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Jutta Kienbaum (Hrsg.): Die Entwicklung von Mitgefühl

Rezensiert von Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner, 24.10.2023

Cover Jutta Kienbaum (Hrsg.): Die Entwicklung von Mitgefühl ISBN 978-3-17-041844-8

Jutta Kienbaum (Hrsg.): Die Entwicklung von Mitgefühl. Von der frühen Kindheit bis in das hohe Alter. Verlag W. Kohlhammer (Stuttgart) 2023. 202 Seiten. ISBN 978-3-17-041844-8. 36,00 EUR.

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Thema

„Mitgefühl ist eine zwischenmenschliche Emotion, die für unser soziales Miteinander von zentraler Bedeutung ist. Ziel des Buches ist es, auf Grundlage von Forschungsergebnissen einen verständlichen Einblick in die Entwicklung des Mitgefühls und der Faktoren, die hiermit in Zusammenhang stehen, zu geben, beginnend mit der frühen Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter betrachtet“ (aus dem Klappentext).

Die Herausgeberin

Prof. Dr. Jutta Kienbaum, Dipl.-Psych., lehrt Entwicklungspsychologie an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe.

Aufbau und Inhalt

Das Buch enthält neun Kapitel.

Im ersten einführenden Kapitel klärt Jutta Kienbaum Begrifflichkeiten, gibt eine begriffsgeschichtliche Einordnung, grenzt z.B. Empathie, Einfühlungsvermögen, Gefühlsansteckung voneinander ab, beschreibt als mögliche Folgen von Empathie Mitgefühl, Unbehagen und Schadenfreude, und stellt den Zusammenhang mit prosozialem Verhalten her.

Die folgenden fünf Kapitel sind jeweils spezifischen Lebensaltern zugeordnet. Markus Paulus beginnt mit dem Säuglings- und Kleinkindalter. Er stellt die Modelle von Hoffman, Bischof-Köhler und Davidov et.al. vor, die sich u.a. dadurch unterscheiden, welche Bedeutung sie der Selbst-Andere-Unterscheidung beimessen und präsentiert dazu empirische Befunde. Er bespricht Bindung und Temperament als mögliche Quellen individueller Unterschiede in der frühen Entwicklung von Mitgefühl.

Das Mitgefühl bei Zwei- bis Dreijährigen ist der Alterszeitraum, mit dem sich Miriam Sarah Zorzi beschäftigt. In diesem Alterszeitraum kann die Fähigkeit zu Mitgefühl vorausgesetzt werden, die weitere Entwicklung wird kontrovers diskutiert. Zorzi präsentiert die Ergebnisse einer Südtiroler Studie, in der bei 64 Zwei- bis Dreijährigen der Einfluss von Alter, Geschlecht, Temperament (Schüchternheit) und Vertrautheit (Mutter vs. Erzieherin) untersucht wurde.

Jutta Kienbaum thematisiert die Entwicklung von Mitgefühl in der Kindheit (ca. 3 bis 11 Jahre). Für die Entstehung individueller Unterschied geht sie von einer biologischen Prädisposition aus, die durch Sozialisationseinflüsse (u.a. die Feinfühligkeit und Responsivität der Bezugspersonen) ausgeformt wird, aber auch beeinflusst von Temperamentdimensionen wie Schüchternheit oder Aggressivität. Sie berichtet Ergebnisse der Südtiroler Längsschnittstudie, die mit 85 Kindern im Alter von 5 bis 7 Jahren, also im Übergang vom Kindergarten in die Grundschule, durchgeführt wurde. Es zeigte sich eine Zunahme mitfühlenden Verhaltens, moderiert durch die genannten Persönlichkeits- und Umweltfaktoren.

Der nächste Altersabschnitt umfasst das Jugendalter. In der Adoleszenz finden große biologische, psychologische und soziale Veränderungen statt. Wie sich diese auf die Entwicklung von Mitgefühl auswirken, thematisieren Cordelia Volland und Aurelia Volland. Sie stellen den Forschungsstand dar, besprechen den Einfluss von Alter, Geschlecht und anderen Entwicklungsbereichen. Anschließend konzeptionalisieren sie „Selbstmitgefühl“ und stellen die Ergebnisse einer eigenen Studie vor und diskutieren sie kritisch.

Im sechsten Kapitel beschäftigen sich Ute Kunzmann und Cornelia Wieck unter der Perspektive der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne mit der Entwicklung von Mitgefühl im Erwachsenenalter und (hohen) Alter. Sie diskutieren verschiedene theoretische Modelle (sozioemotionale Selektivitätstheorie, das Strength and Vulnerability Integration Modell und die diskrete Emotionstheorie affektiven Alterns) und diskutieren sie vergleichend.

Die nächsten beiden Kapitel widmen sich altersübergreifenden Betrachtungen. Die bisherige Forschung hat den primären Fokus auf westlichen Industrienationen. Deshalb fragt Gisela Trommsdorff, wie in anderen Kulturen Mitgefühl sich entwickelt und wirksam wird. Da die Entwicklung von Mitgefühl mit der Entwicklung des Selbst zusammenhängt, werden Kulturen mit interdependentem Selbstkonzept und mit independentem Selbstkonzept unterschieden. Sie arbeitet die Bedeutung einer kulturspezifischen Sozialisation, der damit verbundenen Sensitivität der Mutter, die proaktiv (eher bei interdependenten Kulturen) und reaktiv (independente Kulturen) sein kann, und der Bindungstheorie heraus. Anschließend berichtet sie Ergebnisse einer Vielzahl von eigenen Studien.

In einem relativ kurzen Kapitel greift Joscha Kärntner nochmals einige ausgewählte Aspekte auf, vor allem in Hinblick wie Mitgefühl als Motiv prosozialen Verhaltens sich im Laufe der Entwicklung qualitativ verändert.

Abschließend fasst die Herausgeberin die zentralen Ergebnisse und Schlussfolgerungen der vorangehenden Kapitel nochmal zusammen und gibt einen Ausblick auf zukünftig notwendige Forschung.

Diskussion

Das Buch gibt einen guten Überblick über Konzepte und Modelle zur Entwicklung von Empathie und Mitgefühl. Es wird der aktuelle Forschungsstand zusammengefasst und auch Ergebnisse eigener Studie der Autor*innen berichtet und kritisch diskutiert. Hilfreich für die Einordnung ist auch jeweils der Hinweis auf Forschungsdefizite und zukünftige Forschungsdesigns. Da dies in den jeweiligen Kapiteln erfolgte, wirkt das zusammenfassende neunte Kapitel an manchen Stellen etwas redundant.

Zielgruppen

Studierende, Lehrende und Forschende der Entwicklungspsychologie, Praktiker*innen in entsprechenden Bereichen

Fazit

Das Buch befasst sich mit der Entwicklung von Mitgefühl über die gesamte Lebensspanne. Es gibt einen guten Überblick über theoretische Modelle, wichtige Einflussfaktoren für individuelle Unterschiede werden besprochen, aktuelle Forschungsergebnisse kritisch dargestellt und auf Forschungsdefizite hingewiesen. Ein interessantes und informatives Buch.

Rezension von
Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
ehem. Leiter der Interdisziplinären Frühförderstellen in Dorfen, Erding und Markt Schwaben im Einrichtungsverbund Steinhöring
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Es gibt 192 Rezensionen von Lothar Unzner.

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Zitiervorschlag
Lothar Unzner. Rezension vom 24.10.2023 zu: Jutta Kienbaum (Hrsg.): Die Entwicklung von Mitgefühl. Von der frühen Kindheit bis in das hohe Alter. Verlag W. Kohlhammer (Stuttgart) 2023. ISBN 978-3-17-041844-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30857.php, Datum des Zugriffs 11.12.2023.


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