervorgehoben. „Die soziale Form – Einzelarbeit, Dyade/​Triade, Kleingruppe, Plenum – sollte der Aufgabenstellung angemessen sein. Plenare Einheiten können zu lang werden und die Teilnehmer passiv stellen; es braucht die richtige Abfolge unterschiedlicher Arbeitsformen“, schreibt Krizanits (S. 104), die zu guter Letzt auch noch die Bedeutung der Angemessenheit der inhaltlichen Dichte und Komplexität dessen hervorhebt, was in OE-Workshops kommuniziert werden kann. 

Im sechsten Kapitel steht die Architektur von Beratungsprozessen im Vordergrund. Die Architektur eines Beratungsprozesses beschreibt die sozialen, inhaltlichen und zeitlichen Räume – die über einen Zeitraum angelegt sind –, in denen diejenigen Interaktionen stattfinden, die dem Zweck des Veränderungsprozesses dienen, erklärt die Autorin (S. 105). Bei der Entwicklung einer Beratungsarchitektur gehe es darum, den Auftrag und die Ziele des Beratungsprozesses in die Frage zu übersetzen, wer wann mit wem worüber reden muss. „Jeder Beratungsprozess muss gezielt Kommunikationsräume organisieren, denn ansonsten würde die Kommunikation in den Bahnen der Regelkommunikation ablaufen; diese folgen der Linienstruktur und perpetuieren die Kommunikationsanschlüsse für Problemlösungen von gestern“, ist die Autorin überzeugt (ebd.).

Konstitutiv für den systemischen Beratungsansatz sei Skepsis gegenüber »Machbarkeitsfantasien«, meint Krizanits. Anders als klassische expertokratische Unternehmensberatung verstehe sich systemische Organisationsberatung lediglich als „Verstörungsversuche eingespielter Systemmuster“ (S. 106). Veränderungsprozesse verliefen „nach der lewinschen Formel von Unfreeze – Move – Freeze in unterschiedlichen Energiemustern. Dabei gehe es um eine Abfolge von Affektlagen, die meist mit der Psychodynamik der »Verarbeitung schlechter Nachrichten« vergleichbar sei, wo Schock, Aufbegehren, rationale Akzeptanz, Trauer und schließlich Neuorientierung aufeinanderfolgten, schreibt die Autorin (ebd.).

Der größte Unterschied zwischen klassischem Projektmanagement und einer systemischen Organisationsberatungsarchitektur bestehe darin, „dass das Projektmanagement seinen Gestaltungsgegenstand in inhaltlichen, technischen Problemlösungen sieht – auch wenn es in Projekten immer wieder »menschelt«“ (S 108). Im systemischen Beratungsprozess sei der Gestaltungsgegenstand hingegen die Kommunikation, die aus sozialer Interaktion folge. „Bevor Kollektive ihre Sinngebungs- und Deutungsmuster verändern und bislang unbekannte Zusammenhänge durchdringen und verstehen können, muss Vertrauen aufgebaut werden – durch Symmetrie in den Beziehungen und viel »Face«“, erklärt die Autorin. Erfolgreiche, nachhaltige Veränderungen fänden nicht per E-Mail statt, sondern bedürfe vertrauensvoller sozialer Interaktion, im Idealfall face-to-face.

Die Hauptaufgabe der Beratungsarchitektur sieht die Autorin in der Steuerung des Veränderungsprozesses. Die Architektur lege zwar Räume fest, arbeite gleichwohl nicht mit einem linearen Steuerungsmodell, sondern mit einem rollierenden in Form der systemischen Schleife. Zwecks dessen brauche es „Architekturelemente, die Feedbackprozesse organisieren, d.h. über die Wirkungen von vorher gesetzten Steuerungsimpulsen berichten“, meint Krizanits. Als zentrale Elemente der Architektur von Beratungsprozessen benennt sie die Diagnose durch Interviews oder sonstige Methoden der Datenerhebung sowie den Rückspiegelungsworkshop. Darüber hinaus gäbe es für die Steuerung des Beratungsprozesses noch ein Element, nämlich die Arbeit mit den Auftraggebern. „Berater und Klient organisieren die gemeinsame Arbeit meist in den Rollen der externen und internen Projektleitung; sie benötigen gemeinsame fixe Räume für Austausch und für die Reflexion von Beratungsprozess, Systemdynamiken, Kontext-Auftrag-Rollen usw.“, schreibt die Autorin (S. 111).

Wichtige Architekturelemente für die Funktion, Beteiligungsprozesse zu organisieren, seien „Großveranstaltungen, Road-Shows, Change-Workshops, Open Hours mit der Unternehmensleitung usw., d.h. Settings, in denen es gezielt um das eigene Selbstverständnis geht, um Selbstreflexion des Systems, um Überzeugungs- und Meinungsbildungsprozesse“ (S. 112). Weitere bedeutsame Architekturelemente für Informationsprozesse seien „Mitarbeiterzeitungen, Change-Plattformen, Hotlines usw.“ (ebd.). Für Feedbackprozesse hätten sich Change-Monitore, Change-Botschafter, Mitarbeiterzufriedenheitsumfragen oder Sounding-Boards als sinnvoll erwiesen. In jedem Fall würden für erfolgreiche Veränderungsprozesse Räume, benötigt, „in denen Führungskräfte ihre Einstellungen, ihr Rollenverständnis und ihre Verhaltensweisen umbauen und sich untereinander auf neue Muster koordinieren können“, gibt Krizanits zu bedenken (S. 112 f.).

Im letzten Kapitel wird dargelegt, wie sich von der qualitativen Sozialforschung zur theoriegeleiteten Praxis kommen lässt. Hier werden die soziologischen, psychologischen und kommunikationswissenschaftlichen Grundlagen systemischer Organisationsberatung reflektiert, welche die Autorin eher in der Tradition der Ethnologie als in der der Soziologie sieht. Das Beratungssystem entspreche „dem Feldaufenthalt des Ethnologen auf gemeinsamem Territorium, wobei es „zur Symmetrie der Beziehung zwischen Beratern und Klientensystem“ gehören, „dass Berater sich in ihrer Arbeit genauso – ihr Selbst transformierend – als Lernende erfahren wie das beratene System“ (S. 117). Die Datenbasis für die wissenschaftliche Arbeit der Organisationsberatenden seien ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen im Feld. Die Methoden der systemischen Organisationsberatung seien daher verankert in der „gezielte[n] Lenkung von Wahrnehmung und Erfahrungsverarbeitung und nicht die Analyse von Texten“, schreibt Krizanits, die sich zum Abschluss des Buches dann noch mit Gütekriterien qualitativer Sozialforschung auseinandersetzt und deren Bedeutung für gelingende systemische Organisationsberatung schildert.

Diskussion

Was ist von diesem Buch zu halten? Wie ist es geschrieben und wer profitiert von der Lektüre? Der Rezensent, der selbst systemischer Berater ist und Studierenden den systemischen Beratungsansatz näher bringt, kann das wie folgt beantworten: Was die Formalia angeht, ist das Werk ein typisches Einführungswerk, wie der Carl Auer-Verlag schon viele publiziert hat. Das Buch ist klar gegliedert, fachbuchtypisch gestaltet und lässt sich aufgrund der relativ wenigen Seiten problemlos an ein einem Abend durchlesen. Die Kapitel und Unterkapitel bauen aufeinander auf, sind aber für Leser:innen mit Vorerfahrung auch verständlich, wenn man deren Reihenfolge nicht einhält oder nur partikular bestimmte Kapitel liest.

In Einführungswerken ist immer ein Spagat zu vollziehen. Ein Einführungstext muss einerseits relativ kurz gehalten werden, soll aber nicht oberflächlich sein. Es muss verständlich sein, aber nicht zu stark vereinfachen. Er muss Fachsprache beinhalten, aber nicht so viel, dass Menschen, die mit der Materie bisher nicht vertraut sind, davon abgeschreckt werden. Das gelingt der Autorin erstaunlich gut. Ausgehend von der Feldtheorie Kurt Lewins schlägt sie einen Bogen hin zur Grounded Theory, zur Ethnologie und zur objektiven Hermeneutik, der inhaltlich Sinn macht und Leser:innen nachvollziehbar darlegt, was es mit systemischer Organisationsberatung auf sich hat. Das Werk ist kompakt, wenig redundant und aufs Wesentliche fokussiert verfasst. Positiv hervorzuheben ist, dass die Autorin auf den relativ wenigen Seiten so viele Informationen unterbringt und diese so verständlich aufbereitet. Das ist keineswegs selbstverständlich, denn gerade Systemiker:innen zeichnet leider oft aus, dass sie sich mitunter einer für Außenstehende schwer zu durchschauende Fachsprache bedienen.

Krizanits nutzt freilich auch Fachsprache, erklärt diese aber. Sie nimmt Bezug auf andere Autor:innen und schreibt unter Verweis auf diverse Literaturquellen, die man heranziehen kann, um die von ihr geschilderten Darlegungen noch zu vertiefen. Vorteilhaft ist zudem, dass die Autorin den Text um diverse Schaubilder bereichert, die zum Verständnisgewinn gerade für jene Leser:innen beitragen, die mit systemischem Arbeiten noch kaum Berührungspunkte haben. Was der Rezensent im Buch vermisst hat, sind Fallbeispiele, welche hätten helfen können, manche der Darlegungen noch besser nachvollziehbar zu machen. Gerade Personen, die mit dem systemischen Ansatz noch nicht vertraut sind, können von solchen noch weit stärker profitieren als von der alleinigen Lektüre dessen, wie systemische Organisationsberatung generell ablaufen kann und was dabei zu bedenken ist. Das weitgehende Fehlen von Beispielen ändert aber nichts daran, dass die Darlegungen insgesamt gut verständlich sind.

Besonders positiv hat der Rezensent empfunden, dass die Autorin gerade im letzten Kapitel auch die wissenschaftlichen Grundlagen der systemischen Organisationsberatung unter die sprichwörtliche Lupe nimmt. Das ist insofern bedeutsam, als der systemischen Beratung in Folge der Diffusität dessen, was von diversen Autor:innen alles unter dem Oberbegriff des Systemischen behandelt wird, teils die wissenschaftliche Grundlage abgesprochen wird. Die Autorin macht deutlich, dass der Ansatz auf soziologischen und kommunikationswissenschaftlichen Theorien fußt. Daher lässt sich das Buch auch im hochschulischen Kontext nutzen. Wer noch keine oder nur wenig Erfahrung mit systemischer Organisationsberatung hat, erlangt durch die Lektüre ein solides Grundlagenwissen (zur Vertiefung kann der Rezensent das 2021 ebenfalls bei Carl Auer erschienene Werk „Kontextuelle Organisationsberatung“ von Alfred Janes & Karl Prammer empfehlen).

Fazit

Joana Krizanits legt mit diesem Buch ein gut verständliches, praxisorientiertes und gleichsam wissenschaftlich fundiertes Einführungswerk zur systemischen Organisationsberatung vor, das Berater:innen ebenso empfohlen werden kann wie Führungskräften, die sich eine nachhaltig wirksame Alternativen zum klassischen Unternehmensberatungsansatz suchen.

Rezension von
Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf
Sozialwissenschaftler, Diplom-Sozialarbeiter/-pädagoge (FH), Sozial- und Organisationspädagoge M. A., Case Management-Ausbilder (DGCC), Systemischer Berater (DGSF), zertifizierter Mediator, lehrt Soziale Arbeit und Integrationsmanagement an der Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM) in Mannheim.
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Zitiervorschlag
Christian Philipp Nixdorf. Rezension vom 21.06.2023 zu: Joana Krizanits: Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung. Carl Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2022. 4., überarbeitete Auflage. ISBN 978-3-89670-899-1. Reihe: Compact. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30664.php, Datum des Zugriffs 03.12.2023.


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