Karen Gloy: Was ist Schönheit?
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 17.05.2023
Karen Gloy: Was ist Schönheit? Verlag Königshausen & Neumann (Würzburg) 2022. 180 Seiten. ISBN 978-3-8260-7647-3. D: 22,80 EUR, A: 23,50 EUR.
Thema
Schönheit können wir nicht begreifen, aber erleben
Zu allen Zeiten, seit Menschen zusammen leben, sich vergleichen, in die vielfältigen Formen eines Spiegels schauen, sich über das eigene Aussehen freuen und sich, Andere und anderes schön finden, oder über Hässliches wundern, erschrecken oder lästern, ist Schönheit ein Mysterium. Das Gefühl, etwas schön oder hässlich zu finden, ist nicht rational zu definieren. Der französische Lyriker, Philosoph und Essayist Paul Ambroise Valéry (1871 - 1945) hat das einmal so ausgedrückt: „Schönheit ist, was uns verzweifeln lässt!“. Die Vorbilder von Schönheitsauffassungen, etwa die ägyptische Nofretete, die wir im Berliner Neuen Museum bewundern können, oder Leonardo da Vincis Mona Lisa, die uns im Pariser Louvre rätselhaft anschaut, haben ohne Zweifel geprägt, was wir unter Schönheit verstehen. Die „Schönheitsköniginnen“ von heute sind nach wie vor nach diesen Bildern „gemacht“; und die „Schönheitschirurgie“ ermöglicht die Veränderung des eigenen Aussehens, das man sich selber nicht mehr erkennt.
Entstehungshintergrund und Autorin
Es besteht kein Zweifel, dass emotionale und empathische Empfindungen und Eindrücke Auswirkungen auf die kommunikativen, dialogischen Prozesse der Menschen haben, im persönlichen, individuellen wie im kollektiven, globalen Zusammenleben. Es ist die philosophische, psychologische und semantische Herausforderung, den extentionalen Begriff „Schönheit“ daraufhin zu untersuchen, ob sich in dem Gefühl universelle, objektive, gemeinsame Werte zeigen und inwieweit kulturelle, historische und ethnische Wertvorstellungen wirksam sind. Der Anspruch ist deshalb einzuordnen in die lokalen und globalen Anforderungen der interkulturellen Bildung und Aufklärung.
Die Philosophin Karen Gloy gilt als eine der führenden, wissenschaftlichen VertreterInnen, die mit der „interkulturellen Philosophie“ einen Perspektivenwechsel hin zum universellen, humanen Bewusstsein eingeleitet hat (vgl. auch: Karen Gloy, Das Projekt interkultureller Philosophie aus interkultureller Sicht, 2022, www.socialnet.de/rezensionen/30778.php).
Aufbau und Inhalt
Schönheits- und Hässlichkeits-Auffassungen, sind bewusste und unbewusste Alltagsereignisse; sie werden meist als „normal“ und „selbstverständlich“ hingenommen und selten auf Ursachen und Gründen hinterfragt. Weil aber die individuellen, emotionalen wie rationalen Auswirkungen von Schönheitseinschätzungen objektive und subjektive Folgen haben können, ist es angezeigt, den Begriff wissenschaftlich zu analysieren. Die Autorin unternimmt den Versuch, indem sie ihre Studie in drei Kapitel gliedert: Im ersten klärt sie „Begriffe und Konzeption“, im zweiten liefert sie eine „funktionsspezifischem Begründung“, und im dritten Teil eine „metaphysische Begründung“.
Es sind die abendländischen, philosophischen Entwicklungen, die sich in den Sprichwörtern artikulieren wie: „Schön ist, was gefällt!“ – „Hässlich ist, was missfällt!“, und: „Über Geschmack lässt sich nicht streiten! – Schönheit und Hässlichkeit liegen im Auge des Betrachters!“. Es ist deshalb durchaus angebracht, nach Kriterien Ausschau zu halten, mit denen die Begriffe differenzierter angeschaut und habhaft gemacht werden können; vielleicht sogar einen „Universalbegriff von Schönheit und Hässlichkeit (zu finden), der immer und überall, zu allen Zeiten und in allen Kulturen auftritt“. Ich vermute, dass nicht nur der Rezensent gespannt darauf ist, ob und wie es der Autorin gelingt, das Unmögliche möglich zu erklären. Sie geht dabei in drei Schritten vor: Zum einen sind es die platonischen Überlieferungen, dass das Schöne das Gute und Wahre sei, das sich im Göttlichen zeige; zum anderen ist es die psychologische Unterscheidung von Sein und Schein, die als narzisstisches Problem deutlich wird; schließlich ist es das immanente Bewusstsein von der Endlichkeit und Vergänglichkeit des irdischen Lebens, das dann doch die Adorno'sche Erkenntnis bestätigt: Es gibt keine Definition für Schönheit.
Anschauliche, körperliche Schönheit wird wahrgenommen durch unser evolutionäres Bewusstsein, wie es z.B. in Darwins „Survival oft he fittest“ sowohl im äußeren Erscheinungsbild, als auch als Überlebensdiktat deutlich wird. Es sind die unterschiedlichen physiologischen Schönheitsempfindungen bei den Kulturen, die Aussehen und Körperteile hervorheben oder gering schätzen. Und es sind nicht zuletzt zivilisatorische, materialistische, ästhetische oder nachhaltige Diktionen, die dominante bzw. irrelevante Zuschreibungen bewirken. Es sind die überlieferten, geschulten und propagierten Bilder, die landschaftliche, dingliche, magische und soziale Schönheiten, mit denen künstlerische, erzählende und prägende Anschauungen hergestellt werden. Sie sollen Ordnungen, Identitäten und Tugenden schaffen, und Chaos und Irritationen verhindern. Und es sind die Gegensätzlichkeiten, die sich als Hierarchien, Stereotypen und Vorurteilen einerseits, und als Stufenleitern und Aufstiege andererseits darstellen (vgl. z.B. dazu auch: Hans Lenk, Kreative Aufstiege, 2000, 350 S.).
Diskussion
Die Lust und Last mit den Schönheitsempfindungen hat Philosophen immer wieder umgetrieben. Aristoteles und seine Zeitgenossen haben Schönheit immer in Verbindung mit dem Guten gebraucht: „Das Schöne ist eine Form des Guten“; mit dem deutschen Sprichwort – „Wahre Schönheit kommt von Innen“ – wird ausgedrückt, dass ein guter Charakter attraktiv und ein schlechter hässlich macht. Diese volkstümliche Auffassung haben übrigens die amerikanischen Forscher Kevin Kniffin von der Universität von Wisconsin und David Sloan Wilson von der Binghamton-Universität in Experimenten bestätigt gefunden: Wenn Menschen andere Personen als schön oder hässlich einschätzen, berücksichtigen sie dabei auch die Charaktereigenschaften der Personen. Das ist gar nicht so verwunderlich; erleben wir doch selbst oft genug, dass wir Menschen als attraktiv empfinden, wenn wir ihr soziales Engagement und Empathie bewundern und anerkennen, auch wenn sie nicht den so genannten Schönheitsidealen entsprechen. Ob eine vorläufige Antwort darin liegt, was der US-amerikanische Schauspieler, Regisseur, Filmproduzent und Begründer des Erzählkinos, David Lewelyn Wark Griffith (1875 – 1948) formuliert hat, dass die Lebensumwelt es ist, die den Sinn für die Schönheit schärft: „Hätte ich Kinder, würde ich versuchen, ihnen den Sinn für das Schöne zu vermitteln, indem ich sie in einer einfach-schönen Umgebung aufwachsen ließe“? (vgl. dazu auch die beim Philosophicum Lech 2009 diskutierten Themen zu „Schönheit“: Konrad Paul Liessmann, Hrsg., Vom Zauber des Schönen. Reiz, Begehren und Zerstörung, 2010, www.socialnet.de/rezensionen/9298.php).
Fazit
Wie nicht anders zu erwarten, rezeptiert die Autorin mit ihrer etymologisch und anthropologisch-philosophischen Forschungsarbeit keinen Universalbegriff; mit ihren ausgreifenden, logischen, historischen und ästhetischen Beispielen erzählt sie Geschichten, die Wege hin zum eigenen Erkunden und Entdecken öffnen. Mit ausgewählten farbigen Abbildungen veranschaulicht sie die verschiedenen kulturellen und interkulturellen Betrachtungsweisen – so dass sich die Aussage: „Schönheit ist nicht definierbar“, nicht als Kapitulation oder Kabale, sondern als Kanon und Kasus darstellt! Eine ausgezeichnete Reflexion über Begriffe, die auf der Straße liegen und nicht oft genug intellektuell bedacht werden!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 17.05.2023 zu:
Karen Gloy: Was ist Schönheit? Verlag Königshausen & Neumann
(Würzburg) 2022.
ISBN 978-3-8260-7647-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30779.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
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