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Michael Wipp, Margarete Stöcker et al.: Praxishandbuch

Rezensiert von Uwe Kowalzik, 14.06.2024

Cover Michael Wipp, Margarete Stöcker et al.: Praxishandbuch ISBN 978-3-7486-0642-0

Michael Wipp, Margarete Stöcker, Peter Sausen: Praxishandbuch. Die neue Personalbemessung : Auf Grundlage der PeBeM-Studie und § 113c SGB XI. Vincentz Network GmbH & Co (Hannover) 2023. 216 Seiten. ISBN 978-3-7486-0642-0. D: 56,90 EUR, A: 58,50 EUR.

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Thema

Im Juli 2023 hat die neue Personalbemessung (PeBeM) für vollstationäre Pflegeheime gestartet. Bei der Personalbemessung geht es darum festzustellen, wie viele Mitarbeitende mit welcher Qualifikation zu welcher Zeit an welchen Orten für die Erbringung aller Pflegeleistungen erforderlich sind, Es geht also darum, den Personalbedarf zu ermitteln. In Bezug auf die vollstationäre Altenpflege bedeutet dies, zu ermitteln, welche Anzahl und Qualifikation der Beschäftigten es im Verhältnis zur Zahl der Bewohner und deren Pflegegrade braucht, um eine fachgerechte Pflege sicherzustellen.

Mit dem neuen Verfahren ermittelt jede Pflegeeinrichtung für sich den benötigte Personalmix Vereinfacht gesagt, wird dabei für jedes Pflegeheim angegeben, wie viele Bewohner in jedem Pflegegrad in der Einrichtung leben (Case-Mix). Daraus errechnet sich der Care-Mix, also die erforderliche Personalmenge in vier verschiedenen Qualifikationsstufen.

Autor:innen und Herausgeber:innen

Michael Wipp verfügt über eine mehr als drei Jahrzehnte umspannende Berufspraxis in unterschiedlichen Bereichen der Altenpflege, er war tätig und verantwortlich in unterschiedlichen Fach- und Führungsfunktionen, ist Inhaber von WippCare, Begleitung und Beratung von Pflegeeinrichtungen. Wipp ist einer der, wenn nicht der führende Fachexperte in Sachen Personalbemessung, Personalquoten und Fragen der Einsatz- und Tourenplanung in der stationären Pflege.

Margarete Stöcker ist Fachkrankenschwester für Psychiatrie, Diplom-Pflegewirtin (FH), Master of Arts im Gesundheitswesen, Master of Science Prävention und Gesundheitspsychologie, Mimik-Resonanztrainerin sowie Heilpraktikerin für Psychotherapie, Traumazentrierte Fachberaterin, Entspannungspädagogin. Sie hat Erfahrung in der Leitung in der Langzeitpflege. Im Jahr 2004 gründete sie das Bildungsinstitut „Fortbildungvorort“ für Gesundheitsberufe.

Peter Sausen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Inhaber der Kanzlei SAUSEN Rechtsanwälte mit Büros in Köln und Bonn, er berät seit über 25 Jahren Altenhilfeeinrichtungen zu Themen des Arbeitsrechts und der Arbeitszeitgestaltung.

Entstehungshintergrund

In der deutschen stationären Altenpflege herrscht ein Flickenteppich uneinheitlicher Personalbemessung und eine starre Fachkraftquote (50 %). Die Diskussionen über angemessene Personalbedarfs-Berechnungsverfahren ziehen sich schon seit Jahrzehnten hin. Mit dem Pflegestärkungsgesetz 2 wurde dann die Entwicklung und Implementierung eines neuen Personalbemessungsverfahrens gesetzlich festgeschrieben. Mitte 2020, also inmitten der Corona-Krise, wurde der Abschlussbericht zur Personalbemessungsstudie PeBeM vorgelegt. 

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in drei Oberthemen gegliedert, die von je einem der Autoren ihrem jeweiligen Fach entsprechend aufgearbeitet sind.

In Teil I widmet sich Michael Wipp über 74 Seiten ausführlich der strukturierten Darlegung einer Ausgangsbasis für die neue Personalbemessung und der Organisationsentwicklung. Im Vorwort dazu wird noch einmal das Ziel herausgestellt, dass die neu einzuführenden Personalzahlen der nachhaltigen Stützung der stationären Langzeitpflege dienen mögen.

Im Einzelnen sind dies:

  1. „Die neue Personalbemessung und Ausgangsbasis“: Hier erfolgt in Vorgriff auf Kapitel 2 ein erster historischer Abriss der Entwicklung hin zum neuen Modell, dessen Ziel die Verabschiedung der starren Fachkraftquote und die Etablierung kompetenzorientierter Arbeits- und Organisationsprozesse ist.
  2. „Kleine Historie der Personalbemessung“: Wichtige Stichworte sind hier Standard-Pflegesatzmodell, PLAISIR, Personalschlüssel. Deutlich wird hier, dass bereits frühere Verfahren oder trägerinterne Konzepte nicht geeignet sind, ein verbindliches Personalbemessungsinstrument zu etablieren.
  3. Hier werden als „Zielsetzungen“ eine deutlich verbesserte, personelle Ausstattung, eine einheitliche, bundesweite Struktur der Personalschlüssel und eine erhebliche Verringerung des administrativen Aufwands festgelegt. Der Personalmix habe sich dabei an den Anforderungen aus der Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit zu definieren. „Die bisher einheitliche Fachkraftquote wird perspektivisch durch einrichtungsindividuelle Personalmengen und Qualifikationsmixe ersetzt.“
  4. Die „Datenerhebung“ schildert noch einmal das Vorgehen der Beobachtungsstudie von Prof. Rothgang (2018), die eine verlässliche Grundlage für das neue Personalbemessungsverfahren darstelle.
  5. „Interventionskatalog“: Hier werden die Interventionskategorien, Interventionen selbst, das Begutachtungsinstrument, der Bezug auf das Strukturmodell und die neuen Qualifikationsniveaus (Fachkraft, verschiedene Helferniveaus) dezidiert und tabellenunterlegt ausgeführt.
  6. „Aufgabenfelder“ meinen, bezogen auf den § 4 des Pflegeberufe-Gesetzes (2020), vor allem die vorbehaltenen Aufgaben. Hier führt Wipp die Auseinandersetzungen und Ängste der Pflegenden dar: Die der Fachkräfte, nun „nicht mehr direkt pflegen zu dürfen“, wie auch der Hilfskräfte, „bestimmte Arbeiten nicht mehr tun zu dürfen“.
  7. Im Kapitel „Personalentwicklung“ werden die verschiedenen mitarbeiterbezogenen Qualifikationsniveaus und deren Analyse aufgefächert, ein Kernstück der neuen Personalbemessung. Und über die Darstellung des Personalabgleichs die Erarbeitung der jeweils einrichtungsinternen Personalmenge erläutert.
  8. Wie Pflegeorganisationsstrukturen, Arbeitsablauforganisation, kompetenzbasierter Mitarbeitereinsatz, stationäre Tourenplanung und individuelle Pflege zu entwickeln sind, sind Kernbestandteile unter „Organisationsentwicklung“. Stichwortbeispiel: Funktionspflege vermeiden und Bezugspflege umsetzen.
  9. Das Kapitel „Bundesempfehlung § 113c Abs. 4 SGB XI“ enthält Darlegungen zur Gemeinsamen Empfehlung, den Rahmenverträgen, Freistellungen, Bestandsschutz, Personengruppen mit besonderen Bedarfen, der Fachkraftquote, dem Nachtdienst und der Mindestpersonalausstattung. Es werden Fachkraft- und Helferbegriff definiert.
  10. Im Abschlusskapitel des Teils 1 werden die verschieden „Herausforderungen und Chancen“ differenziert so dargelegt, dass sich eine Art Projektplanung daraus ableiten lässt.

In Teil 2 führt Margarete Stöcker zur Thematik „Change Management – Der Weg in die Praxis“ aus:

  1. In dem Einstieg zur „Ausgangslage“ erfolgt ein Plädoyer vor allem für den Change hin zur Qualifikationen-differenzierten Arbeitsorganisation der Pflege.
  2. „Change Management“ wird erläutert als kontinuierliche Anpassung an Veränderungsprozesse. Erfolgsaussichten und Einflussfaktoren werden beschrieben. Aufgegriffen wird unter „Change Leadership“ die emotionalen Aspekte von Veränderungen, z.B. in Bezug auf Widerstände bei den Beteiligten.
  3. Kompakt wird zur „Umsetzung“ abgehandelt, bevor ein Abschnitt zu …
  4. „Menschenbildern“ an der humanistischen Psychologie anknüpft (Maslow, Grawe).
  5. Zu „Führungsstrukturen und Managementaufgaben“ werden u.a. bekannte Führungsmodelle aufgelistet. Die Kompetenzentwicklung wird als Führungsaufgabe angerissen.
  6. Unter der Überschrift „Personalentwicklung“ wird auf den „Führungsstil“ nach Reifegraden, Teamentwicklung, Personalplanung und -entwicklung eingegangen.
  7. Als „Persönliche Skills“ gibt es kurze Ausführungen zu Kommunikationsfähigkeit, Rollenverständnis und Selbstvertrauen.
  8. Die „Grundlagen der Kommunikation“ enthalten exponiert Ausführungen zur nonverbalen Kommunikation, untermauert mit Bildern zu verschiedenen Mimik-Bedeutungen. Bei den Persönlichkeitstypen wird auf das Big-Five-Modell von Coats und McCrea sowie das 4-Farben-Modell nach DISG zugegriffen. Unter Kommunikationsmodellen erscheinen Ausführungen zum 4-Ohren-Modell, der Transaktionsanalyse und dem NLP.
  9. Zur Frage wie eine „Gelingende Gesprächsführung“ zustande kommen kann, erfolgen Ausführungen zum Fragen, aktivem Zuhören, paraphrasieren, spiegeln, zu Reframing und Reflektionen zum eigenen Verhalten.
  10. Abschließend erfolgt nun ein Fazit zu den nunmehr erforderlichen To do's.
  11. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis rundet den Teil II ab.

In Teil III führt Peter Sausen alle zum Thema PeBeM die hierzu in Relevanz stehenden Aspekte auf, welche auch in der klassisch-konventionellen Organisationsform der üblichen arbeitsrechtlichen Alltagsfragen immer wieder Fragen aufwerfend eine Rolle spielen.

  1. Warum die neue Personalbemessung überhaupt arbeitsrechtliche Aspekte aufweist, macht sich u.a. am Pflegeberufegesetz und am Wesen des Arbeitsvertrags fest.
  2. Unter „Direktionsrecht des Arbeitgebers“, wird deutlich gemacht, dass dessen Grenzen arbeitsvertraglicher aber auch gesetzlicher Natur sein können.
  3. Der „gesetzliche Rahmen des Arbeitszeitgesetzes“ beleuchtet insbesondere dessen Aussagen zu Höchstarbeitszeit, abweichenden Regelungen zulasten der Mitarbeitenden, Lage der Arbeitszeit. Trotz strenger Vorgaben des AZG bestünden ausreichende Möglichkeiten einer bedarfsgerechten Dienstplanung.
  4. Den Ausführungen zu den „Besonderheiten der Nachtarbeit“ folgt
  5. Eine rechtliche Darlegung von „Arbeitsabläufen und Arbeitszeiterfassung“, zu deren Vorhaltung Arbeitgeber rechtlich verpflichtet worden sind.
  6. „Was, wenn Mitarbeitende nicht leisten, was sie leisten sollen“ fragt und beantwortet der Autor in diesem Kapitel. Dieses Thema kann virulenter werden, da Mitarbeitende unter PeBeM-Einführung zukünftig anders eingesetzt werden.
  7. „Betriebliche Übung verhindert“ … (nicht, der Rezensent) … „die Änderung der Arbeitsorganisation“, ein wesentlicher Punkt bei Einsatz von Mitarbeitenden in neue Arbeitsbereiche der Pflege oder Abteilungen.
  8. Im Zusammenhang der Implementierung von PeBeM ist eine „Änderung der Arbeitsverträge nicht erforderlich“.
  9. Ob und unter welchen Bedingungen „Stellenbeschreibungen aktualisiert“ werden sollen oder müssen,
  10. wie die „Konkretisierung der Tätigkeit und Vertragsänderung“ vorgenommen werden,
  11. Wie „Qualifizierungen rechtlich abgesichert werden, wird behandelt.
  12. Wie sich „Mitbestimmung des Betriebsrats und der Mitarbeitervertretung“ gestaltet und welche Pflichten hierzu erfüllt werden müssen, hierzu ergeben sich in der Peronaleinsatz- und Arbeitszeitgestaltungspraxis immer wieder Problematiken, die hier aufgezeigt -und beantwortet- werden.
  13. Warum die „Gefährdungsbeurteilung so wichtig“ ist, wird in Kapitel 13. Behandelt.
  14. Schließlich sind „haftungsrechtliche Aspekte“ im Zusammenhang mit PeBeM das große Thema des Abschlußkapitels.

Jedem Teil sind ausführliche Literatur- und Anhangsverzeichnisse hintangestellt.

Diskussion

Das Buch richtet sich an all diejenigen, die in Leitungs- und Managementverantwortung der Altenpflege stehen und macht insbesondere die bevorstehende „Zeitenwende“ in der stationären Altenpflege deutlich: Es müssen alternative Arbeitsorganisationsstrukturen und neue Pflege-Organisationsstrukturen gedacht und umgesetzt werden. Um also die personellen Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte, nachhaltige Pflege angesichts des Fachkräftemangels zu schaffen, muss umgedacht werden, was insbesondere die Schaffung differenzierterer Qualifikationsmixe beinhaltet.

Das Buch liefert Hilfen dafür, etwa wie die einrichtungsinterne Vorbereitung und Planung erfolgsgarantierend zu geschehen hat, wie Zielsetzungen lauten sollten und Übergänge rechtssicher bewältigt werden können. Auch, wie rechtliche Stolperfallen vermieden werden können und Personalvertretungen einzubinden sind. Es ist insofern nicht nur Praxishandbuch, sondern kann auch als „Lehrbuch“ der PeBeM gesehen werden, was vermittelt, dass der Weg zur neuen PeBeM komplex, herausfordernd und mitunter auch anstrengend sein kann, aber auch große Chancen beinhaltet: Vor allem die, dass sich die neue Personalbemessung auf den tatsächlichen bewohnerbezogene Pflege- und Betreuungsbedarf ausrichtet, indem der Mitarbeitereinsatz bewusst nach Qualitätsniveaus ausrichtet. Die antiquierte Ära der starren „Fachkraftquote“ sollte damit vorbei sein. Deutlich wird ausgeführt, dass alte, über Jahrzehnte verfestigte Strukturen vor allem durch die neue Rolle der Pflegefachkräfte aufgelöst, ja auch aufgebrochen werden (müssen).

Ein Entwicklungsfeld wird da deutlich, wo es sich zeigt, dass -typisch für das Metier Soziales, Pflege usw.- viele Rückgriffe auf individual- und humanpsychologische Konzepte von Persönlichkeit, derer zu Kommunikation oder Emotion zwar in additiver Form und teils redundant beschrieben eine Bestandsaufnahme untermauern, es müsse bei Führungskräften deutlich an Organisationswissen entwickelt werden. Es bräuchte, was die Komplexität und Verunsicherung, die gerade dieses Veränderungskonzept mit sich bringt, die Beschreibung konsistenter Change-Konzepte auf der Basis von Organisations- und Systemwissen als Grundlage wiederum für ein funktionales Projektmanagement.

Fazit

Als Rezensent selbst in Beratung und Leitung in der Altenhilfe auf Zeit seit Jahrzenten tätig, möchte ich nach Lektüre dieses zugegeben mit 210 Seiten umfangreichen Buches Mut zusprechen und Schaffensgeist – und Umsetzungskraft wünschen, die PeBeM in der eigenen Einrichtung anzugehen und das Befürchtungsdenken in Chancendenken zu verändern.

Rezension von
Uwe Kowalzik
Altenpfleger, Organisationsberater, Sozialmanager, Executive Coach und Supervisor (DGSv), Moderator, Gruppendynamischer Trainer und Fortbildner, Balintgruppenleiter, Autor.
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Es gibt 3 Rezensionen von Uwe Kowalzik.

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ISSN 2190-9245