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Andrea Schlösser, Karin Kiesele: Job-Coaching

Rezensiert von Wolfgang Witte, 22.04.2024

Cover Andrea Schlösser, Karin Kiesele: Job-Coaching ISBN 978-3-7495-0397-1

Andrea Schlösser, Karin Kiesele: Job-Coaching. Arbeitssuchende für den Arbeitsmarkt fit machen. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2023. 256 Seiten. ISBN 978-3-7495-0397-1. D: 30,00 EUR, A: 30,90 EUR.

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Thema

Job-Coaching von Arbeitssuchenden im Auftrag der Arbeitsagentur findet unter besonderen Bedingungen statt, die sich von anderen Coaching- und Beratungssettings unterscheiden. Zu den Besonderheiten zählen der organisatorische Rahmen mit der Beziehungs-Tetrade aus Jobcenter-Weiterbildungseinrichtung-Klient:in und Job-Coach sowie die teilweise fehlende Freiwilligkeit und die mitunter fragliche Vertraulichkeit im Beratungsverhältnis. Andererseits lassen sich Grundlagen und Methoden systemischer Beratung für das Job-Coaching nutzen. Das vorliegende Buch reflektiert Job-Coaching konzeptionell und methodisch.

Autor:innen

Andrea Schlösser und Karin Kiesele sind langjährig erfahrene (Job-)Coaches, Berater:innen und Autor:innen, ebenso bilden sie Job-Coaches aus. Das vorliegende Buch bezieht diese Erfahrungen ein.

Entstehungshintergrund

Das Profil des Job-Coaches unterscheidet sich von Karriere-Coachs, Trainern und anderen Beraterprofilen. Anliegen des vorliegenden Buches ist, dieses Feld, in dem viele Quereinsteiger aus sehr verschiedenen Vorberufen tätig sind, zu profilieren und zu qualifizieren., Die 1. Auflage des vorliegenden Buches erschien 2018. Die aktuelle Auflage wurde methodisch um Online-Tools und Anforderungen rund um das Online-Coaching ergänzt.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert.

Teil 1 (Der Job-Coaching-Prozess) behandelt die ethischen, strukturellen und methodischen Grundlagen des Job-Coachings und ist in sechs Kapitel unterteilt. Das erste Kapitel behandelt zunächst das Kontraktverhältnis zwischen den Beteiligten. Kennzeichnend für das Verhältnis zu den Klienten:innen ist, dass diese das Coaching häufig nicht oder nur bedingt freiwillig wahrnehmen, weil bei einer Verweigerung u.a. Leistungskürzungen durch das Job-Center drohen. Im Unterschied zu selbst zahlenden Klienten:innen im Karrierecoaching sprechen die Autor:innen für das Job-Coaching von einer Beziehungstetrade von Jobcenter, Weiterbildungseinrichtung, Klient und Job-Coach. Für den Coach sind dabei die Ziele und Kriterien der Arbeitsagentur und die Vorstellungen der betreffenden Sachbearbeiter:innen bedeutsam. Dies führt zu einem Spannungsverhältnis, potenziell auch zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Erwartungen der Beteiligten, wobei die Job-Coachs ihre eigene Professionalität hinsichtlich des Wie ihrer Beratung betonen und schützen müssen. In einem eigenen Abschnitt werden Besonderheiten des virtuellen und des realen Job-Coachings behandelt und in einer detaillierten Tabelle dokumentiert. So nützlich und hilfreich Online-Formate, u.a. während der Covid-Pandemie sind, so fragwürdig erscheint deren Einsatz mit Klienten:innen, die über keine geeigneten technischen Möglichkeiten oder Fähigkeiten verfügen. Das Kapitel schließt mit einem Exkurs zu Dokumentation und Berichtswesen der Beratungsprozesse. Neben einer formellen Dokumentation der Teilnahme der Klienten:innen werden von Behörden mitunter auch inhaltliche Bewertungen oder auch Diagnosen zu psychischen Erkrankungen gewünscht. Hier sehen die Autor:innen Risiken der Grenzüberschreitung und der Verletzung der Privatsphäre der Klienten:innen. Besondere Bedeutung messen sie der Gestaltung des Beratungsprozesses, seinem Anfang und seiner Beendigung bei. Für Online-Beratung bieten sie Hinweise zu den technischen und organisatorischen Voraussetzungen.

Den idealtypischen Verlauf eines Job-Coachings beschreiben Schlösser und Kiesele mit Hilfe der Metapher „Schiffsreise“, wobei es um den Klienten und sein berufliches Schiff geht. Anhand konkreter Beratungssituationen wird gezeigt, wie im Gespräch Erfahrungen, Fähigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen für Jobcoach und Klient verdeutlicht und für eine Zielfindung genutzt werden. Die Autor:innen legen hier Wert darauf, dass die Ziele mit Erfahrungen, inneren Einstellungen und Haltungen verknüpft sind.

Die Herausforderungen und Grenzen des Job-Coachings ergeben sich großteils aus den speziellen Bedingungen, d.h. der eingeschränkten Freiwilligkeit, dem oftmals geringen Selbstvertrauen und den mangelnden Fähigkeiten zum Selbstmanagement, die in einem Spannungsverhältnis zu den üblichen Coaching-Grundwerten stehen. Die Autor:innen führen hier aus, wie es gelingen kann, die Klienten für eine zugewandte Zusammenarbeit zu gewinnen. Eine wichtige beraterische Intervention sehen sie in dem differenzierten und kreativen Umgang mit defizitorientierten Bewertungen wie dem gängigen Begriff des „Vermittlungshemmnisses“, die es durch Beratung im Sinne der Positiven Psychologie abzubauen gelte. Wertschätzende Kommunikation ist für sie die Grundlage auch für den Umgang mit Widerständen und Krisensituationen. Sofern dies erfolglos bleibt, geben sie Hinweise für eine Beendigung des Job-Coachings.

Dem Job-Coaching im Sinne von Andrea Schlösser und Karin Kiesele liegen verschiedene Denk- und Arbeitsmodelle zugrunde. Im Einzelnen beziehen sie sich auf Methoden des systemischen Denkens und der Kybernetik, denen sie verschiedene Beratungsansätze zuordnen (u.a. Deming Kreis, Plan-Do-Check-(Re-)Act, Denkhierarchie der logischen Ebenen, Modell der Veränderungsphasen, Theorie des Selbstkonzeptes). Den ersten Teil des Buches beenden Ausführungen zur Selbstfürsorge für Coaches. Darin geben sie Tipps zur Abgrenzung und zum Umgang mit den oftmals belastenden Erfahrungen während des Coachings, u.a. Atemübungen, Austausch mit Kollegen:innen und Supervision. 

Der umfangreichere zweite Teil des Buches stellt in 14 Kapiteln (Kap. 7 bis 19) „Methoden im Job-Coaching“ aus dem Repertoire der systemischen Beratung mit zahlreichen Praxisbeispielen vor.

Kapitel 7 beschreibt „Gesprächstechniken“, im Einzelnen

  • Aktives Zuhören, Paraphrasieren und Spiegeln
  • Utilisieren, d.h. Vorhandenes nützlich machen
  • Reframing (Umdeutung)
  • Positive Gesprächsführung mit positiven Formulierungen, die die Möglichkeiten hervorheben
  • Klientenzentrierte Gesprächsführung mit Kongruenz (persönliche Authentizität), Empathie und positiver Zuwendung
  • Motivierende Gesprächsführung.

Kapitel 8 befasst sich mit Fragetechniken, die auf Verständigung, Erkenntnis und offene Frageformen setzen.

Kapitel 9 (Standortbestimmung) zielt darauf ab, die Grundlagen für ein strategisches Vorgehen in der Beratung zu bestimmen und bietet zahlreiche Methoden an, diesem Ziel näherzukommen.

Kapitel 10 bietet Methoden zur „Wertearbeit“, wobei Werte den unterschiedlichen Erlebniswelten der Klient:innen zugeordnet werden. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollen Hinweise für die berufliche Orientierung und für „Karriereanker“ geben. Dafür wird u.a. ein umfangreicher Test-Fragebogen vorgestellt.

Kapitel 11 widmet sich den Erfahrungen, die Klient:innen im Laufe ihres Lebens gemacht haben (Biografiearbeit). Es stellt auch hierfür zahlreiche Methoden vor, u.a. Biografisches Interview und Timeline-Arbeit.

Ressourcenarbeit ist das Thema von Kapitel 12. Sie unterstützt Klient:innen dabei, eigene Potenziale zu entdecken, wertzuschätzen und freizusetzen.

Kapitel 13 befasst sich mit „Glaubenssatzarbeit“. Hier geht es darum, unterbewusste Lebensregeln, Überzeugungen, Einstellungen und Lebensregeln zu bearbeiten. Manche Glaubenssätze erzeugen negative Erwartungen, die im Sinne einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung zu Einschränkungen beitragen. Ziel der Beratung ist hier die Förderung positiver Glaubenssätze.

Kapitel 14 stellt Methoden der „Kompetenzanalyse“ vor, also einer Erkundung der Fähigkeiten und Fertigkeiten der Klient:innen, Als Kompetenzbereiche werden Fachkompetenz, Methodenkompetenz und Sozialkompetenz benannt. Diese werden im Hinblick auf Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken analysiert.

In Kapitel 15 geht es um „Zielearbeit“. Mit den Klient:innen wird u.a. sortiert, welche kurz-, mittel- und langfristigen positiv benannten Ziele angestrebt werden. Die Ziele werden anhand bestimmter Regeln (SMART, PASS-WM und ZIEL) definiert und durch weitere Konkretisierung (GROW) handhabbar gemacht.

Kapitel 16 (Storytelling) befasst sich mit der Wirkung von Geschichten, die in der Beratung genutzt werden können. Beispielhaft werden sechs Geschichten vorgestellt, die zu Änderungen der Selbstwahrnehmung der Zuhörenden beitragen können.

In Kapitel 17 geht es um Methoden der „Konfliktbearbeitung“, also wie auf Konflikte im Leben der Klient:innen eingegangen werden kann, u.a. mit dem „Inneren Team“ oder dem „Konfliktdreieck“ mit den drei Seiten Situation, Verhalten und Haltung.

Kapitel 18 beschreibt Methoden der „Reflexion“, u.a. um Situationen und Ereignisse besser zu verstehen, z.B. Blitzlicht, Bildkarten oder Wetterbericht.

Kapitel 19 behandelt die „Bewerbung“ mit der Erarbeitung und Zusammenstellung von Bewerbungsunterlagen und der Vorbereitung auf das Bewerbungsgespräch. 

Im Anhang des Buches finden sich schließlich zahlreiche Adressen und andere weiterführende Informationen wie wichtige Webadressen im Zusammenhang mit Job-Coaching.

Diskussion

„Job-Coaching. Arbeitssuchende für den Arbeitsmarkt fit machen“ von Andrea Schlösser & Karin Kiesele beschreibt und analysiert die vielfältige, oft herausfordernde Beratung von Arbeitssuchenden in der Beziehungs-Tetrade von Jobcenter, Weiterbildungsinstitut, Klient:in und Job-Coach. Die Beziehung zu den Klient:innen ist nur bedingt freiwillig, da den zu Beratenden bei Verweigerung ein Leistungsentzug droht. Zudem geben die Autorinnen ein anschauliches Bild von der Vielfalt möglicher Vermittlungshemmnisse, auch bei arbeitswilligen Klient:innen. Dass die Autorinnen nicht, wie das Jobcenter, von „Kunden“ sprechen, sondern von „Klient:innen“ zeigt ihren Anspruch, auch unter teils widrigen Rahmenbedingungen, die zu Beratenden in ihren Lebensverhältnissen wahrzunehmen. Im zweiten Teil des Buches legen sie eine Vielzahl systemisch-konstruktivistischer Beratungsmodelle, -konzepte und -ideen im Geiste der Positiven Psychologie dar, mit deren Hilfe mit den Klient:innen praktikable Perspektiven für eine (Re-)integration in den Arbeitsmarkt gefunden werden sollen. In der Praxis bedarf es hier viel Fingerspitzengefühls, damit die Ratsuchenden sich auch in ihren Schwierigkeiten ernst genommen fühlen. Grundsätzlich steht dieser subjektorientierte Beratungsansatz in einem Spannungsverhältnis zu der bedingten Freiwilligkeit des Job-Coachings, jedoch scheint er geeignet, die Chancen der zu Beratenden am Arbeitsmarkt zu verbessern. Die detaillierte Darstellung von Beratungsmethoden im zweiten Teil des Buches gibt einen nützlichen und gelungenen Überblick über das systemisch-konstruktivistische Beratungsrepertoire. Die vorliegende 2., überarbeitete Auflage enthält zudem aktuelle Hinweise zur Online-Beratung.

Fazit

Andrea Schlösser und Karin Kiesele bieten eine differenzierte Betrachtung der Grundlagen, der Herausforderungen und der Perspektiven der Beratung im Job-Coaching, die die Ratsuchenden ganzheitlich in ihrer jeweils besonderen Lebenswelt sieht. Ihr Buch „Job-Coaching. Arbeitssuchende für den Arbeitsmarkt fit machen“ stellt neben grundsätzlichen Überlegungen zum systemischen Kontext des Job-Coachings ein umfangreiches Repertoire an Beratungsmethoden vor. Insbesondere dieser Methodenteil ist nicht nur für Job-Coaches interessant und lesenswert.

Rezension von
Wolfgang Witte
Pädagoge M.A., Supervisor und Coach (DGSv/SG)
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Es gibt 10 Rezensionen von Wolfgang Witte.

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ISSN 2190-9245