Katharina Ruffer: Klima-Terrorismus
Rezensiert von Prof. Dr. Joachim Thönnessen, 14.06.2023
Katharina Ruffer: Klima-Terrorismus. Zusammenhang zwischen (klimabedingten) Umweltkonflikten und Terrorismus am Beispiel des Tschadseebeckens.
Wolfgang Metzner Verlag GmbH
(Frankfurt am Main) 2022.
81 Seiten.
ISBN 978-3-96117-121-7.
D: 19,90 EUR,
A: 20,50 EUR.
Viadrina-Schriftenreihe zu Mediation und Konfliktmanagement - Band 39.
Thema
Frau Katharina Ruffer geht in vorliegendem Buch anhand eines konkreten Beispiels ihrem Interesse an globalen Zusammenhängen in einer vernetzten Welt nach. Beispielhaft für diese Zusammenhänge geht es ihr konkret um die Themenkomplexe Klima und Umwelt auf der einen und Gewalt, Konflikte und Terrorismus auf der anderen Seite.
Autorin
Katharina Ruffer (Jahrgang 1992) ist freiberufliche Mediatorin und Moderatorin. Nach dem grundständigen Studium der Internationalen Betriebswirtschaftslehre an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und an der Universidad de las Américas in Puebla, Mexiko, absolvierte sie den Masterstudiengang Mediation und Konfliktmanagement, erneut in Frankfurt. Privat engagiert sie sich in der Friedensbewegung und interessiert sich für Spiritualität (Text aus dem Buch, S. 81 „Über die Autorin“, entnommen).
Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch basiert auf einer am 18. Januar 2021 eingereichten Masterarbeit, die im Rahmen des Masterstudiengangs Mediation und Konfliktmanagement der Europa-Universität Viadrina erstellt wurde. Die Inspiration für den konkret ausgewählten Konflikt entnahm Frau Ruffer dem Buch „Klima – Eine neue Perspektive“ von Charles Eisenstein (S. 6).
Aufbau
In der Einleitung werden Themenstellung und Forschungsfrage (untersucht wird der Zusammenhang zwischen (klimabedingten) Umweltkonflikten und Terrorismus) vorgestellt. Im zweiten Kapitel werden Hypothesen zu diesem Zusammenhang erläutert. In Kapitel drei der Arbeit wird das konkrete Beispiel erläutert, um das es in dem Buch geht: Um den Konflikt im Tschadseebecken (dazu weiter unten mehr). In den nächsten beiden – für die Arbeit zentralen – Kapiteln wird eine „systemtheoretische Konfliktanalyse“ (S. 9) durchgeführt (auch dazu weiter unten mehr). In Kapitel sechs werden die Ergebnisse der Analyse mit einer Interviewpartnerin abgeglichen und eine inhaltliche Auswertung des Interviews vorgenommen. Die Arbeit schließt mit einem Fazit und einer Schlussbetrachtung in Kap. sieben.
Inhalt
Wie gestaltet sich der Zusammenhang zwischen (klimabedingten) Umweltkonflikten und Terrorismus – dies ist die allgemeine Leitfrage in der vorliegenden Arbeit. Der Leser/die Leserin erfährt zunächst viele interessante Details über das für diese Arbeit ausgewählte Beispiel: So ist der Tschadsee unter verschiedenen Ländern wie folgt aufgeteilt: Tschad (45 %), Niger (28 %), Zentralafrikanische Republik (9 %), Nigeria (7 %), Algerien (4 %), Sudan (4 %), Kamerun (2 %) und Libyen (0,5 %). Von den 20 Millionen Menschen, die den See bewohnen, leben rund 11,7 Millionen im Nordosten Nigerias. Die Tschadseeregion ist eine der ärmsten und trockenheitsgefährdetsten Regionen der Erde (S. 16). Die Menschen dort leben vom Tschadsee, weil er ihnen Wasserressourcen liefert und Fischerei, Viehzucht und Landwirtschaft ermöglicht. Klimatische Veränderungen, soziale Ungleichheit und unzureichende Governance-Strukturen seitens der Regierungen verursachen Leid in der Bevölkerung. Zu diesen bereits bestehenden Konfliktursachen kommen terroristische Aktivitäten der Gruppe Boko Haram hinzu (S. 18).
Dies ist die Ausgangsposition für die Analyse. Frau Ruffer identifiziert die folgenden fünf Konfliktkategorien (S. 20): Umwelt und Klima, Politik, Wirtschaft, Soziales und Terrorismus und beschreibt diese zunächst ausführlich und sorgefältig (jede Kategorie wird beispielsweise mit einem Zwischenfazit abgeschlossen). Sodann erfolgt eine Beschreibung der verwendeten Methoden (das Systemische Feedback Loop Mapping und das Systems Thinking; S. 44ff), die im Rahmen einer intensiven Literaturrecherche verwendet werden: Während das Systemische Feedback Loop Mapping das gesamte Spektrum an Faktoren berücksichtigt, die Einfluss auf das Konfliktgeschehen nehmen (S. 44), bezeichnet das Systems Thinking einen wissenschaftlichen Ansatz, unsere Denkstrukturen in Systemen zu organisieren: „Dieses Denken in Systemen soll dazu befähigen, komplexe Zusammenhänge zu begreifen, einzuordnen und somit besser verstehen zu können“ (S. 45). Die Ergebnisse der Analyse werden anschließend in einer graphischen Darstellung, dem Konfliktstrommodell, zusammengefasst (S. 48). Frau Ruffer erläutert: „An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass das Konfliktstrommodell nicht in der Lage ist, die Komplexität des Konfliktgeschehens in seiner vollumfänglichen Detailtiefe abzubilden. Vielmehr zeigt es die aus der Sicht der Beobachterin wesentlichen Kernstrukturen, die durch die ausgewählte Literatur deutlich wurden, um die wissenschaftliche Fragestellung zu beantworten“ (S. 46f).
In ihrer inhaltlichen Auswertung präsentiert Frau Ruffer die wesentlichen Konfliktströme und erläutert sie anhand der oben angeführten Kategorien (S. 50ff). Zusammengefasst kommt sie zu folgenden Ergebnissen: Es kann keine direkte Verbindung zwischen klimatisch-umweltbedingten und terroristischen Faktoren hergestellt werden. Neben den sozialen und sozio-ökonomischen Faktoren lassen sich ökonomische Anreize (durch den Rückgang der natürlichen Ressourcen) und der Vertrauensverlust in die Regierung als die zentralen Ursachen für den Aufstieg von Boko Haram und die damit verbundenen terroristischen Aktivitäten identifizieren (S. 56). Der Abgleich der Ergebnisse mit dem Expertinneninterview bestätigt die Resultate der Ruffer'schen Arbeit und erbringt noch einige weitere Details (S. 63ff). Hierzu gehört, dass „das Narrativ des Klimawandels als zentraler Konfliktursprung von politischen Akteuren verwendet wird, obwohl diese Annahme nicht hinreichend belegt ist. Auch in anderen internationalen Konflikten wird der Klimawandel als bedeutender Konflikttreiber identifiziert“ (S. 69).
Diskussion
Das Buch von Katharina Ruffer ist von dem besonderen Interesse geprägt, mögliche Zusammenhänge zwischen dem intensiv in den Medien thematisierten Komplex Klima und Umwelt und dem Spektrum von Gewalt, Konflikten und Terrorismus – und damit auch der weltweiten Friedenssicherung – darzulegen und zu verstehen. Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, als gegeben angenommene Narrative zu hinterfragen und (vor allem?) scheinbar offensichtliche Zusammenhänge in ihrem komplexen Wirkungsgefüge zu betrachten. Die Analyse ist in allen Teilen nachvollziehbar und stringent.
Fazit
Für Menschen, die an der Entstehung und Verbreitung von Konflikten (und den entsprechenden Theorien dazu) interessiert sind, für Afrika-Interessierte und für (angehende) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Politik und Soziologie eine spannende Lektüre.
Rezension von
Prof. Dr. Joachim Thönnessen
Hochschule Osnabrück, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Studium der Philosophie und Soziologie in Bielefeld, London und Groningen; Promotion in Medizin-Soziologie (Uniklinikum Giessen)
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Zitiervorschlag
Joachim Thönnessen. Rezension vom 14.06.2023 zu:
Katharina Ruffer: Klima-Terrorismus. Zusammenhang zwischen (klimabedingten) Umweltkonflikten und Terrorismus am Beispiel des Tschadseebeckens. Wolfgang Metzner Verlag GmbH
(Frankfurt am Main) 2022.
ISBN 978-3-96117-121-7.
Viadrina-Schriftenreihe zu Mediation und Konfliktmanagement - Band 39.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30685.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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