Bernd Schröder, Harry Harun Behr et al. (Hrsg.): Männlich/weiblich/divers
Rezensiert von Angela Schmidt-Bernhardt, 01.02.2024
Bernd Schröder, Harry Harun Behr, Katja Boehme, Bruno Landthaler (Hrsg.): Männlich/weiblich/divers Resonanz und Spannung der Geschlechter in Judentum, Christentum und Islam / Bernd Schröder/Harry Harun Behr/Katja Boehme/Bruno Landthaler (Hg.) ; 12. Tagung der Religionspädagogischen Gespräche zwischen Jud:innen,.
Frank & Timme
(Berlin) 2023.
212 Seiten.
ISBN 978-3-7329-0893-6.
D: 28,00 EUR,
A: 28,00 EUR,
CH: 42,00 sFr.
Reihe: Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen - Band 8.
Thema
Das Buch versammelt Beiträge einer Tagung im Rahmen der Religionspädagogischen Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen. Die Beiträge beleuchten die Genderthematik in den normativen Grundlagen der jüdischen, christlichen und islamischen Religion und in der aktuellen jeweiligen Interpretation der Religionen.
Entstehungshintergrund
Die Religionspädagogischen Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen finden seit 2008 einmal jährlich zu unterschiedlichen Themenstellungen statt. Es ist ein im deutschsprachigen Raum seltenes Forum des Austausches zwischen Vertreter*innen dreier Religionen, um aus religionstheoretischer und religionspädagogischer Sicht miteinander ins Gespräch zu kommen. Im Jahr 2021 war das Thema der Tagung ‚…als Mann und Frau schuf er sie…Resonanz und Spannung der Geschlechter in Judentum, Christentum und Islam‘. Der vorliegende Sammelband enthält überarbeitete Tagungsbeiträge und ergänzende Texte.
Aufbau
Die Beiträge der vorliegenden Veröffentlichung sind Ergebnis der ‚Religionspädagogischen Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen‘ vom 22.-24. Februar 2021. Thema der Tagung war die Beschäftigung mit der Geschlechterdifferenz und Zielsetzung war es, den historischen Hintergrund der drei Religionen Judentum, Christentum und Islam in Torah, Bibel und Koran mit der aktuellen gesellschaftlichen Debatte zu verbinden und daraus Anstöße für die religionspädagogische Gestaltung von Unterricht zu entwickeln. In einem einleitenden Text wird ein kurzer Blick auf die naturwissenschaftliche Einordnung der Geschlechterdebatte und die aktuellen Ergebnisse der genetischen Forschung geworfen. Auf dieser Grundlage bietet der Hauptteil der Veröffentlichung unter der Überschrift ‚Resonanz und Spannung der Geschlechter – Jüdische, katholische, evangelische Perspektiven‘ Einblicke in die Thematik aus Sicht der drei Religionen. Ein Unterrichtsbeispiel und ein zusammenfassender Tagungsrückblick schließen den Band ab.
Inhalt
In dem einleitenden Beitrag ‚Zwei Geschlechter – soziale Konstruktion oder biologisch begründet?‘ skizziert Rebecca Albert aus naturwissenschaftlicher Sicht die Wahrnehmung von Geschlecht und demgemäß die Einordnung der Unterscheidung der Geschlechter von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. Sie verdeutlicht, wie die neuen Forschungen zu Chromosomen und Hormonen die Geschlechtsbestimmung beeinflussen und die Grenzziehungen erschweren. Daran schließen sich die Beiträge zur Geschlechterdebatte aus jüdischer, christlicher und muslimischer Perspektive an. Bruno Landthaler reflektiert über ‚(Gender-)Differenz und (jüdische) Identität. Konzepte, Spannungen und Resonanzen der Geschlechter im Judentum‘. Der Autor erläutert bezugnehmend auf die Thora die Ambiguität als anthropologisches Grundmuster der jüdischen Religion. Er erläutert, wie entsprechend seinem religionspädagogischen Ansatz Schülerinnen und Schüler anhand der traditionellen biblischen Texte die Idee von Gleichrangigkeit, Gleichwertigkeit und Verschiedenheit diskutieren können. Elisa Klapheck befasst sich in ihrem Beitrag ‚Frauen im Rabbinat‘ mit der jüdischen Frauenbewegung, die seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts für Gleichberechtigung der Frauen in den jüdischen Gemeinden kämpfte. Regina Jonas, die erste Rabbinerin, begründet die Emanzipation der Frau mit der inneren Logik der jüdischen Religion und bezieht sich hierbei auf den Pflichtbegriff des rabbinischen Judentums. Mit dem Holocaust und der Ermordung von Regina Jonas geriet die gesamte emanzipatorische Bewegung für Jahrzehnte in Vergessenheit, bis erst in den 90er Jahren im Zuge der zweiten jüdischen Frauenbewegung Frauen Anstellungen als Rabbinerinnen erhielten. Klapheck betont, dass die jüdischen Rabbinerinnen sich nicht nur inner-religiös betätigen und ihre Religionsgemeinschaft verändern, sondern auch konstitutiv im Spannungsfeld zwischen Staat und Gesellschaft wirken. Sabine Pemsel-Maier beleuchtet katholische Perspektiven auf das Geschlechterverhältnis. Sie bezieht sich sowohl auf zentrale biblische Texte, als auch auf Modelle der theologischen Geschlechteranthropologie und schließlich auf Gender als Analysekategorie. In biblischen Texten findet sich beides, Texte, die die Gleichrangigkeit der Geschlechter aufzeigen und Texte, die die Hierarchie im Geschlechterverhältnis betonen. Die theologische Geschlechteranthropologie betont seit Aristoteles den Dualismus und legitimiert die Unterordnung der Frau theologisch. Die Autorin zeigt auf, wie die feministische Hermeneutik eine neue Kontextualisierung der Texte in Angriff nimmt. Pemsel-Maier erläutert, wie der Bezug auf neuere Gendertheorien in die Religionspädagogik Einzug hält und betont die Notwendigkeit einer gendersensiblen Bildung in Bezug auf die Rezeption biblischer Texte und in Bezug auf ethisches Lernen. Tobias Kampmann zeichnet die unterschiedlichen Positionen in der katholischen Kirche im Umgang mit der LBTQI+ – Community nach. Die Aussagen der vatikanischen Kongregation für das Bildungswesen aus dem Jahr 2019 mit ihrer normativen Grundhaltung werden ergänzt durch die Position des Jesuiten James Martin, der sich als Brückenbauer zur LSBT-Community versteht, und dezidiert dafür eintritt, alle Menschen gleichermaßen zu achten und wertzuschätzen. Der Autor plädiert engagiert für Dialog und Brückenbauen zwischen der Amtskirche und der LBTQI+-Community. Aus evangelischer Perspektive erfolgen die anschließenden Überlegungen von Bernd Schröder. Er befasst sich mit religionspädagogischen Aufgaben und fragt, welchen Beitrag der evangelische Religionsunterricht zur (sexuellen) Identitätsfindung von Schülerinnen und Schülern leisten kann. Der Beitrag von Susanne Schwarz thematisiert die Bedeutung der Gender-Frage für evangelische Religionslehrer*innen. Sie spannt den Bogen des religionspädagogischen Diskurses von den feministisch orientierten Perspektiven der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts über einen gendersensiblen und genderreflektierenden Religionsunterricht bis zu einer ‚Religionspädagogik der Vielfalt‘, die religiöse Lernprozesse mehrperspektivisch und mehrdimensional denkt. Die islamische Perspektive bringt Harry Harun Behr in seinem Beitrag ‚Wie unfair ist das denn!‘, in dem er die lebensweltliche Situation von Mädchen und Frauen als Entwicklungsthema des Islams in Deutschland anspricht. Der Autor erläutert aus islamisch-theologischer Perspektive, dass die Ungleichbehandlung von Mädchen und Frauen im Kontext der Ungleichbehandlung vulnerabler Gruppen der Gesellschaft zu sehen ist. In seiner Exegese des Koran arbeitet er Bezugspunkte zur Überwindung von Ungleichheitsverhältnissen zwischen den Geschlechtern heraus. Der Band schließt mit einem Unterrichtsbeispiel aus dem evangelischen Religionsunterricht an einer Grundschule. Anne Klaaßen setzt sich mit biblischen Identifikationsfiguren auseinander, lässt die Schülerinnen und Schüler sich mit biblischen Figuren identifizieren und reflektiert die Perspektivübernahmen unter den Aspekten des ‚Doing gender‘ und des ‚Undoing gender‘.
In einem zusammenfassenden Tagungsrückblick ‚Das Verhältnis der Religionen zum Verhältnis der Geschlechter‘ fasst Ulrike Bechmann zentrale Fragestellungen der drei Religionen zusammen, die Frage nach Pluralität und Differenz der Religionen, diejenige nach Heterogenität von Schrift und Tradition und entsprechender Hermeneutik und die nach Haltung und Einstellung der jeweiligen Zielgruppen. Die Autorin endet mit der Frage nach den Grenzen der Toleranz, die da liegen, wo Ausgrenzung und Gewalt beginnen.
Diskussion
Der vorliegende Band eignet sich für alle, die am aktuellen Diskussionsstand zu Genderfragen in den Weltreligionen Judentum, Christentum, Islam Interesse haben. In besonderer Weise können sich Religionslehrer*innen angesprochen fühlen, die einen vertieften Einblick erlangen möchten, wie das Gender Thema in den drei Religionsgemeinschaften theoretisch diskutiert wird. Sie erhalten darüber hinaus wertvolle Anstöße, Gedanken und Anregungen zur didaktischen Gestaltung des Religionsunterrichts. Gerade der Blick ins Klassenzimmer einer Grundschule lässt die zuvor theoretische Debatte lebendig werden. Die Ausführungen zur Unterscheidung der Geschlechter aus naturwissenschaftlicher Sicht bieten Leserinnen und Lesern einen klaren Überblick, der zum Verständnis und zur Einordnung der komplexen Debatte beiträgt.
Fazit
Die Beiträge unterscheiden sich in ihren inhaltlichen Schwerpunktsetzungen und Zielrichtungen voneinander. Für die Leserinnen und Leser stellt das Anerkennen von Pluralität die Grundlage des Verständnisses füreinander dar. Der Trialog der Religionen liefert hierfür besonders wertvolle, da seltene, Anstöße.
Rezension von
Angela Schmidt-Bernhardt
wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philipps-Universität Marburg im Fachbereich Erziehungswissenschaft
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Es gibt 8 Rezensionen von Angela Schmidt-Bernhardt.
Zitiervorschlag
Angela Schmidt-Bernhardt. Rezension vom 01.02.2024 zu:
Bernd Schröder, Harry Harun Behr, Katja Boehme, Bruno Landthaler (Hrsg.): Männlich/weiblich/divers Resonanz und Spannung der Geschlechter in Judentum, Christentum und Islam / Bernd Schröder/Harry Harun Behr/Katja Boehme/Bruno Landthaler (Hg.) ; 12. Tagung der Religionspädagogischen Gespräche zwischen Jud:innen,. Frank & Timme
(Berlin) 2023.
ISBN 978-3-7329-0893-6.
Reihe: Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen - Band 8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30738.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
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