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Verena Klomann, Angelika Schmidt-Koddenberg (Hrsg.): Studienpionier:innen

Rezensiert von Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker, 29.04.2024

Cover Verena Klomann, Angelika Schmidt-Koddenberg (Hrsg.): Studienpionier:innen ISBN 978-3-658-40639-4

Verena Klomann, Angelika Schmidt-Koddenberg (Hrsg.): Studienpionier:innen und Soziale Arbeit: Motive, Herausforderungen und gesellschaftliche Konsequenzen. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2023. 255 Seiten. ISBN 978-3-658-40639-4. D: 60,74 EUR, A: 66,81 EUR, CH: 72,00 sFr.

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Entstehungshintergrund und Thema

Der vorliegende Band beinhaltet erziehungs- und sozialwissenschaftlich gerahmte empirische Ergebnisse aus den Projekten „Studienpionier*innen: Wege ins Studium – individuelle und gesellschaftliche Herausforderungen“, (2015 bis 2019) und „(First Generation) Studierende begleiten: Teilhabe durch Kompetenzstärkung“ (FIGEST) (2019-2022), die an den Fachbereichen Sozialwesen der Standorte der Katholischen Hochschule (katho) NRW durchgeführt wurden. Ferner wurden förderliche Rahmenbedingungen für die Studienpionier:innen identifiziert, die der professionellen und disziplinären Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit dienen.

Herausgeberinnen und Autor:innen

Prof. Dr. Verena Klomann bekleidet im Fachbereich Soziale Arbeit an der Hochschule Darmstadt die Professur für Theorien der Sozialen Arbeit und forscht u.a. zur Professionalisierung und Professionalität Sozialer Arbeit. Prof. Dr. Angelika Schmidt-Koddenberg war bis 2021 Professorin für Soziologie an der katho NRW, Abt. Köln mit Arbeitsschwerpunkten u.a. zu Gender, sozialer Ungleichheit und Berufswahlorientierung/​Bildungsaufstieg. Die Herausgeberinnen waren Projektleiterinnen.

Die Autor:innenschaft setzt sich zusammen aus Kolleg:innen der katho NRW aus den Standorten Aachen (Prof. Dr. Dominik Farrenberg, Prof. Dr. Petra Ganß, Prof. Dr. Marianne Genenger-Stricker, Dr. Julia Breuer-Nyhsen), Köln (Prof. Dr. Michael Hermes, Prof. Dr. Annette Müller, Prof. Dr. Karla Verlinden, Prof. Dr. Sebastian Wen) und Münster (Prof. Dr. Brigitte Hasenjürgen) mit inhaltlicher Verantwortung oder Affinität zu den o.g. Projekten sowie für verschiedene Teilbereiche wissenschaftlich Mitarbeitende (Lea Bagert, Isabel Frisch, Miriam Gast-Hilkenberg, Lorenz Grumbach, Isabelle Illig, Judith Löbbert, Anna und Mila Zeien) und Expertinnen aus anderen Universitäten (Dr. Kathrin Petzold-Rudolph, Magdeburg, Teresa Frank, Köln) sowie Dr. Miriam Lotze, Karg-Stiftung Frankfurt/M. und Can Keke von ArbeiterKind.de.

Aufbau und Inhalt

Die 22 Einzelbeiträge des Buches sind vier Abschnitten zugeordnet. Nach dem Inhaltsverzeichnis sind Angaben zu den 23 Autor:innen eingefügt.

Teil I Einführung in die Thematik und den Sammelband umfasst den Aufsatz der Herausgeberinnen „Studienpionier:innen und Soziale Arbeit. Zur Bedeutung von Bildungsungleichheiten und Bildungsaufstieg für das Studium der Sozialen Arbeit“ (S. 3–27), in welchem sie die „Bildungsexpansion und die ungleiche Bildungsbeteiligung in Deutschland“ (S. 4) ausdifferenzieren (z.B. Ausbau der Hochschulen, wachsende Studierendenzahlen, Relevanz soziodemografischer Faktoren), die „soziale Heterogenität als Herausforderung für das Hochschulsystem“ (S. 12) thematisieren und Interventionen präsentieren sowie die Situation im Studiengang Soziale Arbeit mit Fokus auf die katho NRW explizieren. Kurze Inhaltsangaben zu allen Aufsätzen schließen den Beitrag ab.

Teil II Theoretische und empirische Erkenntnisse zu Bildung, Bildungsungleichheit und akademischem Aufstieg (S. 28–135) sind fünf Beiträge zugeordnet.

Mit dem Beitrag „Bildung ist (k)ein Chamäleon!?“ (S. 31–49) eröffnet Dominik Farrenberg einen fundierten kritischen Einblick in „sozialisations-, bildungs- und regierungstheoretisch informierte Reflexionen zum Bildungsbegriff“ (S. 31) und extrapoliert jeweils die Chancen von Bildung zur Nivellierung von sozialer Ungleichheit, aber auch ihr Auftreten als „Symbol der Distinktion“ (S. 32) und damit einer stratifizierenden Wirkung. Der Autor exemplifiziert die theoretischen Ausführungen an Textpassagen der Autobiografie „Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon, der den Protagonisten eines Studienpioniers darstellt. Mit der Entfaltung der Thematiken von Herkunftseffekten, Anpassungsproblemen, Bildungsaspirationen, Berufsaussichten, Selbstbildung sowie Beschränkung und Berechtigung umreißt er den Kern der Themen, die den Band bestimmen.

Michael Hermes, Miriam Lotze & Kathrin Petzold-Rudolph stellen erste Ergebnisse „familiärer Bildungsorientierungen von First Generation Studierenden“ (S. 51) aus dem Projekt „famBO – familiäre Bildungsorientierungen“ vor (S. 51–69). In zehn narrativen Einzelinterviews wurden Studierende aus den Studiengängen Lehramt an berufsbildenden Schulen und Soziale Arbeit befragt, die als klassische Bildungsaufstiegsstudiengänge gelten. Bildungsentscheidungen werden maßgeblich im familiären Binnenraum getroffen, weswegen die intergenerationelle Beeinflussung besonders unter die Lupe genommen wurde. Anhand von drei Fallportraits werden schulische, berufliche und hochschulische Bildung skizziert und jeweils der berufsbezogene Habitus rekonstruiert. Die Studie verdeutlicht die Relevanz der familiären Sozialisation, wie sie sich u.a. in der Empfehlung einer Berufsausbildung als praktische Erfahrung, in den finanziellen Abwägungen, aber auch in der Gewinnung von Autonomie niederschlägt.

In „Bildung in der postmigrantischen Gesellschaft“ (S. 71–87) wirft Brigitte Hasenjürgen einen „ungleichheitsorientierten Blick auf ausgewählte empirische Befunde“ (S. 71), wobei sie vor allem die Menschen mit eigener und/oder familiärer Migrationsgeschichte betrachtet, weil sich unter ihnen viele Studienpionier:innen befinden. Nachdem die Autorin nachgezeichnet hat, wie sich die „Bildungsunterschiede entlang der sozialen Herkunft“ (S. 74) bis zum Erwachsenenalter durchziehen („class counts more than migration“ (S. 74)) fokussiert sie sich auf die „postmigrantische Hochschule“ (S. 76) und stellt fest, dass innerhalb der migrantischen Studierenden die Differenzen entlang der sozialen Herkunft, dem Bildungsniveau und den finanziellen Ressourcen der Eltern verlaufen. Als beeinträchtigend moniert sie, wie wenig differenziert in der Erfassung der Migrationsgeschichte vorgegangen wird und in wie vielen Fällen Effekte auf mentale Hürden zurückzuführen sind. Deshalb formuliert sie „Überlegungen für eine rassismuskritische Bildungsforschung“ (S. 82), die sich für Bildungsprozesse und nicht nur für -ergebnisse interessiert und intersektionale Perspektiven aufgreift.

Angelika Schmidt-Koddenberg & Annette Müller fassen Ergebnisse einer qualitativen Studie zu „Wege[n] von Studienpionier:innen im Studiengang Soziale Arbeit“ (S. 89–112) zusammen. Ihr Fokus liegt auf der Einordnung auf Basis der Bedeutung des Habitus und der Identitätskonstruktionen und psychosozialen Kompetenzen für den Bildungsverlauf und der erforderlichen Transformationsanforderungen. Als Erkenntnisse können festgehalten werden: a) Eltern bekräftigen die Studienabsicht, verweisen aber auf ihr Unvermögen einer aktiven Unterstützung, b) es existieren zahlreiche psychosoziale Herausforderungen (nicht vorhandener Überblick über Angebote, fehlende Entscheidungsunterstützung, Freiheit im Studium), c) zu den individuellen Bewältigungsstrategien gehören die zahlreichen praktischen Vorerfahrungen. Aus den Resultaten leiten die Autorinnen Handlungsbedarfe für Studieneinstieg, -verlauf und Übergang in den Beruf ab, wie sie detailliert in Teil III beschrieben werden.

Sebastian Wen, Teresa Frank, Isabel Frisch & Karla Verlinden präsentieren Ergebnisse einer vergleichenden Analyse zum „Bildungsaufstieg und [zur] Professionalitätsorientierung von Studierenden der Sozialen Arbeit“ (S. 113–134) für den Zeitraum vor und seit der Pandemie (2019 bis 2021). Im Wissen darum, dass die Anzahl an Studienpionier:innen in der Sozialen Arbeit an Fachhochschulen am höchsten ist und angesichts des Potenzials, das ein Studium der Sozialen Arbeit infolge der sicheren beruflichen Verwertungschancen mit sich bringt, haben die Autor:innen die Studienstruktur während der Pandemie analysiert (insgesamt 856 verwertbare Fälle) und die Studieneingangsbefragungen im FIGEST-Projekt während der Jahre 2019 bis 2021 auf Veränderungen untersucht. Dabei gehörte der starke Rückgang von eingeschriebenen First-Generation-Studierenden im Jahr 2020 zu den überraschenden Erkenntnissen, der sich u.U. mit kleineren sozialen Netzwerken aus Studienerfahrenen erklären lässt, aber auch mit Wissenschaftlichkeitserwartungen begründet werden kann.

Teil III Konzeptionelle Überlegungen und innovative Formate zur Kompetenzförderung und Unterstützung von Studienpionier:innen (S. 136–206) umfasst 13 kurze Beiträge.

Zu Beginn wird die Zielsetzung von FIGEST verdeutlicht: Es werden die Entwicklungsbedarfe der Hochschulen, den hohen Anteil an Studienpionier:innen insgesamt und an Frauen in den Studiengängen der Sozialen Arbeit zu erfassen und daraus entscheidungsklärende, studieneinführende, studienbegleitende, arbeitsmarkteinmündende und karrierebezogene Informations- und Beratungsangebote zu entwickeln, eruiert und wissenschaftlich begleitet. Der Status der „first generation“ kann aufgrund der besonderen biografischen Verläufe auch in höherem Alter zutreffen und als Gegebenheit auch dann vorliegen, wenn ein Elternteil ein Studium absolviert hat, aber nicht verfügbar ist.

Drei Beiträge konzentrieren sich auf „Angebote zur reflektierten Entscheidungsfindung für oder gegen ein Studium der Sozialen Arbeit“ (S. 149). Analog zum Dreischritt Informieren – Reflektieren – Entscheiden wurden Informationsvideos erstellt: Mit einer digitalen Vorlesungseinheit „Soziale Arbeit studieren“ wird den Mythen eines „Nebenbei-Studiums“ mit geringen Studienanforderungen begegnet, im zweiten Video erläutern Studierende die Studienstruktur. Zusätzlich gibt es ein angeleitetes halbtägiges Gruppenseminar zur Reflexion der Studienmotivation, flankiert von einem niedrigschwelligen Angebot von Peers (als Studienbotschafter:innen) über den Studienalltag und Online-Sprechstunden. Bei einwöchigen digitalen Hochschulinfotagen auf einer Lernplattform inklusive von Live-Konferenzen und sog. Xperience Days (vor Ort) mit Führungen, offenen Talkrunden, Treffen mit Studierenden und Alumni können weitere Fragen (z.B. zur Finanzierung, Hochschulstandort und Campus, Bewerbung u.a.m.) beantwortet werden. In der Konzeptionierung von FIGEST wurde zudem ein Peer-to-Peer-Kanal auf Instagram realisiert (FIGEST on INSTA). Dem Erfahrungsbericht ist zu entnehmen, dass sich (Erklär-)Videos und Storys als attraktiv und interaktionsanregend erwiesen haben. Die beabsichtigte Reichweite des komplett studentisch gesteuerten Kanals konnte mit erheblichem Aufwand erzielt werden.

In sechs Berichten steht die weitgehend mit dem Kooperationspartner Arbeiterkind.de projektbezogene Gestaltung der Studieneingangsphase im Zentrum: insbesondere das Ankommen im Studium (für alle Studierende), das Fremdheitserleben, die Entwicklung eines studentischen Selbstverständnisses, die Kontaktaufnahme mit Kommiliton:innen sowie studienorganisatorische Angelegenheiten. Aufgrund der Pandemie mussten viele Angebote nach dem Start im Wintersemester 2019/2020 im Sommmersemester 2020 in ein digitales Format transferiert werden. Die für Studienpionier:innen extraordinär wichtige Frage der Finanzierung des Studiums griffen die einmal im Jahr durchgeführten halbtägigen Seminare „How to … – Stipendienbewerbung“ auf. Die Interessent:innen erhielten nicht nur einen Überblick über die Vielzahl an vorhandenen Optionen, sondern wurden auch instruiert, worauf sie bei einer Bewerbung achten sollen und kamen in Kontakt mit Stipendiat:innen. Mit dem für alle Statusgruppen offenen Format „Let's talk about … – Deine Bildungsbiografie“ wurde in gemütlicher Café-Atmosphäre und in Kleingruppen der Weg in das Studium reflektiert. Zur Kompensation der verunmöglichten sozialen Kontakte während der Pandemie entstand eine abendliche digitale „Happy Ersti-Hour“. Ein ganztägiger Workshop „Bildungsdiversität- Dein Weg durchs Studium“, ein „Privilegiencheck Bildungsbiografie“, ein Workshop „Klassismus“ sowie ein für das sechste Semester konzipierte Seminar „Bildungsbiografie, Studienerfahrungen und Übergang in eine reflexive Berufspraxis“ ergänzten im Laufe der Zeit die Angebotspalette. In der Reihe „How to …“ etablierte sich ferner ein Peercoachingangebot „Soziale Arbeit studieren“ für Neustudierende. Auch dieses Angebot erwies sich als willkommene Kompensation realer Kontaktangebote während der Pandemie. Die Inhalte ergaben sich aus den studentischen Anforderungen z.B. des Umgangs mit der sozialen Isolation, der Kontaktaufnahme und Bildung von Arbeitsgruppen sowie die Reflexion von konsumorientierter Haltung im Studium. Auch „Mittagspause mal anders“, das „digitale Pausenformat“ (S. 185) entstand pandemiebedingt als semesterübergreifendes offenes Austauschangebot, das zunächst von Projektmitarbeitenden moderiert wurde, später in ein Peer-Format wechselte. Aus den artikulierten Bedarfen entstanden weitere Formate, wie z.B. die „digitale MittagspausePLUS“ für die vorlesungsfreie Zeit und ein „digitales Picknick“ für den Feierabend. Weil sich während des ersten Pandemiesemesters die Frage ergab, wie das Selbst- und Zeitmanagement gestaltet sein sollte, um sich auf die Prüfungen vorzubereiten, wurden neun nach dem Baukastenprinzip kombinierbare Webinarteile zur Prüfungsvorbereitung und zum Umgang mit Prüfungsangst entwickelt, die mit Austausch- und Reflexionsforen kombinierbar waren.

Drei Beiträge beschreiben Angebote für das Ende des Studiums und den Übergang in die Einmündung in ein Handlungsfeld. „Dran bleiben! – Ein Kolloquium für Studierende ab dem 11. Semester“ adressiert als Gruppenangebot im 14-tägigen Rhythmus Studierende, die aufgrund individueller Merkmale oder persönlichen Lebensbedingungen die Regelstudienzeit von sechs Semestern um 5 Semester überschritten haben. Als ein zentraler Aspekt neben der Motivation erwies sich, dass dadurch eine neue abschlussförderliche Bindung an das Studium und die Hochschule entstand. In der „How-to-Reihe“ widmete sich ein vierteiliges Online-Angebot „Abschluss meistern, Anschluss planen“, das Absolvent:innen als Peers einbezog und Themen zur Anfertigung der Bachelorarbeit, der Entwicklung einer Zukunftsvision, der Orientierung auf dem Arbeitsmarkt und dem Beenden des Studiums aufgriff. Ein „Theorie-Praxis-Kolloquium für Berufseinsteiger:innen“ sollte den in der Praxisbegleitung erworbenen Theorie-Praxis-Transfer fortsetzen und vor allem die Relevanz des wissenschaftlich erworbenen Wissens zur Bearbeitung von Praxisfällen nutzbar machen, was dem Bericht zufolge als sehr hilfreich empfunden wurde.

Zu Teil IV Gesellschafts- und bildungspolitische Herausforderungen und Handlungsbedarfe (S. 208–255) sind drei Beiträge subsumiert.

Angelika Schmidt-Koddenberg & Petra Ganß begründen in ihrem Beitrag „Gut beraten“ – [die] „Relevanz einer diversitätsorientierten Qualifizierung von Fachkräften im Übergang Schule-Beruf/​Studium“ (S. 209–225). Die „Transformation von Arbeitswelt und Erwerbsarbeit“ (S. 210), die veränderten Ausbildungs- und Studienstrukturen sowie die gewandelten „privaten Lebensverhältnisse und Identitätsprozesse“ (S. 213) markieren die Ausgangslage für differenzierte Wege und soziale „Diversität im Bildungssystem“ (S. 210). Demgegenüber steht eine wenig strukturierte, stark zergliederte, von vielen Akteuren bespielte und nicht länderübergreifend vereinheitlichte Berufs- und Studienwahlorientierung, deren Wirksamkeit wenig untersucht ist, sich aber in Einzelfacetten als wenig diversitätssensibel erwiesen hat. Die Autorinnen stellen das von ihnen konzipierte 6 Module umfassende (152 Lehreinheiten verteilt auf 10 Wochenenden) Weiterbildungsprogramm Ausbildungs- und Studiencoach vor, das sich an Sozialpädagog:innen, Beratungslehrkräfte und Studienberater:innen richtet.

Marianne Genenger-Stricker mahnt in ihrem Aufsatz „Hochschule und soziale Heterogenität: Anforderungen und Impulse für eine diversitätssensible und -gerechte Hochschulentwicklung“ (S. 227–238) sehr deutlich an, dass den konzeptuellen Bekenntnissen von Hochschulen, diversitätsbewusst sein zu wollen und das Instrument Diversity Management einzuführen, auch Taten folgen müssten, indem z.B. intersektional herkunftsspezifische Disparitäten (wie z.B. die der Studienpionier:innen) adressiert werden. Entsprechende Maßnahmen müssten in den hochschulischen Strukturen (Leitung, Gremien), in einem Angebot von Beratung und Begleitung (z.B. Studienfinanzierung), durch die Unterstützung von Mentoring-Programmen (Karriere-, Transfernetzwerke), durch Service Learning und die Verankerung auf der curricularen Ebene operationalisiert werden. Zusätzlich zu bereits aktiven Hochschulen könne die Hochschulpolitik weitere Anreize schaffen, um die Bildungsgerechtigkeit zu erhöhen.

Am Ende des Bandes schlagen Julia Breuer-Nyhsen &Verena Klomann eine Brücke zwischen „Studienpionier:innen, Soziale Arbeit und Professionalisierung“ (S. 239–255), nicht ohne auf „Kontroversen und Ambivalenzen“ (S. 239) hinzuweisen. Angesichts dessen, dass Studierende der Sozialen Arbeit überdurchschnittlich häufig sofort nach dem BA-Abschluss in die Berufstätigkeit wechseln, die erwarteten Handlungskompetenzen aber im Studium nachweislich nicht erreicht werden, fordern die Verfasserinnen – auch auf Basis der in FIGEST gewonnenen Erkenntnisse – dazu auf, die Professionalisierung zu stärken, indem z.B. Narrative zum Studium der Sozialen als Voraussetzung für eine Studienentscheidung realistisch sein sollen, Diskursivität in den Lehrformaten aufgewertet wird, von allen am Bildungsprozess Beteiligten (Selbst-)Reflexivität eingefordert werden müsse, die Wissensbestände Sozialer Arbeit in ihrer Komplexität abgebildet und nicht nur auf die Praxistauglichkeit reduziert werden, Praxisphasen und Berufseinmündung bewusst gestaltet und begleitet sind und wissenschaftliche Weiterbildung für Professionsvertreter:innen forciert werde.

Diskussion

Seit der Zunahme von dualen, ausbildungsintegrierenden und berufsbegleitenden Studienformaten in verschiedenen Varianten fokussierten sich die Anbieter darauf, ihre Adressat:innen in den Blick zu nehmen und die Teilnehmenden näher kennen zu lernen. Dazu liegen bereits einschlägige Veröffentlichungen z.B. zu beruflich Qualifizierten und deren akademischer Weiterbildung gebündelt oder in Form von Einzelbeiträgen vor, an die der vorliegende Band nur zum Teil anknüpft. Ausgehend von dem im Jahr 2019 gestarteten Forschungsprojekt FIGEST wurden konsequent Studienpionier:innen der Sozialen Arbeit im Hinblick auf Bildungsungleichheit verursachende und manifestierende Faktoren beforscht und theoretisch in Anknüpfung an die Kapitalientheorie von Pierre Bourdieu interpretiert.

Die in Teil II präsentierten Beiträge bündeln in umfassender Weise die theoretischen und empirischen Erkenntnisse zur Bildungsungleichheit und enthalten auch einzelne Aspekte, die in den projektspezifischen Aktivitäten nicht mehr aufgegriffen werden (z.B. Bildung in der postmigrantischen Gesellschaft).

In Teil III sind – zumeist rekurrierend auf die Projekterfahrungen – sehr viele Konzepte und Ideen zu finden, wie die Bedingungen von First Generation Studierenden in der Sozialen Arbeit berücksichtigt, aufgegriffen und verbessert werden können. Wenn nicht bereits genannt, lassen sich daraus für Sozialarbeitsstudierende, aber nicht nur für diese, entlang des „student lifecycles“ konkrete und nützliche hochschuldidaktische Anregungen gewinnen, die situativ angepasst werden können. Als besonders interessant hervorzuheben sind die Angebote am Ende des Studiums und vorbereitend auf die Einmündung in den Beruf, wie überhaupt der Einbezug von Peer-Aktivitäten, die Um- und Neugestaltung von Formaten unter Mitwirkung der Studierenden sowie von gesellschaftlichen Akteuren (z.B. arbeiterkind.de) positiv zu erwähnen sind.

Der Startzeitpunkt für die meisten Maßnahmen fiel mit dem Beginn der Pandemie zusammen, sodass bis dahin noch nicht erprobte Lösungswege zu finden waren. Die für die Studienpionier:innen (aber nicht nur für sie) zusätzlich vorhandene Benachteiligung fehlender sozialer Kontakte ließ Formate unterschiedlicher Formalisierungsgrade entstehen.

Wie anspruchsvoll die Umsetzung von Heterogenität und Diversitätssensibilität im Einzelnen für die Hochschulentwicklung ist, wird in Teil IV des Bandes deutlich. Die angeführten Teilaspekte können als Inspiration, aber auch als Messlatte dienen. Für die Studiengänge Soziale Arbeit haben Julia Breuer-Nyhsen & Verena Klomann durchaus bisweilen provokante, die Weiterentwicklung der Disziplin und Profession aber anstachelnde Hinweise zusammengefasst. An manchen Stellen, insbesondere in Teil III hätten die Redundanzen mit Bezug zum Projekt vermieden werden können.

Fazit

In diesem Buch liegt das Wissen über die sogenannten „first generation“ Studierenden in komprimierter Form vor. Es enthält ferner anregende Angebote, die auf Nachahmung warten.

Rezension von
Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker
Lehrgebiete Sozialmanagement und Bildungsarbeit an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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Es gibt 79 Rezensionen von Irmgard Schroll-Decker.

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Zitiervorschlag
Irmgard Schroll-Decker. Rezension vom 29.04.2024 zu: Verena Klomann, Angelika Schmidt-Koddenberg (Hrsg.): Studienpionier:innen und Soziale Arbeit: Motive, Herausforderungen und gesellschaftliche Konsequenzen. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2023. ISBN 978-3-658-40639-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30860.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.


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