Jennifer Cook: Der Guide für Jugendliche mit Asperger-Syndrom
Rezensiert von Dipl.-Päd. Petra Steinborn, 31.08.2023

Jennifer Cook: Der Guide für Jugendliche mit Asperger-Syndrom. Die geheimen sozialen Regeln verstehen und mit anderen besser klarkommen. Trias (Stuttgart) 2023. 318 Seiten. ISBN 978-3-432-11672-3. D: 24,99 EUR, A: 25,70 EUR.
Thema
Menschen, die unter den Bedingungen von Autismus in einer neurotypisch geprägten Welt leben, haben oft Probleme in der Kommunikation mit Mitmenschen. Dieses Buch ist ein Guide für Jugendliche im Autismus Spektrum. Die Autorin, selbst Autistin, möchte Übersetzungshilfen geben, um die oftmals undurchsichtigen, quasi geheimen sozialen Regeln zu verstehen. Sie zeigt, wie es gelingt, in dieser Welt besser zurecht zu kommen und nicht mehr das Gefühl zu haben, auf einem anderen Planeten zu leben. Die alltäglichen Probleme werden auf humorvolle Weise durch Comics veranschaulicht und bieten damit einfühlsame Unterstützung.
AutorIn oder HerausgeberIn
Jennifer Cook ist Asperger Autistin, dieser wurde erst im Erwachsenenalter diagnostiziert, nachdem bei ihren Kindern Asperger festgestellt wurde. Plötzlich sind ihr viele Erlebnisse aus der eigenen Teenagerzeit klarer geworden. So entstand der Entschluss, Bücher über das Erscheinungsbild Asperger zu schreiben. Ihr Ziel ist, Menschen im Autismus Spektrum, denen es genauso geht, zu unterstützen und ihnen Mut zu machen.
Entstehungshintergrund
Der erste Band ihrer Buchreihe „Asperkids“ erschien 2012, mittlerweile sind sechs Bände zu unterschiedlichen Themen veröffentlicht worden. Ziel ist, Kinder und Jugendliche, die unter den Bedingungen von Autismus leben, zu ermutigen, ihren Weg zu gehen. Die Bände sind sehr beliebte Bestseller, sie wurden mit Preisen ausgezeichnet und in sieben Sprachen übersetzt.
Aufbau und Inhalt
Das vollständige Inhaltsverzeichnis findet sich auf der Homepage der Deutschen Nationalbibliothek.
Das Buch ist im kartonierten Softcover Format erschienen und hat einen Umfang von 320 Seiten, die sich in zwei Hauptkapitel und zahlreiche Unterkapitel gliedern. Am Ende des Buches findet sich ein Stichwortverzeichnis, was die gezielte Suche erleichtert.
Auf dem linken unteren Seitenrand findet sich die jeweilige Kapitelüberschrift und auf dem rechten unteren Seitenrand der Titel des jeweiligen Unterkapitels. Die Unterkapitel sind durchnummeriert, jedem Titel ist ein Untertitel, eine Nummer und eine Illustration zugeordnet. Das Buch ist gut und übersichtlich strukturiert, Zwischenüberschriften unterstützen die gezielte Suche. Textboxen mit „Muss ich wissen Regeln“ vertiefen Inhalte, es gibt zahlreiche Tabellen, rote und blaue Schrift weisen auf verschiedene Inhalte hin. Das Buch endet neben einem Literaturverzeichnis mit Empfehlungen.
Das hier vorgelegte Buch liest sich wie das Tagesbuch der Autorin. Sie schreibt in Ich-Form und wendet sich immer wieder an die Lesenden selbst, indem sie direkt fragt.
Das Vorwort mit den Untertiteln „Wo war dieses Buch, als ich es brauchte?“ und „Nennen wir das Kind beim Namen“ sowie die Einführung mit dem Untertitel „Regeln, Angeber und das Sprechen einer Fremdsprache“ skizzieren den Rahmen des Buches, das sich als Guide für Jugendliche mit Asperger Syndrom versteht.
Zusammengestellt sind Erlebnisse im Leben von Menschen, die unter den Bedingungen von Autismus leben. Ein Kapitel trägt die Überschrift, „was musst du wissen, um die Regeln zu verstehen“.
Insgesamt sind es 32 Erfahrungsberichte. Jeder dieser Erfahrungsberichte hat einen Titel und einen erklärenden Untertitel. Da geht es beispielsweise darum, „wie man eine Glühbirne nicht baut“ gemeint ist, „warum alles schwer ist bevor es leicht wird“ oder um „„die Beharrlichkeit“ der „Behaarlichkeit““, hier geht es um das Recht haben versus des Eingebunden sein oder um den Umgang mit Kritik: „Du musst das Kissen festhalten“ und „Durchatmen und den Hammer beobachten“, dabei geht es darum wie schwer es ist, Kritik zu bekommen und auszuhalten, die Autorin weiß aber auch, wie wichtig diese Fähigkeit ist, um in einer neurotypisch geprägten Welt zurecht zu kommen.
Die Erklärungen zu diesen Szenen beginnen immer mit der „Asperger-Logik“, Ausführung des Erlebten, dem notwendigen Wissen und am Ende des Abschnitts mit einer kurzen Zusammenfassung z.B. in Form der „Muss ich wissen-Regeln“ oder anderen Tipps.
Diskussion
Das Buch begeistert, nicht nur Jugendliche! Es ist ansprechend gestaltet und prall gefüllt mit Inhalten. Zielgruppe sind Jugendliche mit dem Asperger Syndrom, das spiegelt sich in dem farbenfrohen Layout wieder. Jedes Kapitel eröffnet mit einer Comiczeichnung und mit Erklärungen aus Asperger-Logik. Die Autorin spricht aus dem eigenen Erleben („als ich…“, „ich habe…“) oder sie spricht die Leserschaft direkt an. Das schafft eine persönliche und vertrauensvolle Atmosphäre.
32 Szenen, aus dem Leben der Autorin berichtet, zeigen sehr deutlich, wie es für Menschen, die unter den Bedingungen von Autismus leben ist, in einer neurotypisch geprägten Welt zurechtkommen zu müssen. Der Untertitel des Buches lautet von daher treffend: „Die geheimen sozialen Regeln verstehen und mit anderen besser klarkommen“.
Die Autorin Jennifer Cook berichtet von Situationen, die sie selbst als Jugendliche nicht verstanden hat und sie beschreibt dabei auch über leidvolle Erfahrungen mit Gleichaltrigen z.B.in der Schule. Sie hat – wie viele andere Betroffene auch – Mobbingerfahrungen gemacht, was an zahlreichen Stellen zur Sprache kommt, wie z.B. in dem Bericht „Zicken, Petzer und Rüpel“.
Die einzelnen Beschreibungen enthalten – neben den geschilderten einzelnen Erlebnissen – Erklärungen aus Asperger-Logik und dazu viele Hinweise, wie Dinge und Ereignisse zu verstehen sind und wie sie anders gemacht werden können.
Am Ende des Buches, im vorletzten Unterkapitel, wird nochmal zusammengefasst, warum es Sinn macht, Dinge durch andere Augen zu betrachten. Es folgen acht Seiten mit Hinweisen, die wie Post-its aussehen z.B. zum Nett sein, zum Gedankenlesen oder zu Hygiene und Körperhaltung („von Kopf bis Fuß“). Die letzte dieser Post-it Tafeln „Du schaffst das“ enthält Ermutigungen. Es bietet sich an, diese Seiten zu fotokopieren und sich z.B. an die Wand zu hängen oder sie als Erinnerungsstütze in der Hosentasche mit sich zu führen. Das Layout dieser Merkzettel spiegelt zudem nochmals die Lockerheit und Praxisnähe des Buches wider.
Das Buch schließt mit sechs Übungssitzungen, die die Leserschaft auffordern, zu üben mit dem Ziel, „diese Erwartungen in die Tat umzusetzen“ (S. 298). Es handelt sich um sechs Comicszenen, die Alltagsituationen zeigen, die durchgespielt werden sollen. Dann folgt ein „Fazit zu dem Spiel“ aus zwei Perspektiven: „Was lief gut“ und „was hätte besser laufen können?“. Anhand der gemachten Aussagen lassen sich Situationen reflektieren und verbessern.
Jennifer Cook schrieb diesen Guide, damit Jugendliche mit Asperger Syndrom die geheimen sozialen Regeln verstehen und mit anderen besser klarkommen. An dieser Stelle möchte ich noch einen weiteren zentralen Aspekt ergänzen. Die Schwierigkeiten im sozialen Miteinander liegen auch darin begründet, dass diese Regeln unsichtbar sind – die Autorin Jennifer Cook benutzt in diesem Zusammenhang den Begriff „code“- und: Regeln verändern sich je nach Kontext. Das Wissen darum ist zentraler Teil in meinen Weiterbildungen und Beratungen (www.abc-autismus.de), denn um Autismus zu verstehen und unterstützende Strategien zu erarbeiten braucht es dieses Wissen. Der Diplom-Pädagoge Peter Vermeulen hat dazu das Buch „Autismus als Kontextblindheit“ veröffentlicht. Darin arbeitet er diesen Ansatz nachvollziehbar heraus und erläutert, dass das reine Auswendiglernen sozialer Regeln zu kurz gedacht ist, es muss immer auch der Kontext, in dem sich die Person bewegt mitbedacht und mitbeachtet werden. Zu seinem Buch mit den Titel „Autismus als Kontextblindheit“ liegt eine Rezension vor (www.socialnet.de/rezensionen/​20286.php).
Fazit
Das Buch ist ein Guide für Jugendliche im Autismus Spektrum, denn Menschen, die unter den Bedingungen von Autismus in einer neurotypisch geprägten Welt leben, haben oft Probleme in der Kommunikation mit Mitmenschen. Dieser Guide gibt auf humorvolle Art z.B. durch Comics Übersetzungshilfen für alltägliche Probleme im sozialen Miteinander. So kann es gelingen, in dieser Welt besser zurecht zu kommen, wodurch sich das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu leben, reduzieren kann. Neben verständlichen und praxisnahen Erklärungen finden sich Materialien für den Transfer in den Alltag, um ins Handeln zu kommen, zu üben und das eigene Leben in die Hand zu nehmen.
In einem Satz zusammengefasst: „Die besten Tipps für Asperkids“ (zit. vom Klappentext des Buches)
Rezension von
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Tätig im Personal- und Qualitätsmanagement in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn. Freiberuflich in eigener Praxis (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Leitung von ABC Autismus (Akademie-Beratung-Coaching), Schwerpunkte: Autismus, TEACCH, herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation (systemisch), erworbene Hirnschädigungen
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Zitiervorschlag
Petra Steinborn. Rezension vom 31.08.2023 zu:
Jennifer Cook: Der Guide für Jugendliche mit Asperger-Syndrom. Die geheimen sozialen Regeln verstehen und mit anderen besser klarkommen. Trias
(Stuttgart) 2023.
ISBN 978-3-432-11672-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30887.php, Datum des Zugriffs 30.09.2023.
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