Ludger Pesch, Karen Dohle et al. (Hrsg.): Ganztag im besten Interesse der Kinder
Rezensiert von Dipl. Päd. Nicole Dern, 16.02.2024
Ludger Pesch, Karen Dohle, Jörg Maywald (Hrsg.): Ganztag im besten Interesse der Kinder. Kinderrechte für Große Kinder verwirklichen. Verlag Herder GmbH (Freiburg, Basel, Wien) 2023. 240 Seiten. ISBN 978-3-451-39423-2. D: 25,00 EUR, A: 25,80 EUR, CH: 35,90 sFr.
Thema
Im Sammelband „Ganztag im besten Interesse der Kinder, Kinderrechte für große Kinder verwirklichen“ kommen Autor*innen zum aktuellen Thema der ganztägigen Angebote für Kinder im Grundschulalter mit Blick auf die ab 2026 stufenweise in Kraft tretende gesetzliche Neuregelung zusammen. Bereits im Titel des Sammelbandes wird deutlich, dass es zum einen um eine Verwirklichungsperspektive im Sinne der Kinderrechte geht, zum anderen wird auch mit Blick auf das Inhaltsverzeichnis die Idee von Ganztagsangeboten als Chance deutlich.
Herausgeber*innen
Prof. Dipl.-Päd. Ludger Pesch ist Direktor des Pestalozzi-Fröbel-Hauses und Vorsitzender der Initiative für Große Kinder e.V.
Dipl.-Päd. Karen Dohle ist Vorstandsmitglied der Initiative für Große Kinder e.V.
Prof. Dr. Jörg Maywald ist Honorarprofessor für Kinderrechte und Kinderschutz an der Fachhochschule Potsdam, Vorstandsmitglied der Deutschen Liga für das Kind und der Initiative für Große Kinder e.V.
Die Autor*innenschaft des Sammelbandes ist im Rahmen der Themengebiete aus theoretischer wie praktischer Perspektive von breiter Erfahrung gekennzeichnet.
Aufbau und Inhalt
Im Sammelband „Ganztag im besten Interesse der Kinder, Kinderrechte für große Kinder verwirklichen“ kommen auf 192 Seiten Autor*innen aus Theorie und Praxis zum aktuellen Thema der ganztägigen Angebote für Kinder im Grundschulalter mit Blick auf die ab 2026 stufenweise in Kraft tretende gesetzliche Neuregelung zusammen. Bereits im Titel des Sammelbandes wird deutlich, dass es zum Einen um eine Verwirklichungsperspektive im Sinne der Kinderrechte geht, zum Anderen wird auch mit Blick auf das Inhaltsverzeichnis die Idee von Ganztagsangeboten als Chance deutlich. So wird nach einem kurzen Vorwort, welches auch die Initiative für Große Kinder als für die Veröffentlichung maßgeblichen Zusammenschluss von Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen vorstellt, in einem einleitenden Kapitel ein Überblick über die Thematik gegeben. Hier wird das Anliegen des Bandes „Vom Kind her denken“ bereits im Titel besonders klar benannt.
Die Gestaltung der Beiträge ist übersichtlich in zwei große Teile „Teil 1. Qualitätsdimensionen für eine gesunde Entwicklung“ (sieben Kapitel) und „Teil 2. Rolle und Aufgaben der Erwachsenen“ (sechs Kapitel) unterteilt. Hinzu kommen neben dem genannten Vorwort, ein überblicksgebendes Einleitungskapitel und der Anhang mit kommentierten Materialien. Jeder Beitrag beginnt mit einem kurzen Abstract, welches Leser*innen mit wenigen Sätzen einen Einblick in die Thematik gibt. Die Beiträge sind zudem mit farbig unterlegten Kästen durchsetzt, die Kernaussagen aufnehmen.
Teil I beginnt mit einem Beitrag von Mitherausgeber Ludger Pesch, der sich unter der Überschrift „,Am liebsten treffe ich mich mit meinen Freundinnen‘. Die Bedeutung der Gleichaltrigen“ von der Engführung der Lebensphase auf eine „Schulkindheit“ distanziert und die Wichtigkeit der Peergroup für die Entwicklung von Kindern unter der Perspektive von Chancen wie Risiken diskutiert.
Der dem Werk zugrunde liegende weite Inklusionsbegriff kommt hier ebenso zum Tragen wie im folgenden Beitrag von Mitherausgeber Jörg Maywald „Der Kinderrechtsansatz im Ganztag. Beteiligung – Förderung – Schutz“. Hier werden auf Basis der Kinderrechtskonvention die sich ergebenden Konsequenzen für einen Ganztag im besten Interesse der Kinder ausgearbeitet. Ausgehend von der Perspektive des sog. Kinderrechtsansatzes erläutert Maywald nach grundlegenden Informationen zur Kinderrechtskonvention jeweils allgemein und auf den konkreten Zusammenhang der Ganztagsangebote bezogen die basalen Prinzipien ebendieses. Die Konkretisierung der Ansprüche des Ansatzes in Bezug auf den Ganztag wird dann weitergeführt in Bezug auf die Gestaltung pädagogischer Beziehungen, den Kinderschutz (auch im Sinne eines Gewaltschutzkonzeptes) und die Unterscheidung zwischen Kindeswohl und Kindeswille. Im Anschluss geht Maywald auf die bestehenden Defizite in der aktuellen Ausgestaltung des Ganztages aus Sicht der Kinderrechte ein. Der Beitrag schließt mit der Definition von Handlungsmaximen für eine kinder- und menschenrechtlich orientierte Praxis in Bildungseinrichtungen.
Mit „Mobbing im Kontext Ganztag. Präventionsmöglichkeiten und Interventionsstrategien“ vertieft Birgit Olsok das Thema Schutz vor Gewalt. Hier werden zunächst Mobbing und Cybermobbing definiert und im Anschluss Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf Prävention und Intervention aufgezeigt. Auch hier wird eine kinderrechtliche Perspektive mit Bezug zu den Reckahner Reflexionen [1] eingenommen, die die auch präventive Verantwortung insbesondere der Erwachsenen benennt.
Ludger Pesch widmet sich in „,Das man so halb in der Natur leben kann…‘ Eigenständiges Erkunden des Umfeldes“ Fragen der Begrenztheit kindlicher Erfahrungsräume mit Blick auf die Institutionalisierung der Lebensphase Kindheit. Hier wird auf Basis aktueller Forschungen zur Qualität aus der Sicht von Kindern argumentiert und die sich ergebenden Ambiguitätsmomente herausgearbeitet. Ein Exkurs zur Aufsichtspflicht ergänzt den Beitrag sinnvoll.
Mit „,Da kribbelt’s mir im Bauch‘ Kulturelle Bildung im Ganztag“ überschreiben Dagmar Berg-Winkels und Christian Kammler ihren Beitrag, der sich mit der Implementierung auch unter der Frage der Qualitätssicherung auseinandersetzt und die Chancen einer multiprofessionellen Zusammenarbeit aufnimmt.
Christa D. Schäfer nimmt unter der Überschrift „Partizipation als Qualitätsdimension im Ganztag. Denn ohne Kinder geht es nicht (gut)“ ein aus der kinderrechtlichen Perspektive des Bandes zentrales Thema umsetzungsorientiert auf.
Mit einem Beitrag zur kindlichen Entwicklung schließt Ludger Pesch unter dem Titel „,Wenn ich laufe springe, renne, dann fühle ich mich richtig frei‘ Bewegung und Körpererfahrung als Grundlagen der Entwicklung“ den ersten Teil des Bandes ab.
Teil II des Sammelbandes beginnt mit einem Beitrag von Stephan Kielblock zu „Vielfältigkeit wird möglich durch Kooperation. Zur Zusammenarbeit von Fachkräften im Interesse der Kinder“. Kielblock nimmt hierbei zunächst die Erwartungen an und Bedeutung von Zusammenarbeit im Ganztag auf und geht dabei auf die Notwendigkeiten im Sinne der Koordination einer verlässlichen Betreuung, auf die Etablierung eines veränderten Lernens wie auf die individuelle Förderung und Begleitung von Kindern ein. Im Folgenden nimmt Kielblock dann die Zielstellung eines auch herausfordernden multiprofessionellen Zusammenarbeitens im Sinne entwicklungsförderlicher Angebote für die Kinder in den Blick: Um konzeptionierte, qualitativ hochwertige Angebote, die soziale Beziehungen fördern und in einem Gesamtkonzept verankert sind, zu schaffen, braucht es eine gelingende Zusammenarbeit, die strukturell verankert ist und von allen beteiligten Gruppen getragen wird.
Sylvia Mihan nimmt sich im Beitrag „Kinder stärken! Resilienzentwicklung fördern im pädagogischen Alltag“ der Frage nach den Chancen des Ganztags in Bezug auf die Resilienzentwicklung von Kindern auch unter Einbeziehung konkreter Beispiele an.
Eine konkrete Perspektive auf die Möglichkeiten von Raumgestaltung zeigt Susanne Hofmann in „Von der Raumerfahrung zur partizipativen Architektur. Entwerfen, planen und bauen für Kinder“ auf.
„Kinder an die Macht. Digitale Teilhabe als Voraussetzung für einen Ganztag im Interesse der Kinder“ von Jutta Croll diskutiert die Teilhabemöglichkeiten von Kindern unter Einbeziehung der Digitalisierung ihrer Lebenswelt, dabei werden die hierin liegenden Potenziale für einen an den Bedarfen und Interessen der Kinder ausgerichteten Ganztag dargelegt.
Die bereits benannten Reckahner Reflexionen werden im Beitrag „Qualität pädagogischer Beziehungen im Ganztag. Impulse der Reckahner Reflexionen“ von Katja Langer-Bachmann und Ursula Winklhofer für den thematischen Zusammenhang fruchtbar gemacht.
Die Kinderrechtsperspektive des Bandes wird dann im inhaltlich abschließenden Beitrag von Rebekka Bendig unter dem Titel „,Ich habe Rechte und kann darauf vertrauen, dass sie umgesetzt werden‘. Kinderrechtsansatz und Kinderperspektive als Qualitätsmerkmal“ besonders deutlich in den Blick genommen.
Den letzten Beitrag des Bandes bildet eine „Checkliste: Bildungseinrichtungen im besten Interesse der Kinder gestalten.“ Hier stellt Mitherausgeberin Karen Dohle ein praxistaugliches Instrument zur Selbstreflexion vor, dass in einer ressourcenorientierten Sichtweise den Arbeitsstand und Handlungsbedarfe von Einrichtungen zu ermitteln hilft.
Der Anhang stellt vier durch die Herausgeber*innen kommentierte „Materialien“ vor.
Diskussion
Bereits im Titel des Sammelbandes wird deutlich, dass es zum einen um eine Verwirklichungsperspektive im Sinne der Kinderrechte geht, zum anderen wird auch mit Blick auf das Inhaltsverzeichnis die Idee von Ganztagsangeboten als Chance deutlich. Die Perspektive das Kind als Ausgangspunkt zu nehmen zeigt sich auch in der Benennung der beiden großen Teile des Werkes „Qualitätsdimensionen für eine gesunde Entwicklung“ und „Rolle und Aufgaben der Erwachsenen“. Jeder Beitrag beginnt mit einem kurzen Abstract, welches Leser*innen mit wenigen Sätzen einen Einblick in die Thematik gibt. Die Beiträge sind zudem mit farbig unterlegten Kästen durchsetzt, die Kernaussagen aufnehmen, sodass eine hohe Leser*innenfreundlichkeit entsteht. Auch wenn die zu erwartenden thematischen Aspekte durchweg ihren Platz im Buch finden, ist kritisch zu bemerken, dass die Reihenfolge derselben kaum einer erkennbaren Logik folgt. So sind „konkretere“ Aspekte wie Freundschaftsbeziehungen und breiter gefasste Inhalte wie die Konsequenzen eines kinderrechtsorientierten Ansatzes für die Gestaltung des Ganztags nebeneinandergestellt. Eine Systematisierung vom Allgemeinen zum Konkreten lässt sich innerhalb der Teile des Bandes kaum ausmachen. Ähnlich wenig Verbundenheit lässt sich auch zwischen dem ersten und dem zweiten Teil des Bandes feststellen. Die durchweg mit aussagekräftigen Titeln überschriebenen Beiträge selbst zeigen einen klaren thematischen Bezug und schaffen einen verständlichen Zugang. Die breiten fachlichen Hintergründe der Autor*innen unterstützen eine fundierte und gleichzeitig praxisnahe Darstellung. So entsteht insgesamt eine gelungene Sammlung von Beiträgen, die trotz des gemeinsamen Kerns einer kinderrechtsorientierten Perspektive auf die Umsetzung von Ganztagsangeboten eher unabhängig voneinander zu lesen sind.
Fazit
Das Werk ist für alle am Ganztag interessierten Zielgruppen eine empfehlenswerte Lektüre, die zum eigenen Denken und Tätigwerden einlädt. Die Struktur der Beiträge ermöglicht ein gutes Verständnis auch ohne breites Vorwissen. Auch wenn die Beiträge in ihrer Anordnung, abgesehen von der Gliederung in die beiden großen Teile des Bandes, kaum eine den Band gliedernde Reihenfolge erkennen lassen, ist die Möglichkeit, einzelne Beiträge nach Interesse zur Kenntnis nehmen zu können, durchaus sinnvoll und dem Anliegen des Werkes entsprechend.
[1] Weiterführend zu den Reckahner Reflexionen: https://paedagogische-beziehungen.eu/
Rezension von
Dipl. Päd. Nicole Dern
Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Justus-Liebig-Universität Gießen
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Es gibt 8 Rezensionen von Nicole Dern.
Zitiervorschlag
Nicole Dern. Rezension vom 16.02.2024 zu:
Ludger Pesch, Karen Dohle, Jörg Maywald (Hrsg.): Ganztag im besten Interesse der Kinder. Kinderrechte für Große Kinder verwirklichen. Verlag Herder GmbH
(Freiburg, Basel, Wien) 2023.
ISBN 978-3-451-39423-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30818.php, Datum des Zugriffs 02.11.2024.
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