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Marion Mayer, Friedemann Bringt et al. (Hrsg.): Beratung zu Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung

Rezensiert von Eike Bösing, 18.10.2023

Cover Marion Mayer, Friedemann Bringt et al. (Hrsg.): Beratung zu Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung ISBN 978-3-7799-7487-1

Marion Mayer, Friedemann Bringt, Esther Lehnert, Nora Warrach (Hrsg.): Beratung zu Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung. Konzepte – Herausforderungen – intersektionale Perspektiven. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2023. 300 Seiten. ISBN 978-3-7799-7487-1. D: 36,00 EUR, A: 37,10 EUR.

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Thema

Der Sammelband bündelt Perspektiven aus Praxis und Wissenschaft auf die Beratungs- und Netzwerkarbeit im Bereich Rechtsextremismus – konkret auf das Handlungsfeld der Mobilen Beratung bezogen. Dabei werden konzeptuelle Grundlagen, Zugänge und Arbeitsweisen im Handlungsfeld vorgestellt und diskutiert. Das Buch präsentiert sich einerseits praxisorientiert und andererseits – unter Bezug auf die in antirassistischen Bewegungen begründeten Entstehungskontexte der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus – mit einem politischen Anspruch. Es zielt auf die Professionalisierung des Berufsfeldes und will die Mobile Beratung „theoretisch, konzeptionell und methodisch weiterentwickeln“ (S. 11).

Das Buch ist ein Ergebnis aus der Zusammenarbeit des Bundesverbands Mobile Beratung e.V. und Professor*innen der Alice Salomon Hochschule Berlin und entstand aus der Entwicklung einer Weiterbildung mit Zertifikatkurs zur Beratung gegen Rechtsextremismus und Netzwerkarbeit.

Herausgeber:innen

Die Herausgeber*innen vereinen unterschiedliche Perspektiven auf die Thematik und kommen aus der Praxis der Mobilen Beratung, der politischen Bildung sowie aus der Wissenschaft und Forschung.

Friedemann Bringt vom Bundesverband Mobile Beratung e.V. ist Sozialpädagoge/​-arbeiter und arbeitet seit mehr als 20 Jahren im Bereich Mobiler Beratung und menschenrechtsorientierter Gemeinwesenarbeit.

Marion Mayer ist Professorin mit Schwerpunkt Beratung an der ASH und befasst sich unter anderem mit Professionalisierung, machtkritischen Perspektiven und Beratung im Kontext Rechtsextremismus.

Nora Warrach ist Fachreferentin für Wissensmanagement im Bundesverband Mobile Beratung. Sie ist Migrationssoziologin und arbeitet zu macht- und rassismuskritischen Themen in der Erwachsenenbildung.

Esther Lehnert ist Professorin für Geschichte, Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit an der ASH und forscht unter anderem zu Gender und die extreme Rechte und sozialpädagogischen Strategien im Umgang mit Rechtsextremismus.

Aufbau und Inhalt

Das Vorwort und die Einleitung geben einen Einblick in die Entstehung, die Hintergrund und Ziele des Bandes. Anschließend gliedert sich der Sammelband in vier inhaltlich Teile.

Teil 1

Der erste Teil des Bandes – Standortbestimmungen und professionelle Haltung – wird durch eine Einführung in Die Weiterbildung zur „Beratung und Netzwerkarbeit im Kontext extrem rechter Orientierungen und Demokratiegefährdung“ (S. 16–31) eröffnet. Es erfolgen ein Überblick über die Idee des Zertifikatskurs und ein Einblick in den Aufbau und die Module der Weiterbildung. Zudem ist ein Interview mit den Entwickler*innen und Autor*innen Friedemann Bringt und Marion Mayer abgedruckt, in dem sie die interdisziplinäre und inter-institutionelle Zusammenarbeit sowie ihre Ansprüche an die Weiterbildung verdeutlichen.

Heiko Klare befasst sich im Beitrag Spannungsfelder Mobiler Beratung zwischen professioneller Haltung, Förderlogiken und Versicherheitlichung (S. 32–46) mit der Entwicklung der Mobilen Beratung, verschiedenen Spannungsfeldern und konkurrierenden Mandaten. Der Autor diskutiert den gern bemühten aber selten konkret gemachten Begriff der Haltung in der Sozialen Arbeit unter anderem vor dem Hintergrund eines professionellen Mandats und veranschaulicht Mandatskonflikte im Handlungsfeld der Mobilen Beratung.

Der Beitrag Normative und strategische Herausforderungen Mobiler Beratung im Spannungsfeld Zivilgesellschaft – Institutionen – Demokratie (S. 47–60) von Matthias Lorenz diskutiert Institutionalisierung und Normen in der Mobilen Beratung. Lorenz lädt zu einer kritischen Betrachtung von einfachen normativen Bekenntnissen sowie eines ausschließlichen Rückzugs auf normative Grundlagen der Praxis ein. Es wird argumentiert, dass der einfache Rückgriff auf vermeintlich vorpolitisch gültige normative Grundlagen für eine kritische Praxis nicht ausreicht.

Der Beitrag „Die Wendung aufs Subjekt“ als Ausgangspunkt für eine rassismuskritische (selbst-)reflexive Haltung in der Mobilen Beratung (S. 61–74) von Sarah Fey schließt den ersten Teil. Die Autorin befasst sich aus einer psychoanalytischen Perspektive mit der eigenen Positioniertheit von Berater*innen, der Rolle des Subjekts in der Beratung sowie mit Spannungsverhältnissen u.a. in der professionellen Beziehungsgestaltung. Auch hier steht das Thema Haltung sowie dessen Wirkung auf die Beziehungsgestaltung in Beratungssettings im Vordergrund.

Teil 2

Christopher Vogel eröffnet den zweiten Teil Raumdimensionen und machtkritische Zugänge mit dem Beitrag Mobile Beratung in ländlichen Räumen (S. 76–86). Anknüpfend an die differierenden Bedingungen ländlicher und urbaner Räume werden Unterschiede in der Beratungspraxis erörtert. Aufbauend auf der Problembeschreibung, widmet sich der Beitrag einer kurzen Analyse von (vermeintlichen) Zusammenhängen zwischen ländlichen Regionen und der Verbreitung rechtsextremer Einstellungen und Verhaltensweisen, bzw. AfD-Wahlerfolgen sowie Handlungsmöglichkeiten.

Im Beitrag Diskurse führen, wo andere Urlaub machen. Erfahrungen aus der Initiierung einer Veranstaltungsreihe in Nordfriesland (S. 87–99) von Lyn Blees wird ein Praxisbeispiel der Mobilen Beratung im ländlichen Raum anschaulich aufgearbeitet. Die vorgestellte Veranstaltungsreihe ist eine Reaktion auf Proteste von Landwirt*innen in Nordfriesland, die sich symbolisch auf die völkische Landvolkbewegung bezogen. Das Praxisbeispiel skizziert die Analyse des sozialen Raums und relevanter Besonderheiten und gibt Einblicke in die konkrete Gestaltung der Arbeit, Erwägungen und Entscheidungsfindungen.

Die MBR Berlin diskutiert in ihrem Beitrag Zwischen „Zentrum der Macht“ und Kiezstruktur (S. 100–113) die Besonderheiten des urbanen Sozialraums und skizziert darauf aufbauend die Beratungstätigkeit in Berlin. Die Herausforderungen der Arbeit in Berlin werden insbesondere infolge der Wahlerfolge der AfD sowie rechtsoffener Mobilisierungen im Zuge der Coronapandemie dargestellt. Besonders der Status als Regierungssitz wirke anziehend für unterschiedliche Gruppen, während gleichzeitig zivilgesellschaftliche Strukturen stärker kleinräumlich organisiert seien und dadurch weniger Ansprechpartner*innen im Zentrum der Stadt bestehen.

Im Beitrag Raumorientierung in der Mobilen Beratung (S. 114–127) von Friedemann Bringt und Heiko Klare wird die Bedeutung von Sozialräumen als zentrales Element in der Mobilen Beratung vorgestellt. Die Autoren verdeutlichen, dass allein eine Stadt-Land-Unterscheidung nicht ausreicht, die heterogenen Sozialräume angemessen zu fassen und weitere Faktoren mitberücksichtigt werden müssen. Sie plädieren für einen mehrdimensionalen Raumbegriff, der eine Anpassung von Beratungsstrategien die Gegebenheiten vor Ort ermöglicht.

Teil 3

Den dritten Teil Mobile Beratung zwischen methodischen Interventionen und Intersektionalität beginnen Jan Burghart, Julia Eder und Jan König mit dem Beitrag „Methodisch unterwegs“ (S. 130–142), in dem ein von den Autor*innen entwickeltes Methodenspielvorgestellt wird. Zur Hinführung werden die zwei Trends der beruflichen Weiterbildung „Simulation“ und „Gamification“ vorgestellt, wodurch erlerntes Wissen niedrigschwellig ausprobiert, bzw. Spiellogiken in nicht-spielerischen Kontexten angewandt werden können.

Maria Diedrich und Paul Erxleben befassen sich im Beitrag Beratungsbedarf im umkämpften Terrain (S. 143–155) mit der Bearbeitung der Corona-Proteste durch die Mobile Beratung. Die Beratung bewege sich in gesellschaftlichen Konfliktfeldern, zwischen differierenden Problemdefinitionen und staatlichen Fördervorgaben. Hervorgehoben wird das heterogene Milieu der Corona-Proteste, dass trotz unterschiedlichster Gruppen Antisemitismus und Autoritarismus als verbindende Elemente aufweise.

Im Beitrag Muss Mobile Beratung feministisch sein? (S. 156–169) diskutieren Kathalena Essers und Julia Haas Antifeminismus als Beratungsgegenstand der Mobilen Beratung. Nach einer theoretischen Auseinandersetzung mit Antifeminismus und Zusammenhängen zu rechten Ideologien wird sich den Herausforderungen in der Beratung gewidmet. Die Autor*innen kommen zu dem Ergebnis, dass Mobile Beratung „kein feministisches Selbstverständnis, aber notwendigerweise geschlechterreflektierte sowie sexismuskritische Perspektiven benötigt“ (S. 166).

Ebenfalls mit der Rolle von Geschlecht in der Beratung befasst sich das Kapitel Herstellung und Bedeutung von Geschlecht in der Rechtsextremismusberatung (S. 170–181) von Johanna Sigl. Unter Einbezug beratungswissenschaftlicher Erkenntnisse wird den Fragen nachgegangen, inwieweit Erkenntnisse über Geschlecht in das fachliche Wissen und die Handlungspraxis der Berater*innen integriert ist und welche Auswirkungen dies auf das professionelle Handeln hat. Demnach sollte Geschlecht nur dann in der Beratung thematisiert werden, wenn es dem Beratungsanliegen zuträglich ist; in der „kollegiale[n] Reflexion des professionellen Handelns“ (S. 179) jedoch aktiv bearbeitet werden.

Nora Warrach befasst sich in Der Blick nach innen (S. 182–195) mit intersektionalen Perspektiven. Ein intersektionaler und damit ein macht- und diskriminierungskritischer Blick nach innen wird als Teil der Professionalisierung aufgefasst und ein Schwerpunkt auf die als notwendig erachtete intersektionale Öffnung der Bundesarbeitsgemeinschaft Mobile Beratung gelegt. Dabei gehe es um die Hebung marginalisierter Stimmen, die Stärkung der Repräsentation diverser Menschen in den Teams, die Schaffung von Safer Spaces und Reflexionsräumen.

Teil 4

Der vierte Teil des Bandes befasst sich mit der Professionalisierung der Mobilen Beratung. Marion Mayer widmet sich der Frage, inwiefern machtkritische Perspektiven in der Mobilen Beratung relevant sind. Im Kapitel Machtkritische Perspektiven im Beratungshandeln (S. 198–210) wird Beratung einerseits als „Teil bestehender Herrschafts-, Diskriminierungs- und Machtverhältnisse“ (S. 198) verstanden, andererseits soll sie als potenzielle Gegenmacht einen emanzipatorischen Anspruch verfolgen. Die Autorin argumentiert, dass diskriminierungs- und machtkritische Dimensionen in die Beratung integriert werden und nach außen wie innen Wirksamkeit entfalten.

Birgit Jagusch gibt im Beitrag „Wenn die Leitung schon so redet und keiner was sagt, dann weiß ich nicht, was ich hier noch groß soll.“ – Herausforderungen in der Beratung im Kontext extrem rechter und rassistischer Gewalt und die Etablierung von Schutzkonzepten (S. 211–225) einen Einblick in empirische Erkenntnisse eines Forschungsprojekts zu Auswirkungen extrem rechter und rassistischer Gewalt in Nordrhein-Westfalen. Nach einer Einführung in das Thema rechter Gewalt in der Beratung befasst sich der Artikel mit der Frage, inwiefern rassistische oder rechte Gewalt in Einrichtungen der Sozialen Arbeit zum Thema wird und es werden Ergebnisse aus quantitativen und qualitativen Befragungen vorgestellt.

Der abschließende Beitrag des Sammelbandes stammt von Friedemann Bringt zum Thema Berufsfeldentwicklung im Bundesverband Mobile Beratung (S. 226–237). Es werden die Entwicklung des Handlungs- und Berufsfeldes vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Konflikte und rassistischen Anschläge der frühen 1990er-Jahre sowie die fortschreitende Professionalisierung bis hin zur Zertifikatsweiterbildung nachgezeichnet und Perspektiven für die weitere Berufsfeldentwicklung vorgestellt.

Diskussion

Das Buch zeichnet sich insbesondere durch einen hohen Anteil von Praxisreflexionen und konsequenten praktischen Bezügen auch in theoretischen Beiträgen aus. Die Autor*innen geben lebhafte Einblicke in Herausforderungen und Lösungsstrategien der Handlungspraxis und verdeutlichen, dass sie die Mobile Beratung nicht als neutrale, sondern politischen Arbeit verstehen. Dabei scheuen sie sich nicht vor einem kritischen Blick nach innen, auf eigene Strukturen sowie auf die Rahmenbedingungen, die die (eigene) Arbeit determinieren. Auch die thematischen Schwerpunkte Feminismus und Intersektionalität einerseits sowie Sozialraumbezüge andererseits werden anhand spannender Praxiseinblicke dargestellt und theoretisch reflektiert.

Während der hohe Praxisbezug eine besondere Stärke des Bandes ist, weisen einige Beiträge dementsprechend eine geringere wissenschaftliche Fundierung auf. Zudem lassen die Diskussionen teilweise etwas an Tiefe vermissen und bleiben relativ oberflächlich. Dies betrifft etwa die – zweifellos komplexe – Auseinandersetzung mit normativen Grundlagen und Haltungsfragen. Da die Arbeit der Mobilen Beratung durchweg im Zentrum steht, könnte das Fehlen einer einführenden Beschreibung und Diskussion dessen, was die Praxis Mobiler Beratung konkret ausmacht, für handlungsfeldfremde Leser*innen eine Herausforderung darstellen.

Fazit

Durch die konsequente Ausrichtung auf die Entwicklung und Praxis Mobiler Beratung gibt das Buch einen tiefen Einblick in das Handlungsfeld und ist in erster Linie für Praktiker*innen dieses Feldes oder in vergleichbaren Kontexten geeignet. Darüber hinaus ergeben sich spannende Anknüpfungspunkte für andere Professionelle mit Beratungsaufgaben besonders in den Auseinandersetzungen zu Intersektionalität, rassismus- und machtkritischen Perspektiven.

Rezension von
Eike Bösing
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Es gibt 1 Rezension von Eike Bösing.

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Zitiervorschlag
Eike Bösing. Rezension vom 18.10.2023 zu: Marion Mayer, Friedemann Bringt, Esther Lehnert, Nora Warrach (Hrsg.): Beratung zu Rechtsextremismus und Demokratiegefährdung. Konzepte – Herausforderungen – intersektionale Perspektiven. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2023. ISBN 978-3-7799-7487-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30791.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.


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