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Jobst Finke: Das Netzwerk der Gefühle

Rezensiert von Gerd Schweers, 08.05.2024

Cover Jobst Finke: Das Netzwerk der Gefühle ISBN 978-3-497-03152-8

Jobst Finke: Das Netzwerk der Gefühle. Personzentrierte Emotionspsychologie in Psychotherapie und Beratung. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2023. 160 Seiten. ISBN 978-3-497-03152-8. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR.
Reihe: Personzentrierte Beratung & Therapie - 18.

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Thema

Der Autor erarbeitet Möglichkeiten des Umgangs mit in der Psychotherapie als zentral beschriebenen Gefühlen, aber auch Überlegungen zur Lösung der damit verbundenen Problematiken. Berücksichtigt werden dabei sowohl personzentrierte wie auch schematheoretische und emotionsfokussierte theoretische Überlegungen zur Genese psychischer Störungen und entsprechende Handlungsansätze.

Autor

Dr. med. Jobst Finke, Facharzt für psychosomatische Medizin, Psychotherapie, Neurologie. Tätig in der Ausbildung für tiefenpsychologisch fundierte und personzentrierte Psychotherapie.

Entstehungshintergrund

Jobst Finke war langjähriger Oberarzt an der psychiatrischen Universitätsklinik in Essen und dort Weiterbildungsbeauftragter. Diese intensive Erfahrung und die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Ansätzen der Psychotherapie prägen auch dieses Buch. Jobst Finke ist als Ausbilder der Ärztlichen Gesellschaft für Gesprächstherapie (ÄGG) auch intensiv vertraut mit den Auseinandersetzungen um die – bis heute nicht erfolgte – Anerkennung des personzentrierten Ansatzes als kassenrechtlich anerkanntes Psychotherapieverfahren.

Aufbau und Inhalt

Beim Aufbau des Buches bildet die therapeutische Auseinandersetzung mit einigen zentralen Gefühlen wie Angst, Ärger und Wut, Trauer und Depressivität, Scham und Schuld den zentralen Bereich. Die Begrenzung der Auswahl ergibt sich nach Darstellung des Autors (Seite 13) durch die besondere Belastung, die Klient:innen der Psychotherapie in diesen Bereichen erfahren.

Nach dem Vorwort folgt in Kapitel 1 zunächst eine Darstellung des „emotionszentrierten Ansatzes“. Hier werden zunächst zentrale Aussagen des personzentrierten Ansatzes zur Bedeutung von Gefühlen und zum Umgang mit Funktionen und Dysfunktionen verknüpft mit therapeutischen Überlegungen und Begriffen nicht nur aus dem personzentrierten Bereich. Begriffe wie u.a. Abwehr, Schema, maladaptive Emotionen werden zu personzentrierten Begriffen wie Inkongruenz in Beziehung gesetzt.

In Kapitel 2 steht Angst im Mittelpunkt, in Kapitel 3 Ärger, Wut, Zorn und Hass, in Kapitel 4 Trauer und Depression, in Kapitel 5 Scham und in Kapitel 6 Schuldgefühle. In allen Kapiteln gibt es einen gleichartigen Aufbau. Zunächst geht es um das „Erscheinungsbild“ des thematisierten Gefühls, danach um den „Anlass“, danach um die „Funktionen“. Darauf folgt regelmäßig eine differenzierte Darstellung, wie diese Gefühle im Erlebensprozess mit anderen Gefühlen vernetzt sind. Dies führt in allen Kapiteln zur Erörterung der „Therapiepraxis“, in der es zunächst um die „Identifizierung, Differenzierung und Amplifizierung expliziter Gefühle“ geht, dann um das „evozieren und legitimieren abgewehrter Bedürfnisse und Gefühle“.

Im Kapitel 7 schließlich stehen noch einmal Begriffe wie Abwehr, Nichtbewusstes und empathisches Verstehen im Mittelpunkt, wobei hier Rogers mit seinen zum Teil naiv anmutenden Vorstellungen zur Einfühlung der/s Therapeutin/en und die Diskussion seiner Widersprüchlichkeiten Platz findet.

Das Buch endet mit einer umfangreichen Literaturangabe und einem hilfreichen Sachregister. Interessierte Leser:innen mit dem Wunsch nach präzisen Zitatangaben werden – selten – bei einigen Quellen auf die Schwierigkeit stoßen, dass Seitenangaben weder in der Zitation auf der Seite noch im Literaturverzeichnis aufgeführt werden

Diskussion

Angesichts des Titels und des Umfangs von nur 156 Seiten habe ich mich zunächst einmal gefragt, ob der im Titel skizzierte Anspruch überhaupt umgesetzt werden kann. Und in der Tat ist es gelungen.

Besonders hervorzuheben sind dabei meines Erachtens drei Besonderheiten: Zum einen gelingt es, im durchgängigen Vergleich von personzentrierten mit schematherapeutischen bzw. emotionsfokussierten Herangehensweisen in der Therapie Verbindungen bis zu Gleichartigkeiten überzeugend zu entwickeln und darzustellen. Gleichzeitig wird auf Unterschiede angemessen eingegangen. Angesichts der auch von mir erlebten jahrzehntelangen Auseinandersetzung zwischen therapeutischen Schulen habe ich diese Darstellung von „konzeptueller Nähe“ (S. 11) und durchaus auch in vergleichbare Handlungsstrategien mündenden Überlegungen als außerordentlich wohltuend erlebt.

Zum anderen ist die bereits beschriebene gleichartige Struktur bei der Darstellung der unterschiedlichen Gefühlsbereiche hilfreich, da sie letztlich die strukturelle Ähnlichkeit der Vorgehensweise auch bei unterschiedlichen Gefühlsbereichen klärt und betont. Therapie und Beratung sind – vor allem in der personzentrierten Auffassung – natürlich immer auch einzigartig und am individuellen Erlebensprozess des Klienten orientiert. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass die skizzierten strukturellen Gleichheiten in der Wahrnehmung und Analyse der Problematik vor allem in der Ausbildung hilfreich erlebt werden. Der Anspruch absolut gesetzter Individualität in Beratung und Therapie kann leider auch zur Überforderung führen.

Besonders überzeugend in diesem Zusammenhang sind die zahlreichen Praxisbeispiele, angesichts der beruflichen Erfahrung des Autors keineswegs überraschend. Die deutlich werdende Vertrautheit mit unterschiedlichen Belastungen und Belastungsformen wird durch die Darstellung von Möglichkeiten des Umgangs ergänzt, die keinen absoluten Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit erheben. Natürlich beinhalten wörtliche Transkripte des Gesprächs in der Therapie immer das Risiko starrer Nachahmung. Sie werden aber in diesem Text durch didaktisch geschickt eingestreute Skizzen der Vorgehensweise und Reflektionen ergänzt, die erfreulicherweise Raum für individuelle Entwicklungschancen lassen.

Ich habe mich bei diesem Buch immer wieder an Veröffentlichungen von K. D. Grawe erinnert, der zwar nicht im Literaturverzeichnis genannt wird, aber in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ja u.a. auf die Identifizierung von therapieschulenübergreifenden – empirisch nachweisbar wirksamen – Interventionen und Techniken konzentriert war.

Fazit

Ein Buch, das im kompakten Format und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Quellen in der Entstehungstheorie problematischer Gefühlskonstellationen, aber auch in den Überlegungen zum therapeutischen Umgang damit eine wertvolle Grundlage für Praktiker:innen in Therapie und Beratung sein kann. Dies schließt noch in der Ausbildung befindliche Personen genauso ein wie erfahrene Anwender:innen.

Rezension von
Gerd Schweers
Dipl.-Soz.Päd.
Grundlagen methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit, Personenzentrierter Ansatz, Systemische Handlungsansätze, Supervision
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Es gibt 2 Rezensionen von Gerd Schweers.

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Zitiervorschlag
Gerd Schweers. Rezension vom 08.05.2024 zu: Jobst Finke: Das Netzwerk der Gefühle. Personzentrierte Emotionspsychologie in Psychotherapie und Beratung. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2023. ISBN 978-3-497-03152-8. Reihe: Personzentrierte Beratung & Therapie - 18. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30823.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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