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Petra Holler: Borderline

Rezensiert von Prof. Dr. Carsten Rensinghoff, 13.06.2024

Cover Petra Holler: Borderline ISBN 978-3-8379-3209-6

Petra Holler: Borderline. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2023. 140 Seiten. ISBN 978-3-8379-3209-6. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.
Reihe: Analyse der Psyche und Psychotherapie.

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Thema

Die Autorin befasst sich in ihrer Veröffentlichung mit der Geschichte des psychoanalytischen Borderlinekonzepts.

Autorin

Petra Holler ist Diplompsychologin und beschäftigt sich seit Mitte der 1990er Jahre mit dem Thema Borderline.

Aufbau

  • Zur Geschichte des Borderlinekonzepts
  • Allgemeine Grundlagen und Ziele der Psychotherapie

Inhalt

Die Vorläufer des Borderline sind auf das 19. Jahrhundert zu datieren. So verfasste 1835 der Arzt und Ethnologe James Cowles Prichard einen Aufsatz zum moralischen Schwachsinn. Diese klinisch-deskriptive Darstellung kann als Vorläufer des modernen Borderlinekonzepts angesehen werden. Im Vordergrund steht bei Prichard der verdorbene, unberechenbare und exzentrische Charakter, der in das Ausführen von Straftaten mündet.

Für August Eichhorn waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Delinquenz, Triebenthemmung und Aggression bei Kindern und Jugendlichen Anzeichen für Verwahrlosung, die sich in unterschiedlichen Verhaltensauffälligkeiten zeigte. Auch diese Erkenntnis führte u.a. zu Borderline.

In der Entwicklung eines Borderlinekonzepts ist Melanie Klein eine wichtige Figur. Von Beginn an interessierte sich Klein für die frühkindlichen Ängste, samt ihrer Entstehungsbedingungen. Eine hohe Bedeutung hatten die Themen Aggression und Angst.

Bei der Darstellung der allgemeinen Grundlagen und Ziele der Psychotherapie widmet sich Holler zunächst dem zentralen psychischen Integrationsschritt von Borderlinetherapien, also dem Erreichen der depressiven Position. Dieser zentrale Integrationsschritt ist die Erkenntnis, „dass aggressive Impulse sowie schlechte Gefühle und Gedanken allgemein aus dem eigenen Selbst stammen können“ (S. 84).

Dass das Verhalten anderer Menschen als böse und Angriff bewertet wird, ist in einer hohen Krankheitsneigung und Ablehnungssensibilität begründet. Dazu kommt es zu einer geringen Frustrationstoleranz. Der Andere wird so zum Feind.

Für die Psychotherapie ist die projektive Identifikation ein notwendiger Behandlungsbestandteil, denn „häufig sind bereits die frühen familiären Interaktionen von Borderlinepatienten von exzessiven projektiv-identifikatorischen Regulationsschleifen geprägt“ (S. 102). Die Folgen sind kommunikative Entgleisungen sowie verbale und körperliche Gewalt. Das Hinzuziehen von Bezugspersonen in die Behandlung kann den Therapieerfolg fördern.

Um Borderline bei den Betroffenen zu verstehen, ist das Konzept der Deutung nützlich. Die Basis des Konzepts der Deutung ist die Bibelexegese. Bei Letztgenanntem handelt es sich um ein deutungswissenschaftliches Vorgehen. Das Konzept der Deutung ist darauf ausgerichtet, das Unverständliche in der Kommunikation des Borderline-Betroffenen gewissermaßen zu übersetzen und das Unbewusste zu entschlüsseln.

Um die Behandlungstechnik des Borderline zu modifizieren, ist ein regressionsförderndes Setting nützlich. Dieses Setting bringt die Betroffenen mit frühkindlichen Ängsten in Kontakt. Diese Ängste sollen von eben diesen Betroffenen durchgearbeitet werden. Auf diese Weise wird der neurotisch eingeengte Leidensdruck durch mehr psychische Flexibilität abgelöst. Dieses Vorgehen fußt auf der Erkenntnis, dass die Selbststeuerung bei schweren Persönlichkeitsstörungen beeinträchtigt ist.

Reflexionsfähigkeit soll mit der Zeit ein destruktives Agieren „in der äußeren Realität sowie in der Übertragungsbeziehung“ (S. 123) ablösen.

Unter Fremdeln in der Aggression versteht Petra Holler eine „Form des potenziell chronischen Gegenübertragungswiderstands in der therapeutischen Arbeit mit Borderlinepathologien“ (S. 130).

Erreicht werden soll durch die Behandlung des Borderline, dass abgespaltene und dissoziierte Selbst- und Objektanteile sowie paranoid-schizoide Ängste so integriert werden, „dass die Getrenntheit von Selbst und Objekt ertragen werden kann, ohne dass Verfolgungs- und Verlustängste überhandnehmen und destruktiv abgewehrt/​agiert werden müssen oder aber zum psychischen Stillstand führen“ (S. 134 f.).

Diskussion

Bei der Lektüre dieser Publikation zeigt sich die Nähe der Medizin zur Heilpädagogik. Letztere hat nichts mit Heilung, Genesung, Gesundung zu tun. Die Vorsilbe Heil- entstammt dem griechischen „holos“, was ganzheitlich, ganz meint. Die Heilpädagogik ist als eine ganzheitliche Pädagogik aufzufassen und somit ist die Nähe zur Medizin erklärbar. Was zeichnet diese Nähe nun aus: Das Konzept der Deutung beispielsweise, das Unverständliches aus der Lebenswelt der Betroffenen erklärbar macht, finden wir in der heilpädagogischen Diagnostik wieder. Hier wird der Behinderung, konkret dem Borderline, eine Geschichte gegeben. In der Heilpädagogik sprechen wir hier von einer re-historisierenden Syndromanalyse.

Fazit

Die Geschichte des Borderlinekonzepts betrachtend ist, wie im letzten Absatz aufgezeigt, nicht nur für die Medizin bedeutsam. Eine multiprofessionelle Sichtweise ist hierfür notwendig und wichtig. Für die Heilpädagogik und die Heilmittelerbringer, die sich mit Menschen im Zustand des Borderlines befassen, ist die Lektüre der besprochenen Publikation zu empfehlen.

Rezension von
Prof. Dr. Carsten Rensinghoff
Hochschullehrer für Heilpädagogik und Inklusive Pädagogik an der DIPLOMA Hochschule
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Es gibt 181 Rezensionen von Carsten Rensinghoff.

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Zitiervorschlag
Carsten Rensinghoff. Rezension vom 13.06.2024 zu: Petra Holler: Borderline. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2023. ISBN 978-3-8379-3209-6. Reihe: Analyse der Psyche und Psychotherapie. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30853.php, Datum des Zugriffs 14.12.2024.


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