Birgitta Schuler: Bilder bewegen - Coaching mit Metaphern
Rezensiert von Dr. des. Andreas Hohmann, 02.05.2024

Birgitta Schuler: Bilder bewegen - Coaching mit Metaphern. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2023. 220 Seiten. ISBN 978-3-7495-0445-9. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR.
Thema
Limitierende Glaubenssätze und eingefahrene Sichtweisen, die Menschen in ihrem persönlichen Wachstum behindern, stellen praktische Herausforderungen in Coachingprozessen dar. In „Bilder bewegen – Coaching mit Metaphern“ entwickelt Birgitta Schuler einen metaphernsensiblen Beratungsansatz, der Coaches in die Lage versetzen soll, die Bildsprache ihrer Klient*innen aufzugreifen, um mit ihnen Reflexions- und Entwicklungsprozesse zu initiieren.
Autorin
Dr. Birgitta Schuler studierte Germanistik, Philosophie und katholische Theologie und wurde mit einer Dissertation zum Thema „Phantastische Authentizität. Wirklichkeit im Werk Christa Wolfs“ promoviert. Sie ist beruflich als zertifizierte Mediatorin, Trainerin, Coach und Supervisorin tätig und blickt zudem auf langjährige Erfahrungen in der ehrenamtlichen Telefonseelsorge zurück. Das Buch richtet sich v.a. an Praktiker*innen in Beratung, Supervision, Coaching u.a. Handlungsfeldern.
Entstehungshintergrund
Der metaphernsensible Beratungsansatz, den die Autorin in ihrem Buch entwickelt, markiert einen Schnittpunkt zwischen a.) ihrem persönlichen und literaturwissenschaftlichen Interesse an Geschichten und den damit assoziierten, emotional konnotierten Bildern und b.) dem hypno-systemischen Arbeitsansatz ihrer beruflichen Tätigkeit.
Aufbau
Das Buch besteht aus 5 Kapiteln, in denen die Autorin ihren Beratungsansatz entwickelt. Kapitel 1 bildet eine erste Skizze ihres Ansatzes. In diesem Rahmen wird die Rolle des Coachs bestimmt. In Kapitel 2 erfolgt eine konzeptionelle Herleitung der Relevanz von Metaphern und Erzählungen für Coaching und Beratung. In Kapitel 3 stellt die Autorin ihren Arbeitsansatz mit Metaphern praktisch anhand von zehn Beratungsanlässen mit jeweils 2 bzw. 3 Fallbeispielen dar. In Kapitel 4 werden zentrale Aspekte einer Metaphernsensibilität als spezifischer Beratungskompetenz begründet, und abschließend in Kapitel 5 um zehn praktische Impulse für ein metaphernsensibles Coaching ergänzt.
Inhalt
Grundlegend für den Coaching- und Beratungsansatz der Autorin ist ein Metaphern-Verständnis, das Bildsprache nicht nur als Stilmittel fasst, sondern als Möglichkeit, Sinn zu stiften und darüber Wirklichkeit herzustellen. Der Metapher kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: Metaphern übertragen Bedeutungen aus einem konkreten, fassbaren Erfahrungsbereich auf abstrakte, neue Phänomene. Abstrakte Erfahrungen werden dadurch in den Konzepten und Begriffen des konkreten Konzepts (Lakoff & Johnson 1980).
Metaphern, mit denen Coachees sich selbst oder ihre Probleme beschreiben, eröffnen einen Zugang zu ihren Sinnhorizonten. Verstehen wir also – so die Grundidee des Buchs – die Metaphern unserer Coachees, so können wir auch verstehen, wie sie Probleme deuten, unter welchen Bedingungen Erfahrungen für sie sinnstiftend werden, und inwiefern diese Deutungen ihrer persönlichen Weiterentwicklung womöglich im Wege stehen. Umgekehrt: Sinnstiftende Metaphern, derer sich Coachees nicht bewusst sind, bedingen u.U. eingefahrene Denkweisen, die in Krisensituationen zum Problem werden können. Schuler argumentiert daher: „Erst indem wir uns diese Bilder bewusst machen, werden wir zu Akteuren und können sie zielführend verändern“ (S. 51).
Die Aufgabe des Coachs besteht dann darin, „aus der Sprachwelt der Klient*innen die Metaphern auszuwählen, die geeignet sind, ihre intendierte Weiterentwicklung in die gewünschte Richtung zu erleichtern“ (S. 10). Im Coaching können die Sinngehalte, die für sie mit der Metapher verbunden sind, durch gezielte Fragen des Coachs bewusst gemacht, aber auch erweitert werden. Entlang gezielter Fragen können Coachees so den Sinnhorizont einer bestimmten Metapher überschreiten. Auf diese Weise konstruieren sie nach und nach eine neue Geschichte über ihre weitere Entwicklung.
Diese noch sehr grundsätzlichen Überlegungen aus den ersten beiden Kapiteln werden in Kapitel 3 anhand von Fallgeschichten praktisch gewendet. Alle Fallgeschichten sind nach einer annähernd gleichen Struktur aufgebaut, die es Leser*innen erleichtert, die Anwendung des metaphernsensiblen Ansatzes in unterschiedlichen Anwendungsbereichen nachzuvollziehen. Zu Beginn jeder Fallgeschichte legt Schuler den Anlass des Coachings dar. In diesem Zusammenhang wird jeweils eine Metapher aufgegriffen, mit der die Coachees sich selbst oder ihre Lebenssituationen beschreiben, und die Schuler als prägend für ihr gegenwärtiges Selbstverständnis erachtet. Die weitere Falldarstellung entfaltet sowohl die Problematik, mit der sich die Coachees konfrontiert sehen, als auch die Auswirkungen der jeweiligen Metapher auf ihr Erleben. Schuler entwickelt daraus eine Deutung des Falls. Daran knüpft sie eine umfangreiche Liste von Fragen an, mit deren Hilfe die Coachees die Implikationen ihrer Metaphern ausloten und neue Auslegungen der Metapher entwickeln können. Die Fallgeschichten schließen i.d.R. mit einer kurzen Darstellung der Auswirkungen, die die Reflexion der jeweiligen Metapher im Leben der Coachees gezeitigt haben.
Die „Beratungskompetenz ‚Metaphernsensibilität‘“ (S. 163), die Schuler in Kapitel 4 systematischer entwickelt, basiert wesentlich auf einer Haltung, die beinhaltet, dass Coaches die Bilder ihrer Coachees würdigen und aufgreifen sollen, und eigene Bilder als Deutungsangebote mit einer gewissen Vorsicht anbieten sollen, da diese nicht zwingend an die Bild- und damit die Sinnwelten ihrer Coachees anschlussfähig sind.
Diskussion
An den Deutungen eines Problems anzusetzen, bringt schnell den Vorwurf ein, Probleme über Gebühr zu vereinfachen: Wird hier unterstellt, dass Menschen, die mit Problemen ins Coaching kommen, schlicht die ‚falschen‘ Metaphern verwenden? Ließe sich demnach jedes für Coaching relevante Problem lösen, wenn man Coachees einfach ‚nur‘ die passende Metapher an die Hand gibt? Die Devise wäre dann: ‚Metapher gut, alles gut.‘
Nach der Lektüre des Buchs wird deutlich, dass ein solcher Vorwurf dem Ansatz der Autorin nicht gerecht wird. Schuler gelingt es, ihren Leser*innen eine hohe Sensibilität dafür zu vermitteln, dass Coachees eine bestimmte Metapher zuerst deshalb verwenden, weil diese für sie sinnhaft ist. Dies gilt es – und das macht die Autorin in Form einer gemeinsamen Klammer im 1. und im 4. Kapitel sehr deutlich – zu würdigen. Den metaphernsensiblen Beratungsansatz in der Praxis mit Leben zu füllen, dürfte Coaches ein hohes Maß an Selbstreflexion, Empathie, Geistesgegenwart, aber auch Selbstbegrenzung abverlangen. Schuler rät bspw. eindeutig davon ab, Coachees allzu schnell eigene Metaphern als Deutungsangebote anzutragen.
Hier bietet sich über das Buch hinaus ein Weiterdenken an: Mit George Lakoff und Mark Johnson (2018) geht Schuler davon aus, dass unsere Alltagssprache an sich metaphorisch geprägt ist. Demnach wäre aber auch die Wahrnehmung von Coaches nicht frei von Bildern, sodass sie bestimmte, ihnen vertraute Metaphern tendenziell schneller erkennen als andere. Können wir also zumindest die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhen, dass wir nicht nur diejenigen Metaphern bemerken, die für uns selbst besonders auffällig sind? Eine Sensibilisierungsübung, die an einer ähnlichen Überlegung ansetzt, wurde von Rudolf Schmitt (2017) im Kontext der qualitativen Sozialforschung für die Methode der systematischen Metaphernanalyse entwickelt: Vor der empirischen Rekonstruktion der Metaphern, die bspw. Interviewpartner*innen in einem Interview verwenden, sollten Forschende eigene Texte daraufhin auswerten, in welchen Bildern sie selbst das zu untersuchende Phänomen deuten. Ein derartige Sensibilisierungsübung in den metaphernsensiblen Beratungsansatz einzuführen, bietet eine Chance, die professionelle Haltung von Berater*innen zu fördern.
Fazit
Schuler legt hier ein sehr gut lesbares Buch darüber vor, wie sich Metaphern im Rahmen von Coaching- und Beratungsprozessen sinnvoll nutzen lassen, um das Denken, Deuten und Handeln von Klient*innen nachzuvollziehen und Veränderungsprozesse zu initiieren. Das Buch richtet sich an Praktiker*innen und inspiriert zum Weiterdenken.
Literatur
Lakoff, G. & Johnson, M. (2018). Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprach-bildern (9. Auflage). Heidelberg: Carl-Auer Verlag.
Schmitt, R. (2017). Systematische Metaphernanalyse als Methode der qualitativen Sozialforschung. Wiesbaden: Springer VS.
Rezension von
Dr. des. Andreas Hohmann
B.A. Soziale Arbeit, M.A. Bildung und Soziale Arbeit; wissenschaftlicher Mitarbeiter in der qualitativen Methodenberatung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V.
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