Hans-Werner Wahl: Psychologie für die Arbeit mit Menschen höheren Lebensalters
Rezensiert von Alisa Hemberger, 30.08.2023

Hans-Werner Wahl: Psychologie für die Arbeit mit Menschen höheren Lebensalters.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2023.
203 Seiten.
ISBN 978-3-7799-6201-4.
D: 21,00 EUR,
A: 21,60 EUR.
Reihe: Psychologie für Soziale Berufe. .
Autor
Prof. Dr. Hans-Werner Wahl ist Psychologe und zudem Seniorprofessor und Projektleiter des Netzwerks Alternsforschung der Uni Heidelberg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen unter anderem psychologische Anpassungsprozesse im späten Leben, die Rolle subjektiven Alternserlebens und von Altersstereotypen sowie die Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen Altern und Technologien.
Zielgruppe
Insbesondere Sozialarbeiter und pädagogische Fachkräfte, die in einem engen Austausch zu Menschen höheren Lebensalters stehen, profitieren von diesem Buch. Gleichwohl werden neben den sozialen Berufen auch all diejenigen angesprochen, die in ihrem Berufs- oder Studienleben mit den Herausforderungen, denen ältere Menschen ausgesetzt sind, konfrontiert werden und auf der Suche nach zielgerichteten Interventionen und Lösungsmöglichkeiten sind.
Aufbau
Das Fachbuch lässt sich in fünf Abschnitte unterteilen. Zunächst wird ein Blick auf das Altern heute und die psychologische Alternsforschung geworfen. Im nächsten Abschnitt stehen die Ressourcen für ein gelingendes psychisches Alter im Vordergrund, wohingegen anschließend psychologische Herausforderungen bzgl. Wege und Umwege eines gelingenden Alters beleuchtet werden. Der vorletzte Abschnitt befasst sich aufbauend darauf mit übergreifenden Themen, die eine hohe Relevanz für die Alternspsychologie aufweisen. Am Ende wird die psychologische Interventionsgerontologie erläutert, mit Hilfe derer ein gelingendes Altern professionell gefördert werden kann. Es folgen ein Schluss-Impuls, ein Feedback-Teil sowie eine Auflösung vorangestellter Quizfragen. Zudem ist ein Glossar und ein Literaturverzeichnis enthalten. Verschiedene Piktogramme beziehen die Leser interaktiv ein (z.B. durch Anregungen zur Selbstreflexion) und erleichtern die Orientierung (z.B. durch Verweise auf Literatur oder Forschungshighlights).
Inhalt
Im ersten Kapitel steht das Altern in Veränderung im Vordergrund. Hier erhalten die Leser Informationen über Gewinne und Verluste des Älterwerdens sowie Fakten hinsichtlich der Lebenssituation älterer Menschen, wie bspw. zur Lebenserwartung, zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und zu sozialstrukturellen Risiken und Ressourcen.
Nach diesen Angaben zum allgemeinen Grundverständnis wird nun im zweiten Kapitel die psychologische Alternsforschung behandelt. Zunächst werden zwei Fallbeispiele über ein „gelungenes“ und ein „misslungenes“ Altern aufgeführt. Im Anschluss wird das theoretische Rahmenmodell eines psychologischen Alterns als Wegweiser vorgestellt, da dessen einzelne Elemente als roter Faden in den darauffolgenden Kapiteln aufgegriffen und näher beschrieben werden. Ein weiterer Bestandteil dieses Kapitels sind die Forschungsdesigns und -strategien der psychologischen Alternsforschung mit der Bedeutung und Notwendigkeit objektiver Methoden für wissenschaftliche Erkenntnisse.
Der zweite Abschnitt des Buches befasst sich mit Ressourcen für ein gelingendes psychisches Altern, welche jeweils unter dem Aspekt der Lebensspannenperspektive und des sozialen Kontexts beleuchtet werden. Zunächst bilden individuelle Ressourcen und Risiken den Schwerpunkt des dritten Kapitels. Bezüglich der Ressource der geistigen Leistung werden die Begriffe Mechanik und Pragmatik erklärt und in einer Tabelle gegenübergestellt. Anschließend wird die Persönlichkeitsentwicklung, u.a. anhand des Big Five Modells und des Zusammenhangs zwischen der Persönlichkeit und des Älterwerdens, dargestellt. Weitere vorgestellte Themen sind das subjektive Erleben des Älterwerdens sowie die Ressourcen Sinnerleben, Spiritualität und Generativität. Verschiedene Formen der Generativität werden dabei nach den Lebensalter-Phasen und einem Generationenbezug aufgeschlüsselt.
Im vierten Kapitel stehen die Umweltressourcen und -risiken im Fokus. Hinsichtlich sozialer Beziehungen werden objektive und subjektive Aspekte sowie Forschungsergebnisse betrachtet. In einem weiteren Unterkapitel werden die Themen Zärtlichkeit und Sexualität besprochen. Als weitere Umweltressourcen und ‑risiken werden psychologische Aspekte von gebauter und natürlicher Umwelt aufgeschlüsselt. Insbesondere werden hier objektive und subjektive Aspekte auf das Wohnen bzw. die Wohnsituation und psychologische Komponente mittels Rahmenmodell zum Person-Umwelt-Austausch im höheren Lebensalter erläutert. Eine weitere wichtige Ressource in diesem Zusammenhang ist der psychologische Aspekt einer digitalisierten Person-Umwelt-Wechselwirkung, wobei Vorteile und Grenzen digitaler Technologien gegenübergestellt werden und der Einsatz von Robotern als Alltags- und Pflegehilfe kritisch diskutiert wird. Die Psychologie der Techniknutzung durch Ältere wird mittels Technikakzeptanz-Modell dargestellt.
Im Gegenzug zum zweiten Abschnitt sind psychologische Schwerpunkte der Schwerpunkt des dritten Abschnitts und beginnen mit kritischen Lebensereignissen im fünften Kapitel. Diese werden charakterisiert und Möglichkeiten eines „gelungenen“ und „misslungenen“ Überwindens aufgezeigt. Als Beispiele kritischer Lebensereignisse werden Gewinne und Verluste in Hinblick auf den Übergang in die nachberufliche Lebensphase gegenübergestellt. Andererseits auch Multimorbidität und Krankheit, welche anhand einer Tabelle nach Krankheit, Behinderung, Häufigkeit und diesbezüglichen Auswirkungen auf Lebensqualität übersichtlich aufgeschlüsselt werden. Da die Erfahrung der Verwitwung zu den schlimmsten Lebensereignissen zählt, wird auch dieses kritische Ereignis mit Fallbeispielen einer „gelungenen“ und „misslungen“ Überwindung besprochen sowie die daraus entstehenden verhaltensbezogenen, physischen und sozialen Reaktionen.
Anschließend erfolgen im sechsten Kapitel Informationen zu den Entwicklungsregulationsprozessen. Diesbezüglich werden Potenziale und Grenzen aufgezeigt und die Bedeutung der Resilienz bzgl. eines gelingenden Alterns hervorgehoben. Als Modell wird das SOK-Modell (Selektive Optimierung mit Kompensation) anhand des Beispiels des Pianisten Arthur Rubenstein genannt.
Aufbauend darauf werden im siebten Kapitel Entwicklungsergebnisse thematisiert. Es wird auf die Entwicklung von Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit eingegangen und mithilfe des Wohlbefindens-Paradoxes visualisiert. Zudem wird das Konzept der Spiritualität, Generativität und Dankbar erneut aufgegriffen und der Verlauf von Lebenszufriedenheit und Alltagsselbstständigkeit mittels Spaghetti Diagramm visualisiert. Ebenso wird der Verlust von Autonomie, Teilhabe und Kontrolle mit Auswirkungen behandelt.
Übergreifende Themen mit hoher Relevanz für die Alternspsychologie werden im vierten Abschnitt beleuchtet. Die Schwierigkeit zwischen der Bezeichnung bzw. Verwendung des Begriffs drittes und viertes Alter beschäftigt das achte Kapitel. Es folgen Argumente für und gegen die Verwendung dieser Begrifflichkeiten.
Das neunte Kapitel beschreibt kurz das Thema Gender und Altern, in der die Notwendigkeit einer gendersensiblen psychologischen Alternsforschung betont wird.
Das vorletzte zehnte Kapitel befasst sich mit dem Lebensende und Sterben, welches unter anderem Informationen zu der Thanatopsychologie, der Psychologie von Sterben und Tod, und zu Sterbeorten beinhaltet. Die Psychologie des individuellen Sterbens wird mittels Verlaufsformen des Sterbens nach Kruse näher dargestellt.
Psychologische Interventionsgerontologie beschreibt den fünften Abschnitt und beinhaltet das elfte Kapitel zu psychosozialen Interventionen. Zum einen wird sich auf die Stärkung individueller Ressourcen mittels kognitiven Trainings fokussiert, wobei der Verlauf der Wert eines Intensivtrainings mit jüngeren und älteren gezeigt wird. Weitere Aspekte sind die Psychotherapie und die psychosoziale Beratung, die Förderung der Selbstständigkeit, Interventionen zur Förderung körperlicher Aktivität und das Krankheitsselbstmanagement. In diesem Zusammenhang werden Strategien von Selfmanagement-Programmen gezeigt. Zum anderen werden auch Möglichkeiten für eine Stärkung umweltbezogener Ressourcen auf Basis der sozialen Integration und der sozialen Umwelt sowie von Interventionen in der physisch-räumlichen und technisch-digitalen Umwelt vorgestellt. Elemente sind hierbei unter anderem die Bedeutung von Hausbesuchen und eine Wohnraumanpassung.
Diskussion
Das Thema Alter und Älterwerden ist meist mit einer negativen Konnotation behaftet. Oft werden in diesem Zusammenhang nur die Einschränkungen und die nachlassenden kognitiven und physischen Fähigkeiten gesehen. Jedoch ist es von großer Wichtigkeit, die noch vorhanden Ressourcen nicht außer Acht zu lassen, sondern sie vielmehr aufzugreifen und zu stärken. Dies kann ein erfolgreiches Altern erleichtern. Dieses Fachbuch zeigt nicht nur die Herausforderungen des Älterwerdens, sondern auch Ressourcen und Praxisvorschläge für ein gelingendes Altern. Es wird deutlich, dass es nicht das Altern gibt bzw. das (eine) Älterwerden. Stattdessen ist es seitens der Fachkräfte erforderlich, ältere Menschen und deren (Lebens-)Situation individuell und auf Basis der gesamten Lebensspanne zu betrachten.
Dieses Fachbuch bindet die Leser über alle Kapitel hinweg interaktiv ein. Die Anregungen zur Selbst-Reflexion ermöglichen eine Reflexion der eigenen Werte und Vorstellungen zum Thema Älterwerden. Ein weiterer Einbezug wird durch das Altersquiz erreicht, bei dem die Leser vorgestellte Statements als wahr oder falsch einordnen und am Ende ihre Vermutungen in der Auflösung überprüfen können. Zusätzlich werden viele Praxistipps angeboten, die zu einem Transfer in die eigene (Berufs-)Praxis einladen. Verwendete Grafiken, Tabellen und Abbildungen visualisieren das Geschriebene und lassen es leichter verständlich wirken. Mithilfe der Piktogramme wird die Orientierung erleichtert, da beispielsweise auf einem Blick Fallbeispiele, Forschungshighlights oder Literaturangaben erkannt werden können. Durch die Verwendung des theoretischen Rahmenmodells am Anfang des Buches wird über die gesamten nachfolgenden Kapitel ein roter Faden gespannt, indem die einzelnen Elemente näher beleuchtet werden und in jedem Kapitel eine Einordnung des Kapitels gegenüber dem jeweiligen Element erfolgt.
Fazit
Kurz um erhalten die Leser ein vertieftes Wissen bzgl. der Arbeit für Menschen höheren Lebensalters aus einer psychologischen Perspektive. Gleichzeitig erreicht das Fachbuch, dass bereits vorhandene Stereotype gegenüber älteren Menschen reflektiert und angepasst werden. Die Sichtweise verschiebt sich zu einem Positivbild des Alterns statt eines Defizitbilds. Der Preis in Höhe von ca. 22 Euro ist folglich mehr als angemessen.
Rezension von
Alisa Hemberger
M. Sc. Gesundheitsförderung
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Es gibt 17 Rezensionen von Alisa Hemberger.