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Anne (Mitwirkender) Häußler: SOKO Autismus

Rezensiert von Prof. Dr. Georg Theunissen, 31.07.2023

Cover Anne (Mitwirkender) Häußler: SOKO Autismus ISBN 978-3-8080-0525-5

Anne (Mitwirkender) Häußler: SOKO Autismus. Gruppenangebote zur Förderung sozialer Kompetenzen bei Menschen mit Autismus ; Erfahrungsbericht und Praxishilfen. Verlag modernes lernen Borgmann GmbH & Co. KG. (Dortmund) 2023. 5. Auflage. 254 Seiten. ISBN 978-3-8080-0525-5. 29,95 EUR.

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Thema

Das vorliegende Buch versteht sich „in erster Linie als ein Bericht aus der Praxis für die Praxis“ (S. 10) und besteht als „Nachschlagewerk“ vor allem aus einer Materialsammlung mit konkreten Spielbeschreibungen und Arbeitsblättern für einen gruppenpädagogischen Ansatz zur Förderung sozialer und kommunikativer Fähigkeiten bei autistischen Menschen. Erschienen ist die Schrift im Dortmunder Verlag „modernes lernen“, der sich auf Publikationen mit Materialsammlungen, Anregungen, Tipps, Hilfen und konkreten Anleitungen für die pädagogische und therapeutische Praxis fokussiert hat. Das Buch richtet sich vor allem an Eltern, pädagogische und therapeutische Unterstützungspersonen, die auf der Suche nach Möglichkeiten der Förderung sozialer Kompetenzen bei Personen aus dem Autismus-Spektrum sind. Im Fokus stehen diesbezüglich Kinder und Erwachsene, denen keine schweren Beeinträchtigungen in der intellektuellen Entwicklung oder verbalen Kommunikation sowie keine massiven Verhaltensprobleme nachgesagt werden.

Herausgeber

Anne Häußler ist promovierte Diplom-Pädagogin sowie Diplom-Psychologin, hat eine zweijährige Ausbildung am TEACCH-Zentrum North Carolina (USA) absolviert und langjährige Erfahrungen in der Arbeit mit dem TEACCH-Programm sowie mit SOKO-Gruppen. Sie ist Mitbegründerin von Team Autismus GbR 2009 und freiberuflich als ausgewiesene TEACCH-Expertin, Fortbildungsreferentin und Beraterin in Einrichtungen der Behindertenhilfe, Kitas, Schulen und Familien tätig.

Christina Happel ist Sozialpädagogin mit langjährigen Erfahrungen im Bereich der SOKO-Gruppen. 

Antje Tuckermann ist Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin (VT), Mitbegründerin und in der Geschäftsführung von Team Autismus GbR 2009 sowie vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Erfahrungen mit SOKO-Gruppen, in autismusspezifischen Einrichtungen sowie in der therapeutischen Arbeit mit autistischen Kindern und Familien nach dem TEACCH-Programm eine ausgewiesene Autismus-Expertin und Fortbildungsreferentin.

Mareike Altgassen ist promovierte Diplom-Psychologin und Professorin in Entwicklungspsychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, hat langjährige Erfahrungen mit SOKO-Gruppen sowie in der Arbeit mit kognitiv beeinträchtigten Menschen, war in Großbritannien wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Reading und Assistenzprofessorin am Donders Institute for Brain, Cognition and Behaviour, Universität Nijmwegen (NL); einige ihrer Arbeitsschwerpunkte sind Autismus, Social Skills Groups und Verhaltensmanagement.

Katja Adl-Amini ist promovierte Förderpädagogin mit dem Schwerpunkt ‚Geistige Entwicklung‘ und ‚Sprache‘, zurzeit Assistenzprofessorin für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Heterogenität an der Technischen Universität Darmstadt. Sie hat neben ihren sonderpädagogischen und wissenschaftlichen Tätigkeiten mehrjährige Erfahrungen mit SOKO-Gruppen.

Entstehungshintergrund

Das nunmehr in der 5. Auflage veröffentlichte Buch „SOKO Autismus“ ist vor etwa 23 Jahren aus einer an Anne Häußler gerichteten Anfrage des Regionalverbandes Rhein-Main e.V. „Hilfe für das autistische Kind“ hervorgegangen, die sich auf den Wunsch der Entwicklung eines „Sozialtrainings“ für Erwachsene und Kinder mit „Autismus/​Asperger-Syndrom“ (S. 7) bezog. Vor dem Hintergrund ihrer Ausbildung und eigener Erfahrungen in den USA mit Social Skills Groups und dem TEACCH-Programm (TEACCH steht für „Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children“) konnte sich Anne Häußler die Erarbeitung des erwünschten Angebots gut vorstellen. Hierzu bildete sie mit den Co-Autorinnen ein Team, das Ideen und Materialien für gruppenpädagogische Spiele und Aktivitäten zur Förderung sozialer Fähigkeiten bei autistischen Kindern und Erwachsenen zusammentrug und als zielgruppenbezogene Übungsangebote für Kleingruppen aufbereitete. Diese Angebote wurden in gut drei Jahren in einer Gruppe für autistische Kinder und einer Gruppe für autistische Erwachsene erprobt, bevor auf der Grundlage der Auswertung der gewonnen Praxiserfahrungen das vorliegende Buch als ein Nachschlagewerk konzipiert und 2002 veröffentlicht wurde. Die Bildung weiterer Gruppen war gleichfalls von hohem Erfahrungswert, was 2013 zu einer erweiterten Buchauflage führte, die bis heute (5. Auflage) unverändert geblieben ist. Damit hat das 2002 vorgestellte Konzept nach wie vor seine Gültigkeit. Ebenso bietet die Orientierung am TEACCH-Ansatz weiterhin „eine Richtschnur für die Gestaltung der pädagogischen Situationen“ (S. 8) und für das pädagogische Handeln.

Aufbau und Inhalt

Das vorliegende Buch ist in vier Teile gegliedert.

Der erste Teil „Einführung und Grundlagen“ (S. 9 – 29) erstreckt sich zunächst auf die Frage, was SOKO Autismus bedeutet und zu leisten verspricht. SOKO Autismus steht für „Gruppenangebote zur Förderung SOzialer KOmpetenzen bei Menschen mit Autismus“ (S. 9). Diesbezüglich wird darauf verwiesen, dass der Hauptteil der Schrift aus einer Materialsammlung besteht, die „kein festes Format“ (S. 10) hat und nicht als ein Rezeptbuch missverstanden werden sollte. Vielmehr geht es dem Autorinnenteam um eine Zusammenstellung von Anregungen, die flexibel genutzt werden sollten, angepasst an die individuellen Belange und gegebenen Situationen. Im Anschluss an diese Empfehlung werden Hinweise zum Umgang mit der Schrift gegeben. Weitere Abschnitte befassen sich mit Kommunikationsproblemen und mit Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion autistischer Menschen. Verständnis- und Mitteilungsprobleme, Schwierigkeiten bei Kontaktaufnahme und -gestaltung, beim Erkennen und Anwenden von Regeln im sozialen Umgang sowie bei Reaktionen auf veränderte oder neue Situationen werden zum Teil durch kleine Beispiele plastisch vor Augen geführt. Das nachfolgende Unterkapitel greift einige Modelle und Ansätze zur Förderung sozialer Kompetenzen auf, wobei Social Skills Groups in Verbindung mit dem TEACCH-Programm herausgestellt werden. Fokussiert werden dabei Ziele wie Förderung der sozialen Interaktion, der Aufmerksamkeit, der Kommunikation und des Verständnisses von sozialen Regeln sowie die Ermöglichung positiver sozialer Erfahrungen, die gegenüber den anderen Intentionen Vorrang hat (S. 20). Für die Implementation der Ziele und Durchführung von SOKO-Gruppen werden neben handlungsorientierten und gruppenpädagogischen Aktivitäten und Programmen ein strukturiertes Lehren (structured teaching) und breit angelegte verhaltenstherapeutisch orientierte Methoden empfohlen. Abgerundet wird der erste Teil mit einer zusammenfassenden Betrachtung des SOKO-Konzepts, das sich dem TEACCH-Ansatz verpflichtet fühlt und einige seiner Leitprinzipien sowie Strategien für die Praxis herausstellt (z.B. Autismus-Kenntnisse; positives Menschenbild; Orientierung an Stärken und vorhandenen Fähigkeiten; bestmögliche Anpassung; Methodenvielfalt; Routinen und strukturierende Hilfen; Nutzung visueller Hilfs- und Kommunikationsmittel; Offenheit gegenüber der Einbindung von „Social Stories“, „Comic Strip Conversations“, Rollen- und Stegreifspielen; Erfassung sozialer Situationen, Video-Feedback; partnerschaftliche Zusammenarbeit).

Im zweiten und dritten Teil wird auf der Grundlage der vorausgegangenen Erfahrungen mit den für die Erprobung des SOKO-Konzepts zusammengestellten Gruppen zunächst das „Praxisfeld SOKO Autismus: Kindergruppe“ (S. 31 – 56) und anschließend das „Praxisfeld SOKO Autismus: Erwachsenengruppe“ (S. 57 – 213) ausführlich vorgestellt. Die Kindergruppe, die sich in der Regel alle 14 Tage für zwei Stunden trifft, besteht aus drei Jungen und einem Mädchen im Alter von neun bis 17 Jahren. Alle der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen, die von zwei Unterstützungspersonen angeleitet und begleitet werden, können sich sprachlich äußern und „keines der Kinder zeigt extreme Verhaltensweisen wie Aggressionen oder Autoaggressionen“ (S. 31) auf. Nach einer genauen Beschreibung der räumlichen Bedingungen und zeitlichen Struktur (Ablauf der Gruppentreffen, Vor- und Nachbereitungszeit, Elternkontakte) folgen Ausführungen zur Programmplanung und zeitlichen Strukturierung sowie zu den präferierten Kommunikationshilfen (Smileys etc.) bevor eine breite Palette an Spielmöglichkeiten (v.a. kooperativer Art) präsentiert wird, die wohl viele Leser*innen der vorliegenden Schrift unmittelbar zum ‚Durchstöbern‘ und Ausprobieren animiert. Der Aufbau der Spielvorschläge ist stets dreiteilig angelegt: (1) Material, (2) Spielbeschreibung, (3) Förderziele. Gegen Ende der jeweiligen Gruppentreffen wird den Kindern eine Spielkiste angeboten, die zu unstrukturierten, kreativen und kooperativen Spielen anregen soll. Anschließend folgt als Ausklang eine 10-minütige Entspannungsphase.

Der nachfolgende dritte Teil „Praxisfeld SOKO Autismus: Erwachsenengruppe“ ist ähnlich wie zuvor aufgebaut. Zunächst wird wiederum die Gruppe beschrieben, die aus sechs Männern und zwei Frauen zwischen 20 und 46 Jahren besteht. „Sieben Teilnehmer haben die Diagnose Autismus oder Asperger-Syndrom; bei einem weiteren liegen deutliche Schwierigkeiten im sozialen und kommunikativen Verhalten vor“ (S. 57). Alle Teilnehmer*innen können sich sprachlich verständigen, eine Person führt mit Unterstützung seines Partners einen Gärtnereibetrieb, zwei Personen sind auf dem freien Arbeitsmarkt und zwei weitere in Werkstätten für behinderte Menschen tätig, eine Person ist in der Ausbildung und zwei Personen sind arbeitslos. Die Erwachsenengruppe trifft sich zumeist alle 14 Tage für drei Stunden mit vier Unterstützungspersonen. Der Gruppenbeschreibung folgen Ausführungen zur räumlichen und zeitlichen Struktur, dann werden im Unterschied zur Kindergruppe Arbeitsblätter zum Ablauf des SOKO-Programms (die als Kopiervorlagen und zum Ausschneiden als Arbeitsmaterial genutzt werden können), Protokollbögen, eine Symbolliste und ein Übersichtsblatt mit Aktivitätsangeboten vorgestellt (z.B. zu sozialen Regeln einschl. Komplimenten, zur sozialen Kommunikation, zu Gefühlen oder zu Spielen zur Förderung der sozialen Kompetenz). Die anschließende Materialsammlung an Aktivitätsvorschlägen hat sich thematisch wie bei der Kindergruppe weithin aus der Praxis (v.a. in Hinblick der Stärken, Interessen und Möglichkeiten der autistischen Personen) ergeben und wird im Detail leicht verständlich für die konkrete Umsetzung beschrieben. Strukturierende Hilfen (z.B. Checklisten, Vertragsformular) zur Bewältigung von Alltagsaufgaben und für besondere Gruppenaktivitäten (z.B. Ausflüge) sowie Hilfen mit Beispielen zum Verhaltensmanagement (z.B. zur Bewältigung unangemessener oder problematischer Verhaltensweisen) runden den dritten Teil des Buches ab.

Im vierten Teil „Diagnostik und Dokumentation“ (S. 215 – 238) werden Hinweise in Bezug auf diagnostische Erhebungsinstrumente zur Förderplanung, zur Dokumentation und Auswertung der Gruppensitzungen sowie zum TEACCH Curriculum zur Förderung der spontanen Kommunikation gegeben. Zudem werden zur konkreten Anwendung Arbeitsblätter und das Social Skills Assessment (ein Erhebungsbogen für soziale Fähigkeiten) aufgeführt.

Abgeschlossen wird das Buch mit kurz kommentierten, „weiterführenden“ Literatur- und Materialvorschlägen zum Thema „Förderung sozialer Kompetenzen bei Menschen mit Autismus“ (S. 239), mit dem Literaturverzeichnis, einem Schlagwortverzeichnis und mit Farbtafeln zu Ablauf- oder Programmplänen.

Diskussion

Das von A. Häußler und Team herausgegebene Buch bietet zur Förderung sozialer und kommunikativer Fähigkeiten bei autistischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen guten Überblick an Themen und Gruppenangeboten, die für die konkrete Umsetzung aufbereitet wurden. In der Tat handelt es sich um ein Nachschlagewerk, das „aus der Praxis für die Praxis“ (S. 10) entstanden ist. Wenngleich die Schrift – wie die beiden Gruppenbeschreibungen zeigen – in erster Linie autistische Kinder und Erwachsene mit eher leichten Formen an Beeinträchtigungen oder Verhaltensauffälligkeiten im Blick hat, betrachten die Autorinnen ihr SOKO-Programm nicht nur als „ein Angebot für Menschen mit ‚high-functioning‘ Autismus oder Asperger Syndrom“ (S. 9), sondern ebenso für andere Autist*innen als hilfreich, die in der verbalen Kommunikation oder alltäglichen Lebensbewältigung stärker eingeschränkt sind. Auf diesen Personenkreis wie auch auf autistische Menschen mit psychischen Begleitstörungen (das betrifft gut 70 % aller Autist*innen) wird allerdings nicht näher eingegangen, sodass diesbezüglich der Hinweis, das SOKO-Konzept flexibel anzuwenden, sehr wichtig ist. Dadurch wird nämlich auf die Chance verwiesen, die Angebote, Materialien und Vorgehensweisen an sprachliche und intellektuelle Voraussetzungen, Bedürfnisse und Interessen der jeweiligen autistischen Personen anzupassen. Fokussiert werden Kinder und Erwachsene, zugleich ist es aber auch denkbar, autistische Jugendliche je nach individuellem Niveau mit einigen Spielaktivitäten für Kinder oder mehreren kontakt-, kooperations- und lebenspraktischorientierten Angeboten aus dem Erwachsenenbereich anzusprechen. Die Angebotsauswahl, bei der es oft darum geht, den autistischen Menschen „ihr Verhalten bewusst zu machen und die Wirkung ihres Verhaltens auf andere zu verdeutlichen“ (S. 109), sollte wie bei den Erwachsenen auf jeden Fall partizipativ (unter Mitbestimmung betroffener Jugendlicher) erfolgen.

Kritisiert werden kann die Schrift an der Stelle, wo vor allem im ersten Teil mitunter überholte Vorstellungen über Autismus durchschimmern. Für die fünfte Auflage hätte ich mir hier eine Aktualisierung gewünscht, zum Beispiel in Hinblick auf die Beachtung des ‚autistischen Seins‘, des damit verknüpften Neurodiversitätsansatzes und Autismus-Spektrum-Konzepts sowie die Vermeidung einer einseitigen Problemsicht, indem nur autistischen Menschen soziale Defizite, zum Beispiel eine „Unfähigkeit“ (S. 13) mit anderen Personen zu interagieren, attestiert werden. Vielmehr sollten wir ‚doppelte‘ Empathie- und Interaktionsprobleme stärker beachten, weshalb es nicht genügt, soziale Kompetenzprogramme nur mit autistischen Personen zu ihrer „bestmöglichen Anpassung“ (S. 24) für ein Leben in der Gesellschaft durchzuführen. Ebenso wichtig ist ein soziales Lernen für nicht-autistische Menschen, um autistische Personen in ihrer sozial-kommunikativen Ausdrucksweise sowie in ihrem kommunikativen Interesse besser zu verstehen. Das befördert zugleich eine soziale Akzeptanz, die autistische Menschen derzeit noch dringend benötigen. Vor diesem Hintergrund sollten wir die Wirksamkeit sozialer Kompetenztrainingsprogramme (social skills training; SOKO Autismus u.Ä. m.) grundsätzlich nicht überschätzen. Diese Gefahr wird gleichfalls von A. Häußler und ihrem Team angedeutet, wenn sie auf schwache Generalisierungseffekte erlernter sozio-kommunikativer Fähigkeiten in Hinblick „auf Situationen außerhalb der Übungssituation“( S. 28) verweisen, großen Wert auf soziales Lernen „unter möglichst natürlichen Bedingungen“ (S. 26) legen und Transfer- oder „Generalisierungsschwierigkeiten“ (S. 233) zu berücksichtigen versuchen. Hinzu kommt, dass die Autorinnen eine „Normalisierung“ des Verhaltens autistischer Menschen durch ein „Antrainieren bestimmter Verhaltensweisen“ (S. 20) vermeiden möchten sowie die Einbindung nicht-autistischer Menschen in ein SOKO-Programm durchaus zu schätzen wissen (S. 18, 21). Aus rein äußerlichen Gründen (fehlende finanzielle Mittel) konnten wohl „integrative Gruppen“ (S. 23) nicht angeboten werden, was das Autorinnenteam sehr bedauert. Vielleicht ergibt sich die Möglichkeit, für eine sechste Auflage nicht nur den Theorieteil zu aktualisieren, sondern ebenso den Praxisteil mit weiterführenden Gruppenangeboten eines ‚gemeinsamen Lernens‘ zu bereichern.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass es mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum mehrere Gruppenangebote gibt, die sich der Förderung sozialer und kommunikativer Kompetenzen bei autistischen Personen verschrieben haben, zum Beispiel das „Frankfurter Kommunikations- und soziales Interaktions-Gruppentraining bei Autismus-Spektrum-Störungen“, das „Soziale Kompetenztraining für Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen“, das „KOMPASS-Kompetenztraining“ oder das „FASTER-Programm“ aus Freiburg. Im Unterschied zu SOKO Autismus, das in erster Linie für pädagogische Zwecke bestimmt ist, stammen die meisten dieser Angebote aus dem klinischen Bereich. Ferner finden sie häufig in therapeutischen Settings oder unter therapeutischen Bedingungen Anwendung; und zudem unterliegen sie Wirksamkeitsstudien. Demgegenüber weisen die Autorinnen von SOKO Autismus darauf hin, dass sie die Effektivität ihrer Angebote „nicht direkt messen können“ (S. 237), dass ihr Programm aber auf Erkenntnissen und wissenschaftlichen Grundlagen aus der TEACCH-Forschung in Hinblick auf Social Skills Groups beruht. Statt einer empirischen Überprüfung ihres Programms (Evidenzforschung) verlassen sich A. Häußler und Team auf ihre persönlichen Praxiserfahrungen und Erkenntnisse sowie auf Auswertungsgespräche mit Betroffenen und Eltern. Auch wenn diesbezüglich die Resonanz sehr positiv ist, sollte das SOKO-Programm gleichfalls systematisch auf seine Wirksamkeit untersucht und wissenschaftlich evaluiert werden, um nicht nur der Praxis (Arbeit mit den Betroffenen) zu dienen, sondern ebenso den Anforderungen des Bundesteilhabegesetztes (z.B. § 131, Punkt 6 des SGB IX) Rechnung tragen zu können. Für solche Wirksamkeitsstudien muss nicht etwa wie in der Medizin oder Pharmaindustrie ein ‚enger‘ Evidenzbegriff zugrunde gelegt werden, vielmehr empfiehlt sich der Rückgriff auf das sozialwissenschaftlich orientierte ‚erweiterte‘ Evidenzverständnis, welches Schwächen der eng ausgerichteten, traditionellen Evidenzforschung (z.B. Vernachlässigung von Beziehungsverhältnissen, Rahmenbedingungen, Entwicklungsverläufen, Bedürfnissen oder ‚Stimmen‘ Betroffener) unter anderem durch die Einbindung qualitativer Forschungsmethoden zu überwinden verspricht.

Fazit

Das Buch „SOKO Autismus“ von Anne Häußler und Team ist auch mit der fünften Auflage ohne Frage eine facettenreiche Fundgrube an Spielideen, Aktivitäten und Materialien zur Förderung und Unterstützung von sozialen und kommunikativen Fähigkeiten bei autistischen Kindern und Erwachsenen. Die Schrift ist übersichtlich gegliedert und leicht zugänglich, sodass sich Eltern, pädagogische und therapeutische Unterstützungspersonen, die nach konkreten Anregungen für die Praxis suchen, gut zurechtfinden können. Alles in allem kann „SOKO Autismus“ mit seinen gruppenpädagogischen Angeboten sehr hilfreich sein.

Rezension von
Prof. Dr. Georg Theunissen
Prof. em. Dr., Diplom-Pädagoge, Heil- und Sonderpädagoge, acht Jahre leitend tätig in einer großen Behinderteneinrichtung, seit 1989 Professor für Heilpädagogik, 25 Jahre tätig an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Philosophische Fakultät III Erziehungswissenschaften, 1994 – 2019 Ordinarius für Geistigbehindertenpädagogik und 2012 – 2019 für Pädagogik bei Autismus, damit Gründer des 1. Lehrstuhls für Pädagogik bei Autismus im deutschsprachigen Raum. Autor von gut 70 Fachbüchern (Monografien, Handbücher, Herausgerberschriften, Neuauflagen) und über 600 Fachbeiträgen in Fachzeitschriften und Büchern. Anfragen für Praxisberatung, Fort- und Weiterbildungen in Bezug auf Autismus und herausforderndes Verhalten (Positive Verhaltensunterstützung):
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ISSN 2190-9245