Anne Röthel, Bettina Heiderhoff (Hrsg.): Autonomie in der Familie - eine Schwärmerei?
Rezensiert von Prof. Dr. Annegret Lorenz, 16.11.2023
Anne Röthel, Bettina Heiderhoff (Hrsg.): Autonomie in der Familie - eine Schwärmerei?
Wolfgang Metzner Verlag GmbH
(Frankfurt am Main) 2023.
111 Seiten.
ISBN 978-3-96117-105-7.
D: 48,80 EUR,
A: 50,20 EUR.
Reihe: Schriften zum deutschen und ausländischen Familien- und Erbrecht - Band 33.
Thema
Der Tagungsband beinhaltet einen Teil der Vorträge des 5. Fachgesprächs „Familienrecht“, das in Kooperation mit der Bucerius Law School und dem Institut für Deutsches und Internationales Familienrecht der Universität Münster am 12. März 2021 veranstaltet wurde. Die Beiträge drehen sich um die möglichen rechtlichen Rahmenbedingungen zur Ausweitung der Autonomie im Ehe- und Scheidungs(folgen)recht.
HerausgeberInnen und AutorInnen
HerausgeberInnen und AutorInnen kommen durchweg aus der Wissenschaft: – Die Mitherausgeberin Anne Röthel ist Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Privatrecht an der Bucerius Law School in Hamburg. – Die Mitherausgeberin und Autorin Bettina Heiderhoff ist Professorin für Internationales Privat- und Verfahrensrecht und Bürgerliches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. – Christian Bumke hat den Commerzbank-Stiftungslehrstuhl „Grundlagen des Rechts“ an der Bucerius Law School in Hamburg inne. – Michelle Cottier ist Professorin für Privatrecht an der Universität Genf. – Erik D. Widmer ist hält eine Professur für Soziologie an der Universität Genf. – Claudia Mayerist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Internationales Privatrecht an der Universität Regensburg.
Aufbau und Inhalt
Der Tagungsband enthält 4 Beiträge. Eingangs findet sich eine Einführung.
In der Einführungverortet Anne Röthel die Problematik der Gewährung von Autonomie im Familienrecht und zieht den Spannungsbogen möglicher rechtlicher Ansätze: Reduktion der rechtlichen Regeln und Stärkung der vertraglichen Komponente. Sodann gibt sie einen Überblick über die folgenden 4 Beiträge.
Die ersten beiden Beiträge widmen sich der Frage, inwieweit sich Autonomie im Ehe- und Scheidungs(folgen)recht durch eine Reduktion rechtlicher Regeln herstellen lässt.
Bumke verortet die Ehe verfassungsrechtlich vornehmlich als Institutsgarantie und weniger als Freiheitsgrundrecht. Im Spannungefüge zwischen der Pflicht des Gesetzgebers zur Berücksichtigung pluraler Vielfalt einerseits und der Wahrung der Ehe als überindividueller gesellschaftlicher Einrichtung andererseits sieht er legislatorische Freiräume für mehr Selbstbestimmung vor allem bei der inhaltlichen Ausgestaltung von Eheführung und Scheidungsfolgen. Demgegenüber sei sowohl Eingehung als auch Auflösung der Ehe der Selbstbestimmung der Eheleute nicht zugänglich.
Einen etwas anderen Fokus legt demgegenüber Heiderhoff, die den verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe vornehmlich in einem Freiheitsgrundrecht sieht und den Gesetzgeber für verpflichtet hält, das Eherecht an den gegenwärtigen gesellschaftlichen Erwartungen zu orientieren. Dementsprechend größere Spielräume sieht sie für eine Erhöhung der Autonomie bei der Regelung zur Eingehung und Auflösung der Ehe und hält etwa u.a. auch eine Privatscheidung für zulässig. Zugleich betont sie aber auf der anderen Seite die Notwendigkeit von Schutzvorschriften zu Gunsten der schwächeren Partei und befürwortet eine stärkere Regulierung im Scheidungsfolgenrecht.
Die beiden folgenden Beiträge widmen sich den vertraglichen Gestaltungsräumen im Rahmen der Ehe und vor allem Scheidung.
Cottier, Wider et al. stellen eine Schweizer Studie zu Scheidungsvereinbarungen vor. Ausgehend von der Feststellung, dass sich die finanzielle Situation von Frauen nach der Scheidung verschlechtert hat, untersucht die Studie Scheidungsvereinbarungen auf die ihnen zugrunde liegenden Vorstellungen von Geschlechtergerechtigkeit. Zum anderen stellen sie auch geschlechtsspezifisch unterschiedliche Verhandlungsstrategien fest. In ihrem Fazit zeigen sie eindrücklich die Paradoxie auf, dass mehr Selbstbestimmung (durch vertragliche Regelungen) gerade nicht zu mehr Freiheit führen muss:
- Formal-egalitäre Vorstellungen der PartnerInnen (beide sind gleich und sollen sich nach der Scheidung eigenverantwortlich versorgen) bergen die Gefahr, vorhandene Ungleichheiten zwischen Männern und (die Kinder betreuenden) Frauen zu ignorieren und in der Folge zu einer Schlechterstellung der Frau zu führen.
- Kompensatorische Vorannahmen (die Frau soll durch eine großzügige Versorgung nach der Ehe einen Ausgleich für ihr „Zurückstecken“ in der Ehe für die Kinder erhalten) hingegen sind geeignet, vorhandene Rollenmuster festzuschreiben.
Mayer setzt sich mit der Einordnung sog. unbenannter Zuwendungen unter den EhegattInnen während der Ehe und deren Rückabwicklung nach ihrem Scheitern auseinander. Sie plädiert – im Gefolge der BGH-Rechtsprechung – für eine vertragliche Einordnung als und weist auf die damit einhergehenden Möglichkeiten eines gerechten Ausgleichs nach Beendigung der Gemeinschaft hin.
Diskussion
Die Trias von Lebenswirklichkeit, Gerechtigkeitsvorstellungen und Recht gleicht einem ständig in Bewegung befindlichen Mobile, das permanent austariert werden will. Weitaus stärker als in anderen Rechtsbereichen ignoriert das Familienrecht die zunehmende Pluralisierung der Lebensformen. Dementsprechend schwächer – im Vergleich zu anderen Rechtsbereichen – ausgeprägt ist die Diskussion um Autonomie und – deren Schattenseite – dem Schutz der schwächeren Partei.
Zugleich steht der Gesetzgeber gerade im Familienrecht vor einem nicht unerheblichen – und auch immer wieder vom Bundesverfassungsgericht angeschobenen Reformbedarf – nicht zuletzt im Abstammungsrecht.
Fazit
Die Auseinandersetzung um ein modernes und gerechtes Familienrecht ist daher nicht nur an der Zeit, sondern auch grundsätzlich notwendig. Wie komplex die Trias und deren Austarierung ist, zeigen diese Beiträge, die sich nur auf einen Ausschnitt des Familienrechts beschränken. Eindrücklich zeigen sie die Notwendigkeit des Aufgreifens und der Fortführung dieser Auseinandersetzung auf. Es ist zu wünschen, dass diese Diskussion aufgegriffen, vertieft und fortgeführt wird.
Rezension von
Prof. Dr. Annegret Lorenz
Professorin für Recht mit Schwerpunkt Familien-, Betreuungs- und Ausländerrecht am Fachbereich Gesundheits- und Sozialwesen der Hochschule Ludwigshafen am Rhein
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Zitiervorschlag
Annegret Lorenz. Rezension vom 16.11.2023 zu:
Anne Röthel, Bettina Heiderhoff (Hrsg.): Autonomie in der Familie - eine Schwärmerei? Wolfgang Metzner Verlag GmbH
(Frankfurt am Main) 2023.
ISBN 978-3-96117-105-7.
Reihe: Schriften zum deutschen und ausländischen Familien- und Erbrecht - Band 33.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30686.php, Datum des Zugriffs 15.01.2025.
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