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Heinz Feldmann: Praxishandbuch Leben in Gemeinschaft

Rezensiert von Dr. Dieter Korczak, 21.09.2023

Cover Heinz Feldmann: Praxishandbuch Leben in Gemeinschaft ISBN 978-3-96238-361-9

Heinz Feldmann: Praxishandbuch Leben in Gemeinschaft. Partizipativ planen, bauen und wohnen : mit vielen Checklisten und einem Vorwort von Diana Leafe Christian. oekom Verlag (München) 2022. 352 Seiten. ISBN 978-3-96238-361-9. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR.

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Thema

Wie in den 1970er-Jahren sind Mietenkrise und Wohnungsnot aktuelle Themen geworden. Die Angebotsmieten auf dem Rendite getriebenen Wohnungsmarkt steigen rasant, der Wohnungsbau stagniert. Bis in die breite Mittelschicht hinein sind immer mehr Haushalte durch ihre Wohnungskosten überbelastet. Gemeinschaftliches Wohnen stößt deshalb auf großes Interesse. Der Wunsch nach überschaubaren, sinnvollen Lebenszusammenhängen in „Kleinen Netzen“, der bereits 1981 beschrieben wurde, wächst. „Ich glaube, in einer gesunden, gedeihenden Gemeinschaft zu leben, ist nicht nur eine wunderbare Lebensform, sondern zählt zum Besten, was wir zum Wohl unserer gesamten Kultur beitragen können“, so Diana Leafe Christian im Vorwort. Heinz Feldmann hat in seinem Praxishandbuch beschrieben, wie man diesen Wunsch konkret realisieren kann.

Autor

Heinz Feldmann (Jahrgang 1963), aufgewachsen in Bregenz (Österreich), war Geschäftsführer eines Medizintechnikkonzerns, bis er eine einjährige Weltreise unternahm. Seine Reise-Erfahrungen hat er im Buch „Ruhejahre (2007)“ beschrieben. Nach dieser Reise ist er umgestiegen und Soziokratietrainer, Öko- und Gemeinwohlunternehmer, Männer-Coach und „Lebens-Wandler“ geworden. Er lebt seit 2014 im mitgegründeten „Wohnprojekt Wien“ (Verein für Nachhaltiges Leben).

Entstehungshintergrund

Mit diesem Buch will Feldmann vornehmlich am Beispiel des „Wohnprojekts Wien“ diejenigen, „die sich nach einem Leben in Gemeinschaft sehnen, einerseits vor überzogenen und überhöhten Erwartungen bewahren und andererseits ermutigen und aufzeigen, wie es gelingen kann.“ (Klappentext)

Aufbau

Der Autor hat den Band systematisch – der Entstehungsgeschichte eines Wohnprojekts folgend – aufgebaut. Am Anfang steht die Vision des gemeinschaftlichen Wohnens. Wie eine solche Vision entwickelt werden kann, wird breit beschrieben (S. 41–105). Es schließen sich zwei kurze Kapitel über Gruppenfindung und Gemeinschaftsbildung an. Dann folgt eine lange Ausführung (S. 155 – 222) zur Organisation des Gruppenlebens, in der der Autor seine Kenntnisse als Soziokratietrainer einbringt. Im nächsten Kapitel werden mögliche Rechtsformen und Eigentumsfragen vorgestellt. Entsprechend der Bedeutung des Themas Finanzierung werden Finanzierungsformen und Finanzierungsrisiken ausführlich erörtert (S. 255 – 306). Am Ende des Buchs werden relevante Fragen zum Bauen oder Umbauen beantwortet. Das Buch schließt mit einem Interview mit Diana Leafe Christian, einer US-amerikanischen Expertin für Öko-Dörfer.

Inhalt

Zur Visionsfindung hat der Autor gute Erfahrungen mit dem Instrument des „Dragon Dreaming“ gemacht. Bei diesem Werkzeug werden sowohl die träumerischen und emotionalen Aspekte einer Wohnungsgruppen-Neugründung berücksichtigt als auch ein klar nachvollziehbarer Projektplan entwickelt. Die dabei verwendeten Techniken des Pinakarri (tiefes Zuhören), des Projektrads, des Traumkreises und des Karabirrdt (Projektplan) werden nachvollziehbar beschrieben.

Wie kommen die richtigen Menschen zusammen? Dazu bedarf es Kennenlerntreffen, Konzeptvermittlung, Definition des Auswahlprocedere, einen Finanzcheck und den Einstieg auf Augenhöhe für Neumitglieder.

Wie wird aus einer Gruppe von Menschen eine Gemeinschaft? Feldmann empfiehlt gemeinsame Aktivitäten, Rituale, Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck, gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg, den Gemeinschaftskompass von Eva Stützel.

Die Vereinbarung eindeutiger Spielregel ist sehr wichtig. Für ihre Definition und zu ihrer Einhaltung haben sich in Gemeinschaftswohnprojekten kreisförmige (soziokratische) Organisationsstrukturen und Konsent (statt Konsens) bewährt. Konsent ist eine Problemlösung, mit der alle leben können. Feldmann hat eine „Soziokratie in Gemeinschaften“ (SIG) entwickelt, die weitestgehend die im Wohnprojekt Wien erfolgreich gelebte Praxis ist und die er ausführlich im Buch beschreibt.

Als Rechtsform plädiert er für eine Kombination von Individual- und Gemeinschaftseigentum. Infrage kommen unter anderem Konstruktionen wie die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der Verein, die Genossenschaft, das Grundstück im Erbbaurecht und die Wohnungseigentumsgemeinschaft, das Habitat-Modell.

Hinsichtlich der Finanzierung gibt es seiner Erfahrung nach wenig Probleme, wenn man eine klare Vision und eine Gründer:innengruppe hat, die für diese Vision brennt sowie einen realistischen Finanzplan. Zum Finanzplan gibt er ausreichende Hinweise zum Budget, zur Baukalkulation, zu Eigenmitteln und Förderungen, zur Tilgungsgeschwindigkeit und Finanzierungsrisiken, zu Bank- und Privatdarlehen, zu Mietenkalkulation und der Berücksichtigung von Eigenleistung.

Für Feldmann gibt es drei Gründe, wegen derer Gemeinschaftswohnprojekt-Ideen bereits vor der Realisierung scheitern: 1. eine fehlende klare Vision, 2. eine fehlende passende Finanzierung und 3. die Grundstücks- oder Gebäudesuche. Er empfiehlt für Objektauswahl und die Entscheidung zu bauen oder umzubauen, den Rat von Expert:innen einzuholen und die bauliche Projektentwicklung in einem partizipativen Planungsprozess umzusetzen.

Diskussion

Das Buch ist logisch und stringent aufgebaut und gibt – wie von einem Praxishandbuch zu erwarten – viele nützliche Hinweise und Anregungen für den Aufbau und das Leben in einem gemeinschaftlichen Wohnmodell. Die eingestreuten Interviews mit Ilona Koglin, Eva Stützel, Rolf Novy-Huy, Christine Amon-Feldmann, Elke Rauth, Diana Leafe Christian und weiteren reichern das Buch an und erweitern es über den Horizont des „Wohnprojekt Wien“ hinaus. Eine gute Entscheidung war es, die Interviews in voller Länge als QR-Code zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Das Praxishandbuch von Feldmann ergänzt sich ideal mit dem Praxishandbuch seiner Interviewpartnerin Eva Stützel (https://www.socialnet.de/rezensionen/​30802.php). Während sie zahlreiche Werkzeuge und Techniken für das Gelingen gemeinschaftlichen Lebens präsentiert, nimmt Feldmann die Leserschaft eher auf eine Projektreise mit und weist auf die vielen Haken und Hindernisse hin. Letztlich machen beide Bücher Lust auf gemeinschaftliches Leben und die Realisierung von gemeinschaftlichen Wohnprojekten. 

Fazit

Nach seinem Ausstieg aus neoliberalen Wirtschaftsverwertungsprozessen hat sich Heinz Feldmann auf eine Suche nach sinnvolleren Lebenszusammenhängen begeben. Er hat sie in dem „Wohnprojekt Wien“ gefunden, in dem er selbst seit 2014 lebt. Seine Erfahrungen mit diesem Wohnprojekt, erweitert um die Kenntnisse von anderen Expert:innen des gemeinschaftlichen Lebens, hat er didaktisch stringent dem Prozess der Realisierung eines gemeinschaftlichen Wohnprojekts folgend in dem vorliegenden Buch zusammengefasst. Das Buch ist Allen, die auf der Suche sind, zu empfehlen.

Literatur

Dieter Korczak (1981). Rückkehr in die Gemeinschaft. Kleine Netze: Berichte über Wohnsiedlungen. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch

Diana Leafe Christian (2003). Creating a Life Together: Practical Tools to Grow Ecovillages and Intentional Communities. Gabriola Islands: New Society Publishers

Scott Peck (2014). Gemeinschaftsbildung. Der Weg zu authentischer Gemeinschaft. Oberbrunn: Schloss Oberbrunn

Marshall B. Rosenberg (2016). Gewaltfreie Kommunikation. Paderbron: Junfermann

Eva Stützel (2021). Der Gemeinschaftskompass. München: Oekom

Rezension von
Dr. Dieter Korczak
Soziologe, Präsident des European Consumer Debt Network, Mitglied der Financial Services User Group der Europäischen Union
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Es gibt 18 Rezensionen von Dieter Korczak.

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Zitiervorschlag
Dieter Korczak. Rezension vom 21.09.2023 zu: Heinz Feldmann: Praxishandbuch Leben in Gemeinschaft. Partizipativ planen, bauen und wohnen : mit vielen Checklisten und einem Vorwort von Diana Leafe Christian. oekom Verlag (München) 2022. ISBN 978-3-96238-361-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30803.php, Datum des Zugriffs 03.11.2024.


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