Wolfgang Ortmanns: Entscheidungs- und Spieltheorie
Rezensiert von Prof. Dr. Georg Kortendieck, 15.09.2023
Wolfgang Ortmanns: Entscheidungs- und Spieltheorie. Eine anwendungsbezogene Einführung. Duncker & Humblot GmbH (Berlin) 2023. 2., überarbeitete Auflage. 107 Seiten. ISBN 978-3-89673-786-1. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR.
Zielsetzung
Dieses Buch setzt sich zum Ziel ein praxisorientiertes Lehrbuch zur Entscheidungstheorie wie zur Spieltheorie zu sein. Beide Gebiete werden üblicherweise getrennt behandelt. Das Buch soll zeigen, wie die Entscheidungs- und die Spieltheorie in vielen Situationen, in Beruf und Alltag hilfreich und wirkungsmächtig sind bzw. sein können.
Autor
Dr. Wolfgang Ortmanns hat eine Professur für Betriebswirtschaftslehre/​Management von Banken und Versicherungen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden und lehrt dort unter anderem Volkswirtschaftslehre, Entscheidungs- und Spieltheorie, Logik und Argumentation.
Aufbau und Inhalt des Buches
Das Buch von W. Ortmanns zeigt auf wenigen Seiten, so der eigene Anspruch, mit einem Minimum an mathematischen und ökonomischen Erläuterungen, wie hilfreich Entscheidungstheorie und Spieltheorie im Alltag sein können. Die Verbindung beider Gebiete zeigt, dass die Spieltheorie auf den Annahmen der Entscheidungstheorie auf- und ansetzen.
Kapitel eins: Entscheidungstheorie erläutert die wichtigsten Aussagen an vielen Beispielen und ist so aufgebaut, dass die Annahmen: Entscheidung unter Unsicherheit bei Nutzenmaximierung immer weiter verfeinert und damit der komplexen Umwelt angepasst werden. Die Entscheidungstheorie untersucht Entscheidungen bei Unsicherheit, d.h. dass die Zukunft nicht bekannt ist. Ausgehend von mehreren zu erwartenden Umweltzuständen (Ereignisse: Bspw. wird wirtschaftlich ein Aufschwung, eine Stagnation oder ein Abschwung erwartet). werden mehrere Handlungsalternativen (Investieren, reduzieren, Nichts tun) durchgespielt und unter der Annahme der Gewinn- bzw. Nutzenmaximierung die beste Entscheidungsalternative ermittelt. Allereinfachste Regeln, die der Autor gleich als unrealistisch verwirft sind die bekannte Maximimregel (wähle von den schlechten Alternativen die beste aus: Pessimismusregel) oder die Maximaxregel: (wähle von den besten Alternativen die beste aus: Optimismusregel).
Realistischer ist es, mit Wahrscheinlichkeiten die möglichen Ergebnisse der verschiedenen Handlungsalternativen zu bewerten und darum den jeweiligen Erwartungswert zu bestimmen. Hierbei zeigt das Buch, dass man mit der Bayes-Regel der bedingten Wahrscheinlichkeiten Ergebnisse berechnet und Entscheidungen trifft, die man intuitiv nicht erwartet hätte. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, wenn man ein positives Testergebnis bei einer HIV-Untersuchung oder einer Mammografie erhalten hat, dass tatsächlich HIV oder Brustkrebs vorliegt? Die Ergebnisse werden beeinflusst von der Frage nach der Sensitivität des Tests (also Treffergenauigkeit) und der Anzahl der Erkrankten an der Gesamtpopulation. Es gibt eben auch Falsch-Positive Ergebnisse. Besonders eindrücklich und lesenswert ist das Ziegenbeispiel, in dem gezeigt wird, wie durch Denken in Wahrscheinlichkeiten deutlich bessere Entscheidungen getroffen werden (können).
Der Erwartungswert reicht als Kriterium jedoch nicht immer aus, weshalb das Risiko einer Falschbewertung (Standardabweichung) und die Einstellung zum Risiko (z.B. Risikoaversion) mit hinzugenommen werden. Vor allem letzteres ist bei der Frage nach einer Versicherung gegen mögliche Schäden ein weiteres wichtiges Zusatzkriterium. Allerdings ist die Berechnung des Erwartungsnutzens auch deutlich anspruchsvoller als nur den Erwartungswert zu bestimmen.
Die Annahme, dass bestimmte Ziele (Nutzenmaximierung) erfolgt werden ist der normativen Betriebswirtschaftslehre zuzurechnen. Im letzten Schritt des Kapitels eins geht der Autor auf die deskriptive Betriebswirtschaftslehre ein und zeigt, wie Menschen sich tatsächlich entscheiden und greift hierbei auf empirische und experimentelle Erkenntnisse der Entscheidungspsychologie bzw. Verhaltensökonomie (Kahneman, Tversky, Thaler) zurück.
Im zweiten Kapitel erweitert der Autor den Fokus der Entscheidungen von der rein individuellen auf eine gesellschaftliche Sichtweise. Jetzt werden Entscheidungen mitbestimmt durch das Verhalten Konkurrenz oder von Kund:innen. Als Spiel wird eine Entscheidungssituation bezeichnet, in der eine Entscheidung unter Umständen eine Entscheidung einer anderen Person oder vieler mit hervorruft, die wiederum den Erwartungswert der eigenen Entscheidung maßgeblich mit beeinflusst. Preissetzungen lösen eine Reaktion der Konkurrenz wie der Nachfrage aus.
Spiele können nicht kooperativ (Schach, Reaktion von Konkurrenz und Auftraggebern) oder auch kooperativ sein (Verhandlungen für eine beste Lösung). Die Informationen für die Entscheidungen sind entweder allen bekannt oder nur einer Seite bekannt. Hier geht der Verfasser auf das Problem des Principals (Auftraggeber, Arbeitgeber), der nur begrenztes Wissen hat, mit dem Agenten (Auftragnehmer, Arbeitnehmer:in) ein.
Ausgehend vom Klassiker des nicht kooperativen, einmaligen Spiels, dem Gefangenendilemmas, das zeigt, dass bei Nichtabsprache zweier Ganoven im getrennten Verhör beide sich für eine Lösung entscheiden (gestehen), die für beide die schlechtere von zwei Varianten ist (beide gestehen nicht) entwickelt der Verfasser immer weiter die Entscheidungen in Spielsituationen (von Tit for Tat bei sequentiellem Vorgehen in wiederholten Spielen bis hin zu Entscheidungssituationen, die kein Gleichgewicht kennen (heißt Situation, die man nicht mindestens für eine Person ohne zu Lasten der anderen Person verbessern kann) und schließlich bis zu kooperativen Spielen, sprich Verhandlungssituationen, in den sich die Kontrahenten austauschen können. Letzteres ist hilfreich, um zu verstehen warum bei Teamarbeit oder Netzwerken keineswegs immer die für alle beste Lösung gefunden wird.
Diskussion
Den Anspruch, ohne größere Mathematikanwendung, eine praxisorientierte Einführung zu schreiben kann das Buch nicht ganz einlösen. Mit etwas über 100 Seiten ist das Buch sehr knapp geschrieben. Ein paar Erläuterungen mehr und vor allem weniger Abkürzungen, um Platz zu sparen, hätten das Buch leichter verständlich werden lassen. So ist es für Personen ohne Mathematikkenntnisse keine einfache Kost. Auch wenn es bereits in der zweiten Auflage erschienen ist, gibt es immer noch redaktionelle zu erledigende Aufgaben (etwa beim Literaturverzeichnis).
Didaktisch ist das Buch durch die Zusammenführung von Entscheidungs- und Spieltheorie und der schrittweisen komplexeren Bearbeitung von Entscheidungssituationen sehr gelungen. Man mag sich an der Annahme/​Axiom der Nutzenmaximierung stören. Es ist aber eine klare Entscheidungsregel bei rationalem Verhalten. Dass das in der Realität keineswegs so ist, diskutiert der Autor. Aber wenn nach besten Entscheidungen unter Unsicherheit (z.B. Impfen lassen ja oder nein) und unter der Annahme, dass Entscheidungen Folgen für weitere Personen haben (z.B. Ausgestaltung von Arbeitsverträgen, Entlohnung) ist diese Annahme hilfreich. Begriffe der Informationsökonomik wie Principal-Agent-Problem, Signalling und Screening sind in der Sozialen Arbeit nicht geläufig, sehr wohl aber präsent. Es geht darum, dass Menschen Entscheidungen treffen, die ihnen nutzen, dem andern aber eventuell sogar schaden. Signalling bedeutet, dass potentielle Bewerber:innen durch Zeugnisse und Zertifikate dem künftigen Arbeitgeber signalisieren, dass man leistungsbereit und kompetent ist. Das Einfordern eines erweiterten Führungszeugnisses ist eine eindeutige Screening-Maßnahme, um sich als Arbeitgeber vor potentiell problematischen Beschäftigten zu schützen. Die Entscheidungs- und Spieltheorie setzt nicht auf (blindes) Vertrauen, sondern diskutiert Regeln unter der Annahme, dass man seine Ziele bestmöglich in der Zukunft erreichen möchte. So gesehen kann dieses Buch eine sehr gute Grundlage sein, die eigenen Entscheidungen zu analysieren und fehlerhafte intuitive Entscheidungen zu vermeiden.
Fazit
Insgesamt erhält die Leserin/der Leser ein spannendes und anregendes Buch. Vor allem die Beschäftigung mit Wahrscheinlichkeiten, um den Erwartungswert zu bemessen und die Berücksichtigung von „Mitspielern“ ist auf jeden Fall sehr Horizont erweiternd. Auch wenn die mathematischen Erläuterungen knappgehalten sind, dürfte das Buch doch eher einen kleineren Kreis im Feld der sozialen Arbeit ansprechen.
Rezension von
Prof. Dr. Georg Kortendieck
Diplom-Volkswirt, Dekan Fakultät Soziale Arbeit, Ostfalia Hochschule Braunschweig-Wolfenbüttel, Langjähriger Leiter mehrerer Bildungsträger, Professor für Betriebswirtschaftslehre im Sozialen Bereich
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Zitiervorschlag
Georg Kortendieck. Rezension vom 15.09.2023 zu:
Wolfgang Ortmanns: Entscheidungs- und Spieltheorie. Eine anwendungsbezogene Einführung. Duncker & Humblot GmbH
(Berlin) 2023. 2., überarbeitete Auflage.
ISBN 978-3-89673-786-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30705.php, Datum des Zugriffs 14.12.2024.
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