Jens Clausen: Studienbuch Heilpädagogik
Rezensiert von Prof. Dr. René Börrnert, 23.04.2025

Jens Clausen: Studienbuch Heilpädagogik. Grundlagen inklusiver und partizipativer Pädagogik. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2023. 436 Seiten. ISBN 978-3-17-033808-1. 39,00 EUR.
Thema
In dem 2022 überarbeiteten Berufsbild zeichnet der Berufs- und Fachverband der Heilpädagogik (bhp) diese Profession klar als inklusives und partizipatives Arbeitsfeld heraus. Inklusion und Partizipation stehen somit im Kontext einer Menschenrechtsprofession, die sich für die Anerkennung und Selbstbestimmung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Exklusionsrisiken und deren Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens einbringt.
In dem vorliegenden Lehrbuch vermittelt der Autor grundlegende klassische und aktuelle Begriffe, Methoden und Ansätze und zeigt weitere Vertiefungsbereiche auf. Damit wird aus dem Lehrbuch zugleich ein Studienbuch für den heilpädagogischen Theorie-/​Praxis-Transfer.
Autor und Entstehungshintergrund
Prof. Dr. phil. Jens Jürgen Clausen ist Erziehungswissenschaftler und lehrt in Bachelor- und Masterstudiengängen der Heilpädagogik sowie in Fort- und Weiterbildungen. Nach Tätigkeiten in Hamm/Westfalen, Münster und Bochum leitete er bis zu seiner Emeritierung den BA-Studiengang Heilpädagogik/​Inclusive Education an der KH Freiburg.
Das vorliegende Werk stellt ein Lehrbuch dar, in dem der Autor seinen Ansatz einer inklusiven und partizipativen Heilpädagogik skizziert.
Aufbau und Inhalt
Die Einleitung stellt zugleich sehr treffend die aktuelle Ausrichtung der Heilpädagogik heraus, die Clausen hier umfänglich in den Blick nimmt. Sie ist „eine moderne Wissenschaft und Praxis der Inklusion und Partizipation, die ihren Fokus nicht mehr auf spezifische Beeinträchtigungen mit entsprechenden Förderungen in separierenden Einrichtungen richtet, sondern die Gefährdungen aller Menschen in den Blick nimmt, die aufgrund unterschiedlicher Differenzen benachteiligt werden und von Ausgrenzung bedroht sind“ (S. 5).
Kapitel 1: Aktuelle Dimensionen
Nach einer Erörterung der neuen Ausrichtung von Heilpädagogik im Kontext internationaler Konventionen (z.B. UN-Behindertenrechtskonventionen) formuliert Clausen einen Katalog von 24 dafür relevanten Grundbegriffspaare, wie z.B. Förderung und Therapie oder Kompetenz und Kreativität. Er skizziert die jeweiligen Leitgedanken und stellt die Bezüge her, in denen sich die Termini in ihrem historischen praxisbezogenen Kontext zeigen.
Kapitel 2: Beiträge der Grundlagenwissenschaften für die Heilpädagogik
Heilpädagogisches Professionswissen, Methoden und Ethik leiten sich aus dem Fundus der Bezugswissenschaft ab. Dazu gehören grundlegend Pädagogik, Psychologie, Medizin, Soziologie sowie Rechtswissenschaft. Die Besonderheiten und Überschneidungen werden hier umfassend vorgestellt.
Kapitel 3: Kompetenzen heilpädagogischer Professionalität
In drei Unterkapiteln werden Diagnostizieren und Fallverstehen, Beratung und Gesprächsführung, Supervision und Coaching sowie Krisen und Krisenintervention erörtert.
Kapitel 4: Konzepte und Methoden der Heilpädagogik
Didaktische Planungsweisen heilpädagogischen Handelns werden in diesem Teil unter bildungstheoretischen, konstruktivistischen und inklusiven Gesichtspunkten in den Blick genommen.
Kapitel 5: Heilpädagogisches Handeln in unterschiedlichen Feldern
Durch Darstellung von neun Arbeitsfeldern und dort wiederum via zahlreicher Praxisbeispiele wird heilpädagogisches Handeln erläutert. Das Spektrum dieser Arbeitsfelder reicht von den Frühen Hilfen bis zur Teilhabe am kulturellen Leben, an Erholung, Freizeit und Sport.
Kapitel 6: Begleitung von Menschen mit spezifischem Unterstützungsbedarf
Welchen Personengruppen sich Heilpädag:innen widmen, das beleuchtet dieser Teil. Es geht um Autismus-Spektrum, komplexe Beeinträchtigungen oder herausforderndes Verhalten. Weiterhin wird jeweils die Begleitung von schutzsuchenden und traumatisierten Menschen, von Kindern in spezifischen Belastungssituationen, von Eltern und auch älteren Menschen mit Beeinträchtigungen beschrieben.
Kapitel 7: Mögliche Vertiefungsbereiche der Heilpädagogik/​Inclusive Education
Zu den weiterführenden heilpädagogischen Themen- und Arbeitsfeldern gehören für Clausen die folgenden: Bewegungsorientierte Verfahren, Psychomotorik und Rhythmik, Spielbegleitung und Spieltherapie, Kunsttherapie, Musiktherapie, Unterstützte Kommunikation, Sexualpädagogik sowie inklusive Quartiersentwicklung.
Kapitel 8: Die Wissenschaft der Inklusion und Partizipation und die Forschung in der Heilpädagogik
Um in der Ausbildung den Fokus auch auf Forschung richten zu können, braucht es laut Clausen fundiertes wissenschaftstheoretisches Wissen und Können. Grundlagen dazu werden im abschließenden Teil angeboten.
Diskussion
In den letzten zwei Dekaden stammten die Einführungs- und Grundlagentexte der Heilpädagogik des Kohlhammer-Verlags aus der Feder von Heinrich Greving und Co-Autor:innen, dem diese Profession zugleich durch seine Vorstandsaktivität im oben genannten Berufs- und Fachverband großes Engagement zu verdanken hat. Nun kam mit dem Werk von Clausen ein Studienbuch auf den Markt, was Grevings Publikationen sehr gut ergänzt.
In seiner Einleitung stellt Clausen die aktuelle Ausrichtung der Heilpädagogik dar. Sie ist „eine moderne Wissenschaft und Praxis der Inklusion und Partizipation, die ihren Fokus nicht mehr auf spezifische Beeinträchtigungen mit entsprechenden Förderungen in separierenden Einrichtungen richtet, sondern die Gefährdungen aller Menschen in den Blick nimmt, die aufgrund unterschiedlicher Differenzen benachteiligt werden und von Ausgrenzung bedroht sind“ (S. 5). Im Lehrbuch werden die relevanten Facetten vorgestellt und umfänglich in den Blick genommen. Das konkretisiert das aktuelle Berufsbild des Berufs- und Fachverbandes und füllt es mit praxisnahen Inhalten.
Clausen schildert insgesamt gut lesbar und nachvollziehbar Begriffscluster, die er in historischen und professionsbezogenen Kontexten erläutert. Zwei Aspekte fallen jedoch dezent fragwürdig ins Gewicht. Das ist zum einen ein Duktus, der sensibel differenzieren will, aber sprachlich auch verwirrend sein kann – zum Beispiel, wenn es um den Begriff von „Behinderung“ geht (vgl. S. 45 ff.). Zum anderen rechtfertigt Clausen mehrfach seine Limitationen (u.a. S. 8 f.). Gerade das aber ist nicht nötig, denn sowohl angemessene Quantität als auch Qualität des Werkes genügen dem Status eines neuen „Klassikers“ der Heilpädagogik. Dafür wird es dann aber angebracht sein, in neuen Auflagen ein Register einzubauen, was in dieser Auflage leider fehlt.
Fazit
Clausen legt hier ein umfangreiches Lehrbuch vor, in dem alle relevanten Themenbereiche einer aktuellen Heilpädagogik im inklusiven Grundverständnis ausgelotet und umfänglich erörtert sind. Insofern bietet sich dieses durchweg großartige Werk sehr gut als kompaktes Basiswerk für einführende heilpädagogische Lehrveranstaltungen an.
Rezension von
Prof. Dr. René Börrnert
Fachhochschule des Mittelstands (Rostock)
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