Hans von Storch: Der Mensch-Klima-Komplex
Rezensiert von Margit Meßmer, 30.01.2024

Hans von Storch: Der Mensch-Klima-Komplex. Was wissen wir? Was können wir tun? Zwischen Dekarbonisierung, Innovation und Anpassung. Verlag J.H.W.Dietz (Bonn) 2023. 192 Seiten. ISBN 978-3-8012-0659-8. 19,90 EUR.
Thema
Schwerpunkt des Buches sind die Bedingungen und Methoden der Klimaforschung sowie die Rezeption der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Politik und Gesellschaft und die Rolle von Wissenschaftler:innen im Vermittlungsprozess.
Autor
Hans vor Storch ist Klimaforscher und Meteorologe. Er war bis 2015 Professor am Institut für Meteorologie der Universität Hamburg und Mitglied der sozialwissenschaftlichen Fakultät sowie Leiter des „Instituts für Küstenforschung“ am Helmholtz-Zentrum Geesthacht.
Entstehungshintergrund
Wie in seinen bisherigen Veröffentlichungen geht es dem Autor um Bedingungen und Formen der Klimaforschung. Mit Werner Krauß veröffentlichte er 2013 das Buch „Die Klimafalle: Die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung“ im Hanser Verlag, in dem er die Interaktion zwischen Wissenschaft und Politik bereits thematisiert. Ein Artikel in der Zeitschrift Skeptiker Nr. 3 von 2022 mit dem Titel „Klimaforschung: Zwischen fachlicher Beschränkung und politischer Herausforderung“ geht in eine ähnliche Richtung.
Aufbau
Das Buch beschreibt in 5 Kapiteln zum einen die Fakten des Klimawandels, Geschichte und wissenschaftliche Methoden der Klimaforschung sowie den Umgang mit den Folgen des menschengemachten Klimawandels und die Rolle der Klimawissenschaftler im sozialen Prozess zwischen Wissenschaft und Politik.
Inhalt
Die Einleitung gibt einen Überblick über die Inhalte der einzelnen Kapitel, betont den Unterschied zwischen natürlicher Klimavariabilität und menschengemachten Klimaveränderungen sowie die dringende Notwendigkeit, neben der Vermeidung einer weiteren Temperaturerhöhung auch Anpassungsmaßnahmen in Angriff zu nehmen. Sehr hilfreich sind die jeweiligen Querverweise im gesamten Buchtext.
Das 1. Kapitel dreht sich um die Dynamik und Interaktion der Teilsysteme des Klimas, wie die Atmosphäre, die Ozeane, die Kryosphäre, d.h. die Vorkommen festen Wassers in den Eisschilden bzw. Gletschern sowie die entsprechenden Fachdisziplinen der Meteorologie, Ozeanografie und Glaziologie zur Beobachtung und Beurteilung dieser Dynamik. Die Atmosphäre wird durch kurzwellige Strahlung erwärmt. Die seit der Industrialisierung verstärkt emittierten, Treibhausgase wie CO², Methan, etc. schränken die langwellige Abstrahlung ein, was zu einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur führt. Die Beschreibung der bisherigen vier Phasen der Klimaforschung enden in der aktuellen Praxis der Klimafolgenforschung und der Einordnung in einen disziplinären Kontext. Das „stochastische Klimamodell“ von Klaus Hasselmann ermöglicht die Unterscheidung zwischen natürlichen und menschengemachten Ursachen und bedeutete einen Paradigmenwechsel in der Klimaforschung. Ein Rückblick auf vergangene Klimaschwankungen und dem Rückgang von CO² Emissionen während des Lockdowns leiten über zum 2. Kapitel „Klimawissen“.
Klimawissen basiert auf Daten und Modellen, d.h. Annahmen von Zusammenhängen und Wirkungskaskaden. Modelle eigenen sich für kurzfristige Vorhersagen, Szenarien oder Projektionen prognostizieren langfristige Zukunftsereignisse auf der Basis bestimmter Annahmen. Diese Wissensformen sind, so der Autor, konstruiert, also von Menschen aus Beobachtungen, Überzeugungen, Vorurteilen, Interessen und Ideologien abgeleitet. Er fordert daher wissenschaftliche Qualität und Seriosität mit Verweis auf die CUDOS Normen in Abgrenzung zu politischer Opportunität, wenn Wissenschaft eine wesentliche Rolle im politischen Willensbildungsprozess spielt. Es werden verschiedene wissenschaftliche Ansätze erläutert und Wissenskategorien wie Klimadeterminismus, Religion und das Narrativ der Kipppunkte erörtert.
Beim Umgang mit dem menschengemachten Klimawandel in Kapitel 3 unterstreicht der Autor die Notwendigkeit der Dekarbonisierung zur Beendigung positiver Emissionen, relativiert jedoch deren Auswirkungen auf regionale Wetterkatastrophen. Er erwähnt kurz die unzureichenden Emissions-Minderungsabsichten der Staaten, die Entnahme von CO² aus der Atmosphäre durch Carbon Capture and Storage (CCS) sowie Geoengineering und konzentriert sich im Weiteren auf notwendige Anpassungsstrategien. Der globale Klimawandel kann nur auf überstaatlicher Ebene gestoppt werden. Deshalb seien wegen der räumlichen Variabilität der Wetterereignisse Anpassung und Katastrophenschutz auf Landes- und Kommunalebene eine wichtige Ergänzung. Küstenschutz durch die Erhöhung der Deiche bzw. Regenrückhalteflächen entlang von Flüssen sind beispielsweise schon seit Jahrhunderten praktizierte Vorsorgemaßnahmen.
Das Wesen der ‚postnormalen Wissenschaft‘ und das Verhalten von Wissenschaftler:innen gegenüber der Öffentlichkeit und der Politik sind das zentrale Thema in Kapitel 4. Die inhärente Unsicherheit der Simulationen, der Ernst der Lage und die Dringlichkeit von Reaktionen bei gleichzeitig hohem Risiko unangemessener Lösungsansätze zusammen mit antagonistischen, kulturellen Werten erschweren Entscheidungsprozesse. Vor diesem Hintergrund wird vor pseudowissenschaftlicher Panikmache bzw. Verschleierungsabsichten im Dienste wirtschaftlicher oder ideologischer Interessen gewarnt und die Rolle von Wissenschaftler:innen als ehrliche Makler gefordert. Als Klimafalle bezeichnet Hans von Storch den politischen Prozess, der der Wissenschaft die Verantwortung für die richtigen Entscheidungen auflastet, was die Wissenschaft entwissenschaftlichen und die Politik entpolitisieren würde.
Dies führt im 5. Kapitel zum Vorschlag, neue Erkenntnisse unabhängig von entscheidungs- und planungsrelevanten gesellschaftlichen Vorgaben zur Mehrung und Stabilisierung des Klimawissens im traditionellen Sinn zu generieren. Umfragewerte unter Nachwuchswissenschaftler:innen zeigen eine gegenteilige Tendenz; ihnen ist es wichtiger, Lösungen für das Klimaproblem zu bestimmen. Die aktuelle Klimapolitik sieht der Autor einerseits in einem merkwürdigen Stillstand, andererseits in der Konzentration auf Verminderung nationaler Emissionen, was aus seiner Sicht nur beschränkt wirksam sei. Im Gegensatz zur Kritik an langsamen, demokratischen Willensbildungsprozessen glaubt er, dass eine offene Gesellschaft problemgerechter mit komplexen, strittigen und dringlichen Herausforderungen umgehen kann. Die Rolle einer konstruktiven Wissenschaft läge in der Vermittlung ihrer Erkenntnisse bei gleichzeitiger Benennung der Unsicherheiten, die durch künftige, unerwartete Beobachtungen noch zu Revisionen führen können. Er empfiehlt Bürgern dieses Landes die Entwicklung und Förderung emissionsarmer, klimafreundlicher Technologien und deren Erprobung in der Praxis zur Minderung des Klimawandels.
Im Ausblick warnt Hans von Storch vor Katastrophenszenarien und der Gefahr monokausaler Erklärungen komplexer Ursachen. Obwohl die Klimakatastrophe inzwischen als real wahrgenommen wird, stehen wirtschaftliche Sachzwänge dem Ausstieg aus fossilen Energieträgern entgegen. Darüber hinaus gibt es weitere Themenkonkurrenzen wie Hunger, Pandemien und Kriege, die Klimaziele torpedieren.
Diskussion
Das Buch wendet sich mit der Darstellung, wie Klimaforschung funktioniert und wie sie im Dialog mit der Politik wirken sollte sowohl an Wissenschaftler:innen, als auch an eine interessierte Öffentlichkeit bzw. Politiker. Allerdings sind für naturwissenschaftlich ungeschulte Leser manche Erklärungen schwer verständlich; einige aussagekräftige Beispiele helfen dabei. Leider erschweren zu starke Verkleinerungen der meisten Karten und Diagramme ihre Leserlichkeit. Der Fokus auf die Interaktion zwischen Klimawissenschaft und Politik blendet einflussreiche Lobbygruppen weitgehend aus.
Fazit
Die Publikation beschreibt die Arbeitsmethoden der Klimaforschung, bestehende Unsicherheiten sowie Konsequenzen, die die Politik aus dem Klimawissen zieht bzw. ziehen sollte. Es liefert Hinweise zum Umgang mit und Anpassung an den Klimawandel und Wissenschaftler:innen, die Rolle eines ‚ehrlichen Maklers‘ ihres Wissens einzunehmen. Die deutsche Klimapolitik sollte Methoden entwickeln und Technologien fördern, die zur Minderung der Emissionen weltweit beitragen.
Rezension von
Margit Meßmer
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