Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Ruth E. Lerchster, Maria Spindler (Hrsg.): Gruppen:Dynamik

Rezensiert von Dr. Wolfgang Rechtien, 04.09.2023

Cover Ruth E. Lerchster, Maria Spindler (Hrsg.): Gruppen:Dynamik ISBN 978-3-8497-0486-5

Ruth E. Lerchster, Maria Spindler (Hrsg.): Gruppen:Dynamik. Die Gestaltung dynamischer Prozesse für Leadership, Beratung, Teams und Organisationen im 21. Jahrhundert. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2023. 320 Seiten. ISBN 978-3-8497-0486-5. D: 49,00 EUR, A: 50,40 EUR.
Reihe: Management.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Das Buch soll einen fundierten und interdisziplinär orientierten Einblick in die Wirkungsweise gruppendynamischer Verfahren, Methoden und Anwendungsbereiche geben.

Herausgeberinnen

Dr. Ruth Erika Lerchster lehrt u.a. an der Universität Klagenfurt und leitet dort den Arbeitsbereich soziale Kompetenzen und Gruppendynamik.

Dr. Maria Spindler ist Organisationsberaterin und Lehrtrainerin für die ÖGGO (Österreichische Gesellschaft für Gruppendynamik & Organisationsberatung).

Aufbau

Gegliedert sind die Beiträge in drei übergreifende Themenbereiche (Fokusse):

In Fokus I wird die Frage nach den Wirkprinzipien und der Bedeutung/dem Nutzen gruppendynamischer Trainings gestellt.

Wie und für wen gruppendynamische Konzepte relevant und zukunftweisend sind, ist Thema der Beiträge im zweiten Fokus.

Fokus III will die zukunftbezogene Relevanz gruppendynamischer Paradigmen für Wirtschaft und Wissenschaft beleuchten.

Ferner gibt es eine Einleitung, einen Ausblick, Abbildungs- und Literaturverzeichnisse sowie Informationen zu den Autor(inn)en und Herausgeberinnen.

Beigetragen zu dem Buch haben neben den Herausgeberinnen 23 weitere Autorinnen und Autoren.

Lerchster. R. E. & Spindler, M.: Einleitung

Fokus I: Wozu?

  • Lerchster. R. E. & Spindler, M.: Sinn und Nutzen der Gruppendynamik
  • Spindler, M.: Flowdynamiken bewusst führen und organisieren. Die gruppendynamische Trainingsgruppe – Brutkasten für selbstorganisierte Erneuerung.
  • Csar, M., Vater, G.: Schon immer. Psychologische Sicherheit als Kennzeichen gut entwickelter Gruppen.
  • Krainz, U., Lerchster, R. E.: Erfahrung und Reflexion. Zentrale Kategorien gruppendynamischen Lernens.
  • Geramanis, O.: Teams sind keine Gruppen. Prozesse zwischen Person und Rolle.
  • Schinko-Fischli, S., Fischli, C.: Zurück in die Zukunft. Gruppendynamik und angewandte Improvisation – zwei Versprechen für den Umgang mit dem Unbekannten.
  • Krainz, E., Lesjak, B.: Reflexion und Gestaltung der Bedingungen, unter denen wir leben und Arbeiten.

Fokus II: Wie, auf wen und warum?

  • Lerchster, R. E., Spindler, M.: Die Wirkung der Gruppendynamik auf Leadership, Beratung, Organisation und Gesellschaft.
  • Königswieser, R., Königswieser, U.: Multidimensionale, prozessorientierte Zugänge in Führungs-, Organisations- und gruppendynamischen Prozessen. Oder: Change ohne Gruppendynamik? Gibt 's nicht.
  • Halder-Schüssel, N., Scheer, A.: Non-Stranger-Gruppe. Nützliche Führung in bestehenden Teams.
  • Nigudkar, G., Zvacek, L.: Sich über alle Barrieren hinweg verbinden. Gruppendynamik und Trainingsgruppen im virtuellen Raum bei ÖGGO und ISABS.
  • Flicker, E., Wimmer, R.: Potenziale und Limitationen onlinebasierter gruppendynamischer Trainingsgruppen.
  • Janes, A.: Der gruppendynamische Trainingsprozess. Allgemeines Prozessmodell zur Gestaltung und Entwicklung von und in Organisationen.
  • Weisser, J., Sigl, G.: Praxiskapitel: Gruppendynamik im 21. Jahrhundert. Vom Schulwesen bis ins Organisationswesen.
  • Spindler, M., Vincent, C.: Hochleistungsteams im Auge des Orkans. Multidimensionale Steuerung KI-gestützter, rollierender Organisationen am Beispiel der Hochseeschifffahrt.

Fokus III: Wohin?

  • Lerchster, R. E., Spindler, M.: Der Weg der Gruppendynamik ins 21. Jahrhundert.
  • Lackner, K., Claußen, J.: Wissenschaftstheoretische Dimensionen gruppendynamischer Forschung.
  • Lerchster, R. E., Lerchster, R.: Affektiv bedingte Nebenwirkungen von Veränderung. Oder: Wenn vieles anders werden soll und wir die Gleichen bleiben wollen.
  • Lerchster, R. E, Spindler, M.: Sich für das Neue in Bewegung setzen.

Inhalt

Das Konzept „Gruppendynamik“ ist eng mit dem Namen Kurt Lewin[1] und den sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen seiner Zeit verbunden: Demokratisierung, Solidarität, Umgang mit „Rassenunterschieden“ usw., Anliegen, die wesentliche Inhalte der im Fokus I zu findenden Beiträge sind. Thematisiert werden die Potenziale der Gruppendynamik im Hinblick auf individuelle und soziale Veränderungsprozesse, z.B. für die Entwicklung von Kompetenzen für prozessorientierte Selbstorganisation. Psychologische Sicherheit als Merkmal und Entwicklungsfeld funktionierender Kooperation wird thematisiert. Wird die Bewertung gruppendynamischer Erfahrungsprozesse allerdings überwiegend auf der Basis betriebswirtschaftlicher Effizienzkriterien vorgenommen, drohen zentrale Elemente aus dem Blick zu geraten: Erfahrungsbasiertes Lernen – Entwicklung anhand von Erfahrung und Reflexion. Im Diskurs mit Anderen wird es möglich, die Zusammenhänge zu erkennen, denen man unterworfen ist – und zu beeinflussen.

Für gruppendynamisch basierte Veränderungen ist die jeweilige Organisationsstruktur von Bedeutung (Fokus II). Finden diese vermehrt in Teams und Projekten statt, erhöhen sich Komplexität und Unsicherheit und damit nicht selten Stress – hier finden sich bedeutsame Schnittstellen zwischen Gruppendynamik und Organisationsgestaltung. Fand Gruppendynamik bislang in unmittelbaren Kontaktbeziehungen (Trainingsgruppen) statt, entstand mit der Covid-19-Pandemie die Notwendigkeit, über neue Formen der Zusammenarbeit nachzudenken. Die Erfahrungen mit der Arbeit in virtuellen Trainingsgruppen, deren Möglichkeiten und Grenzen verweisen auf die Notwendigkeit einer Veränderung, nicht nur in der praktischen Gestaltung, sondern auch in der theoretischen Fundierung.

Damit stehen die wissenschaftstheoretische Fundierung der Gruppendynamik und die Nebenwirkungen von Transformationsprozessen zur Diskussion (Fokus III). Die Verbindung von Forschen, Lernen und Handeln steht in der Tradition der Aktionsforschung[2]. Neben den zielorientierten Veränderungen gibt es – wie stets – auch eine Reihe von Nebenwirkungen, die schädlich, aber auch – werden sie entsprechend erkannt und in den Prozess integriert – nutzbringend sein können. Wenn sicherheitsgebende Selbstverständlichkeiten aufgegeben werden (müssen) – und das findet nicht nur bei organisationalen Veränderungen, sondern auch in der Begegnung mit andern kulturellen Weltdeutungen statt, entsteht Orientierungslosigkeit und mit ihr und Ohnmachtsgefühle, Unsicherheit, Angst, und das erfordert die Entwicklung einer neuen Identität. Dazu kann und will die Gruppendynamik beitragen: sie zielt auf „das Erkennen durch Beobachtung und das Arrangement von Prozessen, die der Selbstaufklärung unter Berücksichtigung aller affektiven Begleiterscheinungen dienen“[3].

Diskussion

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit geben die Beiträge wichtige Anregungen über gruppendynamische Prinzipien und Anwendungsfelder. Die Gliederung in Wirkprinzipien und Nutzen, Zielgruppen und Relevanz für Wissenschaft und Wirtschaft hilft, einen strukturierten Einblick in die Bedeutung gruppendynamischer Verfahren in Zeiten beschleunigten und grundlegenden Wandels zu gewinnen.

Die Entwicklung der Gruppendynamik zur Zeit des Psychobooms – also in den 70er Jahren – hin zu einer Subkultur, in der statt der Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Strukturen die Beschäftigung mit austauschbaren Teilen des Innenlebens im Vordergrund stand[4], wird – im Kapitel „Bestimmen, was uns bestimmt“ – kurz gestreift[5]. In der nichtfachlichen Wahrnehmung ist dieses Bild gruppendynamischer Verfahren auch heute noch verbreitet; so wäre eine ausführlichere kritische Stellungnahme auch an dieser Stelle hilfreich.

Fazit

Das Buch ist übersichtlich strukturiert und erfüllt den im Vorwort formulierten Anspruch eines Einblicks in die aktuelle Bedeutung gruppendynamischer Arbeit.

Literatur


[1] Vor Lewin wurde der Begriff „group dynamics“ bereits von Moreno benutzt (Moreno, J.L.; Jennings, H.H.: The statistics of social configuration. Sociometry. 4, S. 342–374), wenn auch in abweichender Bedeutung.

[2] die übrigens nicht nur von Lewin, sondern zeitlich zuerst von J. L. Moreno (1937, Sociometry in relation to other social sciences. Sociometry, 8, S. 206–219; siehe dort S. 209–210) entwickelt wurde.

[3] Lerchster, R.E.; Lerchster, R.; in diesem Buch S. 288.

[4] Vgl. z.B. Rechtien, W. (1997): Zur Geschichte der Angewandten Gruppendynamik. In König, O. (Hg;): Gruppendynamik. München/Wien: Profil Verlag. S. 43–62. Rechtien, W. (2016): Gruppendynamik. Entstehungsbedingungen und Entwicklung. Jugendhilfe, 54, S. 266–271.

[5] S. 112-113

Rezension von
Dr. Wolfgang Rechtien
Bis 2009 Vorstandsmitglied und Geschäftsführer des Kurt Lewin Institutes für Psychologie der FernUniversität sowie Ausbildungsleiter für Psychologische Psychotherapie.
Mailformular

Es gibt 38 Rezensionen von Wolfgang Rechtien.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Wolfgang Rechtien. Rezension vom 04.09.2023 zu: Ruth E. Lerchster, Maria Spindler (Hrsg.): Gruppen:Dynamik. Die Gestaltung dynamischer Prozesse für Leadership, Beratung, Teams und Organisationen im 21. Jahrhundert. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2023. ISBN 978-3-8497-0486-5. Reihe: Management. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30937.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht