Fiona Martzy: Evaluation im motologischen Kontext
Rezensiert von Dr. Richard Hammer, 14.07.2023
Fiona Martzy: Evaluation im motologischen Kontext. Entwicklung eines Orientierungsmodells für motologische Evaluationsvorhaben.
Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2023.
206 Seiten.
ISBN 978-3-8309-4655-7.
34,90 EUR.
Reihe: Sozialwissenschaftliche Evaluationsforschung - 17.
Thema
Das vorliegende Buch entstand im Rahmen eines Dissertationsvorhabens an der Universität Osnabrück. Sein zentrales Element ist die Entwicklung eines Orientierungsmodells für motologische Evaluationsvorhaben (OMEVA). Damit wurde eine Systematik herausgearbeitet, die für die Analyse und Planung von psychomotorisch-motologische Evaluationsvorhaben hilfreich ist. Es wurden gleichzeitig Evaluationsstandards eingeführt, deren Beachtung zu einer steigenden Professionalität von motologischen Evaluationsvorhaben beiträgt.
Autorin
Fiona Martzy ist Dipl.-Motologin und arbeitet als Transferwissenschaftlerin am Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind wissenschaftliche Begleitforschung, Theorien der Psychomotorischen Entwicklungsbegleitung und Qualitätsentwicklung in Arbeitsfeldern frühkindlicher Bildung. Sie verfügt über langjährige psychomotorische Praxiserfahrung in Gruppenleitung und Zusammenarbeit mit Eltern und ist Mitglied im Vorstand der Deutschen Akademie – Aktionskreis Psychomotorik e.V. sowie Fortbildnerin und Fachbuchautorin.
Aufbau
Die Einführung in das Themenfeld der Evaluation im motologischen Kontext beginnt mit der Darstellung der Wissenschaftsdisziplinen Motologie und Evaluation als junge Wissenschaften. Im Folgenden geht der Text differenzierter ein auf die Entwicklung der Evaluation als Wissenschaft in den USA und in Deutschland und präzisiert die wesentlichen Elemente der Evaluation bis hin zur Formulierung der Leitfragen und Standards für Evaluationsvorhaben. Im Anschluss daran widmet sich die Autorin dem Stand der Evaluationsforschung und Evaluation im motologischen Fachdiskurs, entwickelt ein Orientierungsmodell für Evaluationsvorhaben im motologischen Kontext und zeigt auf, wie dieses Modell im Themenfeld Motologie-Psychomotorik angewendet werden kann.
Inhalt
Nach der Einleitung, in der ein Überblick über den gesamten Text gegeben wird, werden im 2. Kapitel die Fachdisziplinen Motologie und Evaluation beleuchtet. Es wird ein Einblick in die Entstehung und Entwicklung des Wissenschaftsgebietes der Motologie gegeben und die Vielfalt der psychomotorisch-motologischen Begrifflichkeiten beleuchtet. Für den Evaluationsbereich wird ein Definitionsvorschlag herausgearbeitet, welcher für die Nutzung im motologischen Kontext geeignet erscheint. Zudem werden Forschungsvorhaben und Kernfragen aufgezeigt, denen sich die Arbeit im weiteren Verlauf widmet. Daraus ergibt sich das konkrete Anliegen der vorliegenden Arbeit: die Entwicklung eines übergreifenden Modells, das durch seine Gestalt die Funktion einer Orientierungshilfe für Evaluationen im psychomotorisch-motologischen Themenfeld bietet, indem es für die Wissenschaftsdisziplin die passfähigen theoretischen Strukturteile der Evaluationslandschaft abbildet und flexibel genug gestaltet ist, um eine individuelle Anwendbarkeit zu ermöglichen.
Das 3. Kapitel legt den Schwerpunkt auf die historische Entwicklung des Evaluationsfeldes. Dabei werden zunächst die drei großen historischen Phasen der Evaluation in den USA beschrieben und im Anschluss daran die Entwicklungen in Europa und Deutschland aufgearbeitet.
In den USA waren in der ersten Entwicklungsphase 1960–1975 die Evaluationsmodelle von einer objektivistischen Sichtweise geprägt. Die Intention war es, die durch Programme, Interventionen oder Maßnahmen hervorgerufenen Effekte zu dokumentieren und somit den positiven Nutzen zu ermitteln. Es wurden sozialwissenschaftlich fundierte Methoden entwickelt, die der Überprüfung der kausalen Beziehungen zwischen den Programmen und ihren Effekten dienten und die die Vergleichbarkeit der Leistungsfähigkeit der Programme untereinander ermöglichen sollten. Der wesentliche Forschungsbeitrag, den die Wissenschaftler dieser Phase lieferten, war die begriffliche Strukturierung und die methodische Professionalisierung der Evaluation. Mitte der 70er Jahre regte sich Unzufriedenheit mit der etablierten Evaluationsforschung. Auf die Evaluationseuphorie folgte die Desillusionierung und im Weiteren die Kritik an dem bis dahin bestehenden objektivistischen Wissenschaftsverständnis. Daraus entstanden Extrempositionen, die jegliche Feststellung von objektiven Aussagen in Frage stellten und normative Maßstäbe ohne Beteiligung der Beteiligten ablehnten. Die theoretischen Grabenkämpfe der objektivistischen und konstruktivistischen Positionen, die sich vor allen Dingen in der heftig geführten Debatte um die „richtige“ Methode zeigten, wurden zunehmend als kontraproduktiv empfunden.
In Europa setzte die Entwicklung der Evaluationsforschung später ein als in den USA. Die erste Evaluationswelle in Europa wurde durch den Ausbau des Wohlfahrtstaates und die Verbesserung der Infrastruktureinrichtungen begünstigt. In den 70er Jahren wurde Evaluation vor allen Dingen genutzt, um die Effektivität politischer Maßnahmen nachzuweisen und zu deren Korrektur und Steuerung. Ähnlich wie in den USA war auch hier eine Vermengung der analytischen und legitimatorischen Interessen zu beobachten. Nach der ersten Evaluationswelle wird zurzeit von einem zweiten Evaluationsboom gesprochen, der sich darin zeigt, dass Evaluation in vielen Ländern zu einem festen Bestandteil der Politikgestaltung und ein Steuerungselement in internationalen Organisationen geworden ist und sich in weiten Teilen des politischen und wirtschaftlichen Lebens, sowie auch im Bildungsbereich ausgebreitet hat.
Im 4. Kapitel wird zunächst das Definitionskriterium von Evaluation, die Bewertung, fokussiert. Es wird herausgearbeitet, welche Rolle Bewertungskriterien im Evaluationsprozess spielen und zu welchen Dilemmata die Anwendung wissenschaftlicher Methoden im Evaluationsprozess führen kann. Empirische Forschung folgt den Regeln der Wissenschaftlichkeit, Wertungen sind aber empirisch nicht begründbar. Die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie der Umgang mit dem Wertbegriff innerhalb eines Evaluationsvorhabens gehandhabt werden kann, wird in den verschiedenen Herangehensweisen der theoretischen Fundierungen innerhalb der Evaluationsmodelle gezeigt. Dafür werden unterschiedliche Ordnungskriterien aufgeführt, die zur Systematisierung der Evaluationsmodelle dienen und als Auswahl- und Entscheidungshilfe dafür herangezogen werden können, welches Evaluationsmodell passend für ein Evaluationsvorhaben sein könnte.
Im Mittelpunkt von Kapitel fünf stehen die Leitfragen, die einen Evaluationsprozess strukturieren können. Zusätzlich werden die Evaluationsstandards der DeGEval (Deutsche Gesellschaft für Evaluation e.V.) erläutert und es wird aufgezeigt, welche Ziele und Anwendungsmöglichkeiten bestehen.
Als Leitfragen werden 5 W-Fragen formuliert:
- Wozu dient eine Evaluation, was ist also deren Zweck?
- Was ist Gegenstand oder Inhalt einer Evaluation?
- Wie wird evaluiert, welche Methoden werden bei der Evaluation angewendet? Hier geht es vor allem um die Auseinandersetzung zwischen qualitativen und quantitativen Methoden.
- Wer führt die Evaluation durch? Handelt es sich um interne oder externe Evaluation? Wird das Verfahren als Fremd- oder Selbstevaluation durchgeführt? Wie ist das Rollenverständnis des Evaluators?
- Wann wird evaluiert? Am Ende oder während des Prozesses?
Die Evaluationsstandards sollen eine Orientierungs- und Bewertungsgrundlage darstellen, um fachliche Standards und professionelles Verhalten zu garantieren. Sie bieten darüber hinaus eine Kontroll- und Beurteilungsbasis für Anbieter und deren Leistungen sowie eine Entscheidungsgrundlage bei potenziellen Streitfragen zwischen Kunden und Anbietern. Orientiert an die Empfehlungen der DeGEval (Deutsche Gesellschaft für Evaluation – www.degeval.de) werden Nützlichkeitsstandards, Durchführbarkeitsstandards, Fairnessstandards und Genauigkeitsstandards formuliert.
Mit dem aktuellen Stand der Evaluationsforschung im motologischen Kontext beschäftigt sich das sechste Kapitel. Es zeigt die theoretischen Auseinandersetzungen des Faches mit dem Thema Evaluation im Allgemeinen auf. Im Weiteren werden psychomotorisch-motologische Studien mit evaluativem Charakter beschrieben, die in den letzten 30 Jahren durchgeführt worden sind. Das Kapitel schließt mit einer systematischen Zusammenschau der durchgeführten Studien, die einen Überblick darüber vermittelt, welche Forschungsfragen, Methoden und Ergebnisse im motologischen Kontext in den aufgeführten Studien bearbeitet, angewendet und beschrieben worden sind.
Im siebten Kapitel erfolgt die Zusammenführung der bis dahin erarbeiteten theoretischen Grundlagen der Evaluation mit den psychomotorisch-motologischen Studien und den fachlichen Inhalten. Es wird ein Orientierungsmodell für motologische Evaluationsvorhaben (OMEVA) entwickelt, welches prospektiv zur Planung von psychomotorisch-motologischen Evaluationen und retrospektiv als Instrument für die Analyse durchgeführter Studien genutzt werden kann. Die Elemente des Orientierungsmodells werden beschrieben und es wird aufgezeigt, wie eine Anwendung für den Planungsprozess von psychomotorisch-motologischen Studien aussehen könnte. Die jeweiligen Elemente werden zusätzlich direkt an die in Kapitel sechs aufgeführten Studien angelegt.
Abschließend werden jeweils weitere Forschungsmöglichkeiten beschrieben, die durch die Anwendung des Modells entwickelt werden können.
Diskussion
Das Anliegen der Arbeit ist es, den theoretischen Fachdiskurs der Evaluation zu beleuchten, Elemente, die für die Motologie geeignet erscheinen, herauszufiltern und ein übergreifendes Modell zu entwickeln, das durch seine Gestalt die Funktion einer Orientierungshilfe erfüllt. Dieses Anliegen ist in einem hohen Maße gut gelungen. Die fundierte Recherche zeigt uns die historische Entwicklung von Evaluation und Motologie, beides sehr junge Wissenschaftsbereiche. Mit kritischem Blick werden die unterschiedlichen Modelle der Evaluation dargestellt um letztlich ein Modell zu erarbeiten, das für die psychomotorisch-motologische Wissenschaftsdisziplin die passfähigen theoretischen Strukturteile der Evaluationslandschaft abbildet und flexibel genug gestaltet ist, um die Anwendbarkeit für psychomotorisch-motologische Fragestellungen zu ermöglichen. Damit werden gleichzeitig Evaluationsstandards eingeführt, deren Beachtung zu einer steigenden Professionalität von motologischen Evaluationsvorhaben beiträgt.
Mit diesem Beitrag kann eine Lücke in der Psychomotorik/​Motologie geschlossen werden, die Wirksamkeit psychomotorischer Maßnahmen zu belegen. Für die praktisch Tätigen und für die „Klienten“ ist die Wirkung sichtbar, greifbar und spürbar. Es ist aber wissenschaftlich und konzeptionell noch nicht fassbar, da die Interventionen in der Psychomotorik oft zu komplex sind und von der Lebendigkeit des Prozesses leben, deren Wirksamkeit mit „exakten“ wissenschaftlichen Methoden nur schwer zu messen ist. Dieses Dilemma arbeitet die Autorin sehr deutlich heraus und entwickelt ein eigenes Modell (OMEVA), das für die Analyse und Planung von psychomotorisch-motologische Evaluationsvorhaben sehr hilfreich ist. Wege dazu werden durch einen Blick zurück und durch kreatives Nachdenken nach vorne aufgezeigt.
Fazit
Durch eine fundierte und sehr differenzierte Analyse der Wissenschaftsbereiche Evaluationsforschung und Motologie werden Grundlagen für weitere theoretische und praktische Vorhaben im Bereich Evaluation und Evaluationsforschung im motologischen Kontext erarbeitet. Zu wünschen ist, dass das vorgelegte Modell OMEVA zahlreiche Anwender findet um eine der großen Fragestellungen der Psychomotorik/​Motologie zu beantworten: die Wirksamkeit psychomotorischer Maßnahmen.
Rezension von
Dr. Richard Hammer
Dipl. Motologe
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Zitiervorschlag
Richard Hammer. Rezension vom 14.07.2023 zu:
Fiona Martzy: Evaluation im motologischen Kontext. Entwicklung eines Orientierungsmodells für motologische Evaluationsvorhaben. Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2023.
ISBN 978-3-8309-4655-7.
Reihe: Sozialwissenschaftliche Evaluationsforschung - 17.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30938.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.
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