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Ilja Gold, Eva Weinberg u.a.: Das hat ja was mit mir zu tun!?

Rezensiert von Dr. Franziska Baumbach, 07.09.2023

Cover Ilja Gold, Eva Weinberg u.a.: Das hat ja was mit mir zu tun!? ISBN 978-3-8497-0379-0

Ilja Gold, Eva Weinberg, Dirk Rohr: Das hat ja was mit mir zu tun!? Macht- und rassismuskritische Perspektiven für Beratung, Therapie und Supervision. Carl Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2021. 170 Seiten. ISBN 978-3-8497-0379-0. D: 26,95 EUR, A: 27,80 EUR.
Reihe: Beratung, Coaching, Supervision.

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Thema

Rassistische Strukturen werden auch im Kontext systemische Beratung und Therapie reproduziert, obwohl systemische Berater:innen sich selbst für reflektiert und tolerant halten. Dieses Buch richtet sich an Berater:innen, die sich mit Rassismus in Bezug auf die eigene Arbeit auseinandersetzen und vermeintliche Gewissheiten hinterfragen wollen.

Autor

llja Gold ist systemischer Berater und Referent für politische Bildung in Köln und arbeitet für die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus. Eva Weinberg ist Erziehungswissenschaftlerin und arbeitet zum Zusammenhang von psychischen Erkrankungen und gesellschaftlichen Ungleichheiten. Dirk Rohr leitet den Arbeitsbereich Beratungsforschung an der Universität zu Köln, ist Lehrsupervisor und Herausgeber der Reihe Beratung, Coaching, Supervision des Carl-Auer-Verlages.

Entstehungshintergrund

Das Buch erscheint in der Reihe Beratung, Coaching, Supervision, welche Berater:innen dabei behilflich sein will, hilfreich zu sein. Es will rassismuskritische Perspektiven in der Beratungslandschaft etablieren.

Aufbau

Das Buch legt zunächst die notwendigen theoretischen Grundlagen zum Thema Rassismus als gesellschaftliche Machtstruktur. Darauf aufbauend wird im Anschluss eine macht- und rassismuskritische Praxis der systemischen Beratung entwickelt. Es finden sich darüber hinaus drei umfangreiche Expert:innen-Interviews mit negativ von Rassismus betroffenen Expert:innen, die in der systemischen Beratung tätig sind.

Inhalt

Im Vorwort nennt Prof. Dr. Eia Asen (Anna Freud Centre, University College London) das Buch ein längst überfälliges Projekt und einen Beitrag dazu, eine gähnende Lücke zu füllen (10). Viele systemische Berater:innen sehen nicht, wie sehr sie Teil von rassistischen Strukturen sind und wie sie diese auch im Kontext von systemischer Beratung reproduzieren. In der Einleitung wiederholt das Autor:innen-Team diesen Anspruch als Annäherung an die Zusammenführung von systemischer Beratung mit macht- und rassismuskritischen Perspektiven. Sie fragen, inwieweit eine angemessene Beratung ohne die Zusammenführung überhaupt möglich ist (14). Es wird klargestellt, dass sich das Buch – aus einer weißen Perspektive geschrieben – in erster Linie an weiße systemische Berater:innen richtet, in der Hoffnung, dass diese sich mit Macht- und Rassismuskritik in Bezug auf ihre eigene Arbeit auseinandersetzen. Im zweiten Kapitel nehmen die Autor:innen eine Selbstpositionierung als weiße Berater:innen vor und benennen das Unbehagen, das häufig mit der Thematisierung von Weißsein einhergeht. Eventuelle Abwehrreflexe müssen besprechbar und reflektiert werden (20). Jenseits von individuellen Schuldzuweisungen geht es um Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln in gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Das dritte Kapitel setzte sich eingehend mit den unterschiedlichen Ausformungen von Diskriminierung als Ideologie der Ungleichwertigkeit (26) auseinander. Im vierten Kapitel geht es um Rassismus als gesellschaftliche Machtstruktur, als weiße Herrschaftsform, welche dazu dient, Herrschaft, Macht und Privilegien weißer Menschen abzusichern (36f). Kapitel 5 beschreibt Rassismus in seinen potenziellen Auswirkungen als Traumatisierung. Die Auswirkungen von Diskriminierung spielen bis heute nur selten eine Rolle, wenn Daten zur psychischen Gesundheit erhoben werden, es wird sich weiterhin in erster Linie auf die Migration oder vermeintliche kulturelle Unterschiede konzentriert. Die Folge ist eine „Tabuisierung von Rassismus als Trauma-Realität“ (72f). Im sechsten Kapitel werden macht- und rassismuskritische Anforderungen für systemische Theorie und Praxis formuliert: Interkulturelle Ansätze werden kritisiert, weil sie durch die Überbetonung von Kultur Zuschreibungen aufgreifen und verfestigen können. Ebenso wird das systemische Mantra der Allparteilichkeit einer Kritik unterzogen. Vermeintliche Neutralität kann stabilisierend im Sinne bestehender Verhältnisse wirken (109) und den Blick auf gesellschaftliche Machtverhältnisse verstellen (110). Das siebte Kapitel formuliert dann die wichtigsten Komponenten einer macht- und rassismuskritischen systemischen Beratung: Selbstreflexion der Berater:innen, professionelle Reaktion auf die Schilderungen von Rassismuserfahrungen, Sichtbarmachung von Rassismus, Auseinandersetzung mit Macht- und Rassismuskritik als Bestandteil des Professionalisierungsprozesses. In drei Interviews kommen Fachkräfte der systemischen Beratung zu Wort, die selbst Rassismuserfahrungen machen und Perspektiven beisteuern, die dem Autor:innen-Team fehlen. Sandra Karangwa und Berivan Moğultay-Tokuş arbeiten im Antidiskriminierungsbüro Köln und wundern sich, dass erst jetzt im deutschsprachigen Raum Rassismuskritik im systemischen Kontext zum Thema wird. Da sich Rassismus durch alles zieht, zieht er sich auch durch die Familiensysteme und seine Thematisierung ist essenziell auch und vor allem für das Verhältnis von Berater:innen und Ratsuchenden. Souzan AlSabah ist Gründerin von Holla e.V. (Zentrum für intersektionale Gesundheit) in Köln und Inhaberin einer Praxis für systemische Therapie. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Zusammenhang von körperlicher und seelischer Gesundheit, sie betont die Wichtigkeit, dass sich gerade mehrfach marginalisierte Menschen in ihrem eigenen Körper zu Hause fühlen. Amma Yeboah ist Ärztin und Dozentin und spricht über den „Schmerzpunkt” (125) vieler weißer Professioneller, wenn sie als unreflektiert wahrgenommen werden. Hier ist Begleitung nötig, um durch diesen Schmerz hindurchzugehen.

Diskussion

Das Buch ist ein äußerst konstruktiver Beitrag dazu, notwendige Veränderungen im systemischen Ansatz anzustoßen. Die Autor:innen setzen sich kritisch und produktiv mit wichtigen Grundlagen systemischer Beratung auseinander. Am Beispiel von Allparteilichkeit oder Reframing wird gezeigt, dass manche Methode sich im Kontext von Rassismuserfahrungen als kontraproduktiv herausstellen kann (136). Es findet aber nicht nur eine theoretisch fundierte Auseinandersetzung statt, das Buch wird auch sehr konkret: Für unterschiedliche Beratungssituationen finden sich Listen von möglichen Fragen. Umfassend und überzeugend begründen die Autor:innen, „warum Macht- und Rassismuskritik Inhalt von systemischen Weiterbildungen werden muss“ (146). Eine weitere Stärke ist die Vermittlung zwischen individueller Beraterin und den Fragen, die sie sich zu stellen hat, mit der gesellschaftlichen Dimension von rassistischen Verhältnissen. Die Autor:innen sind sehr bedacht auf einen reflektierten Umgang mit der Tatsache, dass sie sich als weiße Autor:innen vornehmlich an weißer Berater:innen und eine weiß geprägte Beratungslandschaft wenden. Die Interviews leisten einen wichtigen Beitrag und bieten unverzichtbare zusätzliche Perspektiven von Professionellen, die selbst negativ von Rassismus betroffen sind und aus erster Hand Auskunft über den Einfluss von Rassismus und unreflektiertes Weißsein von Berater:innen auf die Klient:innen und die Beratungslandschaft geben können.

Fazit

Das Buch liefert einen fundierten und relativ voraussetzungslosen Einstieg in das Thema Zusammenführung von systemischer Praxis und Rassismuskritik. So bietet es einerseits für die individuellen Berater:innen eine sehr gute Möglichkeit, die eigene Praxis zu reflektieren und dahin gehend zu verändern. Ebenso ist es eindeutig in seiner Forderung an die Beratungslandschaft insgesamt, sich grundlegend theoretisch, neu aufzustellen, um eine rassismuskritische Praxis zum dringend nötigen Standard zu machen. Nur so kann systemische Beratung glaubwürdig, angemessen und wirksam bleiben.

Rezension von
Dr. Franziska Baumbach
Lehrbeauftragte an der KHSB Berlin und Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe in Berlin
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Es gibt 10 Rezensionen von Franziska Baumbach.

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Zitiervorschlag
Franziska Baumbach. Rezension vom 07.09.2023 zu: Ilja Gold, Eva Weinberg, Dirk Rohr: Das hat ja was mit mir zu tun!? Macht- und rassismuskritische Perspektiven für Beratung, Therapie und Supervision. Carl Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2021. ISBN 978-3-8497-0379-0. Reihe: Beratung, Coaching, Supervision. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30790.php, Datum des Zugriffs 30.09.2023.


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