Joachim Merchel: Handbuch Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD)
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 17.11.2023
Joachim Merchel: Handbuch Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD). Ernst Reinhardt Verlag (München) 2023. 4. Auflage. 511 Seiten. ISBN 978-3-497-03221-1. 59,90 EUR.
Thema
Das mediale Interesse am Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) ist immer dann groß, wenn über Fälle der Kindesvernachlässigung berichtet wird. In der Fachliteratur wird der ASD selten als Ganzes in den Blick genommen. Dieses Handbuch stellt umfassend und differenziert das Fachwissen zum ASD, seine Aufgabenbereiche und Handlungsansätze dar: rechtliche Grundlagen, verschiedene Organisationsformen und Methoden, Qualitätsentwicklung und Personalmanagement. Arbeitsweisen, wie z.B. Hilfeplanung, Case Management, Hausbesuche und die Einschätzung von Risiken bei Kindeswohlgefährdung werden ausführlich behandelt. „Das vorliegende Handbuch stellt den Wissensstand über den ASD zusammenfassend, aber auch dem Gegenstand angemessen differenziert dar und erörtert und begründet auf dieser Basis die Entwicklungsperspektiven des ASD. Die in diesem Buch dargelegten Aspekte sind für das Verständnis der Institution ASD, ihre Handlungsweisen und Entwicklungsperspektiven bedeutsam: Geschichte, Organisation/​Organisationsformen, gesetzliche Anforderungen und Aufgabenbereiche, gesellschaftliche und sozialpolitische Einbindung, Konzepte und methodische Handlungsweisen, Qualitätskriterien und Qualitätsentwicklung“ (S. 5 f.) heißt es dazu in der Einführung.
Autor
Prof. i.R. Dr. Joachim Merchel lehrte an der FH Münster im Bereich „Organisation und Management in der Sozialen Arbeit“. Er ist einer der profiliertesten Wissenschaftler im Bereich ASD. Unterstützt wurde er bei diesem Buch von einer Vielzahl von Autor*innen aus Forschung, Lehre und Praxis.
Entstehungshintergrund
Es handelt sich um die vierte Auflage des bewährten Handbuchs zum Allgemeinen Sozialen Dienst. Wie in den Vorauflagen auch, richtet sich das Buch sowohl an Studierende und Lehrende der Sozialen Arbeit als auch an bereits im Beruf stehende Fachkräfte. Die erste Auflage erschien bereits 2012. Die einzelnen Beiträge des Handbuchs sind aktualisiert worden. Einige Beiträge hatten keinen oder nur einen geringen Aktualisierungsbedarf, andere Beiträge bedurften einer weitergehenden Überarbeitung. Die rechtlichen Neuerungen durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz wurden berücksichtigt. Zwei Kapitel sind gegenüber der dritten Auflage stark verändert bzw. neu geschrieben worden: Zum einen ist das Kapitel 25 „Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien“ von Wolfgang Tenhaken und zum anderen Kapitel 27 „ASD im Kontext kommunaler Sozialpolitik“, das Joachim Merchel selbst beigesteuert hat. Die Erfahrungen in der Corona-Pandemie und die schnellen Weiterentwicklungen im IT-Bereich erforderten eine etwas umfassendere Bearbeitung des Beitrages von Wolfgang Tenhaken. Das Kapitel zur Bedeutung der kommunalen Sozialpolitik für den ASD musste neu verfasst werden, weil der vorherige Autor seinen Beitrag zurückgezogen hat.
Aufbau und Inhalt
38 Kapitel auf acht Abschnitte verteilt sowie eine ausführliche Einleitung durch den Herausgeber, ein fast 30-seitiges Literaturverzeichnis sowie ein Verzeichnis der Autor*innen und ein Sachregister bilden das Grundgerüst dieses Handbuchs.
- Im ersten Teil wird eine geschichtliche Einordnung des ASD vorgenommen, die einen historischen Zugang ermöglichen soll zum Verstehen aktueller organisationsbezogener, sozialpolitischer und methodischer Fragestellungen zum ASD.
- Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem Organisationscharakter des ASD. Hier geht es um grundlegende Organisationsentscheidungen zur Verortung des ASD in der Kommunalverwaltung sowie um Fragen der Organisationsgestaltung innerhalb des ASD: um Organisationsstrukturen und Organisationskulturen, in denen sich die Leistungserstellung im ASD ereignet, und um Anforderungen an Teamgestaltung und an Steuerung durch Leitung.
- Der dritte Teil thematisiert die gesetzlichen Aufgabenbereiche des ASD und Regelungen für die Arbeit des ASD im Sozialgesetzbuch. Es werden aus den einzelnen Rechtsbereichen diejenigen gesetzlichen Grundlagen dargelegt und erläutert, die für eine Tätigkeit des ASD von Bedeutung sind und in denen sich Anforderungen an den ASD dokumentieren.
- Der vierte Teil ist der umfangreichste des Handbuchs und unterteilt in zwei Abschnitte: Erläuterungen zu generellen methodischen Orientierungen, die in allen Handlungsfeldern des ASD eine prägende Bedeutung haben (sollten), und Erörterungen zu spezifischen Handlungsfeldern mit ihren jeweiligen methodischen Anforderungen. Es werden die methodischen Anforderungen gekennzeichnet, die sich an die Akteure im ASD richten. Im Anschluss daran erfolgt eine Darstellung der Verfahren, in denen diese Anforderungen bearbeitet werden, sowie Konstellationen erläutert, die die Umsetzung der methodischen Anforderungen als schwierig und fachlich herausfordernd erscheinen lassen.
- Im fünften Teil des Handbuchs steht der ASD in seiner Einbindung in die kommunale Infrastruktur im Mittelpunkt. Der ASD übernimmt eine Funktion in der kommunalen Sozialpolitik, und als Teil des Jugendamtes beteiligt er sich an Aufgaben der Jugendhilfeplanung. Der ASD bewegt sich in der kommunalen Infrastruktur und wirkt als Gestaltungsakteur durch seine vielfältigen Kooperationsbezüge mit anderen Organisationen innerhalb und außerhalb der Jugendhilfe sowie durch seine Einflussnahme auf die Entwicklungsdynamiken in Sozialräumen.
- Die Bedeutung der Mitarbeiter, die spezifischen Belastungspotenziale der ASD-Tätigkeit und die daraus folgenden Anforderungen an das Personalmanagement im ASD sind Gegenstand des sechsten Teils. Die Thematisierung von Personalmanagement-Aufgaben in einem eigenen Handbuch-Teil soll die zentrale strategische Bedeutung dieses in der Vergangenheit zumeist vernachlässigten Aspekts in der Steuerung des ASD hervorheben.
- Im siebten Teil des Handbuchs wird ein Problemkomplex bearbeitet, der insbesondere in den Debatten zum Kinderschutz ins Bewusstsein getreten ist, der aber in der Diskussion „Jugendamt zwischen Dienstleistung und Kontrollbehörde“ schon lange eine Herausforderung darstellt: das schwierige Verhältnis zwischen Jugendamt und Öffentlichkeit bzw. die Probleme des Jugendamtes, ein angemessenes Bild oder ein angemessenes Image in der Öffentlichkeit zu erzeugen. Zu einem „guten ASD“ gehört auch, der Öffentlichkeit die elementaren Aufgaben und Handlungsweisen adäquat zu vermitteln und somit ein Bild des ASD zu erzeugen, das eine generelle Akzeptanz des ASD sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei potenziellen Leistungsadressaten ermöglicht.
- Der abschließende achte Teil widmet sich den Entwicklungsperspektiven des ASD und damit zum einen der Frage, was einen „guten ASD“ ausmacht, also der Frage nach den Qualitätskriterien, die in den Beiträgen des Handbuchs bereits zum Ausdruck gebracht wurden und die abschließend zu einem Gesamtbild zusammengeführt werden, und zum anderen den Verfahrensweisen, mit deren Hilfe sich ein ASD lernbereit und entwicklungsfähig halten kann, durch die er sich also gleichermaßen als eine verlässlich handelnde, kalkulierbare wie auch lernfähige und entwicklungsoffene Organisation erweisen kann, die Qualität nicht nur „absichert“, sondern als kontinuierlichen Entwicklungsprozess begreift und gestaltet. Ferner wird in einem Ausblick die Frage nach dem künftigen fachlichen und fachpolitischen Profil des ASD angesprochen.
Diskussion
Über ein Kilo bringt dieses Handbuch auf die Waage – kein Wunder, sind es doch fast 500 Seiten, die inhaltlich tief in die Materie der ASD-Arbeit einführen. Ein ganz großes Plus dieser Neuauflage neben der unveränderten Qualität auf höchstem Niveau, dass Herausgeber Joachim Merchel in seiner Einführung die Veränderungen zur Vorauflage skizziert. Umfangreicher kann man die anspruchsvolle Arbeit im ASD und ihre Rahmenbedingungen nicht darstellen. Dass dabei auf den ersten Blick auch vermeintliche Nebenschauplätze wie ASD und Gendern oder die historische Entwicklung des Konstrukts ASD betrachtet werden, zeigt die große inhaltliche Tiefe, die dieses Handbuch schon seit der ersten Auflage ausmacht. Die Texte sind alle auf einem fachlich und sprachlich hohen Niveau, was es gerade für Studierende sicherlich teilweise anspruchsvoll macht, die Inhalte komplett zu erfassen. Hervorzuheben ist die auch optisch bemerkenswert angenehme Strukturierung, die es den Leser*innen leicht macht, genau das zu finden, was benötigt wird. Natürlich sind 59 Euro für ein Buch eine Menge Geld, aber hier ist jeder Cent auf dem Weg das eigene Wissen und Können zu optimieren gut angelegtes Geld.
Grundlagenwerk nennt der Verlag dieses Buch – und selten war Werbung wohl so zutreffend wie in diesem Fall. Wer sich theoretisch oder ganz praktisch im Arbeitsalltag mit dem Bereich ASD auseinandersetzt, kommt auch an der vierten Auflage nicht vorbei.
Fazit
„Das Handbuch ist ein zuverlässiger Begleiter für LeiterInnen und Fachkräfte im ASD, Führungskräfte in Jugend- und Sozialämtern, DozentInnen und Studierende der Sozialen Arbeit. Es ist sowohl für die Arbeit im Jugendamt oder in der Jugendhilfe als auch im Studium unverzichtbar!“, wirbt der Verlag weiter – und das kann auch unwidersprochen so übernommen werden.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 17.11.2023 zu:
Joachim Merchel: Handbuch Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD). Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2023. 4. Auflage.
ISBN 978-3-497-03221-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30824.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.
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